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01. Dez. 2005

Verdammt zu aller Ewigkeit

Technologie

Wird der Homo Sapiens sich eines Tages mit den von ihm kreierten Maschinen vereinen? Zu einer neuen, besseren, posthumanen Intelligenz heranreifen? Und ewig leben? Es gibt Menschen, die lieben diese Vorstellung.

Neulich warf die Post ein dickes Buch bei mir ab, frisch aus Amerika, mit Widmung. Es trug einen verheißungsschweren Titel: „The Singularity is near“.

Singularität ist so ein Modewort, das man erklären muss. Es bezeichnet jenen künftigen Augenblick, da künstliche Intelligenz unser menschliches Verständnis übersteigt und eine Art Superintelligenz entsteht, die sodann exponentiell, in einer Art „Intelligenzexplosion“, weiter wächst. Das wird etwas ganz und gar Großes, das unsere Mini-Intellekte noch gar nicht fassen können. Es wird auch die letzte Erfindung sein, die der Mensch machen muss. Danach wird er von ultraintelligenten Maschinen vermutlich ohnehin bald entsorgt.

Ray Kurzweil hat das Buch geschrieben, gemeinsam mit einem Dr. Terry Grossman. Kurzweil ist kein Quacksalber. In den USA wird er als technologischer Guru verehrt. Seit dem siebten Lebensjahr hat er unzählige Erfindungen gemacht. Kurzweil ersann die Technologie des Flachbett-Scanners, war Pionier der Sprach- und der optischen Buchstabenerkennung, hat eine Lesemaschine für Blinde konstruiert, Diktiersysteme und Synthesizer, auch eine Software, die Börsenentscheidungen unterstützt. Die Firma trägt den hübschen Namen FatKat Inc. Als ich Kurzweil vor einiger Zeit in Wellesley Hills bei Boston besuchte, sagte er, Quintessenz seines Schaffens sei „das Erkennen von Mustern“.

Nein, Kurzweil ist nicht irgendwer. Der Mann trägt zahllose Ehrendoktortitel feinster Adressen. Bill Clinton verlieh ihm die National Medal of Technology, Bill Gates behauptet, dass Prophet Kurzweil in Fragen der Zukunft künstlicher Intelligenz „der Beste“ sei. Und nun sagt dieser Kurzweil, dass die Singularität in Rufweite ist. Dass die Bio-, Nano- und Computertechnologie in wenigen Jahren so weit vorangeschritten sein werde, dass wir Menschen „unser genetisches Erbe überwinden können“. Weil Gene Software sind. Software, die umprogrammiert werden kann, sobald das System wirklich verstanden und die passende Technologie vorhanden sind. Und dass dies gut so ist.

Seit 1990 schreibt er Bücher, die Großes verkünden. Er begann mit „The Age of Intelligent Machines“, gefolgt von „The Age of Spiritual Machines“, auf deutsch unter dem verspielten Titel „Homo S@piens“ erschienen. Bald, erklärt Kurzweil, werden Computer funktionieren wie Gehirne, nur fehlerfreier. Und ihrerseits immer intelligentere Systeme erzeugen. Der Mensch wird dann sehr alt werden, „die Biologie hinter sich lassen“, weil er sein fleischliches Sein ewig runderneuern, es Zelle für Zelle, Molekül für Molekül generalüberholen und tunen kann, viel schneller als diese lausig langsame Evolution.

Welch eine Vision: Nanobots sausen als immerfleißige Reparaturarbeiter durch unsere Körper, kitzeln neue Welten und Vorstellungen aus unserem Hirn heraus, schaffen so ein neues „mentales Habitat“. Geist inklusive Seele werden wir einfach auf eine Festplatte oder einen anderen Speicher downloaden können. Um ihn irgendwann in eine neue physische Umgebung, in neu designte Körper hochzuladen. Wie ein Backup. Das ist es: das ewige Leben. Altern adé. Demnächst.

