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01. Nov. 2009

Wem gehört der Meeresboden?

Die USA sollten der Seerechtskonvention der Vereinten Nationen beitreten

Auf dem Meeresboden lagern Millionen Tonnen wertvoller Rohstoffe. Zahlreiche Staaten beantragen daher bei den Vereinten Nationen eine Erweiterung ihres Festlandsockels. Doch trotz offensichtlicher Vorteile sind die USA der UN-Seerechtskonvention bisher als einziger Küstenstaat nicht beigetreten.

Manganknollen, Kupfer, Nickel, Erdgas und Erdöl, Frischwasserbestände und Wirkstoffe für Medizin – der Meeresboden ist reich an Rohstoffen und weckt Begehrlichkeiten. Wissenschaftler vermuten, dass allein in den pazifischen Manganknollen – blumenkohlartige, schwarze Gebilde von circa fünf Zentimetern Durchmesser in 4000 bis 6000 Meter Tiefe – insgesamt 7,5 Milliarden Tonnen Mangan, 78 Millionen Tonnen Kobalt, 350 Millionen Tonnen Nickel und 265 Millionen Tonnen Kupfer enthalten sind. Mangankrusten, die in 800 bis 2500 Metern Meerestiefe an Vulkanen zu finden sind, bieten ebenfalls reichhaltige Kupfer-, Nickel und Kobaltbestände. Schwarze Raucher, hydrothermale Schlote auf dem Meeresboden, enthalten Eisen und Sulfid. Die Vorkommen an Methanhydraten – brennbare kristalline Feststoffe, die aus Wasser und Methan bestehen – könnten insgesamt mehr Energie liefern als alle konventionellen Kohle-, Erdgas- und Erdöl-Lagerstätten zusammen. Und laut Schätzungen des U.S. Geological Survey liegen in der Arktis möglicherweise 13 Prozent der bislang unentdeckten Ölreserven.

Zahlreiche Staaten erhoben daher bei den Vereinten Nationen Anspruch auf eine Erweiterung ihres Festlandsockels, um über die 200-Seemeilenzone der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) hinaus Rohstoffe des Meeresbodens fördern zu können. Die USA gehören nicht dazu. Sicherlich steckt die Exploration und Fördertätigkeit in der Tiefsee noch in den Kinderschuhen. Die Tiefseetechnik ist außerordentlich kompliziert und – zum Teil prohibitiv – teuer, und die Bedingungen sind unwirtlich: Die Temperatur liegt um die zwei Grad Celsius, die Sicht beträgt nicht einmal zwei Zentimeter und der Druck ist mit mehreren hundert Bar immens. Dennoch überrascht angesichts der Verknappung und Verteuerung von Energie und vielen mineralischen Rohstoffen, dass die USA bislang nicht der UN-Seerechtskonvention (Law of the Sea Convention/UNCLOS) beigetreten sind. Rund 25 Prozent des weltweiten Ölkonsums entfallen auf die USA, davon werden 60 Prozent importiert. Bei den metallischen Rohstoffen ist die Importabhängigkeit insgesamt zwar geringer, doch auch hier gibt es Rohstoffe, die die Vereinigten Staaten mehrheitlich im Ausland erwerben, darunter Indium (100 Prozent), Kobalt (81 Prozent), Zink (73 Prozent) und Magnesium (52 Prozent).1   Mit den Rohstoffen des Meeresbodens könnten die USA ihre Abhängigkeit in Zukunft verringern.

Die UNCLOS legt verschiedene Meereszonen sowie Rechte und Pflichten ihrer Mitgliedsstaaten fest. Demnach darf ein Küstenstaat in seiner Ausschließlichen Wirtschaftszone Rohstoffe des Festlandsockels souverän erforschen und abbauen. Wer Rohstoffe im Gebiet der Area fördern will, muss bei der Internationalen Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority/ISA) eine Lizenz erwerben. Denn laut der UNCLOS ist der Tiefseeboden „ein gemeinsames Erbe der Menschheit“. Bislang hat die ISA acht Lizenzgebiete für die Exploration polymetallischer Knollen an Vertragspartner aus verschiedenen Ländern vergeben, darunter an das russische Staatsunternehmen Yuzhmorgeologiya, die japanische Deep Ocean Resources Development Company, die China Ocean Mineral Resources Research and Development Association und die deutsche Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe; die meisten Lizenzgebiete liegen im zentralen Pazifischen Ozean süd- und südöstlich von Hawaii. 2 Zur Deckung administrativer Kosten veranschlagt die ISA eine feste Bearbeitungsgebühr. Laut Annex 3 der UNCLOS müssen zudem jährliche Gebühren an die ISA entrichtet werden. Die Gelder werden von der ISA global verteilt, mit besonderer Berücksichtigung von Entwicklungsländern, allen voran solchen ohne Seezugang.

