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20. Juni 2006

„ Wir sind bereit, den Preis zu zahlen“

Interview mit dem rumänischen Außenminister Mircea Geoana

Mit dem Beitritt von zehn neuen Staaten scheint auch für Rumänien die Mitgliedschaft in der EU
zum Greifen nahe, ist aber durch die „Erweiterungsmüdigkeit“ vieler Mitgliedstaaten gefährdet.
Dadurch wird Rumänien die Gratwanderung zwischen EU und USA noch weiter erschwert. Als
EU-Kandidat und NATO-Mitglied hat das Land eine einzigartige Perspektive auf Probleme des
transatlantischen Verhältnisses, die EU-Verfassung und eine mögliche Integration der Länder
der Schwarzmeer-Region in die EU.

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Herr Außenminister, nach zehn Jahren Vorbereitung und einigen Jahren als De-facto-Alliierter der NATO ist Rumänien seit dem 2. April Mitglied der Allianz. War das ein wichtiger historischer Moment für Ihr Land?

In der Tat, denn wir begreifen ihn als das Ende der Zwiespältigkeit und Sorge über Rumäniens Status: Sind wir Teil des Westens oder stehen wir außerhalb des Westens? Für uns is das nicht nur eine Sicherheitsfrage; es betrifft auch unsere Gesellschaft, unsere Geschichte, unser kollektives Gedächtnis. Deshalb ist für die Rumänen die Verankerung unseres Landes in den euro-atlantischen Sicherheitsstrukturen historisch eminent wichtig. Und das empfinden alle rumänischen Parteien so – was sonst eher selten ist. Es ist ein wesentlicher Durchbruch, und er wird hoffentlich einen langen historischen Zyklus überdauern.

Leider ist die NATO wegen des transatlantischen Streites um den Irak-Krieg derzeit nicht in ihrem allerbesten Zustand. Beunruhigt Sie das?

Nur zum Teil. Denn es ist absolut klar, dass man nach den riesigen Veränderungen im geostrategischen Umfeld – das Ende des Sowjetimperiums, der 11. September 2001, Europas neue und ehrgeizigere Sicherheitsstrategie – damit rechnen musste, dass sich die traditionelle Arbeitsweise der NATO und ihr Verständnis von den Aufgaben der Allianz ändern würden. Deshalb betrachten wir die Schwierigkeiten und Höhen und Tiefen im transatlantischen Verhältnis eher als einen „natürlichen“ Anpassungsprozess an die neue geostrategische Lage. Wir sind überzeugt, dass sich wieder eine korrekte Balance zwischen den europäischen Verbündeten und unserem nordamerikanischen Verbündeten einstellen wird. Ebenso glauben wir, dass die NATO weiterhin ein wertvolles Instrument sein wird – dieses Mal nicht für Europa, sondern für die Region, die Präsident George W. Bush und Bundeskanzler Gerhard Schröder den „Weiteren Nahen Osten“ genannt haben.

Ihr Land geriet im vergangenen Jahr zwischen die Fronten des transatlantischen Streites, als es den so genannten Brief der „Zehn von Wilna“ unterschrieb, der Washington in seiner Irak-Politik bestärkte – wofür die Briefschreiber wiederum von Präsident Jacques Chirac sehr heftig getadelt wurden. Sitzt Rumänien seither, bildlich gesprochen, zwischen den Stühlen?

Überhaupt nicht, denn wir formulieren sehr eindeutig, wofür wir stehen: Wir wollen ein ehrgeiziges Europa, das in der Lage ist, für das einzustehen, was es fordert. Deshalb sehen wir keinen Widerspruch zwischen einem stärkeren Europa und einer funktionierenden transatlantischen Partnerschaft. Weil dieses Spiel jedoch ein politisches und nicht nur ein geostrategisches ist, kommt es gelegentlich vor, dass Länder wie Rumänien etwas „missbraucht“ werden in der Hitze des rhetorischen Gefechts …

Chiracs Äußerung, dass Ihre Länder „besser den Mund gehalten“ hätten, hat Sie nicht gekränkt?

