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01. Mai 2022

Zur Zukunft der Mali-Missionen

Eine Verlängerung der Ertüchtigungsmission EUTM empfiehlt sich in der bisherigen Form nicht, die UN-Mission MINUSMA könnte dagegen wichtiger werden.

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Bild: Ein deutscher Soldat in Mali
Ein Rückzug aus der MINUSMA-Mission würde ein Scheitern signalisieren: ein deutscher UN-Soldat im Gespräch mit Kindern im malischen Gao.
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Die Bundesregierung wird dem Bundestag im Mai ihre Empfehlung vorlegen, ob die Bundeswehr weiterhin an den internationalen Stabilisierungsbemühungen in Mali teilnehmen soll. Bereits seit 2013 und damit von Beginn des internationalen Krisenmanagements an sind in Mali deutsche Soldatinnen und Soldaten an zwei Missionen beteiligt: erstens an der multidimensionalen integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen (MINUSMA) mit bis zu 1100 Männern und Frauen und zweitens an der EU-Trainingsmission EUTM Mali mit bis zu 600 Soldatinnen und Soldaten. Letztere hat den Auftrag, die malische Armee auszubilden und zu beraten, um sie zu befähigen, selbständig die Sicherheit Malis zu gewährleisten.



Indem EUTM Mali die Präsenz ausländischen Militärs verzichtbar machen soll, ist die Mission Teil der internationalen Exit-Strategie. MINUSMA hat das Mandat, Bevölkerungszentren zu schützen und den Friedensprozess zwischen der Regierung in Bamako und nordmalischen Rebellen zu unterstützen. 2019 kam der Auftrag ­hinzu, das Zentrum Malis und insbesondere die Region Mopti zu stabilisieren.



In den vorangegangenen Jahren war die Verlängerung der beiden Bundestagsmandate relativ unstrittig, zumindest, wenn man nach den Abstimmungsergebnissen urteilt. Wenn die Verlängerung der Mandate in diesem Jahr kein Selbstläufer sein wird, hat dies eine Reihe von Gründen: das Afghanistan-Fiasko, die Machtergreifung des malischen Militärs sowie das politische Zerwürfnis zwischen Mali und Frankreich, das bislang der unstrittige Anführer der internationalen Koalition dort war. Mit dem Bruch zwischen Bamako und Paris einher gehen der angekündigte Abzug des französischen Militärs (Opera­tion Barkhane) sowie die malische Hinwendung zu russischen Partnern, insbesondere der ­paramilitärischen Gruppe Wagner.



Seit seinem jüngsten Mali-Beschluss vom Mai 2021 hat der Bundestag den überhasteten Abzug aus Afghanistan erlebt. Galten die Ergebnisse der 20-jährigen Präsenz dort schon zuvor als ernüchternd, hat die erneute Machtübernahme der Taliban verstärkt eine Desillusionierung erzeugt, die nunmehr generell auf Auslandseinsätze projiziert zu werden scheint. Konsequent richtete sich der Blick der Außen- und Sicherheitspolitikerinnen und -politiker nun auf Mali, den mit Abstand größten Auslandseinsatz der Bundeswehr.



Negative Trends

Den Mali-Einsatz auf den Prüfstand zu stellen, war ohnehin überfällig: Die Lage im Land hat sich seit 2013 nicht verbessert; seit 2017 hat sie sich sogar deutlich verschlechtert. Die Zentralregierung in Bamako hat sukzessive an territorialer Kontrolle eingebüßt, dschihadistische Gruppen haben ihre Präsenz vom Norden auf das Zentrum des Landes ausgeweitet, wo sich Dschihadismus, Bürgerkrieg und interethnische Konflikte zu einer komplexen Gemengelage verschränkt haben.



Die französische Terrorismusbekämpfung hatte keine stabilisierenden Effekte, obwohl im Zuge der Operation Barkhane zahlreiche Führer der dschihadistischen Bewegungen getötet wurden. Ertüchtigungsmaßnahmen haben die Effektivität der malischen Streitkräfte nur marginal verbessert, da institutionelle Reformen im Sicherheitssektor nicht vorankamen.



EUTM Mali und MINUSMA haben die Verschärfung der Krisen bestenfalls verlangsamt. Es ist den beiden Missionen jedoch nicht gelungen, das Ausgreifen des Konflikts auf die Nachbarstaaten Niger und Burkina Faso zu verhindern. Mittlerweile sind die nördlichen Regionen der Küstenstaaten am Golf von Guinea (Elfenbeinküste, Ghana, Benin, Togo) von Gewalt und Destabilisierung bedroht.



