Strategischer Wandel im Nahen Osten
Unabhängig davon, wer im Oval Office sitzt: Die USA verlieren an Einfluss in der Region, es bilden sich dort neue Allianzen. Das würde auch Trump 2.0 einschränken.
Wäre er noch Präsident, hätte der Krieg in Gaza nie stattgefunden, so eine Behauptung von Donald Trump. Er übt heftige Kritik an der Nahost-Strategie von Joe Biden und erklärt, dass sich unter seiner Führung die Lage in der Region ganz anders gestalten würde. Um zu verstehen, wie eine Trumpsche Nahost-Politik 2.0 aussehen könnte, ist es sinnvoll, die Ergebnisse seiner ersten Amtszeit zu analysieeren. Damals war seine Politik von dem Interesse geprägt, das US-Engagement im Nahen Osten von Grund auf neu zu definieren. Es gab mutige Initiativen, aber auch kontroverse Entscheidungen, die regionale Dynamiken und Amerikas Beziehungen zu Verbündeten und Gegnern beeinflusst haben.
Von zentraler Bedeutung waren die Abraham-Abkommen. Diese als historische Errungenschaft gefeierten Verträge zielten darauf ab, die Beziehungen zwischen Israel und vier arabischen Staaten (Vereinigte Arabische Emirate, Bahrain, Marokko und Sudan) zu normalisieren. Trump betrachtete sie als wichtigen Teil seines außenpolitischen Vermächtnisses und stellte sie als Grundlage für eine künftige arabisch-israelische Zusammenarbeit gegen gemeinsame Bedrohungen dar.
„Maximaler Druck“ gegenüber dem Iran war eine weitere wichtige Strategie. Das Land sollte wirtschaftlich und diplomatisch isoliert werden, insbesondere durch den Ausstieg aus dem Atomabkommen JCPOA und die Verhängung scharfer Sanktionen. Trump glaubte, dass diese Maßnahmen Teheran zwingen würden, sich auf ein umfassenderes Abkommen einzulassen, das auch die regionalen Aktivitäten des Iran regeln könnte. Doch es wurde genau das Gegenteil bewirkt: Der Iran weitete seine nuklearen Aktivitäten aus und stärkte seine Entschlossenheit, gegen die regionalen Interessen der USA zu arbeiten.
Auch Trumps Umgang mit traditionellen Verbündeten am Persischen Golf war eine Abkehr von der Politik früherer Regierungen. So bestand er darauf, dass US-Verbündete mehr finanzielle Verantwortung für ihre Verteidigung trügen. Den Golfstaaten und insbesondere Saudi-Arabien blieb zunächst nichts anderes übrig, als diesen Forderungen nachzukommen – auch, weil sie Amerikas Sorgen über das Vorgehen des Iran in der Region teilten. Das zögerliche Verhalten der USA nach den Anschlägen auf saudische Ölanlagen 2019 durch die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen machte jedoch Schwachstellen im Sicherheitskalkül der Golfstaaten deutlich und veranlasste sie, andere außenpolitische Prioritäten zu setzen. Diese Neubewertung führte zu engeren Beziehungen zu Mächten wie Russland und China, trug also zu einer Diversifizierung der internationalen Partnerschaften und einer Abkehr von den USA als alleinigem Sicherheitsgaranten bei.
Schließlich wurde Trumps Absicht, das militärische Engagement in Syrien und im Irak zu reduzieren, nur sehr inkonsequent umgesetzt. Dies sorgte vor allem bei den kurdischen Verbündeten für erhebliche Zweifel an der Verlässlichkeit der USA. Diese Unsicherheit ebnete der Türkei den Weg, ihren Einfluss in Nordsyrien auszuweiten, was die Situation der dortigen Kurden und die strategische Dynamik in der Region nachhaltig veränderte. Ende 2020 ordnete Trump außerdem den Abzug Tausender US-Soldaten aus dem Irak an.
Auswirkungen des Gazakriegs
Trumps Vermächtnis im Nahen Osten ist dementsprechend eine Mischung aus ehrgeizigen diplomatischen Initiativen wie den Abraham-Abkommen und aus strategischen Fehleinschätzungen im Hinblick auf den Iran, die Beziehungen zu den Golfstaaten sowie die Entwicklungen in Syrien und im Irak. Bei einer möglichen Rückkehr Donald Trumps ins Präsidentenamt wird seine außenpolitische Agenda wahrscheinlich einige der wichtigsten Nahost-Initiativen aus seiner ersten Amtszeit wieder aufgreifen.