Wir haben schon erwartet, dass die negative Energie, die dieser sehr schädliche transatlantische Streit über Irak ausstrahlte, Konsequenzen haben würde – so wie wir auch überzeugt sind, dass die Schwierigkeiten mit der Verabschiedung der europäischen Verfassung politische Konsequenzen haben werden. Wir leben schließlich nicht in einer Welt, die säuberlich aufgeteilt ist, wo man bei einigen Dingen übereinstimmen kann, bei anderen nicht. Wir betrachteten diesen Streit aber als einen unvermeidbaren Krieg der Worte. Und wir können sehr wohl unterscheiden zwischen Worten und langfristigen Interessen. Deshalb finde ich, dass diese Episode im Prinzip hinter uns liegt. Die politische Vernunft – und unsere Interessen – werden uns auf den richtigen Weg führen.

Nun ist Rumänien zwar NATO-Mitglied, aber immer noch nicht EU-Mitglied; das soll es erst im Jahr 2007 werden. Was dieses Datum angeht, werden allerdings von deutschen Politikern wie Edmund Stoiber inzwischen Zweifel geäußert, vor allem wegen der zusätzlichen Kosten für die durch die jetzige Erweiterung sowieso schon strapazierte Union. Sehen Sie Rumäniens Felle davonschwimmen?

Das ist der Preis, den man zahlen muss, wenn man spät in das Spiel einsteigt. Es gab ja eine ähnliche Debatte nach der ersten Runde der NATO-Erweiterung; wie Sie sich erinnern werden, war Rumänien schon im Jahr 1997 kurz davor, eingeladen zu werden – und Frankreich kämpfte intensiv für Rumäniens Mitgliedschaft. Aber dennoch klappte es nicht. Einige Jahre lang war die Debatte um die NATO-Mitgliedschaft viel schwieriger. Es gibt so etwas wie natürliche Ermüdungserscheinungen nach solchen Auseinandersetzungen, eine natürliche Nervosität über die angenommenen Leistungsdefizite der künftigen neuen Mitglieder. Dasselbe gilt für die nächste Runde der EU-Erweiterung: Der Unterschied der ersten und zweiten NATO-Erweiterung zur EU-Erweiterung ist der, dass die Länder, die am 1. Mai beitraten, und Rumänien und Bulgarien politisch und praktisch Teil derselben Erweiterungsrunde sind. Dieses ist eine Erweiterung von zwölf Ländern. Dass zwei Länder, nämlich Rumänien und Bulgarien, aufgrund ihrer Leistungen und aus historischen Gründen gezwungen waren, drei weitere Jahre zu warten, bedeutet nicht, dass wir nicht zu dieser Gruppe gehören. Wir haben aber beinahe damit gerechnet, dass die Debatte über die Erweiterung – vor allem über das Angebot an die Türkei – einen indirekten Einfluss auf Rumänien und Bulgarien haben würde.

Sollte die Türkei in die EU aufgenommen werden?

Die Türkei-Debatte dreht sich nicht nur um die Akzeptanzfrage, also um die Frage, ob die Türkei wirklich ein europäisches Land ist, sondern es ist auch eine geostrategische Debatte: Welche Art von Europa wollen wir sein? Wollen wir eine massive kontinentale oder transkontinentale Macht sein, die ein Global Player von bedeutendem Gewicht wird? Wenn das das Ziel ist, dann sollte die Türkei schnell dazugeholt werden. Es gibt eine andere Gruppe von europäischen Denkern, die vorschlagen, dieses Ziel über die verstärkte Zusammenarbeit von einer Kerngruppe zu erreichen. Und im Moment würde die Aufnahme eines so großen Landes wie der Türkei erhebliche Schwierigkeiten machen. Ich glaube, dass wir zwischen diesen beiden traditionellen europäischen Denkschulen einen Mittelweg finden müssen. Die Türkei gehört in jedem Fall an die Seite Europas. Wird das zu Verhandlungen mit der Türkei führen? Wie schnell sollten die gehen? Wie gut sind wir darauf vorbereitet? Wie viel Geld wollen wir dafür ausgeben? Das sind wichtige Fragen. Aber ein vernünftiger Mittelweg kann und sollte gefunden werden.

Was heißt das in Bezug auf die Türkei?

