Was ist „Fortschritt“?
Ein interkultureller Näherungsversuch
Eine glänzende Idee: Der Fortschritt soll in den wenig entwickelten Ländern Einzug halten. Aber
was ist überhaupt der Fortschritt? Franziska Donner, Direktorin bei der Gesellschaft für Technische
Zusammenarbeit (GTZ), berichtet von einer erstaunlichen Serie weltweiter Konferenzen,
auf der nach dem Entwicklungsbegriff vor Ort – in Indien, Ägypten oder unter indigenen Völkern
Südamerikas – gefragt wurde. Das Ergebnis ist eine Vielfalt von Fortschrittsbegriffen.
Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, dass er viel größer ausschaut, als er wirklich ist.
Johann Nestroy
Vor zwei Jahren nahm die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) Kontakt zu ostdeutschen Intellektuellen auf, um sie nach ihren Erfahrungen mit den Transformationsprozessen in den neuen Bundesländern zu befragen. Die GTZ hoffte, für ihre Arbeit daraus lernen zu können. Die Angesprochenen erklärten sich zum Dialog bereit – unter der Voraussetzung, dass die GTZ ihnen vorher ihren Fortschrittsbegriff erläutere. Dies war der Auslöser für ein weltweites Projekt, das gemeinsam mit dem Goethe-Institut durchgeführt wurde. Es soll im Folgenden dargestellt werden.
Ausgangspunkt der Überlegungen war, dass der Begriff „Fortschritt“ in unterschiedlichen Weltregionen mit verschiedenen Assoziationen, Erwartungen, auch Ängsten verbunden ist. Die Logik des Denkens und Handelns der eigenen und der jeweils anderen Kultur von innen heraus zu verstehen, Unterschiede zu identifizieren, zu thematisieren und produktiv damit umzugehen – dies muss als eine der Voraussetzungen für erfolgreiche internationale Zusammenarbeit in allen Politikfeldern gesehen werden. Ein interkultureller Dialog zu diesem zentralen Thema erscheint deshalb wichtig, findet aber, das ergaben Recherchen, in systematischer Form bisher nicht statt.
Mit der internationalen Konferenzreihe „Der Begriff Fortschritt in unterschiedlichen Kulturen“ schufen in diesem Jahr die GTZ und das Goethe-Institut zum ersten Mal die Plattform für einen interkulturellen Dialog, in dem das jeweilige Verständnis von Fortschritt dargestellt und verglichen werden konnte. Das Vorhaben ist ein Näherungsversuch. Weder erhebt sein methodischer Ansatz den Anspruch auf Vollständigkeit und wissenschaftliche Systematik, noch hegt es die Erwartung, den Fortschrittsbegriff unterschiedlicher Weltkulturen abschließend zu klären. Ziel ist es, die Pluralität des Fortschrittsbegriffs deutlich zu machen und für einen produktiven Umgang mit dieser Pluralität zu werben.
Zwischen März und Oktober 2004 organisierten GTZ-Büros und Goethe-Institute vor Ort jeweils in Zusammenarbeit mit lokalen Partnern sechs Konferenzen: in Ägypten (Alexandria), Bolivien (La Paz), Deutschland (Gödelitz bei Dresden), Indien (Kalkutta), Namibia (Windhoek) und Russland (Kaliningrad). „Führende Köpfe“ der jeweiligen Region, also Philosophen, Schriftsteller, Theologen sowie Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, kamen zusammen, um den Fortschrittsbegriff ihrer Kultur untereinander und mit Praktikern der internationalen Zusammenarbeit zu erörtern. Knapp ein Drittel von ihnen waren Frauen. Die Konferenzen trafen – jede in ihrem eigenen Kontext – den Nerv der Zeit. Dies war an der Zahl und dem Engagement der Teilnehmer, an spontan entstandenen zusätzlichen Aktivitäten und an den Reaktionen der Presse vor Ort erkennbar. Nicht nur das als westlich empfundene Bild des Fortschritts stand auf dem Prüfstand. Die Konferenzen wurden als Chance begrüßt, in offenem Austausch den eigenen Standort zu bestimmen und Entwicklung und Perspektiven der eigenen Region zum Teil sehr kontrovers zu diskutieren.
Die Ergebnisse der sechs Konferenzen werden in einer internationalen Konferenz vom 28. bis 30. November 2004 im GTZ-Haus in Berlin zu einem interkulturellen Dialog zusammengeführt werden. Eine Gesprächsrunde mit hochrangigen Vertretern der Bundesregierung und der Wirtschaft wird sich am Ende damit auseinandersetzen, welche Konsequenzen das Gehörte für ihr Handeln in der internationalen Zusammenarbeit haben könnte.
