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01. Mai 2002

Zukunft des Stabilitätspakts

Das Engagement der Europäer in Südosteuropa

Der Koordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa identifiziert drei Dreiecksverhältnisse, die eine besondere Sprengkraft entwickeln können und wo die Stabilität jederzeit akut gefährdet sein kann. Über wirtschaftliche Investitionen hinaus muss der Stabilitätspakt die Entwicklung von Demokratie und „good governance“ im Auge behalten.

Was hat der Stabilitätspakt für Südosteuropa gebracht und welches sind die nächsten Schritte? Es ist zweifellos notwendig, dem Teil der Region ein erhöhtes Augenmerk zuzuwenden, wo die Stabilität jederzeit akut gefährdet sein kann. Das trifft auf folgende Dreiecksverhältnisse zu, die alle eine besondere Sprengkraft entwickeln können.

1.       Belgrad – Zagreb – Sarajewo: Es steht außer Frage, dass das Dayton-Abkommen für Bosnien-Herzegowina eine Art Waffenstillstand bedeutet, nicht aber eine garantierte Friedensentwicklung. Es geht darum, in der nächsten Zeit neben dem Schweigen der Waffen auch die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Dazu ist es notwendig, die Verfassung von Bosnien-Herzegowina weiter zu entwickeln, damit mehr gemeinsame politische Verantwortung als nur in den verschiedenen Entitäten vorhanden ist.

2.       Belgrad – Podgorica – Pristina: Nach der Abdankung und Verhaftung des ehemaligen jugoslawischen Staatspräsidenten, Slobodan Milosevic, ist die Entwicklung des heutigen Jugoslawien einer der wirklich positiven Beiträge der letzten Zeit. Es gilt allerdings, eine Erbmasse zu bewältigen, die unter anderem auch darin besteht, dass sich die internationale Staatengemeinschaft ein klares Bild zu Montenegro und Kosovo macht. Auch wenn die Verhältnisse zwischen Serbien und Montenegro wohl am besten in der internen Diskussion gelöst werden können, braucht die Situation in Kosovo noch viel Geduld. Hier wird es politischer Phantasie bedürfen, um zu einer Lösung zu gelangen, die für die nächste Zeit eine gewisse Ruhe bringt.

3.       Tirana – Pristina – Skopje: Die größten Fragezeichen sind natürlich bezüglich der Albaner in diesen Ländern selbst zu setzen. Mag Albanien allein unter nationalen Vorzeichen nicht ein solch großes Problem sein, so ist doch hinsichtlich der Entwicklung eines leistungsfähigen Staates die politische Stabilität Voraussetzung. Die schwierigeren Probleme sind zweifellos in Kosovo und in Mazedonien zu verzeichnen, wo alles getan werden muss, um die Bedeutung von Grenzen zu reduzieren, ohne diese selbst in Frage zu stellen.

Es wird notwendig sein, dass der Stabilitätspakt, das Büro des Hohen Repräsentanten (OHR), die UN-Mission in Kosovo (UNMIK) und EU-Vertreter in Mazedonien gemeinsame Aktivitäten im Sinne einer subregionalen Initiative unternehmen, um jenseits der politischen Zukunftsfragen praktische Lösungen auf dem Gebiet der Elektrizität, des Verkehrs und der Infrastruktur, der Grenzkontrollen und der Bekämpfung des organisierten Verbrechens zu entwickeln.

Ein weiteres Spannungsverhältnis besteht darin, dass beispielsweise die Wirtschaft Südosteuropa als eine Gesamtregion ansieht, während in den verschiedenen Ländern der Standard hinsichtlich einer europäischen Integration äußerst unterschiedlich ist. Rumänien und Bulgarien sind bereits EU-Kandidatenländer, während sich Kroatien sehr rasch entwickelt und diesen Status bald erreichen kann. Andere Länder hingegen befinden sich in Krisen, deren Ende nicht absehbar ist.

Nach dem nächsten Erweiterungsschritt der EU wird es notwendig sein, eine neue Strategie für die Region zu entwickeln. Die Schwierigkeiten sind schon daran erkennbar, dass es unterschiedliche EU-Programme für die Region gibt: Für die Kandidatenländer PHARE/ISPA, für die Staaten des „West-Balkan“ das CARDS-Programm und für Moldau das TACIS-Programm, wobei hier wohl eine der schwierigsten Situationen zu verzeichnen ist, die es in dieser Gegend der Welt gibt. Die Wirtschaft betrachtet die Region als Ganzes, denn so groß ist der Markt mit 55 Millionen Menschen nicht, dass man verschiedene Länder differenziert herausnehmen könnte. Auch sicherheitspolitisch muss die Situation unterschiedlich betrachtet werden, wobei zu hoffen ist, dass Rumänien und Bulgarien bei der nächsten NATO-Erweiterung Berücksichtigung finden. Da diese Länder bei der nächsten EU-Erweiterung nicht dabei sein werden, wäre eine „doppelte Zurückweisung“ eine sehr unerfreuliche Entwicklung.

Südosteuropa ist den gegenwärtig kritischsten Zonen der Weltpolitik benachbart. Darunter ist nicht nur der „neue Osten“ zu verstehen, sonden zweifelsohne auch die Schwarzmeer-Region, der Kaukasus und Zentralasien. Zu den Problemen dieser Nachbarn ist nun noch Afghanistan hinzugekommen, wo die Aktivitäten der Europäer von entscheidender Bedeutung sind. Allen politischen Beurteilungen, Südosteuropa habe in seiner Bedeutung abgenommen, ist nachdrücklich zu widersprechen.

Der Stabilitätspakt hatte einen guten Start. Jetzt kommt es darauf an, sich nicht nur für Infrastruktur und wirtschaftliche Investitionen zu engagieren, sondern auch die Entwicklung von Demokratie und „good governance“ nicht zu vergessen und die globale Bedeutung Südosteuropas zu erkennen. Dazu muss noch viel geschehen: Zunächst einmal muss Europa sein Engagement unter Beweis stellen, nicht nur finanziell, sondern z. B. auch in der Frage der Polizeikräfte in Bosnien-Herzegowina oder bei der Übernahme der Verantwortung in Mazedonien. Südosteuropa bietet die Gelegenheit, weitere EU-Instrumente zur Krisenbewältigung zu entwickeln. Südosteuropa ist ein integraler Bestandteil des europäischen Kontinents, der zu seiner Stabilisierung das Engagement der Europäischen Union benötigt.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, Mai 2002, S. 25 - 26.

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