Es heißt, dass die europäischen Politiker dieses Problem endlich ernsthaft diskutieren müssen. Für uns ist es merkwürdig, mitzuerleben, dass es in privaten Gesprächen mit diesen Politikern viele Fragezeichen in Bezug auf die türkische EU-Mitgliedschaft gibt, während sich die öffentlichen Stellungnahmen dieser Politiker ganz anders anhören: Sie haben offenbar Angst, „Nein“ zur Türkei zu sagen. Was Rumänien betrifft, so befürworten wir ein starkes Europa, und die Türkei ist ein großes Land am Schwarzen Meer und im Nahen Osten. Deshalb verstehen wir die Überlegungen, die Türkei zum Mitglied der Union zu machen.

Welche Rolle wird das NATO- und künftige EU-Mitglied Rumänien auf dem Balkan spielen? Kann es dort ein stabilisierender Faktor sein?

In den letzten Jahren ist etwas sehr Dramatisches und Positives passiert. Aufgrund unserer geographischen Lage hat Rumänien einen enormen Preis bezahlt. In den Jahren nach dem Fall der Berliner Mauer war es verständlich, dass die Europäer und die USA sich vorrangig darauf konzentrierten, die so genannten „Visegrád-Staaten“ zu stabilisieren – Rumänien lag eher an der Peripherie. Aber in einer sehr interessanten und dynamischen Entwicklung ist Rumänien in den letzten Jahren aus der peripheren Lage in Europa ins Zentrum dieses größeren Puzzles geraten, das wir den „Weiteren Nahen Osten“ nennen. Rumänien hat sich von einem Ort, der weit weg von den europäischen und transatlantischen Interessen lag, in den Eckpfeiler einer multiregionalen Strategie verwandelt, die den Balkan abdeckt, aber auch die Verbindung von der Republik Moldau und der Ukraine zu Russland, und die jenseits des Schwarzen Meeres den Kaukasus und Zentralasien berührt. Also hatte Rumänien plötzlich eine andere Schwierigkeit: Vorher interessierte sich quasi niemand für uns – jetzt haben wir auf einmal so viel zu tun, dass wir darauf achten müssen, uns nicht zu übernehmen. Das betrifft nicht nur die militärische Beteiligung: Wir haben Soldaten auf dem Balkan, in Afghanistan, in Irak – insgesamt 2000 Leute in Kampfeinsätzen oder zur Friedenswahrung. Darüber dürfen wir unsere anderen Verpflichtungen nicht vernachlässigen.

Und die regionale Rolle Rumäniens?

Wir müssen weiterhin den Balkan stabilisieren, das ist für uns sehr wichtig. Wir müssen uns darum kümmern, dass die Ukraine und Moldau so demokratisch und europäisch werden, wie sie es selbst gern möchten. Und wir fühlen uns ebenso verpflichtet gegenüber Georgien auf der anderen Seite des Schwarzen Meeres. Rumänien ist also plötzlich zu einem viel interessanteren strategischen „Player“ geworden. Das gilt für wichtige EU-Länder wie Deutschland und Frankreich. In jüngster Zeit werden wir verstärkt gefragt: „Was kann Rumänien für den Balkan tun?“ Nun, wir tun viel. Aber zusätzlich fragt man uns: „Was können wir zusammen als Europa für den Kaukasus tun, was für den ‚Weiteren Nahen Osten‘?“ In meinen Augen ist Rumäniens Rolle – die gelegentlich für Irritationen sorgt – die, Westeuropa zu helfen, seine natürliche Geographie wieder zu entdecken aus einem amputierten strategischen Blickwinkel, der das Resultat der Fragmentierung Europas während des Kalten Krieges war. Europa entdeckt zurzeit mehr und mehr, dass es Interessen hat und dass es eine Rolle spielen muss. Und ich bin überzeugt, weil die EU heute der führende politische Faktor auf dem Balkan ist, dass sie demnächst auch ein wichtiger Player in der weiteren Region Kaukasus/Zentralasien sein wird, wo heute Russland und die USA dominieren.

