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01. Febr. 2004

„Wir müssen Frieden schließen"

Interview mit Yossi Beilin zur israelisch-palästinensischen Genfer Initiative

Yossi Beilin erläutert der Internationalen Politik, wie die von ihm maßgeblich mitbestimmte
„Genfer Initiative“ den blockierten Nahost-Friedensprozess wieder in Gang bringen will.

Interview mit Yossi Beilin zur israelisch-palästinensischen Genfer Initiative

Herr Beilin, einige Ihrer israelischen Kritiker beschuldigen Sie, ein „EU-Agent“ zu sein, weil Sie Ihre Genfer Initiative mit europäischer Finanzhilfe auf die Beine gestellt haben. Es wird sogar der Verdacht geäußert, dass Sie damit nur die Interessen einiger EU-Staaten im Nahen Osten vertreten könnten. Was erwidern Sie diesen Kritikern?

Viele Israelis, die gegen die Genfer Initiative sind, betrachten sie als ein Manöver Dritter: Zum Beispiel soll sie von Yasser Arafat initiiert worden sein, um Sharon zu marginalisieren, oder von den Amerikanern oder den Europäern. In Wirklichkeit habe ich diese Initiative vor drei Jahren dem früheren palästinensischen Informationsminister Yasser Abed Rabbo vorgeschlagen. Die Genfer Initiative wurde von Israelis ins Leben gerufen, die ganz einfach in Frieden leben wollen. Manche Menschen verstehen nicht, dass wir Frieden mit den Palästinensern schließen müssen, weil es für uns jüdische Israelis sehr wichtig ist, dass wir als Einwohner im Staat Israel die jüdische Mehrheit behalten. Das liegt weder im speziellen Interesse der Europäer noch der Amerikaner. Die Europäer und die Amerikaner wollen vor allem Stabilität in der Region. Wenn wir selbst nichts tun, werden wir jedoch in etwa sechs Jahren diese jüdische Mehrheit im Staat Israel verlieren. Was also ist die Lösung? Alle, die die Genfer Initiative anderen zuordnen, verkennen das genuine Interesse Israels und haben auf dieses Problem keine wirkliche Antwort.

Vor der Genfer Initiative hat es schon mehrere israelisch-palästinensische Friedensinitiativen gegeben, nicht zuletzt den gescheiterten Oslo-Prozess und die derzeit auch nicht sehr vitale so genannte Road Map. Was ist neu an Ihrem Plan?

Dies ist die erste dauerhafte Lösung, die von Unterhändlern beider Seiten bis ins Detail ausgearbeitet und unterschrieben worden ist. Das hat es vorher noch nie gegeben. Vergleichbar war nur das Beilin-Abu-Mazen-Papier von 1995,* aber das wurde nie unterzeichnet, und es handelte sich dabei eher um eine Grundsatzerklärung als um ein detailliertes Abkommen. In der Genfer Initiative haben wir alle Fragen behandelt und uns in allen Details festgelegt. Alle früheren Vereinbarungen sahen nur einen Zeitplan vor, aber keine permanente Lösung in allen Einzelheiten.

Sie haben kürzlich die Arbeitspartei verlassen. War die Genfer Initiative, für die Sie dort keinen Rückhalt bekamen, der Grund dafür?

Nein. Ich habe die Arbeitspartei verlassen, weil ihre Knesset-Fraktion mehrheitlich die Einheitsregierung unter Ariel Sharon unterstützte. Meine Sorge war, dass die Fraktion sich Sharon anschließen wollte, weil alle Gegner dieses Schrittes – Mosche Dayans Tochter Yael Dayan, der Mitbegründer von „Peace Now“ Tzali Reshef und ich – nicht wiedergewählt worden waren. Das ist bisher nicht geschehen – was mich freut – aber ich fürchte, dass sie mental in Sharons Wartezimmer sitzen und sich deshalb nicht wie eine Opposition benehmen.

