IP

01. März 2015

Womenomics

Shinzo Abe hat Frauenförderung zum zentralen Bestandteil seiner Wachstumsstrategie deklariert. Dass eine stärkere, gleichberechtigtere Einbeziehung von Frauen wirtschaftlich von Vorteil wäre, ist Japans Regierung allerdings schon seit den neunziger Jahren bewusst. Geschehen ist wenig, und der Weg zu einem kulturellen Wandel noch weit.

Shinzo Abe hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er ein konservatives Familienbild pflegt. Als seine Partei LDP vergangenes Jahrzehnt mit dem „Basisgesetz zur Gleichstellung von Frauen und Männern“ das Thema Geschlechter­gerechtigkeit aufgriff und dazu eigens ein Ministeramt für Gleichstellung im Kabinettbüro einrichtete, stemmte sich Abe, damals Minister unter Premier Junichiro Koizumi, zusammen mit einigen konservativen Parteigenossen vehement dagegen: Es drohten der Zerfall der japanischen Kultur und der Untergang der traditionellen Familie, so Abe damals, wenn Frauen und Männer auf dem Arbeitsmarkt oder Mädchen und Jungen in der Schule tatsächlich gleich behandelt werden sollten.

Seit Beginn seiner Amtszeit scheint Abe eine 180-Grad-Wendung vollzogen zu haben. Der Erfolg seiner Wachstumspolitik hänge maßgeblich von der „Macht der Frauen“ ab, erklärte er im September 2013 in einer Rede vor den Vereinten Nationen und fügte geradezu euphorisch hinzu: „Ich möchte eine Gesellschaft befördern, in der Frauen leuchten.“ Vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos benannte er Anfang 2014 konkretere Ziele: Bis 2020, dem Jahr der Olympischen Spiele in Tokio, sollen Japans Führungsetagen ihren Frauenanteil auf 30 Prozent anheben und die Beschäftigung der Gruppe der Frauen im Alter von 25 bis 44 Jahren auf 73 (von derzeit 68) Prozent steigen. Wenn genauso viele Frauen wie Männer einer Beschäftigung nachgingen, steige das BIP signifikant, so Abe.

Es sind ökonomische Fakten, die den hartgesottenen Konservativen zum Umdenken gebracht haben. Der 2013 vorgelegte Globale Gleichstellungsbericht des Weltwirtschaftsforums stufte Japan im internationalen Vergleich auf Rang 105 von insgesamt 136 Ländern ein. (Deutschland liegt in dem Bericht vergleichsweise weit vorne auf Rang 14 und Island, Finnland und Norwegen nehmen die drei Spitzenplätze in punkto Geschlechtergerechtigkeit ein.) Gegenüber dem Vorjahr 2012 hatte Japan sich sogar um vier Plätze verschlechtert und rangiert damit hinter Ländern wie Burkina Faso und Kambodscha. Besonders schlecht schneidet Japan im Bereich der politischen Teilhabe und der Arbeitsmarktbeteiligung ab. Nur 1 Prozent der Unternehmensvorstände sind weiblich; schließt man die unteren und mittleren Managementebenen mit ein, besetzen Frauen etwas mehr als 11 Prozent der leitenden Posten. Die Kluft der Geschlechter zeigt sich auch bei den Gehältern: Frauen verdienen durchschnittlich weniger als halb so viel wie Männer.