Ein Küstenstaat kann auch eine Erweiterung seines Festlandsockels auf 350 Seemeilen beantragen. Diese Ansprüche müssen spätestens zehn Jahre nach der Ratifizierung des Abkommens geltend gemacht werden. Für Staaten, die das Abkommen vor 1999 ratifiziert haben (wie beispielsweise Norwegen), wurde die Frist bis zum 13. Mai 2009 verlängert. Kanada kann seine Ansprüche noch bis 2013, Dänemark bis 2014 geltend machen; für die USA hat die Frist noch nicht begonnen, da sie das Abkommen bislang nicht ratifiziert haben.3   Laut Artikel 82 der UNCLOS werden, wie auch im Gebiet der Area, Gebühren fällig, wenn Rohstoffe des erweiterten Festlandsockels gefördert werden. Suche nach der Sockelgrenze

Über die äußeren Grenzen der Festlandsockel entscheidet laut Artikel 76 der UNCLOS die UN-Kommission für die Grenzen des Kontinentalschelfs. Mit Hilfe geologischer Daten muss der Antragsteller nachweisen, dass der Meeresboden eine Verlängerung des eigentlichen Festlandsockels darstellt. Russland war der erste Staat, der 2001 seinen Gebietsanspruch bei der UN einreichte. Japan, Dänemark, Kanada, die USA und Norwegen legten jedoch aufgrund unzureichender Daten Einspruch ein. Bis zur Frist im Mai 2009 stellten 50 weitere Staaten Anträge auf eine Erweiterung des Festlandsockels. Vietnam und Malaysia beispielsweise erhoben gemeinsam Anspruch auf den südlichen Teil des Südchinesischen Meeres; Großbritannien, Frankreich, Irland und Spanien reichten einen gemeinsamen Antrag für die Keltische See und die Bucht von Biskaya ein. Großbritannien beansprucht zudem verschiedene Inseln im Atlantik und die Falklandinseln.4   Die Überprüfung der Ansprüche ist schwierig und kostspielig; bislang hat die Kommission in acht Fällen Empfehlungen ausgesprochen. Seit 2001 erforschen die USA ihren Festlandsockel, um dessen äußere Grenzen zu bestimmen.

Wegen der konkurrierenden Besitzansprüche ist das Konfliktpotenzial groß. Besonders umstritten ist die Ausdehnung des Festlandsockels zwischen den Anrainerstaaten der arktischen Region, wie das symbolische Abstecken der AWZ durch Russland mit einer Flagge im Sommer 2007 deutlich zeigt. Aus Russlands Sicht stellt der Lomonossow-Rücken eine Verlängerung des russischen Festlandsockels dar. Kanada dagegen versteht ihn als Teil der nordamerikanischen Landplatte, und Dänemark beansprucht das Territorium auf Grund seiner Nähe zu Grönland. Den USA bleibt nur der Zuschauerrang. Für die Regelung von Ansprüchen in arktischen Gewässern berufen sie sich zwar auf verschiedene Gremien, in denen sie Mitglieds- oder Beobachterstatus haben (z.B. Nordischer Rat, Arktischer Rat und Barents-Rat), doch sie können nach wie vor keine AWZ oder Erweiterung ihres Festlandsockels beantragen.5

