Stärken Sie die EU!
Donald Trump ist entschlossen, Deutschland in den Nationalismus und den Militarismus zu treiben. Wie Berlin und Brüssel damit umgehen, wird über Europas Zukunft entscheiden.
Liebe künftige Bundesregierung,
dass sich die europäische Integration stets um Deutschland und Frankreich und die Beziehungen zwischen den beiden Ländern gedreht hat, ist nichts Neues. Doch nun stehen wir vor der zweiten Amtszeit Donald Trumps. Das Schlimmste, was Europa jetzt passieren könnte, wäre ein Zerwürfnis zwischen diesen beiden Ländern. Deshalb wird ganz Europa die neue deutsche Regierung sehr genau beobachten. Das beste Szenario für alle Beteiligten wäre, wenn sich Deutschland für ein starkes Europa einsetzt, gemeinsam mit Frankreich.
Das mag pathetisch klingen. Aber bedenken Sie Folgendes: Trump hat für Deutschland einen besonderen Platz in der Hölle reserviert. „Die Deutschen sind böse, sehr böse“, hat er einmal gesagt und sich über „die Millionen von Autos, die sie in den USA verkaufen“ beschwert, ganz zu schweigen von den „riesigen Summen Geld, die sie uns für die machtvolle und sehr teure Verteidigung schulden, die wir für Deutschland bereitstellen“.
Tatsächlich will Trump, dass Deutschland Amerika ähnlicher wird. Es soll militaristischer werden und erhebliche Summen für die Verteidigung – und amerikanische Waffen – ausgeben. Trump will die Zölle auf deutsche Importe erhöhen und Berlin so zwingen, die deutschen Unternehmen zu schützen und dabei selbst nationalistischer zu werden. Und indem Trump multilaterale Verträge und Institutionen untergräbt oder kündigt, zerstört er die wichtigste Grundlage des stabilen Nachkriegsdeutschlands, das uns allen vertraut ist.
Kann das übrige Europa das ertragen? Kann es damit leben? Die Antwort entscheidet nicht nur über Deutschlands, sondern auch über Europas Zukunft.
Das Hauptziel der Friedensordnung nach dem Zweiten Weltkrieg war die Eindämmung Deutschlands. Der Kern der europäischen Integration bestand und besteht darin, dass Deutschland nie wieder imstande sein sollte, die Vorherrschaft auf dem Kontinent zu erlangen, da solche Vorherrschaft in der Vergangenheit oft zum Krieg mit Frankreich geführt hatte.
Alle Staaten, die an dieser Integration teilnahmen, wurden Teil eines gemeinsamen Wirtschaftssystems und in dasselbe Korsett von Regeln eingebunden, die für alle verbindlich waren. Auf diese Weise wurden die politischen Probleme zwischen europäischen Ländern, die in der Vergangenheit so oft eskaliert waren und in den Krieg geführt hatten, nun zu technischen Problemen – wobei die Brüsseler Bürokraten jedes Mal das Problem formulierten und technische Lösungen dafür fanden, sodass die Regierungen weitermachen und sich über neue Themen austauschen konnten.
Für Europas Bürgerinnen und Bürger ist diese technokratische Regierungsführung, die politische Konflikte in Fischereiquoten oder Chemikalienrichtlinien auflöst, schwer verständlich. Ansonsten ist es jedoch ein wirklich brillantes System. Ihm ist es zu verdanken, dass die europäischen Staaten über eine so lange Zeit Krieg vermeiden konnten wie kaum je in der Geschichte. Allerdings vergessen die Menschen zuweilen, dass dieses System von Beginn an von Amerika unterstützt wurde.
Sieben Jahrzehnte lang waren die USA der Beschützer Europas. In diesem Rahmen war es kaum jemals nötig, das heikle Thema der Remilitarisierung Deutschlands zur Sprache zu bringen. Ein minimal militarisiertes Deutschland kam den Amerikanern (und den Franzosen!) sehr gelegen. Auch für die Deutschen selbst, bei denen die Angst vor der deutschen Macht wahrscheinlich noch größer ist als bei den meisten anderen Europäern, erwies es sich als Geschenk des Himmels. Unter dem amerikanischen Sicherheitsschirm hatten sie die Chance, ihr Land in einen weltoffenen und freundlichen Ort zu verwandeln, vor dem niemand Angst zu haben brauchte. Ein Land der Ingenieure und Autobauer, die Schöner Wohnen lesen.
Jetzt steht das gesamte Nachkriegsarrangement auf dem Spiel. Die USA sagen sich von der Vereinbarung los, und das gerade in dem Moment, in dem Russlands Krieg in der Ukraine, der sich leicht ausweiten kann, ein weitgehend entmilitarisiertes Europa vor die größte sicherheitspolitische Herausforderung seit Jahrzehnten stellt.
Präsident Trump macht die militärische Unterstützung für europäische Länder unter anderem von der Höhe ihrer Militärbudgets und ihrer Handelsbilanz abhängig. Im Grunde genommen bilateralisiert er die amerikanische Unterstützung für Europa. Polen ist dabei. Estland auch. Doch wenn es um Deutschland geht, ist Trump nicht zu Nachsicht bereit. Trotz aller deutschen Bemühungen in den vergangenen Jahren, trotz der Zeitenwende – Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Unterstützer der Sicherheit der Ukraine – betrachtet er das Land als „Trittbrettfahrer“.