Die negativen Trends hatten indes keine substanziellen strategischen Kurskorrekturen der internationalen Gemeinschaft zur Folge, wie sich auch an den Mandaten von MINUSMA und EUTM ablesen lässt. Die Reaktion war vielmehr ein „Weiter so“. Bestehende Anstrengungen wurden intensiviert, der Ansatz blieb im Wesentlichen der gleiche. Er besteht aus der Trias Terrorismusbekämpfung (Operation Barkhane), Stabilisierung (MINUSMA und ein Flickenteppich zahlreicher bi- und multilateraler Projekte) und Ertüchtigung (EUTM sowie zahlreiche bilaterale, auch deutsche Projekte).



In Mali selbst führten Massenproteste gegen die Regierung im August 2020 zum Sturz von Präsident Ibrahim Boubacar Keita durch das Militär. Damit hat sich der politische Kontext, in dem Stabilisierungsansätze verfolgt werden, noch weiter verkompliziert. Die Junta ist ein unbequemer Partner. Sie genießt beträchtlichen innenpolitischen Rückhalt, weil sie die etablierte politische Klasse Malis entmachtet hat. Ihre bisherige Weigerung gegenüber der westafrikanischen Regionalgemeinschaft ECOWAS und der EU, zügig den Weg für demokratische Wahlen frei zu machen, hat ihre Popularität noch gestärkt. Ohne vorhergehende politische und institutionelle Reformen, so die weit verbreitete Auffassung in Mali, seien Wahlen als demokratisches Verfahren kontraproduktiv. Es ist zu erwarten, dass Vermittler der ECOWAS und die malische Regierung sich in Bälde auf einen Kompromiss über den Transi­tionsprozess mit anschließenden Wahlen in etwa 18 Monaten einigen werden. Aber damit sind längst noch nicht alle Probleme für die internationalen Partner beseitigt.



Die malische Militärregierung macht in populistischer Weise die internationale Gemeinschaft und insbesondere Frankreich zum Sündenbock für die verfahrene Lage des Landes. Die ehemalige Kolonialmacht ist ihrem Rauswurf zuvorgekommen, indem sie den eigenen militärischen Abzug aus Mali angekündigt hat, der sich bis Herbst 2022 hinziehen wird.



Für Deutschland und andere Truppensteller ergibt sich daraus eine gewichtige Konsequenz. Der Abzug der rund 2000 französischen Militärs einschließlich ihrer Drohnen, Kampfhubschrauber und Kampfflugzeuge wird die Bewegungsfreiheit dschihadistischer Gruppen deutlich vergrößern. Die Gefahr von Anschlägen auf internationale Truppen wird dann weiter zunehmen, auch wenn die europäischen Kontingente in Mali generell sehr risikoavers agieren. Deutschland hat seit 2013 zwei Todesopfer zu beklagen, die bei einem Unfall ihr Leben verloren.



Ein weiteres Problem besteht aus deutscher und europäischer Sicht in der sicherheitspolitischen Hinwendung Malis zu Russland. Die zwischenstaatliche ­Kooperation des souveränen malischen Staates kann nicht kritisiert werden. Anders verhält es sich bei der Indienstnahme der russischen Gruppe Wagner. Bis zu 1000 Angehörige dieses Unternehmens sollen sich mittlerweile im Land befinden, um die malische Armee bei Ertüchtigung und Aufstandsbekämpfung zu unterstützen. Die Tatsache, dass die Gruppe Wagner als außen- und sicherheitspolitisches Ins­trument Moskaus gilt, muss im Zusammenhang der russischen Invasion der Ukraine als höchst problematisch eingestuft werden, zumal die Söldnertruppe nach Informationen der britischen Regierung auch in der Ukraine eingesetzt wird.



Ungeachtet dessen ist auf die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen, derer sich die Gruppe Wagner auf anderen Konfliktschauplätzen schuldig gemacht hat, insbesondere in der Zen­tralafrikanischen Republik. Anfang April zirkulierten erste Meldungen über ein Massaker, das malische Armeeangehörige und russische Söldner im Rahmen der „Terrorismusbekämpfung“ an Zivilisten begangen haben sollen. Die Kooperation der malischen Armee mit der Gruppe Wagner ist schlimm genug. Untragbar dürfte aus europäischer Sicht das Szenario einer indirekten Dreieckskooperation sein. Denn die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass malische Rekruten, die auch von deutschen EUTM-Angehörigen trainiert wurden, sich zu einem späteren Zeitpunkt in militärischen Operationen mit der ­Gruppe Wagner wiederfinden.



