Brief aus...

24. Febr. 2025

Ungeschützte Umweltschützer

Wer in Kolumbien für den Erhalt  der Natur kämpft, lebt gefährlich. Schweigen ist für Yuly und Esteban aber keine Option.

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Bild: Zeichnung von Kolumbiens Hauptstadt Bogotà
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Kolumbien – ein Land, das viele mit Kaffee, Koka und Kriminalität verbinden. An Umweltaktivismus denkt man im ersten Moment wohl kaum. Yuly Velásquez ist Fischerin, Präsidentin des Fischereiverbands FEDEPESAN – und sieht sich selbst als Wächterin des größten Flusses des Landes, des Río Magdalena. Für dessen Schutz legt sie sich auch mit dem größten staatlichen Ölkonzern Ecopetrol an. Gelder, die für den Umwelt- und Gewässerschutz vorgesehen waren, wurden laut Yuly zweckentfremdet. Giftige Stoffe, mit denen das Unternehmen den Fluss verschmutze, ließen die Fischbestände schwinden. 

Der Río Magdalena ist das Herzstück Kolumbiens: Weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in seinem Einzugsgebiet, drei Viertel der landwirtschaftlichen Produktion und 70 Prozent der Stromversorgung gehen auf den Fluss zurück. Und: Er versorgt 38 Millionen Menschen mit Trinkwasser.

„Der Präsident hat den Willen, die Dinge anders zu machen, aber die politischen Streitereien verhindern den Wandel“, erklärt Yuly. Hoffnung gibt ihr vor allem das ­Escazú-Abkommen, das 2022 vom ersten linken Präsidenten des Landes, Gustavo Petro, unterzeichnet wurde. Es soll Umweltaktivisten vor Gewalt schützen.

Denn wer sich in Kolumbien gegen Rohstoffabbau, Abholzung und Viehzucht einsetzt, wird brutal zum Schweigen gebracht. Im Jahr 2023 zählte die NGO Global Witness weltweit 196 getötete Umweltschützer, 79 davon in Kolumbien – so viele wie in keinem anderen Land. Nur selten werden die Täter zur Rechenschaft gezogen: Von 248 Todesfällen in den vergangenen acht Jahren führten 30 zu einer ­Ver­urteilung, mehr als 100 Fälle stecken noch in der ­Ermittlungsphase.

Diejenigen, die weitermachen, müssen Anschlägen, Drohungen und Zwangsvertreibungen standhalten. Sie kämpfen gegen ständige Ausgrenzung und Kriminalisierung, die darauf abzielen, sie als „Entwicklungsgegner“ darzustellen. Angriffe und Ablehnung durch die Bevölkerung verschärfen ihre Lage weiter.

Yuly hat drei Attentate überlebt. Heute kann sie nur noch in Begleitung von Sicherheitsleuten fischen gehen; einer ihrer Beschützer wurde bereits getötet. Ihr Heimatdorf musste sie vor Jahren verlassen, um in der Anonymität der Stadt Schutz zu suchen. Ihre Gegner sprühen „Raus“ an ihre Hauswände. Doch Yuly kämpft weiter. „Wir Fischerinnen haben gezeigt, dass wir nicht nur fischen, sondern auch aktiv die Umwelt schützen können.“ Ökotourismus und Reinigungsaktionen sind ihr Beitrag, der Natur etwas zurückzugeben. 

Auch Esteban Manzano, der sich selbst als „Sozialmanager“ bezeichnet, riskiert viel. Er lebt in Puerto Tejada, einer Industrieregion nahe Cali, in der der Zuckerrohranbau alles dominiert. „Die Monokultur hat unser Land zerstört“, klagt er. „Die Fabriken zapfen das Wasser ab, und das, was sie zurückführen, ist hochgiftig.“ Er zeigt Fotos von schwarzen Flüssen, toten Fischen, aufgeblähten Bibern und brennenden Landschaften. Esteban macht dafür nicht nur die Konzerne verantwortlich, sondern auch den illegalen Goldabbau sowie mangelnde Bildung und Infrastruktur. „Die Leute werfen Müll in die Flüsse – und dieses Wasser trinken wir!“ Atemwegserkrankungen und Missbildungen hätten in den vergangenen 30 Jahren zugenommen.

Esteban organisiert Bildungsinitiativen für Kinder, alles aus eigener Tasche. „Unsere Flüsse waren früher Orte des Lebens. Heute gleichen sie trockenen Gräben. Wir versuchen, Bewusstsein zu schaffen, aber es ist schwer, wenn die Menschen Angst haben, ihre Arbeit in der umliegenden Industrie zu verlieren; sie sehen uns als ihre Gegner und verstehen nicht, dass wir unsere gemeinsame Zukunft sichern wollen.“

Nachhaltigkeit ist das Ziel, aber noch keine Realität

„Wenn wir die Natur schützen, helfen wir uns selbst“, sagt auch die Umweltministerin Susana Muhamad. Kolumbiens Regierung hat den Umweltschutz ins Zentrum gerückt und verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz: von Agrarreform und Minderheitenschutz über den Ausbau erneuerbarer Energien bis hin zum Fracking-Verbot. Es reiche nicht, Emissionen zu senken – die Welt müsse die biologische Vielfalt schützen und die Natur wiederherstellen, bekräftigte Muhamad 2024 auf der UN-Artenschutzkonferenz, die unter dem Motto „Wandel für das Leben“ in Cali stattfand.

Mit Deutschland wurde 2023 eine Absichtserklärung zur Produktion von grünem Wasserstoff unterzeichnet. Projekte gegen Entwaldung und zur Förderung nachhaltiger Einnahmequellen, wie der Anbau von Açaí im Amazonas, laufen bereits. Die Expertise von Umweltschützern wie Yuly und Esteban soll dabei eine wichtige Rolle spielen. Das zeigt auch die Ernennung von Francia Márquez – selbst Afro-Kolum­bianerin und Umweltaktivistin – zur Vizepräsidentin.

Erste Erfolge sind sichtbar: 2023 sank die Entwaldung um 36 Prozent auf den niedrigsten Stand seit 23 Jahren. Doch fossile Industrien und konservative Eliten stellen sich quer, Kolumbien bleibt stark abhängig von Öl- und Kohleexporten. Windparkprojekte führen zu Konflikten mit Indigenen wegen fehlender Mitsprache und unzureichender Kompensation.

Viele Umweltschützer, oft treue Petro-Wähler, sind enttäuscht über den schleppenden Fortschritt. Die Zahl der getöteten Aktivisten bleibt erschreckend hoch. Ohne tiefgreifende Strukturreformen wird es schwierig, die Haupt­ursachen der Umweltzerstörung – bewaffnete Konflikte und illegale Ausbeutung – anzugehen. Mit weniger als zwei Jahren verbleibender Amtszeit steht Petros Vision vor einer entscheidenden Bewährungsprobe.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2025, S. 118-119

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Sara Meyer lebt und arbeitet als unabhängige Journalistin in Bogotá. Sie hat Recht, Internationale Beziehungen und Lateinamerikastudien in Deutschland, Griechenland und Kolumbien studiert.