Und so steckt Deutschland, das seit der russischen Invasion der Ukraine instinktiv in Washington um Schutz nachsucht – im Austausch für den Kauf amerikanischer Waffen und die Unterstützung amerikanischer Positionen in Europa und der NATO –, nun in der Klemme. Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz standen sich nahe. Unter Donald Trump läuft Deutschland Gefahr, von seinem wichtigsten Beschützer schikaniert oder im Stich gelassen zu werden.
„Trittbrettfahren ist zu einem wesentlichen Bestandteil der deutschen nationalen Identität geworden“, schrieb der Politologe Hans Kundnani 2015 in seinem Buch „The Paradox of German Power“. Heute beklagt man sich in Europa gern darüber, dass Deutschlands Wandlung von einem pazifistischen „Wandel durch Handel“-Land mit einer schwachen Armee zu einem Sicherheits- und Verteidigungsstaat halbherzig und nicht schnell genug geschehe.
Natürlich haben alle Schwierigkeiten, sich an eine neue, merkantilistische Welt mit Großmächten anzupassen, die Europa als Schachbrett benutzen. Noch wichtiger ist, dass sie gern vergessen, dass Deutschland das Land in Europa ist, das derzeit die härteste Zeitenwende durchmacht. Wäre die Transformation in Deutschland schneller vonstattengegangen, wäre die Kritik seitens anderer Europäer wahrscheinlich noch schärfer ausgefallen. Denken Sie daran, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel während der Eurokrise vor einem Jahrzehnt in griechischen Zeitungen dargestellt wurde, als die größte Herausforderung noch nicht militärischer, sondern vor allem finanzieller und monetärer Natur war: in einer Nazi-Uniform.
Was Deutschland tut, es ist verkehrt
Es braucht schwere Krisen, damit deutlich wird, dass das deutsche Problem, das der europäischen Integration zugrunde liegt, noch immer existiert – es wurde nur eingedämmt. Heute drängen manche europäischen Länder darauf, dass Deutschland stärker wird; andere fühlen sich mit einem starken Deutschland unwohl. Was Deutschland auch tut, es ist verkehrt. Diese ständige Ambivalenz gegenüber dem größten Land Europas macht es so schwer für Berlin, seinen Kurs radikal zu ändern, vor allem, wenn die größte Herausforderung militärischer Natur ist.
Der beste Weg für Deutschland, diesen Wandel – auch militärisch – zu vollziehen, ohne das empfindliche Gleichgewicht in Europa zu stören, besteht darin, einen Alleingang zu vermeiden und die Transformation in einen durch und durch europäischen Kontext zu stellen, gemeinsam mit anderen. Mit anderen Worten: Deutschland sollte sich für mehr Europa einsetzen. Im Tandem mit Frankreich sollte es auf mehr Integration drängen und Europa viel stärker machen, auch militärisch. Nur in einem solchen Rahmen, sicher eingebettet in eine größere Einheit, kann Deutschland im Windschatten verharren und die Verursachung größerer Spannungen auf dem Kontinent vermeiden.
Hier liegt die Hauptaufgabe der neuen Regierung in Berlin: Statt Europa auszubremsen, sollte sie mit neuem Elan in die Gemeinschaft investieren. Sie sollte ihre Abhängigkeit von russischer Energie reduzieren und sich mit ganzer Kraft für eine europäische Energieunion einsetzen. Sie sollte ihre Unternehmen dazu ermutigen, weniger Geschäfte mit China zu machen und mehr „Friendshoring“ in Europa zu betreiben. Sie sollte die neuen Vorschläge der Kommission für ein Beschaffungswesen annehmen, das auf dem Prinzip „Buy European“ beruht.
Sie sollte die Militärhilfe für die Ukraine erhöhen und Eurobonds, gemeinsame europäische Kredite, einführen, damit sich die europäische Waffenindustrie entwickeln kann. Sie sollte nationalistischen Tendenzen zur Schließung von Grenzen oder zum Schutz der eigenen Unternehmen widerstehen und sich so weit wie möglich an die EU-Vorschriften halten. Sie sollte versuchen, gute Beziehungen zur Trump-Regierung in den USA zu unterhalten – aber nicht, wenn Europa dadurch geschwächt würde.
Und schließlich sollte sie, anders als es leider in vielen EU-Mitgliedstaaten üblich geworden ist, den Bürgern erklären, warum sie diesen Kurs einschlägt, und für das gemeinsame europäische Interesse eintreten. Je stärker Europa ist – wirtschaftlich, politisch, militärisch und sogar psychologisch –, desto größer ist die Chance, dass es diese turbulente Phase seiner Geschichte relativ unbeschadet übersteht. Ein starkes Europa ist für Deutschland mit Abstand die beste Wahl.
Aus dem Englischen von Bettina Vestring
Internationale Politik 2, März/April 2025, S. 58-60