Dabei würde eine Ausweitung der Abraham-Abkommen womöglich im Mittelpunkt stehen, um eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten zu fördern. Seit dem 7. Oktober 2023 stellt der Krieg in Gaza jedoch eine große Herausforderung für diese Bemühungen dar. Denn diese Abkommen waren zwar bahnbrechend, haben aber die Palästina-Frage ausgeklammert und damit den Grundstein für neue Konflikte zwischen Israel und den Palästinensern gelegt. Folglich haben der Gazakrieg und die von ihm ausgehenden Reaktionen der arabischen Welt die Normalisierungsbemühungen mit Israel bereits heute um ein Vielfaches erschwert.
Die als historisch bezeichneten Abraham-Abkommen haben den Palästina- Konflikt ausgeklammert
Obwohl Trump zuletzt offene Kritik an Premier Benjamin Netanjahu geübt und dessen Umgang mit dem Gazakrieg verurteilt hat, deutet seine politische Haltung darauf hin, dass er als US-Präsident Israel weiterhin kompromisslos unterstützen und palästinensische Belange und insbesondere die Eigenstaatlichkeit Palästinas hintanstellen würde. Diese Haltung birgt die Gefahr, dass der israelisch-palästinensische Konflikt, der die amerikanische Außenpolitik in der Region seit Langem behindert, fortbestehen bleibt. Zudem bietet sie dem Iran die Möglichkeit, den Interessen der USA und Israels unter dem Deckmantel des „Widerstands“ entgegenzuwirken. Es stimmt zwar, dass es hinter den Kulissen Anzeichen dafür gibt, dass Staaten wie Saudi-Arabien an der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel interessiert sind. Doch die politischen Kosten einer solchen Normalisierung sind zweifellos gestiegen.
Im Hinblick auf die Beziehungen zum Golfkooperationsrat (GCC) wird das Engagement der USA künftig risikobehafteter sein. Die Skepsis der GCC-Staaten gegenüber den US-Interessen im Nahen Osten hat sie dazu veranlasst, ihre strategischen Partnerschaften neu abzuwägen und Russland und China in ihre Kalkulationen miteinzubeziehen. Das zeigt sich auch an ihrer Haltung zum Krieg in der Ukraine. Für einen nennenswerten Fortschritt im Normalisierungsprozess mit Israel könnten deshalb erhebliche Zugeständnisse seitens der USA erforderlich sein, etwa starke Sicherheitsgarantien für Saudi-Arabien. Doch selbst mit solchen Zugeständnissen werden die umfassenderen Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Golfstaaten und China wahrscheinlich fortbestehen. Denn für die Golfstaaten sind diese Partnerschaften auch strategisch sinnvoll: Sie bieten ihnen ein politisches Druckmittel und ein willkommenes Instrument zur Diversifizierung ihrer wirtschaftlichen und geopolitischen Netzwerke.
Was Washingtons Iran-Politik betrifft, so würde Trump wahrscheinlich vor noch größeren Herausforderungen stehen als in seiner ersten Amtszeit. Nicht zuletzt deshalb, weil sein aggressives Vorgehen gegenüber dem Iran maßgeblich dazu beigetragen hat, dass sich Teheran heute gegen einen Dialog mit den USA sträubt. Durch eine Rückkehr Trumps dürfte diese Haltung nur noch unerbittlicher werden. Ausgeschlossen ist aber natürlich auch nicht, dass Trumps Unberechenbarkeit den Iran dazu veranlassen könnte, vorsichtiger zu agieren, um eine direkte Konfrontation zu vermeiden. Unwahrscheinlich ist in jedem Fall, dass es zu einer Versöhnung oder zumindest zu einem stabilen Modus Vivendi kommt.
Vielmehr könnte der Iran seine Politik des „Blickes nach Osten“ weiter vorantreiben, also engere bilaterale Beziehungen zu China und Russland aufbauen und im Rahmen von Organisationen wie der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit, BRICS und der Eurasischen Wirtschaftsunion den US-Sanktionen und diplomatischem Druck entgegenwirken. Sollte der Iran als Reaktion auf Drohungen oder konkrete Aktionen einer Trump-Regierung sein Atomprogramm militärisch ausbauen, würde das die ganze Lage noch komplizierter machen. Teherans Logik scheint auf einer Kosten-Nutzen-Analyse zu gründen; sollte es mit Sanktionen konfrontiert werden, mit denen sonst Atomstaaten belegt werden, ohne jedoch selbst Atomwaffen zu besitzen, könnte das Regime dadurch veranlasst werden, in diese Richtung zu arbeiten. Eine solche Wendung könnte die regionale Sicherheitslage ganz bedeutend ändern.
