Vergeigtes Vertrauen
In Osteuropa schwindet die Akzeptanz für Deutschlands Führungsrolle
Jetzt, da es zweifellos die erste Geige in der EU spielen wird, kommt zum ersten Mal eine echte Herausforderung auf Deutschland zu – anders als 1949, als unter den wachsamen Augen der Alliierten die Bundesrepublik entstand, oder 1989/90, in den Jahren der unerwarteten Wiedervereinigung. Noch bis vor kurzem definierten deutsche Politikwissenschaftler Deutschland vor allem als eine „Zivilmacht“, die weltweit Rechtsstaatlichkeit und Wohlstand fördere – diplomatisch, zurückhaltend, multilateral. So wurde auch das deutsche Engagement für die EU-Erweiterung dargestellt. Es ging um den Export von Stabilität und Demokratie in den Osten, dessen „Zivilisierung“ und die Unterstützung der Marktwirtschaft. Die erfolgreiche Verwirklichung dieses Projekts würde, so die Hoffnung, nicht nur die politischen Konflikte in dieser Region beseitigen, sondern auch die Position Deutschlands dort stärken. Doch brachten die letzten Jahre eher eine Zunahme der Spannungen und Konflikte mit sich – auch zwischen Polen und Deutschland. In dieser neuen Situation werden die Schwächen der deutschen Politik deutlich.
Denn die Selbstwahrnehmung als „Zivilmacht“ führt dazu, dass Deutschland die Länder Ostmitteleuropas nicht als Partner, sondern als Schützlinge behandelt. Im deutsch-polnischen Vertrag von 1991 etwa hieß es sinngemäß, Deutschland solle nicht nur Polens „Anwalt“ in der EU sein, sondern auch sein Erzieher. Doch haben die Länder Ostmitteleuropas seitdem einen bedeutenden zivilisatorischen Sprung gemacht. Sie sind Mitglieder der EU und der NATO, und sie wollen sich nicht auf die Rolle eines Protegés beschränken. Zudem kann das Selbstverständnis als „Zivilmacht“ eine Einmischung in Angelegenheiten begründen, die in den Bereich souveräner Entscheidungen anderer, vor allem schwächerer Staaten fallen.
Man kommt nicht umhin, hier eine eigenartige Fortsetzung der alten kolonialen Haltung gegenüber den ostmitteleuropäischen Ländern festzustellen. Schließlich setzt die Selbstdefinition als „Zivilmacht“ ein Handeln im allgemeinen Interesse voraus, und nicht im eigenen. Hans-Dietrich Genscher hat einmal behauptet, Deutschland habe überhaupt keine nationalen Interessen, sondern nur europäische. Eine solche Gleichsetzung bedeutet jedoch nicht nur, dass deutsche Zielsetzungen „europäisiert“, sondern auch, dass die europäischen Ziele „germanisiert“ werden können. Es ist enorm schwierig, über strittige Probleme mit einem Partner vernünftig zu diskutieren, der von vornherein felsenfest davon überzeugt ist, das Allgemeinwohl zu repräsentieren.
Zudem wird gerade Russland zum wichtigsten Partner Deutschlands im Osten – trotz seiner Verletzung der Menschenrechte, trotz seiner Knebelung der Demokratie, trotz seiner neoimperialen Politik. Kein Wunder, dass in Ostmitteleuropa das Gefühl zunimmt, Deutschland bediene sich zweierlei Standards. Die Berliner Republik scheint immer selbstsicherer zu werden und von der Wichtigkeit ihrer Ziele und Werte immer überzeugter zu sein. Deutschland ist, wie Herfried Münkler kürzlich festgestellt hat, eine „selbstbewusste Mittelmacht“. Eine solche Bezeichnung bedeutet keinen Verzicht auf die Ziele der „Zivilmacht“, setzt aber neue Akzente – abzulesen am deutschen Engagement im Kosovo und in Afghanistan. Leider tritt in den letzten Jahren immer deutlicher die Diskrepanz zwischen universalistischem Anspruch einerseits sowie mangelnder Kompetenz und partikularen Interessen andererseits zutage. Daher schmilzt das Vertrauenskapital zusehends, das die Bonner Republik gerade in Ostmitteleuropa angesammelt hatte. Die Bonner Republik hatte Europa auf ihre zurückhaltende Art zusammengeschweißt, indem sie ein Gleichgewicht zwischen großen und kleinen Ländern herstellte. Die Zukunft Europas hängt davon ab, ob die Berliner Republik imstande sein wird, ihren Führungsanspruch durchzusetzen, aber dabei jene ungewöhnliche Fähigkeit der Bonner Republik beizubehalten.
Aus dem Polnischen von Agnieszka Grzybkowska
Prof. Dr. ZDZISLAW KRASNODEBSKI, geb. 1953, ist Professor am Seminar für Ost- und Mitteleuropäische Studien der Universität Bremen.
Internationale Politik 7/8, Juli/August 2007, S. 150 - 151.