USA im Abseits

Seitdem Kanada 2003 der UNCLOS beigetreten ist, haben die USA als einziger Küstenstaat und letzte große Industrienation die Konvention nicht ratifiziert. Daher können sie zurzeit ihren Ansprüchen keine rechtliche Verbindlichkeit verschaffen; sie können sich lediglich auf das Gewohnheitsrecht für Schifffahrt und Navigation berufen. Dass eine UNCLOS-Mitgliedschaft für die USA vorteilhaft wäre, liegt auf der Hand: Mit 3,36 Millionen Quadratmeilen wäre ihre AWZ riesig – größer als die Gesamtfläche der US-Bundesstaaten (bis auf Alaska und Hawaii) und die größte AWZ weltweit. Im Rahmen der UNCLOS würden zudem die souveränen Rechte der USA über maritime Zonen gesichert, inklusive der wertvollen Ressourcen, die sie beinhalten. Der US Minerals Management Service geht davon aus, dass der Anteil an unentdeckten, aber technisch abbaubaren Ressourcen im amerikanischen Outer Continental Shelf-Territorium bei 60 Prozent für Öl und 40 Prozent für Gas liegt.6   In den AWZ der pazifischen Inseln (inklusive Hawaii) vermuten Forscher ein hohes Vorkommen an förderbaren Ressourcen, darunter kobaltreiche Eisen-Mangan-Krusten, Eisen-Magnesium-Knollen und andere polymetallische Knollen.7   Nicht zuletzt erhielten amerikanische Unternehmen die Möglichkeit, klare Rechtstitel für den Tiefseebergbau zu erlangen. Und mit einem festen Platz am Verhandlungstisch der ISA – bisher genießen die USA lediglich Beobachterstatus im Rat der Organisation – könnten die Amerikaner die Interpretation und Änderung der Regeln beeinflussen und Experten in die technischen Ausschüsse der UNCLOS entsenden.8

Angesichts der Vorteile überrascht nicht, dass Präsident Barack Obama deutliches Interesse an einer raschen Ratifizierung des Abkommens geäußert hat: „Die Ozeane sind eine globale Ressource und eine globale Verantwortung, bei der die USA eine aktivere Rolle einnehmen können und sollten. Ich werde aktiv dafür arbeiten, dass die USA die Seerechtskonvention ratifizieren – ein Abkommen, das von mehr als 150 Staaten unterstützt wird und unseren wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen entspricht, während es wichtige internationale Kooperation sicherstellt, um die Ozeane und ihre Ressourcen zu schützen.“9

Unterstützt wird Obama von einer Vielzahl von Interessengruppen, darunter das American Petroleum Institute, die US Oil and Gas Association, die Chamber of Shipping of America, die US Tuna Foundation und die National Oceans Industry Association.10 Das amerikanische Militär spricht sich ebenso für einen raschen UNCLOS-Beitritt aus wie die Gouverneure der Küstenstaaten. Bisher scheiterte die Ratifizierung immer wieder am Senat, der jedem internationalen Abkommen mit Zweidrittelmehrheit zustimmen muss. Wegen der demokratischen Mehrheit im gegenwärtigen 111. Senat sind die Bedingungen für einen Beitritt zwar deutlich günstiger. Doch ob die notwendigen 67 Stimmen für die Ratifizierung zusammenkommen, ist offen. Speziell eine Gruppe um drei Republikaner, die eine Art Souveränitätsausschuss gegründet haben, setzt sich gegen die Abgabe von US-Rechten an internationale Institutionen ein und betont die Risiken einer UNCLOS-Mitgliedschaft, um den Abstimmungsausgang zu beeinflussen.11