Was die Republik Moldau angeht, ist Rumäniens Rat nicht sehr erwünscht, weil eigennützige Interessen vermutet werden …

Wir können nicht leugnen, dass zwei Drittel der Einwohner Moldaus Rumänen sind und wir ein gemeinsames Erbe haben. Die Geschichtsbücher haben nur die Kommunisten verbrannt. Wir haben die Verpflichtung zu helfen – und wir alle versuchen derzeit, diesen festgefahrenen Konflikt irgendwie zu lösen. Was ich möchte, ist erstens, dass Moldau ein wirklich europäisches Land wird, und zweitens, dass wir dies nicht als ein Schachspiel mit Russland begreifen, sondern diskutieren, was die Zukunft von Moldau und der Ukraine sein könnte.

Sollten diese Länder auch EU-Mitglieder werden? Vielleicht sogar Georgien?

Das ist eine sehr wichtige Debatte. Wir müssen da die richtige Balance finden. Bisher hat die EU ihren Einfluss hauptsächlich dadurch ausdehnen können, dass sie die künftige EU-Mitgliedschaft in Aussicht stellte. Das war das Hauptinstrument, mit dem Europa sich als ambitionierter Global Player darstellen konnte. Aber es gibt einen Moment, wo man seine Instrumente diversifizieren muss. Ich persönlich würde es für einen dramatischen Fehler halten, der Ukraine mitzuteilen, dass sie nie Mitglied der EU werden kann. Dasselbe gilt für Moldau, und geographisch ist natürlich auch der Kaukasus ein Teil Europas. Aber wir müssen ebenso zur Kenntnis nehmen, dass es eine gewisse Ermüdung in Europa gibt, dass die öffentliche Meinung das Thema ziemlich leid ist. Wir müssen sehr vorsichtig sein und dürfen diesen Ländern nicht die Tür vor der Nase zuschlagen, weil die Aussicht auf EU-Mitgliedschaft die Transformation beschleunigt, die Demokratie und die freie Marktwirtschaft fördert. Aber gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass wir keine leeren Versprechungen machen, die wir dann nicht einhalten können.

Wie passt Rumänien in das Konzept Europa?

Rumänien betrachtet sich selbst als die neue Grenze des Westens; wir haben die Verpflichtung, diese Grenze zu verteidigen gegen illegale Immigration und Grenzkriminalität, die recht intensiv ist; wir haben ein Drittel der Gesamtlänge der EU-Ostgrenze vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer. Deshalb geben wir für diese schwierige Grenze viel Geld aus – übrigens gibt es dabei eine hervorragende Zusammenarbeit mit dem deutschen Bundesgrenzschutz. Aber auf der anderen Seite dürfen wir aus Europa nicht wieder eine Festung machen, deshalb müssen wir einen Mittelweg finden zwischen der Aussicht auf eventuelle Mitgliedschaft und einer klaren Politik der Unterstützung für die Transformation. Unser Interesse und unsere Verpflichtung bestehen darin, daran mitzuarbeiten, dass unsere Nachbarländer so europäisch und so demokratisch wie möglich werden, selbst wenn sie nicht beitreten. Ich bin sicher, dass in den kommenden Jahren die Mittelmeer-Länder an Europas Tür klopfen. Deshalb wird es sehr wichtig sein, wie wir jetzt mit der Türkei umgehen. Das wird ein Modell dafür sein, wie künftige Erweiterungen durchgeführt werden. Rumänien betrachtet sich in diesem Zusammenhang nicht nur als einen Grenzstaat, sondern auch als eine Brücke.

Wie beurteilen Sie als neues Mitglied des „Westens“ die jüngsten Entwicklungen in Russland, vor allem die Macht, die Präsident Putin ansammelt?