Alexandria
Die Konferenz1 fand vor dem Hintergrund einer intensiven Debatte über den „islamischen Weg“ statt. Sie zeigte, dass der Fortschrittsbegriff aus islamischer Sicht eine Herausforderung darstellt. Warum, so fragten sich die Teilnehmer, gelang es etwa den Japanern, unter Wahrung eigener kultureller Vorstellungen sehr wohl an die westliche Ökonomie und Technologie Anschluss zu finden, während die Ägypter dabei gescheitert sind? Warum folgte auf die durch Anwar El Sadat eingeleitete Öffnung und die damals geförderte Säkularisierung eine Rückentwicklung? Warum bot in Europa der Protestantismus die angemessene Ethik für die industrielle Entwicklung, während der Islam dies für den arabischen Kulturkreis nicht tat? Die Besonderheit des Erfolgs der westlichen Technologie wurde anerkannt und die Bereitschaft signalisiert, Elemente des Westens zu akkulturieren, jedoch nicht um den Preis der Aufgabe der islamischen Identität. Der dringende Wunsch nach einer eigenen kulturellen Identität prägte das Geschichts- und Modernitätsverständnis aller Referenten.
Professor El Sayed Yassin hatte für die Konferenz bei 100 Professoren und Studenten der Universität Alexandria eine Befragung durchgeführt, deren Ergebnisse er vorstellte: Von allen Befragten wurde eine Entwicklung zu mehr Glück, Gesundheit und „gutem Leben“ als Fortschritt anerkannt. Zwei Drittel lehnten eine Reduzierung auf ein rein technisches beziehungsweise materielles Verständnis des Fortschrittsbegriffs ab. Neben der Kritik an westlichen Traditionen ordneten die Befragten „dem Westen“ auch sehr positive Eigenschaften zu. Dazu gehörten das Vermögen zur Selbstkritik, die persönlichen Rechte des Individuums, der Begriff der Menschenwürde und die Rechte der Frauen. Ein Drittel äußerte sich negativ zu den Auswirkungen einer rein westlichen Globalisierung; die Mehrzahl äußerte den Wunsch nach einer „islamischen Selbstbestimmung“.
Der ägyptische Fragebogen wurde in leicht modifizierter Form in Russland und Namibia übernommen.
Kalkutta
Indien befand sich zum Zeitpunkt der Konferenz2 mitten in den Wahlen. „Shining India“ hieß der Wahlslogan der Regierungspartei, Symbol für ein neu erstarktes Selbstbewusstsein mit neoliberalen Zügen. Aber die Konferenz problematisierte, dass große Teile der Bevölkerung von diesem „Fortschritt“ immer noch ausgeschlossen sind. Intensiv setzten sich Redner und Publikum auch mit der Entwicklungszusammenarbeit auseinander. Die Herausforderung liege in einer Modernisierung, die soziale, wirtschaftliche und ökologische Interessen in der Balance zu halten vermöge. Aber ein hoher Beamter aus der zentralen Planungsbehörde sagte: „It is not so much a matter of (financial) ressources. It is a matter of functioning or better: not-functioning institutions. We have to re-invent them.“ Es ginge um „Capacity Development“. Die Aufgabe bestehe darin, kulturelle Identität für statt gegen Entwicklung und soziale Stabilität arbeiten zu lassen.
Trotz vieler Differenzen waren sich die Teilnehmer über den Bedarf an mehr Transparenz in Entwicklungsprozessen einig. Es müsse ein „sense of loss“ (Ashish Nandy), ein Bewusstsein für den Preis des Fortschritts entwickelt werden, um voranschreiten zu können.