Warum wagt sonst kaum jemand derart gewagte Vorhersagen? Weil die meisten linear denken, meint Kurzweil. Er hingegen tickt exponentiell. Er ist ein Kurvenfanatiker. Er hat erkannt, dass Moores Law für die ganze Welt gilt, jener Lehrsatz des Intel-Mitgründers Gordon Moore, der 1965 prophezeite, dass sich die Rechenleistung von Computerchips alle 18 Monate verdoppeln wird. Was bis heute richtig ist.

Kurzweil setzte einen ganzen Stab von Mitarbeitern daran, ökonomische, technologische, historische Entwicklungskurven miteinander zu vergleichen. Er sagt: Das exponentielle Muster von Moores Law gibt es überall. 2001 hat Kurzweil daraus ein „Law of Accelerating Returns“ formuliert, das „Gesetz der sich beschleunigenden Erträge“. Und schlussfolgert, dass es in diesem unseren 21. Jahrhundert technologisch so richtig krachen wird.

Der große Erfinder hat nur ein Problem: Er will nicht sterben, will unbedingt dabei sein, wenn es soweit ist, wenn Mensch und Maschine eins werden. Das wäre ja auch zu ärgerlich: Die Gattung Homo erringt das ewige Leben. Ihr grandiosester Prophet aber bricht Sekunden vor dem großen Augenblick zusammen. Sein Vater verstarb mit 58 an einem Herzinfarkt.

Kurzweil, 57, pflegt seine physische Existenz seit Jahren mit Hingabe. Er nimmt bis zu 250 Pillen am Tag (Vitamine, Hormone etc.), hängt sich für Spezialinfusionen regelmäßig an einen Tropf und trinkt nur ein spezielles Wasser und grünen Tee. Er cremt Gesicht und Nacken mit einer Spezialpaste ein und filtert die Luft in Büro und Schlafzimmer. So will der Meister den Alterungsprozess ausbremsen und seine „Biochemie umprogrammieren“. Vielleicht tun Ruhm und Reichtum selbst den besten Köpfen nicht immer gut. Aber man verdient wohl recht gut mit dem Traum. Der Co-Autor Grossman betreibt in Denver das Frontier Medical Institute, in dessen Longevity Center man sich für viel Geld durchchecken lassen kann. Unter dem Label Ray&Terry’s verkaufen Kurzweil und Grossman gemeinsam Pillen, so genannte „Langlebigkeitsprodukte“, das Döschen zu 45 Dollar.

Und dennoch: Wer sagt uns, dass Kurzweil spinnt? Dass geballte Wissenschaft nicht wirklich bald epochale Durchbrüche erzielt? Natürlich besteht Hoffnung, große Killer wie Krebs in greifbarer Zukunft wirklich verstehen und besiegen, auch Organe und Gefäße neu züchten zu können. Das wird nicht das ewige Leben bringen. Aber die Lebenserwartung dürfte weiter steigen. Behutsamere Experten sagen: 100, vielleicht auch 130 Jahre sind durchaus drin. Prekärer erscheint die Vision, dass künstliche Intelligenz sich mit dem menschlichen Hirn verzahnt, es überflügelt, womöglich ganz ersetzt. Für einen Optimisten wie Kurzweil ist dies eine Verheißung. Für andere der nackte Horror. Warum sollten perfekte Posthumans uns unsere Fehler vergeben? Man kann gut schlottern vor solch superintelligenten Robotern, die Menschen wohl nur mehr als possierliche Haustiere halten werden – wegen ihres skurrilen Retro-Schicks.

Als ich Kurzweil einst meinen ganzen Zweifel entgegenwarf, lächelte er milde. Gewiss seien selbstreplizierende Systeme, vom Krebs bis zur nuklearen Kettenreaktion, sehr gefährlich. Doch er wolle „gern leben, um das alles zu sehen“. Soll Kurzweil leben, bis er sich langweilt. Uns wird das Sterben wohl nicht verboten.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 12, Dezember 2005, S. 122 - 123.

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