Titelthema

30. Okt. 2023

Unheimlich intelligent

Die Geschichte der KI in Film und Literatur ist eine Geschichte der Furcht. Ihren Anfang nimmt diese angstbesetzte Darstellung schon in der Schauerliteratur des 19. Jahrhunderts.

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Bild: Cyborg vor Weltkarte
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Von einem Unbehagen wird hier zu reden sein. Einem Unbehagen, das die Künstliche Intelligenz samt ihren Erscheinungsformen in Kultur und Medien weckt. Es scheint, als würden in der Auseinandersetzung mit ihr ganz konkrete Ängste hinsichtlich des Verhältnisses von Kunst, Arbeit und Leben verhandelt. Steht die Existenz von Literatur, Fotografie und künstlerischer Autorschaft auf dem Spiel?

Auf einer geschichtsphilosophischen Ebene verweist die KI auf eine Frage, die dem Bereich der Science-Fiction oder des Horrorfilms entstammen könnte: Wird es die Menschheit jemals vermögen, sich zum Protagonisten ihrer eigenen Technikgeschichte zu machen, oder hat der technische Fortschritt die Menschen längst auf fatale Weise zum Spielball und Rohstoff erniedrigt?



Übermächtige Zusammenhänge

Im Jahre 1919 bestimmte Sigmund Freud das Unheimliche als eine Wiederkehr von animistischen Vorstellungen und Praktiken, die im Zuge des zivilisatorischen Fortschritts aus der menschlichen Merk- und Wirkwelt verdrängt worden seien. Anknüpfend an den Psychiater Ernst Jentsch identifizierte Freud eine Komponente des Unheimlichen in der Unsicherheit, ob man „in einer bestimmten Figur eine Person oder etwa einen Automaten vor sich habe“.

Als beispielhaft kann hier E.T.A Hoffmanns Novelle „Der Sandmann“ gelten. Darin erschafft der Wissenschaftler Coppelius eine Puppe namens Olympia, die dann tatsächlich zum Leben erwacht. Eine moderne Variante des antiken Pygmalion-Mythos, in dem sich der namensgebende Künstler in seine Statue Galatea verliebt, die durch einen Wink der Götter verlebendigt wird.

Das Kino, seinerseits eine Mischung aus technischer Apparatur und menschlicher Beseelung, bemächtigte sich dieses Topos’ umgehend. Und so wird es im Kino am Anfang des 20. Jahrhunderts immer dann unheimlich, wenn den Menschen ihre eigene Verstrickung in übermächtige Zusammenhänge bewusst wird. An die Stelle animistischer Gottheiten treten nun die scheinbar selbstständigen Abläufe des industrialisierten Lebens, der Lohnarbeit und der Warengesellschaft. Die intellektuelle Unsicherheit im Angesicht des Unheimlichen, die der Aufklärer Freud beschreibt, bietet so auch ein geschichtliches Erkenntnismoment.

Fritz Langs Science-Fiction-Klassiker „Metropolis“ (1927) erzählt von einem Großstadtmoloch der Zukunft, in dem eine unterirdisch lebende Arbeiterschaft an gigantischen Maschinen den Wohlstand der herrschenden Klasse erwirtschaften muss. Der Film ist nicht nur eine Allegorie auf den Pauperismus des Industriekapitalismus, sondern bedient sich auch bei Hoffmann und Freud: So konstruiert der Wissenschaftler C.A. Rotwang im Labor eine Roboterfrau namens Maria, die als Projektionsfläche widersprüchliche Hoffnungen des gesamten sozialen Spektrums in sich vereint. Die Oberklasse hofft, in ihr ein perfektes Unterdrückungsinstrument gefunden zu haben, während Maria beginnt, die Arbeiter der Stadt aufzuwiegeln.

 

Langs Maschinenmenschen und Frankensteins Monster sind Frühformen humanoider Roboter

 

Eine Möglichkeit zur gesellschaftlichen Umwälzung bietet der Film allerdings nicht an, er endet mit einer Zementierung der Verhältnisse – eine Vorahnung der nationalsozialistischen Herrschaft. Der Unmut der Arbeiter entlädt sich letztlich als Maschinenstürmerei an eben jener ­Roboterfrau, die versucht hatte, ihnen ihre Lage begreiflich zu machen.