La Paz
In der bolivianischen Hauptstadt3 kamen Vertreter von 36 indigenen Völkern zusammen, für die der Fortschrittsbegriff, wie ihn ihrer Annahme nach der Westen versteht, keinen Sinn ergibt. In den meisten indigenen Sprachen komme der Begriff „Fortschritt“ gar nicht vor. Am nächsten kämen ihm Umschreibungen wie „das gute Leben“ oder, wie der Guaraní-Vertreter Enrique Camargo ausführte, das Streben nach Gleichgewicht zwischen persönlichem, kollektivem und materiellem Wohlergehen. Nach dem Empfinden vieler Teilnehmer war „Fortschritt“ jahrhundertelang ein von Europa aus nach Bolivien importiertes Wertesystem, das mit der Wirtschaftspolitik und dem Export von Technologien identifiziert wurde. Entsprechend scharf wurde der Gegensatz zur so genannten Ersten Welt skizziert, der Simón Yampara, Vertreter der Aymara, „seelische Armut“ unterstellte: „Warum existiert materielle Armut bei den einen und seelische und kulturelle Armut bei den anderen? Warum entwickeln sich nicht beide Teile gleichmäßig?“
Diese Skepsis dehnte sich zum Teil auch auf die Entwicklungszusammenarbeit aus, wie Pedro Pinto Supepí, Vertreter der Chiquitanos, betonte: „Fortschritt bedeutet nicht materiellen Reichtum anzuhäufen, um Prestige für sich selbst zu ernten, wie viele Entwicklungsprojekte uns glauben machen wollen. Sondern es bedeutet, eine gute Ausbildung für unsere Kinder, gesunde Ernährung, Gesundheit und verbesserte Wohnbedingungen zu erreichen. Unserer Meinung nach müssen Fortschritt und Entwicklung von allen Seiten der Kultur her betrachtet werden.“ Der innerbolivianische Dialog soll fortgesetzt werden, um die in den Städten lebende Mittelschicht einzubeziehen, die ihre Werte eher im Vergleich zu den westlich geprägten Metropolen des lateinamerikanischen Kontinents definiert.
Kaliningrad
Kaliningrad, das frühere Königsberg, hat sich aufgrund seiner vielfältigen Geschichte, seiner facettenreichen Gegenwart und seiner interessanten Perspektiven für die Zukunft wie kaum eine andere Stadt in Russland als Veranstaltungsort angeboten. Vor dem Hintergrund einer erweiterten Europäischen Gemeinschaft verdichten sich in dieser Exklave Russlands an der Ostsee russische Erfahrungen, Werte und Mentalität. Die gesamte Konferenz4 war durch die Polarität zwischen den prowestlichen Sapadniki und den eher traditionellen Slawophilen geprägt.
In der Konferenz ging es um das Verhältnis von Fortschritt zu Kultur. Dabei kam u.a. die große Bedeutung der Religion für die russische Kultur zur Sprache. Außerdem wurde gefragt, wie weit ein eigener kultureller Kern bewahrt werden kann, damit die nationale Identität angesichts der Herausforderungen der Globalisierung keinen Schaden nimmt. Nach Auffassung des Abteilungsleiters für Internationale Beziehungen der Gebietsduma, Alexander Songal, führt der Entwicklungsprozess Russlands zur Begegnung westlicher, christlicher und byzantinischer Zivilisationen: „Heute erlebt Russland eine Etappe der Verwestlichung. Unter Fortschritt versteht man heute Annäherung an europäische Normen und das Lebensniveau der Europäer. Was man in Russland davon hat, kann man noch nicht sagen. Das Hauptproblem liegt im Übergang von dem ideologischen Begriff des Fortschritts zu einem überwiegend materiell definierten Begriff.“ Kaliningrad sieht sich hier als Brücke zwischen Russland und Europa und könnte als eine Art „Pilotregion“ dazu beitragen, die verschiedenen Kulturen zu integrieren, so die Hoffnung einiger Teilnehmer.
Parallel zur Kaliningrader Konferenz wurde eine Umfrage zum Thema Fortschritt an der Universität durchgeführt. Nach Auswertung der 153 Fragebögen lässt sich vor allem feststellen: Die überwiegende Mehrzahl der Befragten versteht Fortschritt als Akzeptanz des modernen, technologischen Weges (104) und verbindet den Fortschrittsbegriff mit dem Westen (92), da dieser sich moderner Technologien bedient (50) und die Menschenrechte achtet (47). Das westliche, kapitalistische System kann jedoch nicht universell auf andere Kulturen übertragen werden (93), da jede Gesellschaft ihre eigenen kulturellen und sozialen Besonderheiten hat (87). Russland, das sich nicht auf dem Weg zum Fortschritt befindet (99), wird auf der Landkarte der menschlichen Entwicklung als Entwicklungsland (50) angesehen. Für den aktuellen Zustand der russischen Gesellschaft sind Korruption (100), mangelnde Achtung der Menschenrechte (67) und Passivität (67) verantwortlich. Für ein neues Projekt einer russischen Entwicklung, das 110 Personen für notwendig halten, sollten vor allem die Achtung der Menschenrechte (107), eine hohe Stellung der Wissenschaft (82) und technologischer Fortschritt (80) charakteristisch sein.