Sie haben sich klar gegen europäischen Druck auf Israel zur Durchsetzung der Genfer Initiative ausgesprochen, aber Sie reisen zurzeit durch Europa, um die europäischen Regierungen davon zu überzeugen, die israelische Öffentlichkeit pro „Genf“ zu beeinflussen. Wo sehen Sie den Unterschied zwischen direktem und indirektem Druck?

Direkter Druck würde bedeuten, Israel mit Sanktionen zu bedrohen. Ich rede nicht über die Peitsche, sondern über Zuckerbrot: Wenn Israel diese Initiative umsetzt, könnten die Europäer anbieten, finanziell bei der Umsetzung zu helfen, sie könnten Truppen als Teil eines multinationalen Friedenskorps schicken, sie könnten palästinensische Flüchtlinge aufnehmen, sie könnten erwägen, ob sie Israel und vielleicht sogar Palästina die zukünftige Mitgliedschaft in der EU anbieten.

Wenn all dies geschähe, wäre es für uns leichter, unsere Landsleute zu überzeugen. Aber selbst wenn wir scheitern sollten und die israelische und palästinensische Regierung ihre Politik nicht ändern sollten, bin ich nicht dafür, dass die Welt Israel mit Abstrafung droht.

Was die Peitsche angeht: Was halten Sie von der Anklage gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof wegen der Errichtung der Grenzanlage oder vom EU-Boykott für Produkte, die aus israelischen Siedlungen kommen?

Diese Maßnahmen sind nicht sehr hilfreich. Ich bin dagegen, weil Boykotts und Sanktionen nur dazu führen, dass sich alle Israelis mit ihrer Regierung solidarisieren – selbst wenn sie gegen deren Politik sind. Solche Strafaktionen sind kontraproduktiv.

Als Sie selbst in den späten achtziger Jahren israelischer Vizeaußenminister waren, initiierten Sie den Abbruch der diplomatischen Beziehungen Israels mit dem Apartheidstaat Südafrika.

Das war eine ganz andere Situation. Israel ist eine Demokratie, dort kann die Politik durch die öffentliche Meinung beeinflusst werden. Das war in Südafrika nicht der Fall. Deshalb habe ich Sanktionen gegen Südafrika befürwortet.

Zurück zur Genfer Initiative: Warum taucht im Text nirgendwo der Begriff „jüdischer Staat“ auf?

Der Text bezeichnet Israel und Palästina wörtlich als „die jeweiligen Heimatländer beider Völker“. Damit erkennt zum ersten Mal eine israelisch-palästinensische Vereinbarung das Recht des jüdischen Volkes auf einen eigenen Staat an.

War die palästinensische Seite gegen den expliziten Begriff „jüdischer Staat“?

Ich habe sie nicht gefragt. Was ist so wichtig an diesem Begriff? Jahrzehntelang haben mir Leute gesagt, die Palästinenser würden niemals darin einwilligen, dass das jüdische Volk ein Recht auf seinen eigenen Staat hat. Nun, da sie es getan haben, sagen die Kritiker: „Aber sie erwähnen den jüdischen Staat nicht“. Wir müssen die Palästinenser nicht um die Anerkennung eines jüdischen Staates bitten. Das Wichtigste ist, dass sie das Recht des jüdischen Volkes auf einen eigenen Staat anerkennen. Etwas anderes brauchen wir nicht.

Ihre Initiative sieht die Lösung des palästinensischen Flüchtlingsproblems auf der Basis der UN-Resolution 194 vor, die in arabischen Ländern als Erlaubnis der Flüchtlinge zur Rückkehr in ihre Heimat angesehen wird – also in das heutige Israel. Wie soll das gehen?