Nun heißt der Slogan „Womenomics“: Frauenförderung soll zentraler Bestandteil der Wachstumsstrategie sein. Damit griff Abe eine Portfolio-Strategie von Goldman Sachs auf, die bei der Investmentbank schon lange in der Schublade lag: Die Anlageberaterin Kathy Matsui von Goldman Sachs Japan weist schon seit 1999 in diversen, von ihr mitverfassten Strategiepapieren auf die Wachstumspotenziale hin, die eine höhere Beteiligung von Frauen am japanischen Arbeitsmarkt freisetzen könne: Mehr weibliche Kaufkraft würde beispielsweise mehr ausländische Investoren anziehen, die Ernährungs-, Kosmetika- oder Wohnungsbaubranche würden profitieren. Seit Abes UN-Rede ist die japanischstämmige US-Bürgerin Matsui, die 2014 ihr „Womenomics 4.0“ vorlegte, eine gefragte Interviewpartnerin in den Medien. Die verheiratete Karrierefrau und Mutter zweier Kinder verweist darin immer wieder auf die Hindernisse des japanischen Sozialsystems, die besonders arbeitende Mütter benachteiligten. Insbesondere im Vergleich zu den USA und den skandinavischen Ländern sei die Altersgruppe der 30- bis 44-jährigen Frauen am Arbeitsmarkt zu wenig beteiligt. Der Anteil von berufstätigen Frauen mit Universitätsabschluss sei im internationalen Vergleich ebenfalls zu gering.

Dass die Nutzung der weiblichen Arbeitskraft ökonomisch vorteilhaft sein kann, war Japans Regierung allerdings mindestens ebenso lange bewusst wie Goldman Sachs. Bereits Ende der neunziger Jahre begann man sich für die Familienpolitik der skandinavischen Länder zu interessieren. In Island sorgt beispielsweise eine staatlich garantierte Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Geschlechter dafür, dass Frauen auch nach der Geburt eines Kindes einer qualifizierten Beschäftigung nachgehen können. Das Resultat ist eine vergleichsweise hohe Geburtenrate, während in Japan, wo Mütter sich nach einer Babypause häufig mit Teilzeitjobs zufriedengeben müssen, die Geburten dramatisch abnehmen. Schon 1999 setzte die regierende LDP deshalb Gleichstellungspolitik als wichtigste Maßnahme gegen die sinkende Geburtenrate und die rapide alternde Gesellschaft auf die Agenda – ein Novum in Japan, das bis heute nicht einmal über ein Familienministerium verfügt. Doch sind kaum Fortschritte zu verzeichnen.

Die Soziologin Mari Osawa, die viele Jahre in der Expertenkommission der Regierung für Gleichstellungspolitik tätig war, glaubt, dass Japan immer noch zu sehr auf das Modell des Familienernährers ausgerichtet sei. Mangelnde Chancen, Familie und Beruf zu vereinbaren, wertet Osawa in der postindustriellen Gesellschaft als hohes Risiko für Frauen, weil diese damit die notwendige Berufsqualifizierung verlieren, die sie für ihre soziale Sicherung benötigen. Das ist ein Manko, das auf Japan doppelt negativ zurückfallen kann. In allen fortgeschrittenen Industrieländern verschärft sich der Wettbewerb um leistungs­fähige und fachlich versierte Frauen als Arbeitskräfte, wie etwa die Diskussion um „Social Freezing“ zeigt – dem Anlegen der „Fruchtbarkeitsreserve“ durch vorsorgliches Einfrieren unbefruchteter Eizellen, um eine geplante Schwangerschaft aufzuschieben.

Die tief verankerte Kultur innerbetrieblicher „Rundumnutzung“

Dabei vollzieht sich dieser Strukturwandel auch im japanischen Arbeitsmarkt, hat aber einen Haken: Zwischen 2000 und 2012 verringerte sich die Zahl der männlichen Arbeitskräfte um 680 000 Personen, die der weiblichen Arbeitskräfte stieg dagegen um 2,03 Millionen. Grund ist die Ausweitung des Dienstleistungssektors mit seinen eher nicht regulären und niedrig qualifizierten Beschäftigungsverhältnissen. Mittlerweile machen Teilzeitjobs und Zeitarbeit 30 Prozent aus, der Anteil weiblicher Beschäftigter liegt in diesem Bereich bei über 50 Prozent. Die Unternehmen heuern also unverändert nach der Logik des männlichen Brotverdieners an und betrachten Mütter als potenzielle Hausfrauen, die sich nur etwas dazu verdienen möchten.