Umweltschutz und Umverteilung

Die Argumente gegen einen Beitritt sind mannigfaltig und reichen von fehlendem amerikanischen Einfluss auf die Entscheidungsprozesse in der ISA bis zu Auflagen des Umweltschutzes. In den achtziger Jahren haderten die Amerikaner vor allem mit dem ursprünglichen Abschnitt XI des Abkommens, der den Abbau von Rohstoffen des Meeresbodens regelt. Kritisiert wurden vor allem der verpflichtende Technologietransfer und die Abgaben auf Gewinne aus dem Tiefseebergbau an die ISA. Dass die ISA frei über die Verteilung der Einnahmen entscheiden sollte, war den Amerikanern ein besonderer Dorn im Auge. „Diejenigen Bereiche, die sich mit Navigation und Überflug von Seegebieten befassen, sowie viele andere Teile der Konvention stimmen mit den Interessen der USA überein. [...] [Nur] der Teil über den Abbau am Meeresboden deckt sich nicht mit den Zielen der Vereinigten Staaten“,12 betonte Präsident Ronald Reagan 1982. Doch auch nachdem der Artikel entsprechend der amerikanischen Kritik abgeändert worden war und 1994 schließlich die überarbeitete Fassung der Konvention in Kraft trat, lehnten die USA einen Beitritt ab. Auch ein garantierter Sitz im Rat der ISA und überarbeitete Entscheidungsregeln, nach denen den Mitgliedern gewisse Vetorechte eingeräumt wurden, überzeugten den Senat letztlich nicht von den Vorteilen eines Beitritts – bis heute.

Vor allem fürchten die USA eine Beschneidung ihrer Souveränität. 2004 kritisierte Jeane Kirkpatrick, UN-Botschafterin unter Reagan, das Abkommen: „Zwar versprach das Seeabkommen vieles, was die Amerikaner unbedingt haben wollten: freie Navigation, territoriale Seegrenzen von zwölf Meilen, Wirtschaftszonen von 200 Meilen, den Schutz von Navigationsrechten durch sämtliche internationale Meerengen. […] Seine Ratifizierung wird aber unsere Fähigkeit der Selbstregierung vernichten, inklusive, letztlich, unserer Fähigkeit zur Selbstverteidigung“.13   2004 votierte der Auswärtige Ausschuss des Senats einstimmig mit 19 zu 0 und 2007 mit 17 zu 4 Stimmen für die Ratifizierung. Doch das Abkommen wurde nicht dem gesamten Senat zur Abstimmung vorgelegt; das Risiko einer Ablehnung wurde wegen der engen Mehrheitsverhältnisse als zu hoch eingeschätzt – angesichts des Schicksals des Kyoto-Protokolls nicht überraschend. Auf Ablehnung stieß die UNCLOS einerseits, weil sie mit den Transferleistungen aus den Gewinnen des Meeresbergbaus eine ungleiche Behandlung von Industrie- und Entwicklungsländern vorsah, und andererseits, weil befürchtet wurde, dass mit ihr ein internationales Umweltabkommen mit strengen Vorgaben verabschiedet würde. Denn Meeresumweltschutz zieht sich wie ein roter Faden von der Präambel bis zum Schluss durch das gesamte Abkommen. Hinsichtlich des Kyoto-Protokolls hatte der Senat beides – Ungleichbehandlung und strenge Umweltschutzvorgaben – abgelehnt. Schließlich wurde gewarnt, mit der ISA eine teure, übergroße bürokratische Institution zu schaffen, die sich zu stark in die souveränen Angelegenheiten der Küstenstaaten einmischen könnte.

Noch ist die Förderung von Rohstoffen, insbesondere aus der Tiefsee, Zukunftsmusik. Doch mit steigenden Rohstoffpreisen, fortschreitender technologischer Entwicklung und sinkenden Förderkosten könnte der Tiefseebergbau schnell an Attraktivität gewinnen – auch für die USA. Das bietet aber nicht nur Chancen; gerade die Erweiterung des Festlandsockels und sich überschneidende Ansprüche bergen in vielen Regionen Konfliktpotenzial. Zudem sind schwere Umweltschäden, die beim unvermeidbaren Einsatz von Bergbaumaschinen entstehen, kaum zu verhindern. Umso wichtiger ist eine internationale Organisation, die klare Regeln setzt. Eine Mitgliedschaft in der UNCLOS verhieße nicht nur mehr Rechtssicherheit für die USA. Auch die internationale Staatengemeinschaft würde vom Beitritt der Amerikaner profitieren.

Dr. STORMY-ANNIKA MILDNER koordiniert den Forschungsschwerpunkt „Konkurrenz um knappe Ressourcen“ der SWP.

GITTA LAUSTER ist Mitarbeiterin des Forschungsschwerpunkts „Konkurrenz um knappe Ressourcen“ bei der SWP.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 11/12, November/Dezember 2009, S. 30 - 37.

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