Diese Resolution wird im Clinton-Plan erwähnt, den die israelische Regierung unter Ehud Barak im Dezember 2000 akzeptiert hat. Wir sagen, die Vereinbarung beruht auf der Resolution 194, und das bedeutet, dass durch diese Vereinbarung die Resolution erfüllt und der Flüchtlingsstatus beendet wird. Denn unsere Initiative besagt, dass beide Seiten wie auch die UN alle relevanten Resolutionen zur Frage der palästinensischen Flüchtlinge annullieren werden, was sehr wichtig ist.

Nach Ihrem Plan muss Israel so viele palästinensische Flüchtlinge wie die Drittländer aufnehmen, und es hat nur das Recht, einzelne Flüchtlinge abzulehnen, nicht jedoch die Gesamtzahl der Flüchtlinge. Jüngste Meinungsumfragen zeigen, dass 373 000 palästinensische Flüchtlinge nach Israel zurückkehren wollen. Würden die das Land nicht überfordern?

Selbst wenn eine Million Palästinenser zurückkehren wollte, würde das nach unserer Vereinbarung Israel nicht binden, denn wir beziehen uns auf die durchschnittlichen Quoten anderer Länder. Kein Land hat vor, eine Million Palästinenser aufzunehmen. Wir kennen die Quoten, dabei handelt es sich um jeweils einige Zehntausend. Diese Anzahl wird auch Israel aufnehmen.

In der Genfer Initiative wird auch vorgeschlagen, dass Israel die arabischen Länder, die palästinensische Flüchtlinge aufgenommen haben, entschädigen muss – obwohl diese Länder ein Gutteil Mitschuld am Ausmaß des palästinensischen Flüchtlingsproblems tragen. Warum diese Großzügigkeit?

Die Drittländer-Regelung war Teil des Clinton-Vorschlags, und es ist durchaus in unserem Interesse, dass diese Länder entschädigt werden. Das bedeutet nicht unbedingt, dass Israel sie entschädigen muss. Wir reden über einen internationalen Fonds. Bei unserem Treffen mit dem außenpolitischen Ausschuss des Deutschen Bundestags sagte uns dessen Vorsitzender, dass die benötigte Summe – 20 Milliarden Dollar – nur ein Bruchteil dessen sei, was die internationale Gemeinschaft zurzeit in Irak ausgibt. Natürlich ist das eine große Summe, aber keine unerreichbar große.

Wie realistisch ist die Umsetzung Ihrer Ideen im derzeitigen politischen Klima Israels? Meinungsumfragen zeigen zwar, dass 39 Prozent der Israelis die Genfer Initiative unterstützen, aber gleichzeitig sind 70 Prozent der Ansicht, dass „linke“ Politiker ohne Erlaubnis der israelischen Regierung keine Verhandlungen mit den Palästinensern führen dürfen. Wie passt das zusammen?

Die Unterstützung ist sehr hoch, denn 39 Prozent ist mehr als die Arbeitspartei, Meretz und die arabischen Parteien bei den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr zusammen bekamen. Sie geht weit über unsere Erwartungen hinaus und könnte noch steigen.

Sie haben jetzt eine neue Partei gegründet, „Yachad“ …

„Yachad“ steht für „Sozialdemokratisches Israel“ und ist ein Zusammenschluss meiner eigenen kleinen „Schachar“-Gruppe mit Meretz. Wir haben sechs Sitze in der Knesset [von 120, Anm. d. Red.], die im Moment Meretz gehören. Diese Abgeordneten werden alle „Yachad“-Mitglieder werden.

Heißt das, Sie sehen die historische Rolle der israelischen Arbeitspartei als beendet an?

