Kommentar

01. März 2021

Welche technologische Partnerschaft zwischen Europa und den USA?

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Bild: Grafische Illustration eines Schwertes dessen Spitze in einen Stift übergeht
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Bedeutet der Sieg von Joe Biden das Ende der Trump-Ära? Der neue Präsident scheint eher zu einer Fortsetzung des multilateralen Dialogs bereit zu sein als sein Vorgänger, vor allem in Bezug auf europäische Partner. Technologische Fragen werden dabei sicherlich eine wichtige Rolle spielen, da sich dieses Thema zu einem ausschlaggebenden Faktor für das internationale Machtgleichgewicht entwickelt hat. Nach der Wahl Bidens hat Europa Offenheit gezeigt und Anfang Dezember 2020 eine neue transatlantische Agenda für den globalen Wandel ins Spiel gebracht, die eine Wiederbelebung der historischen Allianz mit den USA ankündigen soll. Aber ist das der richtige Weg?



Lassen Sie uns realistisch bleiben: Der Abgang von Donald Trump wird die amerikanische Außenpolitik nicht grundlegend verändern. Die USA werden weiterhin stark auf den Aufstieg Chinas fixiert sein. Das liegt vor allem an den technologischen Sprüngen und militärischen Fähigkeiten der Volksrepublik. In diesen Bereichen, in denen die US-Dominanz schwächer wird, wenden sich die Vereinigten Staaten gerne an Europa – in dem Glauben, dort bedingungslose Unterstützung zu finden. Aber sollte Europa einfach vergessen, was in den vergangenen Jahren passiert ist, und auf die USA zugehen?



Die derzeitige Europäische Kommission und insbesondere EU-Kommissar Thierry Breton stehen für einen Wandel in der Einstellung Europas zur technologischen Überlegenheit der USA. Dies zeigt sich auch im harten Ton gegenüber digitalen Plattformen. Was bis vor ein paar Jahren nur von wenigen Experten empfohlen wurde, ist jetzt politische Realität in Brüssel. Doch auf Ankündigungen neuer Regulierungen und harte Reden müssen auch konkrete Taten folgen.



In den USA hat sich ebenfalls die Einstellung gegenüber „Big Tech“ verändert, sicherlich befördert durch den Schock, den Edward Snowden und Wikileaks, der Facebook-Cambridge-Analytica-Skandal und das Flirten vieler Tech-Unternehmen mit China ausgelöst haben. Das Vertrauen der Amerikaner in digitale Plattformen, die vermeintlich nichts Böses wollen und nur das Wohl der Menschen im Auge haben, wird abgelöst von Misstrauen und der Forderung nach Zerschlagung bestimmter Unternehmen. Aber sind Europäer und Amerikaner da auf einer Wellenlänge?



Wir dürfen uns keinen Wunschvorstellungen hingeben. Die USA bleiben eine Weltmacht, die die EU nicht immer als Verbündete, aber immer öfter als eine Hilfstruppe betrachten, die ihnen Loyalität entgegenbringen muss. Dies spiegelt sich beispielsweise wider in dem Druck, den die amerikanische Regierung auf Länder ausübt, die sich nicht bereiterklären, Huawei vom Aufbau des 5G-Netzwerks auszuschließen. Deshalb sollte Europa eine eigene Strategie entwickeln und neue Rahmenbedingungen für die Partnerschaft mit den USA aushandeln – aber nur, wenn diese auch den europäischen Interessen entsprechen.

Wir brauchen ein starkes politisches Signal

Es geht hierbei um Partnerschaft. Wir können aber nicht über eine neue Allianz sprechen, ohne Vorfälle der jüngeren Vergangenheit zu benennen. Viele werden sich noch daran erinnern, dass die NSA, unterstützt von großen digitalen Plattformen, mit zahlreichen Programmen die Kommunikation weltweit ausspioniert hat – auch die ihrer europäischen Verbündeten. Wir müssen uns außerdem daran erinnern, dass die drei letzten französischen Präsidenten (Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy und FranÇois Hollande) sowie Bundeskanzlerin Angela Merkel von amerikanischen Geheimdiensten ausspioniert wurden, leider auch mit Unterstützung einiger europäischer Stellen. Das darf nicht einfach so vergessen werden.



