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01. Jan. 2021

Wie die EU mit der C02-Steuer zu einer Klima-Weltmacht werden könnte

Der Klimawandel ist eine globale Herausforderung – und seine Eindämmung erfordert globale Anstrengungen. Die EU hat bereits Maßnahmen verabschiedet, um Treibhausgasemissionen europaweit zu reduzieren.

Sie kann in dieser Frage aber auch als globale Macht handeln und ihr wirtschaftliches Gewicht nutzen, um andere Länder zu verantwortungsbewussterem Handeln und damit zu strikteren Umweltstandards u bewegen. Ein Mittel ist eine CO2-Steuer auf Importe, auch Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) genannt, zu der die EU-Kommission Anfang 2021 einen Gesetzentwurf vorlegen will.



Der CBAM besteht im Wesentlichen aus einem Zoll auf importierte Waren, bei dem sich die Höhe der zu entrichtenden Gebühr an der Menge der Treibhausgasemissionen orientiert, die durch die Herstellung des jeweiligen Gutes freigesetzt werden. Diese Kohlenstoffsteuer würde bei der Einfuhr ausgewählter Produkte in die EU anfallen. Nach WTO-Recht muss ein entsprechender Zoll jedoch mit Nichtdiskriminierungsgrundsätzen und den Prinzipien der Meistbegünstigung und der Inländerbehandlung vereinbar sein. Mit anderen Worten: Zölle dürfen weder auf Basis der Herkunft von Produkten zwischen diesen diskriminieren noch heimische Produzenten bevorzugen. Um diesem Grundsatz gerecht zu werden, sollte die Höhe des Zolls den Emissionskosten entsprechen, die durch die Produktion der Ware im Herstellungsland verursacht werden.



Ein ähnlicher Preismechanismus wurde bereits als Bestandteil des europäischen Emissionshandelssystems (EU-ETS) eingeführt. Um den in den WTO-Regeln verankerten Grundsätzen der Nichtdiskriminierung zu entsprechen, könnte die EU die gleichen Preise auf Importe in den unter das EU-ETS fallenden Sektoren ausweiten. Seit Anfang 2019 bewegt sich der europäische CO2-Preis mit kleineren Schwankungen rund um die 25 Euro pro Tonne emittiertes Kohlendioxid; daran würde sich die CO2-Steuer wohl orientieren. Ausgehend von den unter das EU-ETS fallenden Sektoren würde sie wahrscheinlich vor allem energieintensive Industrien wie Ölraffinerien, Produzenten von metallischen und nichtmetallischen Mineralprodukten und Zementhersteller treffen. Die EU-Kommission geht davon aus, dass über den CBAM jährlich zwischen 5 und 14 Milliarden Euro eingenommen werden könnten.



Ein vielseitiges Instrument

Der CBAM ist jedoch nicht nur ein Instrument der Wirtschaftspolitik. Er könnte zum Beispiel auch die europäische Umweltpolitik stärken. Tatsächlich schreibt die EU im Vergleich zu anderen Rechtsräumen bereits relativ strenge Umweltstandards vor. Auf lange Sicht könnte das zu einem „Carbon Leakage“-Phänomen beitragen: Europäische Unternehmen würden ihre Produktion ins Ausland verlagern, um harte Auflagen zu umgehen. Würde das neue CO2-Preissystem jedoch von Anfang an auch auf die Märkte ausländischer Konkurrenten ausgeweitet werden, dann wäre dieser Anreiz im Keim erstickt. Zudem würde die Politik so verhindern, dass die globalen Treibhausgasemissionen als Reaktion auf strenge EU-Umweltstandards weiter steigen.



Der CBAM könnte der EU darüber hinaus als zusätzlicher Hebel dienen, um ihre ehrgeizigen klimapolitischen Ziele über die eigenen Grenzen hinaus auszudehnen. Ein CO2-Grenzausgleichsmechanismus würde ausländischen Produzenten, die in die EU exportieren, einen konkreten wirtschaftlichen Anreiz bieten, ihren Betrieb auf emissionsärmere Produktionsprozesse umzustellen. So könnte der neue Preismechanismus ein simples Instrument sein, um Emissionen zu senken und die Modernisierung der globalen Wirtschaft zu fördern.