Ähnlich verhält es sich mit James ­Whales tieftraurigem Film „Frankenstein“ (1931), in dem ein Lynchmob verarmter Landarbeiter auf das vom wohl­habenden Victor Frankenstein geschaffene Monstrum Jagd macht. Die Figurationen künstlicher Intelligenz bei Lang wie bei Whale lassen sich als Frühformen humanoider Roboter beschreiben. Weil sich diese Roboter selbst in ökonomischen Abhängigkeitsverhältnissen befinden und den Schrecken der industriellen Lohnarbeit zur Kenntlichkeit entstellen, ziehen sie die Furcht und Aggression der Menschen auf sich.



Mängelwesen Mensch

Mit dem Fabrikbau im furiosen Auftakt zu Charlie Chaplins „Moderne Zeiten“ (1936) hält das Konzept einer intelligenten Assistenztechnologie Einzug im Film. Die Tragik, die noch den Maschinenmenschen in „Metropolis“ oder Frankensteins Monster anhaftete, verkehrt sich bei Chaplin ins Komische. Unheimlich komisch ist hier, dass die Assistenztechnologie nicht gnadenlos rationalisiert, sondern, im Gegenteil, nicht rational genug operiert: Sie setzt auf menschliche Arbeitskraft, wo sie eigentlich nicht mehr gebraucht wird, und sie nimmt Unfälle in Kauf, so etwa den durchs Räderwerk der Maschine sausenden Chaplin.

„Hegel bemerkte irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce“, schrieb Karl Marx im Jahre 1852. Bei Chaplin erhält dieses Diktum schmerzlich-komische Aktualität. Die fordistische Fließbandproduktion ist einerseits ein Kernthema von „Moderne Zeiten“, andererseits lässt das Ende des Films auf einer weiten Landstraße ein Verschwinden der Massenproduktion aus dem Blickfeld der westlichen Industrienationen erahnen.

Ihre Auslagerung in die Schwellen- und Entwicklungsländer, die Entwicklung hin zum digitalen Angestellten­kapitalismus zeichnen sich bereits in dieser Schlusssequenz ab.

Die Geburt des digitalen Kapitalismus aus dem Geist der kalifornischen Gegenkultur im Silicon Valley bildet den Hintergrund für Stanley Kubricks psychedelischen Film „2001: Odyssee im Weltraum“ (1968). Die Mannschaft einer Weltraummission sieht sich hier mit einer Superintelligenz konfrontiert, dem übermächtigen Bordcomputer HAL. Der beginnt irgendwann, die Besatzungsmitglieder der Reihe nach umzubringen, da der Mensch einen Risikofaktor für das Gelingen der Mission darstelle.

 

In „Odyssee im Weltraum“  beginnt irgendwann der Bordcomputer, die Besatzungsmitglieder umzubringen, da sie einem Erfolg der ­­ Mission im Wege stünden

 

Die so rationale wie gnadenlose Konsequenz, mit der der Computer zu Werke geht, erinnert an Günther Anders’ philosophisches Hauptwerk „Die Antiquiertheit des Menschen“ aus dem Jahre 1956. Erschüttert durch die Gräuel des 20. Jahrhunderts formulierte Anders darin die provokante These vom „Mängelwesen Mensch“. Als es dem letzten verbleibenden Astronauten in Kubricks Film gelingt, HAL abzuschalten, stimmt der sterbende Computer das Liebeslied „Daisy Bell“ an. Ein faszinierender Moment, der in der Schwebe lässt, ob die Super-Intelligenz hier aus Kalkül Empathie erwecken möchte oder ob Kubricks Blick auf die Künstliche Intelligenz selbst ein mitleidsethischer ist: Sehnt sich der Apparat insgeheim womöglich nach einem menschlichen Dasein, in dem Empathie und Muße statt Pflicht gelten?



