Porträt

25. Juni 2021

Showdown in Kischinau

Dass Maia Sandu mächtige Männer besiegen kann, hat sie bewiesen. Am 11. Juli aber stellt sich die Präsidentin der Republik Moldau gegen ein ganzes korruptes System. Dann will sie in den Parlamentswahlen eine Mehrheit für ihre Reformen gewinnen.

Sie wolle Ackerland an die Ausländer verschachern und in Moldau die Homo- Ehe einführen, ließen die Wahlkampfhelfer des damaligen Präsidenten Igor Dodon verbreiten. Sie verkörpere den Liberalismus: eine Gefahr für die traditionelle Familie, für das orthodoxe Christentum und die Menschheit, die jetzt Gottesstrafen wie Covid und Dürre ertragen müsse, sagte ein moldauischer Bischof.

Sie sei wohl slbst eine Lesbe, raunte es in den sozialen Netzen. Der Präsidentschaftswahlkampf 2020 war nicht die erste schmutzige Kampagne gegen Maia Sandu. Und er wird nicht der letzte sein.



Maia Sandu: 49 Jahre, unverheiratet, kinderlos. Interviews gibt die schmale Frau am liebsten vor der Europa-Flagge – und das, obwohl Moldau eigentlich nur lose per Assoziierungsabkommen an die EU angebunden ist. In der Stichwahl im vergangenen November wurde sie mit überraschend klarer Mehrheit zur Präsidentin der kleinen Republik gewählt – als erste Frau in diesem Amt. Moldau, der krisengeschüttelte Staat zwischen Rumänien und der Ukraine, gilt als Armenhaus am Rande Europas. Die Jungen und Arbeitsfähigen verdingen sich im Ausland, kleine Kinder und alte Eltern leben von dem Geld, das sie schicken. Das Gesundheitssystem hat schon der Tuberkulose kaum etwas entgegenzusetzen, jetzt grassiert auch noch die Corona-Pandemie. Ein Herkulesakt, den Menschen den Glauben an ihr Heimatland zurückzugeben.



Auf der neuen Präsidentin ruhen viele Hoffnungen, denn Sandu hat eine ehrgeizige Reformagenda. Allem voran: die Neuordnung des Justizapparats. Doch besitzt sie auch die Macht, das durchzusetzen? Bislang nicht, soviel ist sicher. Bislang sei das Parlament „von illegal finanzierten Parteien“ dominiert, bringt es Sandu auf den Punkt. So dringe „die Korruption in alle Strukturen der Staatsmacht“.



Neben der starken Fraktion der Sozialisten unter dem Vorsitz von Ex-Präsident Dodon sind im moldauischen Parlament noch immer die Parteien der Oligarchen Vlad Plahotniuc und Ilan Shor vertreten. Beide werden mit der organisierten Kriminalität in Verbindung gebracht und sind längst ins Ausland geflüchtet.



Am 11. Juli könnten sich die Machtverhältnisse in der Republik ändern. Denn an diesem Tag wählen die Moldauer ein neues Parlament. Und die von Maia Sandu gegründete Partei „Aktion und Solidarität“ (PAS), die bislang nur 15 der insgesamt 101 Sitze innehat, legte zuletzt in der Wählergunst stark zu.



Regulär hätten die Wahlen erst 2023 stattfinden sollen. Dass sie vorgezogenen wurden, hat Präsidentin Sandu mit einem Kraftakt erreicht. Und dabei hat sich gezeigt: Die Jahre, die sie in zähem Ringen mit dem von Oligarchen gekaperten System verbracht hat, sind nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Die Harvard-Absolventin – Lichtgestalt für so viele in Moldau und in der westlichen Welt – ist längst selbst zu einer Politstrategin geworden, die austeilen kann. Aber dazu später.



Kampf der Korruption

Maia Sandu hätte sich ihr Leben leichter machen können. Sie hätte nur im reichen Ausland bleiben müssen, als ihr dort alle Türen offenstanden. Warum kehrte sie in ihr krisengeschütteltes Heimatland zurück? Hatte sie geglaubt, dass sie als US-erfahrene Anpackerin dort bei allen hochwillkommen wäre? Hat sie in Moldau eine Mission für mächtige Unterstützer aus dem Westen zu erfüllen? Ist sie gar Amerikas Königin im großen Schachspiel um Einflusszonen an der EU-Ostgrenze? Das vermuten ihre prorussischen Gegner.



Die Tochter eines Tierarztes und einer Lehrerin aus dem ländlichen Risipeni hat eine bemerkenswerte Karriere hinter sich. Schon im Studium bringt sie es bis an die Eliteuniversität Harvard. Viersprachig in Rumänisch, Russisch, Englisch und Spanisch, arbeitet sie zwischen 2010 und 2012 als Beraterin bei der Weltbank in Washington D.C.