Windhoek
Namibia hat erst vor 14 Jahren seine Unabhängigkeit erlangt. Auf dem Staatsgebiet leben viele verschiedene Stämme und Sprachgruppen. Es stellten sich daher bei der dortigen Konferenz5 Fragen nach dem Verhältnis von ethnischer und nationaler Identität. Das Land ist geprägt von den Erfahrungen der Apartheid, die es vielen Namibiern schwer macht, ein Nationalgefühl zu entwickeln.
Die Loyalität gilt dem eigenen Stamm, erläuterte S. V. V. Nambala, Vorsitzender der evangelisch-lutherischen Kirche in Namibia. Viele Menschen seien zwischen dem neuen Konzept eines Nationalstaats und den alten Bindungen an den Clan hin und her gerissen. André Strauss, Kulturfunktionär im Erziehungsministerium, unterstrich, dass sich die Mehrzahl der Namibier von einer Minderheit unter Modernisierungsdruck gesetzt fühlt. „Wir brauchen ein Umfeld, in dem das gemeinsame Potenzial aller namibischen Kulturen zur Entwicklung des Landes beiträgt.“ Breitere Bevölkerungsschichten an Entscheidungsprozessen teilhaben zu lassen, wurde in Windhoek als ein Kriterium für den Fortschritt definiert. Grundlage hierfür sind eine gute Regierungsführung und der Aufbau eines Rechtsstaats.
Gödelitz bei Dresden
Die deutsche Konferenz6 hatte das Format eines intensiven Gesprächs zwischen unterschiedlichen natur-, geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen, gesellschaftlichen Bereichen (Wirtschaft, Wissenschaft, Staat), Systemerfahrungen (Ost und West) und Generationen. Mit Hilfe der Leitbegriffe Technik, Arbeit, Kultur und Innovation richteten die Teilnehmer den Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland insgesamt; diese müssten dringend den aktuellen Anforderungen angepasst werden. „Wir brauchen in Deutschland eine ‚neue Aufklärung‘,“ so der Astronaut Ulf Merbold. „Unsere Zukunft liegt in der Bewegung, nicht im Beharren.“
Blockaden für die notwendigen Reformen wurden u.a. in der „Kartellisierung“ der Republik und in ihrer Überalterung (mit der Folge sinkender Risikobereitschaft und Kreativität) gesehen. Ein Faktor sei, so meinten einige Teilnehmer, eine ausschließlich an Notwendigkeiten und nicht auch an gesellschaftspolitischen Visionen orientierte Politik. Permanent unter der Notwendigkeitslogik Zukunft zu diskutieren, schaffe keine Zukunft. Ein anderes Thema war die neu zu justierende Balance zwischen Eigenverantwortung und Solidaritätsprinzip.
Insgesamt wurde festgestellt, dass in Deutschland nicht klar sei, welches die normativen Ziele sind, an denen Fortschritt zu messen wäre. Als mögliche Orientierung, hierzu bildete sich im Verlauf der Diskussion Konsens, bietet sich das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung an.
Neben der eigentlichen Konferenz nahmen auch vier Jugendinitiativen an dem Projekt teil: So produzierten Schülerredakteure eine Sondernummer der Zeitung „politikorange“. Auf 24 Seiten erfassten sie die Sicht ihrer Altersgruppe zum Thema „Fortschritt“. Das Ergebnis ist ein weder besonders optimistisches noch besonders pessimistisches Bild. „Fortschritt ist Mut zur Veränderung“ (André, 16), aber er „muss nicht immer etwas Gutes bedeuten“ (Laura, 15); „Fortschritt könnte cool sein!“ aber „Fortschritt über unsere Köpfe hinweg darf nicht sein!“ (Sheila, 14).
Bilanz
Das Projekt „Der Begriff Fortschritt in unterschiedlichen Kuturen“ ist ein ungewöhnliches, aber doch typisches Beispiel dafür, wie die GTZ heute im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums, weiterer Bundesressorts und vieler anderer Auftraggeber bis hin zur Privatwirtschaft arbeitet und welchen Anforderungen prinzipieller und methodischer Art sie sich gegenüber sieht:
Nachhaltige Entwicklung ist das Leitbild, unter dem die GTZ arbeitet. Darunter versteht sie einen permanenten politischen und gesellschaftlichen Aushandlungsprozess, bei dem es darum geht, erfolgreiches Wirtschaften, eine sozial gerechte Verteilung der Chancen und Risiken und die Erhaltung und Schonung der natürlichen Ressourcen zu ermöglichen. Das Fortschrittsprojekt wurde, was Themen, Teilnehmer und Format betrifft, bewusst auf die Unterstützung solcher Aushandlungsprozesse zugeschnitten. In allen beteiligten Ländern, inklusive Deutschland, wurde darauf mit überraschender Intensität eingegangen.