Humanismus der Roboter

Eine solche Sehnsucht greift Ridley Scotts „Blade Runner“ (1982) wieder auf. Im düsteren Los Angeles des Jahres 2019 kämpfen Großkonzerne um die letzten verbleibenden Ressourcen und beginnen, fremde Planeten zu erobern. Die Arbeit an den Außengrenzen der Zivilisation verrichten sogenannte Replikanten, humanoide Roboter, die von den Menschen nur noch schwerlich zu unterscheiden sind, denn sie verfügen über emotionale Intelligenz, Erinnerungen und Zukunftshoffnungen. Weil die Konzernspitze eine Rebellion der Replikanten fürchtet, wird Rick Deckard (Harrison Ford) damit beauftragt, die Aufrührer aus dem Verkehr zu ziehen.

Die Bürger von Los Angeles sind abgestumpft und haben sich in einer vermeintlich alternativlosen Gegenwart eingerichtet. Die Replikanten verkörpern dagegen eine geschichtliche Sehnsucht, die den Menschen abhandengekommen ist – hier treibt, wie Freud es nennen würde, „das Leblose die Ähnlichkeit mit dem Lebenden zu weit“. „Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen nie glauben würdet“, sagt der von Rutger Hauer gespielte Replikant einmal. „All diese Momente werden verloren sein in der Zeit, so wie Tränen im Regen.“

Jüngere Produktionen wie „Her“ (2013) oder „Ex Machina“ (2014) beleuchten das Thema KI aus geschlechterpolitischer Perspektive. Sie handeln von weiblichen KI-Modellen, die mit den Ansprüchen ihrer männlichen Nutzer hadern oder sich ihnen zu entziehen versuchen. Eine Reflexion über den Sexismus der Tech-Branche? Schon der antike Pygmalion galt als von der Frauenwelt enttäuschter Misogyn.

Dass diese Figurationen Künstlicher Intelligenz im Film nur teilweise bis wenig realistisch sind, liegt auf der Hand. Ihnen das vorzuwerfen, wäre müßig. Auch die aktuellen KI-Technologien, sprich Modelle Maschinellen Lernens, die auf Datenmengen angewandt werden, haben im Grunde wenig mit menschlicher Intelligenz gemein. Was die KI auf der Leinwand und abseits von ihr als ästhetisches Phänomen allerdings auslöst, sind Gefühle der Irritation und der Unsicherheit gegenüber unserer technisierten Arbeitswelt.



Die schönen Dinge des Lebens

Unheimlich ist an der Künstlichen Intelligenz, dass sie so munter wie bizarr fotografiert, komponiert und malt, während das Gros der Menschen eben das nicht darf — weil es weder über die ökonomischen Mittel noch über die Zeit oder die Muße dazu verfügt. Auf verdrehte Weise spricht aus dem Wirken der KI ein lang gehegter Menschheitstraum: den technischen Fortschritt der Einrichtung eines guten Lebens zuzuführen, ohne körperliche und seelische Entbehrungen, aber dafür mit viel Zeit für Kunst, Literatur und Genuss.

So formulierte der irische Dandy Oscar Wilde im Jahre 1891: „Jetzt verdrängt die Maschine den Menschen. Unter richtigen Zuständen wird sie ihm dienen. Es besteht durchaus kein Zweifel, dass das die Zukunft der Maschine ist, und ebenso wie die Bäume wachsen, während der Landwirt schläft, so wird die Maschine, während die Menschheit sich der Freude oder edler Muße hingibt – Muße, nicht Arbeit, ist das Ziel des Menschen – oder schöne Dinge schafft oder schöne Dinge liest oder einfach die Welt mit bewundernden und genießenden Blicken umfängt, alle notwendige und unangenehme Arbeit verrichten.“

Dass die Künstliche Intelligenz den Menschen nun ohne Ermüdungserscheinungen ungelenke Texte und Bilder entgegenschleudert, das sollte als ein koketter Streich verstanden werden. Als eine Erinnerung daran, dass wir längst den technischen Entwicklungsstand erreicht haben, um die Bedürfnisse der Menschen, aller Menschen, zu befriedigen – ihnen die Last der stumpfsinnigen und erniedrigenden Arbeit von der Schulter zu nehmen und ihnen zu erlauben, sich den schönen ­Dingen des Lebens zu widmen. 

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, November/Dezember 2023, S. 50-53

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Daniel Moersener ist Filmemacher und Filmkritiker, u.a. für die ZEIT, Jungle World, die taz und den SWR.

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