Wir beobachten die Entwicklung in Russland mit einem Gefühl des „déjà vu“, aber auch mit praktischem, realistischem Blick. Wir haben den Eindruck, dass die russische Führung diesen günstigen ökonomischen Moment für das Land – hohe Erdöleinnahmen, bessere Wirtschaftszahlen – maximal nutzen will. Wenn uns etwas beunruhigt, sind das nicht Sicherheits- oder strategische Aspekte, sondern eher moralische und historische. Wir glauben, dass Europa nicht versöhnt und wieder vereinigt werden kann ohne Russland als sozusagen „organischen“ Partner. Die EU- oder NATO-Mitgliedschaft ist für so ein großes Land irrelevant. Darum geht es auch nicht. Es geht darum, dass wir uns mehr anstrengen müssen, um die russischen Eliten und die russische Öffentlichkeit zu überzeugen, dass ihre Zukunft und ihre Interessen im Westen liegen. Deshalb beunruhigt es uns, wenn wir sehen, dass sich der Westen von „natürlichen Reflexen“ der Stärke in der russischen Außenpolitik wieder zu einer Art Nullsummenspiel verleiten lässt, was die früheren Sowjetregionen angeht. Wir müssen Russland davon überzeugen, dass unsere Interessen in Georgien, im Kaukasus, in Zentralasien nichts mit einem Kampf gegen Russland zu tun haben. Wir wollen nur den Hinterhof für unsere Strategie zum „Weiteren Nahen Osten“ ruhig stellen. Und es liegt auch im russischen Interesse, einen Mittelkorridor für ihre Öl- und Gasleitungen zu haben und nicht zu glauben, dass ihre Energielieferungen der einzige Weg sind, den Westen zu kontrollieren. Es ist auch in ihrem Interesse, Stabilität an ihren Grenzen zu haben. Wenn es zu einem Nullsummenspiel kommt, werden sie verlieren. Moldau, die Ukraine und Georgien sind auch für den Westen „nahes Ausland“. Sich darum zu streiten, ist kontraproduktiv. Das ist nicht kritisch gemeint, sondern es geht darum, die Mechanismen hinter dieser Entwicklung zu verstehen. Diese Machtkonzentration an der Spitze erklärt sich ja auch daraus, dass Russland noch nie eine offene, zivile Gesellschaft erlebt hat! Deshalb müssen wir unsere russischen Freunde davon überzeugen, dass sie ihre Gesellschaft öffnen müssen, wenn sie wirklich eine moderne, konkurrenzfähige Nation werden wollen, die ihr enormes Potenzial auch nutzt. Sie müssen ihre Bürger partizipieren lassen.

Hat das auch Auswirkungen auf die russische Außenpolitik?

Das „Barometer“ wird sein, wie Russland mit den so genannten eingefrorenen Konflikten umgeht, also der Situation in Transnistrien, Abchasien und Zentralasien. Die Versuchung, reflexartig in alte Verhaltensweisen zurückzufallen, ist immer noch groß. Deshalb kommt es darauf an, diese Konflikte nicht als Zeichen zu sehen, dass der Westen gewonnen hat und sie verloren, sondern dass wir uns gegenseitig davon überzeugen, dass wir zusammengehören. Langfristig braucht der Westen Russland, vor allem wenn man sieht, wie viel Dynamik und Kraft von der Pazifik-Region ausgeht. Es ist in unserem Interesse, Russland auf unserer Seite zu haben.

Was Rumäniens Beitritt zur EU angeht: Acht so genannte „Kapitel“ im Vorbereitungsprozess sind noch offen. Wie beurteilen Sie den Fortgang der Verhandlungen?

Die gute Nachricht ist, dass die Finanzkapitel nun behandelt werden. Ich denke, dass wir die Kapitel zusammen mit Bulgarien abschließen können.

Bulgarien, Ihr Mitkandidat, ist derzeit aber weiter als Rumänien.

Das stimmt. Das liegt daran, dass Bulgarien das Glück hatte, zwei Regierungen hintereinander zu haben, die die richtigen Dinge taten. Ich will damit nicht unsere Vorgängerregierung kritisieren, aber Bulgarien hatte 1997 eine größere Finanzkrise, und danach wachten sie auf und fingen an, hart zu arbeiten. Rumänien hatte seine Finanzkrise zwei Jahre später, 1999, und erst danach wachten wir auf und fingen an zu arbeiten. Es gibt also gewisse Unterschiede. Und zudem ist Rumänien ein größeres und komplexeres Land. Wir konzentrieren uns auf unseren Job. Wir wissen auch, dass die europäische Atmosphäre zurzeit komplizierter ist als vor ein paar Jahren. Wir wissen, dass Rumänien und Bulgarien härter geprüft werden – die Hürden sind etwas höher geworden. Das verbittert uns aber nicht, wir gehen damit normal um.