So hart würde ich das nicht formulieren. Es könnte allerdings so kommen, und das hängt stark davon ab, wer der Nachfolger von Shimon Peres als Parteichef wird. Die Arbeitspartei hat sich seit langem nicht mehr adäquat mit der sich verändernden Wirklichkeit auseinander gesetzt; sie hat ihre führende Rolle als Friedenspartei und Partei der sozialen Gerechtigkeit verloren. Sie blieb auch in der Opposition Teil des politischen Establishments, was zur Folge hatte, dass sie bei den Wahlen 2002 auf einen Tiefpunkt von 19 Knesset-Sitzen absackte, eine wirkliche Katastrophe. Ich hoffe, dass sie sich wieder erholt, aber ich sehe das im Moment nicht. Nach jüngsten Meinungsumfragen muss sie bei den nächsten Parlamentswahlen mit weniger als 19 Sitzen rechnen.

Sie sind einer der beiden Kandidaten, die am 16. März um den Parteivorsitz von „Yachad“ konkurrieren. Wenn Sie verlieren sollten – wird das die Genfer Initiative nicht beschädigen? Wäre es unter Umständen klüger, sich auf „Genf“ zu konzentrieren und nicht anzutreten?

Unsinn. Ich bin Politiker, kein Mitglied der Zivilgesellschaft, das die Welt von außen verändern möchte. Ich habe es Zeit meines Lebens „von innen“ versucht und werde mich nicht aus der Politik zurückziehen. Es ist für mich sehr wichtig, diese Partei anzuführen, und wenn wir nicht im Oktober 2003 die Genfer Initiative unterzeichnet hätten, hätten wir die geheimen Verhandlungen fortgeführt, ohne dass irgendjemand davon gewusst hätte. Als ich für die Arbeitspartei kandidierte, wusste niemand, dass ich in Genf verhandelte. Natürlich bin ich mir darüber im Klaren, dass ich mit meiner Kandidatur auch die Genfer Initiative zur Abstimmung stelle – aber für eine kleine Partei sollte das ein Vorteil sein, schließlich ist es das größte Ereignis, das in den vergangenen Monaten in Israel stattgefunden hat.

Zur gleichen Zeit sammelt auch die israelisch-palästinensische Initiative von Ami Ayalon und Sari Nusseibeh Unterschriften. Ist das Friedenslager – wie so oft – gespalten?

Überhaupt nicht. Ich habe Ami Ayalons Initiative unterschrieben. Sie ist nicht schlecht, nur anders. Ayalon glaubt an Unterschriftensammlungen, ich glaube an Meinungsumfragen, deshalb brauche ich keine Unterschriften zu sammeln, aber er soll ruhig so viele bekommen wie er kann. Dieselben Leute unterstützen beide Initiativen.

Im palästinensischen Lager heißt es, 100 000 Palästinenser hätten bei Ayalon unterschrieben, weil sie glaubten, Ayalon könne die politische Mitte in Israel mobilisieren, Beilin aber nur die – nicht sehr zahlreiche – israelische Linke.

Wenn das so ist, bin ich froh. Es ist sehr wichtig, dass Ayalon die Mitte mobilisiert. Bisher ist ihm das nicht gelungen. Unsere Initiative hat viel mehr Unterstützung als die von Ayalon und Nusseibeh, etwa 40 Prozent zu 17 Prozent.

Also hätten Sie gemeinsam 57 Prozent der Israelis?

Nein, leider nicht. Der Ayalon-Nusseibeh-Plan ist nicht populär genug, vielleicht weil nur zwei Personen dahinter stehen, während es in unserem Fall zwei Koalitionen sind, auf israelischer Seite etwa der frühere Armeechef Amnon Lipkin-Schahak, ein ehemaliger Geheimdienstchef, frühere Polizeikommandeure und international bekannte Schriftsteller wie David Grossman, Amos Oz und Abraham Jehoschua. Ayalon ist allein. Er ist eine sehr anständige und ehrliche Person, aber ich glaube nicht, dass er die Mitte mobilisieren kann. Die Zahlen sprechen da für sich.

In welcher Beziehung steht Ihre Initiative zur Road Map? Dort wird im ersten Teil gefordert, dass die Palästinenser ihre Gewaltaktionen sofort beenden. Das ist bisher nicht geschehen, also liegt die Road Map auf Eis. Werden in Ihrer Initiative nicht die Palästinenser für ihren Terror so zusagen noch belohnt?