Handelspolitisch brisant

Gleichzeitig könnte die Einführung des CBAM jedoch auch die Handelsbeziehungen der EU mit anderen Ländern beeinträchtigen, insbesondere mit jenen, die hohe CO2-Emissionen verursachen. Zwar stimmt es, dass der Mechanismus – zumindest auf dem Papier – mit den WTO-Grundsätzen der Nichtdiskriminierung in Einklang gebracht werden kann. Die Annahme, dass Handelspartner der EU den CBAM in der Praxis als diskriminierend ansehen, liegt jedoch nahe. Zumindest rechtlich gesehen wäre die EU auch für diesen Fall gerüstet. Immerhin könnte Brüssel auf Artikel 20 des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens von 1994 verweisen, in dem Ausnahmeregelungen für Zölle verankert sind. Unter anderem ist dort die Rede von Zöllen, die „zum Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen notwendig sind“ – ein Punkt, der auf einen CO2-Grenzausgleichsmechanismus durchaus zutreffen dürfte. Trotzdem könnten die Einführung und Umsetzung des CBAM international zu Spannungen führen.



Um Kritik am CBAM vorzubeugen und nachhaltige Störungen der eigenen Handelsbeziehungen zu vermeiden, kann die EU frühzeitig mit ihren Partnern im Ausland in Verhandlungen treten; sie tut dies bereits u.a. mit den USA. Immerhin verfügt Brüssel über die notwendige diplomatische Stärke, um Überzeugungsarbeit zu leisten und andere an der Ausarbeitung des Preismechanismus zu beteiligen – und als wirtschaftliche Supermacht hat die EU genug Gewicht, um andere in Sachen Produktionsstandards auf Kurs zu bringen. Darüber hinaus verfügt die EU über die größte Freihandelszone der Welt und ist der zweitgrößte Importeur und Exporteur von Waren. Mit ihren rund 450 Millionen Einwohnern und einem Pro-Kopf-Einkommen von 27 980 Euro ist sie zudem für den Weltmarkt ein einmaliger Verbraucherpool. Vor diesem Hintergrund dürften viele Handelspartner der EU damit Vorlieb nehmen, sich europäischen Standards anzupassen, statt auf Konfrontationskurs zu gehen.



Durch eine Kombination aus Wirtschaftskraft und Verhandlungsgeschick kann die EU also auch auf globaler Ebene für eine solide und faire Klimapolitik einstehen und so gleichzeitig ihre Führungsrolle behaupten. Bei der Umsetzung des CBAM wird es deshalb darauf ankommen, diesen gut in die bereits existierende internationale Klimapolitik einzubetten.



Zunächst sollte das neue Preissystem dem im Pariser Abkommen verankerten Grundsatz der „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung“ entsprechen. Mit anderen Worten: Die finanziellen Bürden sollten gerecht verteilt und jedem Land faire Entwicklungschancen eingeräumt werden. So würde der CO2-Grenzausgleichsmechanismus das Pariser Abkommen weiter stärken, da er im Grunde ein erstes Instrument zur Durchsetzung der darin festgelegten Beschlüsse wäre. Schlussendlich könnte die EU auch mit gleichgesinnten Staaten im nichteuropäischen Ausland verhandeln, um den CBAM über die eigenen Grenzen hinweg auszuweiten und so emissionsärmere Produktion und klimaneutrales Wirtschaften auf globaler Ebene zu fördern (die EU selbst will dieses Ziel bis 2050 erreicht haben). Die Mitglieder diesen neuen „Klima-Klubs“ würden sich gesetzlich dazu verpflichten, einen kollektiven Preis für CO2-Emissionen zu zahlen – und Trittbrettfahrern so keine Chance geben.



In Bereichen wie der Datensicherheit und dem Handel mit chemischen Substanzen hat sich die EU längst zur Hüterin strenger Sicherheits- und Qualitätsstandards aufgeschwungen. Sie sollte diese Rolle auch im Kampf gegen den Klimawandel einnehmen.

Maurizio Maria Pulcini studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Bologna und Internationale Beziehungen an der Johns Hopkins University. Er forscht zur EU-Umwelt- und Klimapolitik sowie zu den EU-China-Beziehungen.

Aus dem Englischen von Kai Schnier

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar-Februar 2021, S. 52-53

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