Qualifizierte Frauen profitieren zwar durchaus von einer Öffnung des Arbeitsmarkts nach dem individuellen Leistungsprinzip. Allerdings verhindert die nach wie vor tief verankerte Kultur der innerbetrieblichen „Rundumnutzung“ eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Firmenangestellte mit festen Verträgen. Überstunden sind in japanischen Firmen an der Tagesordnung, man pflegt zudem die Kultur der „Trinkabende mit Kollegen“, Angestellte kommen oftmals erst spätabends nach Hause. Mutterschaft bedeutet in der Regel das Karriere-Aus. Ergebnis ist, dass die meisten „Salarywomen“ keine Familien gründen. „Das ist Verschwendung von Humankapital“, kritisiert beispielsweise der Vorsitzende von Toyota Deutschland, Masaki Hosoe, „vor allem angesichts der Tatsache, dass Frauen die besseren Examensnoten mitbringen.“ Auch der Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokio, Franz Waldenberger, sieht ein wesentliches Problem darin, dass Japans Unternehmen unverändert auf innerbetriebliche Ausbildung und lebenslange Zugehörigkeit setzen. Damit benachteiligten sie Personen mit atypischen Karriereverläufen. Internationale Unternehmen profitieren derweil von der Geschlechter-Diskriminierung japanischer Firmen und stellen bevorzugt qualifizierte Frauen in ihren Japan-Niederlassungen ein.

Das Wirtschaftsministerium setzt deshalb auf mehr „Diversity-Management“; seit 2012 werden Firmen, die berufstätige Mütter gezielt bei ihrem Karriereaufstieg unterstützen, mit dem Markenzeichen „Nadeshiko“ ausgezeichnet. Kritiker vermuten allerdings, dass Abes Begeisterung für arbeitende Frauen eigentlich in seiner Abneigung gegen die verstärkte Aufnahme ausländischer Arbeitskräfte liege. Doch auch „Womenomics“ kommt nicht ohne Zuwanderung aus. Um arbeitende Mütter von der täglichen Familien- und Sorgearbeit zu entlasten, empfiehlt Matsui die Lockerung der Einreise-Restriktionen für ausländische Haushaltshilfen. Denn trotz eines massiven Ausbaus der Kinderbetreuung sind infolge der gleichzeitig gestiegenen weiblichen Beschäftigung die Wartelisten auf Krippenplätze lang.

Eine Lösung sucht Japan seither in einer massiven Deregulierung und Privatisierung von Kinderbetreuung. Doch nicht zuletzt aufgrund desolater Zustände in privat geführten „Baby-Hotels“, die landesweit für Aufruhr sorgten, regen sich große kulturelle Vorbehalte gegen eine zu profitorientierte Betreuungsindustrie. Die Soziologin Emiko Ochiai wundert sich, dass die Vorbehalte gegen private „Nannys“ so hoch sind: „In den meisten asiatischen Nachbarländern stellen Doppelverdiener-Paare ausländische Dienstmädchen zu geringen Löhnen ein, das könnte auch für Japan ein Modell werden.“ Allerdings ist die Einstellung ausländischer Haushaltshilfen zu Dumping-Löhnen sicher keine sozial nachhaltige Lösung.

Auch sollte Geschlechtergerechtigkeit nicht allein darauf setzen, dass Frauen sich den Arbeitsweisen der Männer angleichen. Wertewandel und die Zunahme von Doppelverdiener-Haushalten haben anderswo dazu geführt, dass die gleichberechtigte Verteilung familiärer Haushalts- und Betreuungsaufgaben zum gesamtgesellschaftlichen Ziel geworden ist. So könnten von „Womenomics“ auch Japans Männer profitieren. Der Weg dorthin dürfte aber noch weit sein.

Prof. Dr. Annette Schad-Seifert lehrt am Institut für Modernes Japan der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
 

Bibliografische Angaben

IP-Länderporträt 1, März-Juni 2015, S.20-23

Teilen