Wir schlagen vor, dass die Genfer Initiative die dritte Phase der Road Map darstellt – also die dauerhafte Lösung des Konflikts. Wir widersprechen damit nicht den zwei vorhergehenden Phasen der Road Map. Das Entscheidende an der Road Map ist, dass sie parallele Forderungen aufstellt, zum Beispiel dass die israelische Regierung die Ausdehnung der Siedlungen einfriert, während gleichzeitig die Palästinenser den Terror einstellen. Daran halten sich beide Seiten im Moment nicht.

Ihre Initiative sieht vor, dass alle Siedlungen evakuiert und die Gebäude den Palästinensern übergeben werden. Für Israel wäre das ein teurer Spaß …

Wieso? Dieses Geld würde natürlich abgezogen von den Entschädigungen, die Israel sowieso zahlen muss, also verlieren wir dabei nichts.

Die Genfer Initiative wird von den ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter und Bill Clinton unterstützt – zwei Demokraten. Ist das strategisch geschickt? Es könnte Präsident Bush davon abhalten, die Initiative zu unterstützen.

Das ist aber nicht der Fall, denn Präsident Bush unterstützt unsere Initiative ganz offen. Sein Außenminister Colin Powell hat sich mit uns getroffen und sich dabei weit aus dem Fenster gelehnt. Er war sehr freundlich, war gut informiert – wir waren sehr zufrieden mit diesem Treffen.

Verstehen Sie, welche Strategie Ministerpräsident Ariel Sharon im Hinblick auf den Friedensprozess verfolgt? Er kündigt zwar immer wieder an, Siedlungen aufzugeben, jetzt sogar alle in Gaza – aber getan hat er das bisher noch nie.

Sharon ist der demokratisch gewählte Ministerpräsident Israels. Er ist abhängig von Koalitionspartnern, ohne die er keinen einzigen Tag regieren könnte. Das gilt insbesondere für seinen größten Partner, die Shinui-Partei [antiorthodoxe Partei der bürgerlichen Mitte, Anm. d. Red.], die 15 Sitze in der Knesset hat.

Nach jüngsten Meinungsumfragen unterstützen 46 Prozent der Shinui-Wähler die Genfer Initiative, 45 Prozent sind dagegen. Ich bin davon überzeugt, dass es für Sharon im Hinblick auf Shinui sehr schwierig werden wird, überhaupt nichts zu tun, denn ihre Wählerschaft besteht aus Leuten, die sich in Richtung Frieden bewegen wollen. Wir bemühen uns also nicht nur um Sharon und seine Likud-Partei – obwohl auch dort 20 Prozent der Mitglieder unsere Initiative unterstützen – sondern vor allem um Shinui. Wenn Shinui fordert, eine dauerhafte Lösung anzusteuern – nicht notwendigerweise die Genfer Initiative – oder wenigstens sichtbare Schritte in diese Richtung zu tun, und Sharon reagiert nicht, dann könnte es zu einer Krise dieser Koalition kommen. Es gibt also andere Optionen als die nächsten Wahlen in vier Jahren.

Was, glauben Sie, ist Sharons „Vision“ von der Lösung dieses Konflikts?

Seine Vision sieht eine Art palästinensisches Bantustan vor – also die Palästinenser auf weniger als der Hälfte der Fläche des Westjordanlands, umgeben von Israel.

Schafft er mit dem Bau des Grenzzauns auf palästinensischem Gebiet nicht gerade irreversible Fakten für dieses „Bantustan“?

Im Gegenteil, diese Fakten sind äußerst reversibel. Einen Zaun kann man innerhalb von einem Tag einreißen.

Ist Yasser Arafat eher Teil des Problems oder Teil der Lösung?

Er ist beides.