Differenzierung erforderlich

Insgesamt scheinen damit die Ausgangsbedingungen für ein fortgesetztes Engagement der Bundeswehr schlecht zu sein: Die Bilanz ist nicht zufriedenstellend, normative Prämissen (Demokratie, Menschenrechte) stehen infrage, die russischen Aktivitäten scheinen die Erfolgsaussichten eher zu verschlechtern, während der französische Abzug die Sicherheitsrisiken für die Bundeswehr erhöht.

Allerdings sollte zwischen den beiden Missionen, ihren Aufgaben und Perspektiven unterschieden werden. Eine weitere Beteiligung an EUTM scheint unter den gegebenen Umständen schwer vorstellbar. Hinzu kommt die niedrige malische Nachfrage nach EUTM angesichts ihrer Partnerschaft mit der Gruppe Wagner. Es ist zu erwarten, dass die EU die Mission als Ganzes aus Mali abziehen wird, um gegebenenfalls in den Nachbarländern die Ertüchtigungsaktivitäten zu verstärken. Bereits heute sind deutsche Soldaten (seit 2021 unter dem Dach von EUTM) in Niger aktiv. Eine weitere Regionalisierung von EUTM könnte bei einer seriösen Nachfrage seitens einzelner Mali-Anrainerstaaten eine Handlungsoption sein.



Bei MINUSMA ist die Lage vielschichtiger. Ein deutscher Rückzug wäre unter den gegebenen Umständen nachvollziehbar. Er wäre aber unmittelbar nach Afghanistan das Eingeständnis eines weiteren Scheiterns deutscher und europäischer Stabilisierungspolitik. Mit Blick auf das kompetitive internationale Umfeld ist davon auszugehen, dass die europäische Handlungsfähigkeit auch im Sahel von strategischen Konkurrenten wie Russland, China und der Türkei vermessen wird. Dies ist kein geopolitisches Argument für eine Politik der Verteidigung von Einflusszonen um jeden Preis. Aber europäische Handlungsfähigkeit in der unmittelbaren regionalen Nachbarschaft mit der Fähigkeit, dort Stabilität zu fördern und zu projizieren, ist ein Anspruch europäischer Politik, der angesichts der internationalen Turbulenzen gefragter, aber auch mehrheitsfähiger denn je sein dürfte.



Deutsche und europäische Handlungsfähigkeit und Verlässlichkeit sollten aber nicht nur gegenüber Konkurrenten, sondern auch gegenüber Partnern demons­triert werden. Für die westafrikanischen Staaten, die an erster Stelle und unmittelbar von der Mali-Krise betroffen sind, wäre ein deutscher Rückzug aus MINUSMA ein fatales politisches und sicherheitspolitisches Signal, zumal nicht weniger als 65 Prozent der MINUSMA-Blauhelme aus Westafrika selbst kommen. Das strategische Ziel in Mali ist längst nicht mehr, Mali zu „retten“, sondern die Destabilisierung der gesamten Region zu verhindern.



In Mali selbst eröffnen sich möglicherweise neue politische Chancen, die getestet werden könnten. Sollte es zu einer Transition mit konkretem Zeitplan kommen, wären dessen Begleitung sowie die Vorbereitung der anschließenden Wahlen eine naheliegende und wichtige Aufgabe, die der UN-Sicherheitsrat der MINUSMA in Kooperation mit der ECOWAS übertragen könnte. Den spezifischen deutschen Beiträgen mit hochwertigen Kapazitäten zum Lagebild der Mission käme dabei auch wegen des Abzugs von Barkhane eine wichtige Rolle zu. Der lange Schatten, den der Krieg in der Ukraine werfen wird, sollte nicht dazu führen, dass keine Lehren aus Afghanistan und auch Mali gezogen werden. Die Frage, warum eine Mission wie EUTM wenig vorweisen kann, gehört dabei ebenso auf die Agenda wie eine breitere Diskussion über „Einsätze“, die in der Diskussion allzu oft mit Militär­einsätzen gleichgesetzt werden.     

 

Dr. Denis M. Tull ist Wissenschaftler bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und Projektleiter bei Megatrends Afrika.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2022, S. 80-83

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