Wie beurteilen Sie den Streit um die europäische Verfassung?

Er beunruhigt uns. Denn alles, was in Europa nicht funktioniert, hat indirekt Einfluss auf Rumäniens europäische Ambitionen. Und wir treten der EU bei, um Teil eines starken, ehrgeizigen Europas zu sein. Rumänien ist ein relativ großes Land, deshalb haben wir kein „Die-Großen-dominieren-uns-Syndrom“, wir sehen das Problem entspannt. Was die Beitrittsverhandlungen angeht, sind wir nicht naiv: Wir wissen, dass wir nach dem Abschluss der Verhandlungen 2004 zwei wichtige Jahre vor uns haben, um uns für die Mitgliedschaft im Jahr 2007 vorzubereiten. Wir haben noch enorm viel zu tun; wir haben immer noch Probleme mit der öffentlichen Verwaltung und dem Justizwesen, die Korruption muss bekämpft werden.

Eine Kritik im letzten Jahresbericht lautet, Rumänien habe noch keine funktionierende Marktwirtschaft.

Für uns wird die wichtigste Beurteilung, der „Moment der Wahrheit“ sozusagen, der Bericht der EU-Kommission über Rumänien und Bulgarien sein, der wahrscheinlich im Oktober 2004 veröffentlicht werden soll. Die Jahresberichte waren im Prinzip Schnappschüsse eines Landes, das an sich arbeitet und besser werden muss. Und wir wissen, dass wir kein grünes Licht für den Abschluss der Verhandlungen haben werden, wenn dieser Bericht im Oktober nicht positiv ist, und dass wir dann noch härter arbeiten müssen. Aber wir sind entschlossen, Außergewöhnliches zu leisten. Und was die funktionierende Marktwirtschaft angeht, mache ich mir keine Sorgen, denn wir befinden uns im Reformzeitplan – in diesem Jahr werden wir Sektoren privatisieren, bei denen andere Länder größere Schwierigkeiten haben: die nationale Ölgesellschaft, die Gas- und Stromindustrie, die letzte staatseigene Bank.

Wo sehen Sie besondere Schwierigkeiten im Falle Rumäniens?

Für uns wird innenpolitisch das Wettbewerbskapitel das Schwierigste sein, denn da müssen wir wirklich bei den staatlichen Hilfen für Ordnung sorgen. Massiv wird auch das Umweltkapitel sein, denn selbst in 10, 20 Jahren dürfte es schwer sein, das Land zu sanieren. Der „kalte Guss“, den wir vom Europäischen Parlament mit dem letzten Bericht bekommen haben, wäre irgendwann eh gekommen, weil die Atmosphäre in Europa im Moment so ist. Es war ganz gut, dass wir ihn relativ früh abbekommen haben, denn so können wir jetzt Korrekturen vornehmen und noch hartnäckiger arbeiten. Für mich ist nicht der Zeitplan das Problem, denn ich weiß, dass wir eine solche historische Chance nicht verpassen werden, sondern mein persönlicher Ehrgeiz besteht darin, Rumänien im Jahr 2007 so gut vorbereitet wie möglich zu sehen. Das ist die wirkliche Herausforderung. Es geht ja nicht nur um den Weg nach Europa, sondern um den „Tag danach“: Wir orientieren uns da eher an Irland und Spanien als etwa an Griechenland, das nach seinem Beitritt wegen seiner schwachen Regierung ein paar Jahre verloren hat. Rumänien kann sich diesen Luxus nicht leisten.

In Rumänien wird dieses Jahr gewählt. Kann sich der Europa-Kurs des Landes noch ändern?

Bei den Wahlen entscheidet die Öffentlichkeit. Aber dieses ist das erste Wahljahr in Rumänien, das wir nicht mit Innenpolitik vergeuden, weil wir, gezwungen durch den EU-Zeitplan, mit den Reformen fortfahren müssen. Das ist ziemlich neu.

Die Fragen stellte Sabine Rosenbladt.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, Juni 2004, S. 67-74

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