Was die Genfer Initiative angeht, hat er Ihren palästinensischen Gesprächspartnern erst wenige Stunden vor der Unterzeichnungszeremonie die Erlaubnis gegeben, nach Genf zu reisen.

Das stimmt. Arafat ist eben sehr vorsichtig, und seine Unterstützung für Genf ist sehr zurückhaltend. Aber er ist auf der palästinensischen Seite der Einzige, der eine echte Entscheidung treffen kann. Nach dem israelischen Beschluss, er sei irrelevant, ist er als Führer der Palästinenser sogar noch relevanter geworden. Wenn wir letztlich zu einer Vereinbarung kommen, wird es mit ihm sein.

Wer auch immer die Idee hatte, Arafat an den Rand zu drängen – ob Washington oder Jerusalem – das war kindisch und dumm, denn es war total kontraproduktiv.

Es gibt Mitarbeiter in der amerikanischen Regierung – so genannte „Neokonservative“ wie Paul Wolfowitz und früher Richard Perle –, die schon gegen den Oslo-Prozess waren und heute Sharons Politik eher ermutigen. Colin Powell ermutigt Sie. Sehen Sie da zwei widersprüchliche Strategien am Werk?

Das mag so sein, aber es widerspricht sich nicht wirklich. In der US-Administration gibt es Unterstützung für Sharon, aber sie betrachten die Unterstützung für die Genfer Initiative nicht als Opposition zu Sharon. In seiner Rede am 24. Juni 2002 sprach Präsident Bush vom Ende der Besatzung und von der Rückkehr zu den Grenzen innerhalb der Grünen Linie von 1967; das ist keine Sharon-Ideologie. Sie unterstützen seine Politik der Eisernen Faust gegen den Terrorismus. Sie schätzen ihn vielleicht persönlich, aber seine Bantustan-Idee haben sie nicht übernommen.

Die EU, die ja Teil des so genannten „Quartetts“ aus EU, USA, Russland und den UN sind, das die Road Map entwickelt hat, scheint nur geringen Einfluss im Nahen Osten zu haben.

Das stimmt. Die Road Map war ja sogar anfangs eine europäische Idee, vielleicht sogar eine deutsche, aber die Amerikaner übernahmen sie, und als der amerikanische Botschafter in Israel sie Sharon übergab, nahm kein EU-Vertreter daran teil. Die Amerikaner haben die anderen drei Parteien des Quartetts zur Seite gedrängt. Das war ein großer Fehlschlag.

Wie könnten die Europäische Union und Deutschland effektiv zum Friedensprozess beitragen?

Die Deutschen zum Beispiel, indem sie im Bundestag eine Resolution verabschieden, die die Genfer Initiative unterstützt, was meines Wissens gerade von allen vier Fraktionen im Konsens vorbereitet wird. Dann könnten sie dabei helfen, den ganzen Ablauf des Planes vorzubereiten, sie könnten uns helfen, die Entschädigungen zu finanzieren, sie könnten Truppen als Teil einer multilateralen Friedenseinheit in die Region entsenden, sie könnten Flüchtlinge aufnehmen und uns als künftige EU-Mitglieder in Betracht ziehen.

Was ist denn Ihre Vision für Israel und Palästina in zehn Jahren?

Ich habe kein Vision. Ich habe eine politische Agenda. Was in den kommenden zehn Jahren passiert, wird entscheidend von uns selbst abhängen. Wenn wir bis 2010 nicht unsere Politik geändert und einen palästinensischen Staat geschaffen haben, könnte das das Ende des zionistischen Traumes bedeuten, denn dann wird es westlich des Jordans keine jüdische Bevölkerungsmehrheit mehr geben. Ich habe vor, so viele Menschen wie möglich davon zu überzeugen, dass dies die einzige Lösung ist.

Die Fragen stellten Igal Avidan und Sabine Rosenbladt.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, Februar 2004, S. 55‑62

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