Damals gilt ihr Heimatland im Westen noch als leuchtendes Vorbild der Transformation. Die Europäische Union umwirbt das kleine Moldau als hoffnungsvollen Beitrittskandidaten: wirtschaftlich unbedeutend, geopolitisch dafür hochrelevant. Denn in Transnistrien, in der abtrünnigen Region im Osten des Landes, ist ein Regime an der Macht, das sich an Russland orientiert und russische Truppen auf seinem Territorium stationiert hat.



Kaum zurück in Moldaus Hauptstadt Kischinau, bekommt Maia Sandu den Posten der Bildungsministerin angeboten. Darin begründet sie ihren Ruf als kompromisslose Anti-Korruptionskämpferin. Doch im Windschatten der Weltpolitik sind längst die Oligarchen erstarkt. Sie umschmeicheln die westlich geprägten Reformer, installieren ihre Minister in deren Kabinetten und schreiben an Gesetzen mit. Sie bestechen Richter und verwandeln Moldaus Justizapparat in eine hocheffektive Geldwaschanlage für reiche Russen. Das eigene Land lassen sie ausbluten: Beim sogenannten „Betrug des Jahrhunderts“ verschwindet über Nacht eine Milliarde Dollar von moldauischen Bankkonten. Auch die Fördergelder der EU versickern, bevor sie bei der Bevölkerung ankommen.

Maia Sandu gründet die PAS-Partei. Im Jahr 2016 tritt sie zum ersten Mal im Präsidentschaftswahlkampf an. Doch die Wähler, entsetzt über das Ergebnis der angeblich zu prowestlichen Reformen, wählen den Sozialisten Igor Dodon zu ihrem Präsidenten. Seither taumelt das Land von Krise zu Krise. Die Straßenschluchten von Kischinau werden zum Hexenkessel für wütende Demonstranten und martialisch ausgerüstete Sicherheitskräfte.



Nur die Parlamentswahlen im Jahr 2019 bringen einen kurzen Lichtblick: Eine Koalition aus Sozialisten und proeuropäischen Parteien findet sich zusammen, um die Regierungspartei PDM des Oligarchen Vladimir „Vlad“ Plahotniuc zu entmachten. Im Juni 2019 wird Maia Sandu zur Premierministerin von Moldau ernannt. Ein halbes Jahr später ist die Regierungskoalition schon wieder zerbrochen. Sandu wird per Misstrauensvotum gestürzt – und bewirbt sich kurz darauf ein weiteres Mal für den Präsidentschaftsposten.



Vielköpfige Gegnerschaft

Dieses Mal ist alles anders. Jetzt hat die Anti-Korruptionskämpferin eine glühende Anhängerschaft hinter sich, die sie in zwei Wahlgängen ins Amt trägt. Doch wird diese Zustimmungswelle bis zu den Parlamentswahlen am 11. Juli anhalten? Seit Sandu Präsidentin ist, steckt Moldau in einer Verfassungskrise. Um den Wahltermin in eine Zeit zu legen, in der die Popularitätswerte ihrer PAS-Partei hoch sind, ist sie weit gegangen, vielleicht zu weit.



Nach dem Rücktritt des kommissarischen Ministerpräsidenten Ion Chicu Ende 2020 nominierte Sandu zweimal hintereinander eine Politikerin als Chicus Nachfolgerin, die derart unpopulär ist, dass sie aus dem Parlament keine einzige Stimme erhielt. Nur für einen solchen Fall sieht die moldauische Verfassung vorgezogene Parlamentswahlen vor. Doch die Sozialisten haben beim Verfassungsgericht Berufung eingelegt – und angesichts von Sandus geplanter Justizreform mit ihren vorhersehbaren personellen Neubesetzungen dürften die Verfassungsrichter alles andere als neutral sein.



Maia Sandu hat viel erreicht, seit sie 2012 den Kampf gegen die Korruption aufgenommen hat. Sie hat zwei kriminelle Oligarchen in die Flucht geschlagen und einen prorussischen Präsidenten auf demokratischem Weg abgelöst. Jetzt aber steht sie einer vielköpfigen Gegnerschaft gegenüber: all den Abgeordneten, Funktionären, Staatsanwälten, Richtern, die in korrupten Strukturen ihre einträglichen Nischen gefunden haben. Sollte Sandu am 11. Juli die Unterstützung des Parlaments für ihre Reformen gewinnen, droht ihnen allen die Strafverfolgung. Abertausende kleine moldauische Beamte werden alles daransetzen, um der neuen Präsidentin diesen Machthebel nicht in die Hand zu geben.

 

Andrea Rehmsmeier lebt und arbeitet als freiberufliche Journalistin in Hannover, u. a. für den Deutschlandfunk, für Spiegel, ZEIT, FAZ und andere Printmedien. Zu ihren Schwerpunkten gehören Hintergrundstücke aus Mittel- und Osteuropa.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli / August 2021, S. 9-11

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