Daher müssen wir von der Regierung in Washington ein starkes politisches Signal fordern, das ihren guten Willen zeigt. Zunächst sollten die USA ihre Überwachungsgesetze, die es Justizbehörden und Geheimdiensten erlauben, nach eigenem Ermessen die gesamte Welt auszuspionieren, aufheben; dazu gehören der Patriot Act, die Änderungen des Foreign Intelligence Surveillance Acts von 2008 sowie der Cloud Act.



Zudem muss die enge Verbindung zwischen den größten amerikanischen Tech-Unternehmen und der US-Regierung gelöst werden. Die strategische Dominanz, die aus den tiefgehenden Verbindungen zwischen diesen Firmen und der Regierung in Washington entsteht, darf nicht dazu führen, dass sich unsere technologische Abhängigkeit noch weiter vergrößert. Diese enge Beziehung wird unter der Biden-Regierung wohl noch stärker werden. Fest verankerte Gewohnheiten müssen überwunden werden, wie die Hintertüren bei Software-Produkten, die amerikanischen Behörden zur Verfügung stehen. Außerdem braucht es eine strikte Trennung zwischen der Regierung und Organisationen, die kritische Hardware-Infrastrukturen des Internets verwalten (wie etwa Unterseekabel und DNS-Server). Diese Infrastruktur ist für einen Teil der amerikanischen Überlegenheit verantwortlich.



Europa kann allerdings auch nicht einfach stillstehen beziehungsweise sich auf Floskeln oder abstrakte Forderungen beschränken. Es kommt eine Menge Arbeit auf uns zu, um europäische Interessen zu klären und zu definieren – eine wichtige Voraussetzung für eine technologische Strategie, die international wettbewerbsfähig sein soll. Zurzeit herrscht ein technologisches Ungleichgewicht zu Ungunsten der EU. Von den theoretischen Überschneidungspunkten mit der neuen Biden-Administration, wie etwa die Definition neuer Standards für Künstliche Intelligenz und Blockchain, profitieren nur US-amerikanische Akteure.



Die Geschichte lehrt uns, dass die dominanten Akteure die Regeln für alle bestimmen. Die AWS S3 Cloud von Amazon ist dafür ein gutes Beispiel, da sie sich zum De-facto-Standard entwickelt hat. Dagegen scheint das „Gaia-X Programm für eine souveräne europäische Cloud“, die neue Standards für europäische Werte definieren wollte, diesen Anspruch aufgegeben zu haben.

Unsere Interessen und Prinzipien verteidigen

Der Aufstieg Chinas und die Erosion der amerikanischen Macht bieten der EU eine nie dagewesene Chance, eine gleichberechtigte Beziehung mit den USA aufzubauen. Aber um dies zu erreichen, muss Europa zu den eigenen Prinzipien und Werten stehen und die eigenen Interessen unter die Lupe nehmen. Die neue transatlantische Agenda für den globalen Wandel ist ein erster Schritt; aber anders als dieser Beitrag impliziert, gibt es bei den Themen Handel, Technologie und Digital Governance keine so klar geteilten Werte, die uns einfach so zu natürlichen Partnern machen. Bis das Gegenteil bewiesen ist und wir als gleichberechtigte Partner miteinander sprechen, werden wir unterschiedliche Ziele im Bereich Technologie haben.



Aber diese Situation ist keine Sackgasse, sondern eine Einladung, unsere Strategie klarzustellen. Nur wenn wir zu unseren Prinzipien und Forderungen stehen, wird eine Allianz wieder möglich sein. Und zudem wünschenswert: Denn diese Beziehung ist eine wichtige Voraussetzung für das Überleben und das Weiterentwickeln der Demokratie im 21. Jahrhundert.

 

André Loesekrug-Pietri ist Präsident der Joint European Disruptive Initiative (www.jedi.foundation), die europäische Darpa. JEDI hat zum Ziel, Europa in eine technologische Führungsposition zu bringen und Herausforderungen der Menschheit mit Hilfe von disruptiven Innovationen zu lösen.



Aus dem Englischen von Melina Lorenz

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2021, S. 112-113

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