Partnerschaften mit ganz unterschiedlichen Institutionen und Organisationen gewinnen zunehmend an Bedeutung. Besser als früher wird heute verstanden, dass die Komplexität gesellschaftlicher Veränderungsprozesse kein isoliertes Vorgehen erlaubt. Zwischen Politik, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft sind neue Kooperationsformen und Möglichkeiten für Dialog, Konsensfindung und die Umsetzung partnerschaftlich ausgehandelter Lösungen gefragt. Häufig bewegt sich die GTZ dabei an der Nahtstelle unterschiedlicher Politikbereiche. Beim Fortschrittsprojekt ist es die Nahtstelle zwischen Entwicklungszusammenarbeit und Auswärtiger Kulturpolitik. Die Zusammenarbeit war deshalb ein nahe liegender und für beide Seiten bereichernder Schritt.
Interkultureller Dialog ist ein integratives Element der Arbeit der GTZ. Schon in den achtziger Jahren hat sie sich mit Aspekten dieses Themas befasst, sucht aber heute neu und verstärkt nach Lösungen für diese permanente Herausforderung. Für die internationale Zusammenarbeit ist es unerlässlich, bei allen Beteiligten das Verständnis für die Vielschichtigkeit von Begriffen und Wertvorstellungen herzustellen, will sie nachhaltige Entwicklung in Gang setzen. Dies anzuerkennen, bildet die Basis für gemeinsame Ziele und gemeinsames Handeln. Voraussetzung dafür sind die Bereitschaft, Fragen zu stellen, zuzuhören, die eigene Position (auch die eigenen Probleme!) zu formulieren und transparent zu machen, Unterschiede wahrzunehmen, mit Pluralität arbeiten zu können, sich auf ergebnisoffene Prozesse einzulassen und diese zu managen. Das Fortschrittsprojekt versucht genau das.
Ein, vielleicht überraschendes, Beispiel dafür ist die „deutsche Konferenz“. Bei der „indischen Konferenz“ wurde die Frage gestellt, ob auch die Deutschen sich mit ihrem Fortschrittsbegriff auf einer eigenen Konferenz beschäftigen würden und diesen dann in Berlin darstellen würden. Nur auf diese Weise, meinten die indischen Teilnehmer, könne es einen gleichberechtigten Austausch zwischen den sechs beteiligten Regionen geben.
Wirkungsorientiertes Management komplexer Prozesse, dies ist die Aufgabe, der sich die GTZ bei ihren Aufträgen gegenüber sieht. Sie hat heute ihr gesamtes Instrumentarium darauf ausgerichtet. Auch beim Fortschrittsprojekt wurde frühzeitig formuliert, welche Wirkung damit erzielt werden sollte und wie diese zu erreichen und nachzuweisen sei. Das Projekt hatte von Anfang an einen klaren Rahmen und eine Orientierung, die es ihm erlaubten, prozesshaft, dezentral und partizipativ vorzugehen und damit viel mehr zu erreichen, als wenn es kleinteilig von den Zentralen aus gesteuert worden wäre.
Der Schirmherr des Projekts, Shashi Tharoor, Unter-Generalsekretär der Vereinten Nationen, hat diesen Ansatz kürzlich explizit als vorbildlich gelobt: Er regte an, das Projekt bei den UN fortzusetzen, denn es sei ein „best practice“ für die internationale Zusammenarbeit und ein „show-case“ für Deutschland.
Anmerkungen
1 Alexandria, 20.–22. März 2004, Partner: Biblioteka Alexandrina, Teilnehmer: ca. 100.
2 Kalkutta, 22.–24. April 2004, Partner: The Telegraph (Tageszeitung), Teilnehmer: 400.
3 La Paz, 7.–9. Mai 2004, Partner: Bolivianische Stiftung für Sozialforschung (PIEB), Teilnehmer: 250.
4 Kaliningrad, 27. August 2004, Partner: Deutsch-Russisches Haus, Teilnehmer: 100.
5 Windhoek, 10./11. September 2004, Partner: Namibian Policy Research Institute, Teilnehmer: 60.
6 Gödelitz bei Dresden, 15./16. Oktober 2004, Partner: Ost-West-Forum, Teilnehmer: 20.
Internationale Politik 11-12, November/Dezember 2004, S. 40‑46
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