Regionale Akteure haben mittlerweile echte Zweifel am Fortbestand der politischen und wirtschaftlichen Dominanz der USA
Der Ausbau der iranisch-saudischen Beziehungen, die seit mehr als einem Jahr durch den Abbau von politischen Spannungen und Gespräche über eine sicherheitspolitische Zusammenarbeit geprägt sind, deutet darauf hin, dass der Nahe Osten in Zukunft widerstandsfähiger gegenüber äußerem Druck sein wird. Dass sich die Golfstaaten zuletzt zurückhielten, wenn es darum ging, US-Militäraktionen gegen iranische Verbündete zu unterstützen, unterstreicht diese neue Dynamik.
Neue Wege könnte eine Trump-Regierung in Syrien und im Irak gehen – zwei Staaten, auf deren Territorium US-Truppen regelmäßig von Milizen angegriffen wurden, die vom Iran unterstützt werden. Denn die Normalisierung der Beziehungen zwischen den arabischen Staaten und dem Assad-Regime sowie die Wiedereingliederung Syriens in die Arabische Liga haben der US-Außenpolitik ihre Grenzen aufgezeigt. Im Irak setzen vom Iran unterstützte Gruppierungen die Regierung in Bagdad bereits heute stark unter Druck, ein Ende der US-Präsenz auszuhandeln.
Trotzdem dürfte auch eine Neuausrichtung der amerikanischen Syrien- und Irak-Politik vor allem Washingtons Gegnern in die Karten spielen. Denn sollten die USA den Druck auf Assad erhöhen, etwa durch verschärfte Sanktionen, könnte dies die arabisch-syrische Zusammenarbeit vielleicht einschränken, jedoch sicherlich nicht zu einem Abbruch der gerade erneuerten diplomatischen Beziehungen führen. In ähnlicher Weise würde ein forscheres Vorgehen im Irak die Spannungen vor Ort nur verschärfen und das Land weiter destabilisieren. Das außenpolitische Dilemma in Syrien und im Irak bleibt also bestehen, unabhängig davon, wer der nächste US-Präsident wird.
Eine veränderte politische Landschaft
Analysiert man die amerikanische Außenpolitik im Nahen Osten vor dem Hintergrund einer möglichen zweiten Amtszeit von Donald Trump, wird deutlich, dass sie oft eher von regionalen und globalen Dynamiken beeinflusst wird als von der Person, die im Oval Office sitzt. Auch wenn Trumps eigenwilliger Ansatz in der Nahost-Politik und sein Hang zu einseitigen Entscheidungen die Lage in der Region beeinflusst haben, so haben doch viele der dortigen geopolitischen Entwicklungen ganz andere Wurzeln und setzen der Politik eines jeden US-Präsidenten enge Grenzen.
Die Bildung neuer Allianzen und diversifizierter Partnerschaften sowie das Wiederaufleben alter Konflikte zeigen, dass es die USA im Nahen Osten mit einem regionalen Ökosystem zu tun haben, das zunehmend resistent gegen direkten externen Einfluss ist. Regionale Akteure haben mittlerweile echte Zweifel am Fortbestand der politischen und wirtschaftlichen Dominanz der USA. Die Staaten des Nahen Ostens reagieren nicht einfach nur auf die politischen Schachzüge Washingtons, sondern versuchen aktiv, sich vom Einfluss der USA zu lösen, indem sie ihre diplomatischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Netzwerke ausbauen. Die Interaktionen zwischen den arabischen Ländern und nichtwestlichen Mächten sowie die Bemühungen um innerregionale Entspannung spiegeln einen strategischen Wandel hin zu Multipolarität und Autonomie wider.
Vor diesem Hintergrund werden mögliche Kurs- und Strategiewechsel durch Donald Trump – sei es in Bezug auf die Abraham-Abkommen, den Iran oder Syrien –, auf eine politische Landschaft treffen, die sich seit seiner ersten Amtszeit deutlich verändert hat. Die Dynamik regionaler Partnerschaften und Konflikte, die verhärteten Positionen der wichtigsten Akteure und die Diversifizierung ihrer Allianzen sind beträchtliche Hindernisse für die amerikanische Außenpolitik im Nahen Osten. Zudem hat die inkonsistente Außenpolitik der USA dazu geführt, dass Gegner wie Verbündete Washingtons ihre Erwartungen und Strategien neu kalibrieren. Trumps Fähigkeit, in einer möglichen zweiten Amtszeit eine ganz neue Nahost-Politik zu verfolgen, wird durch all diese Faktoren stark eingeschränkt.
Aus dem Englischen von Kai Schnier
Internationale Politik 3, Mai/Juni 2024, S. 44-47
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