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01. Juli 2016

Schachtürken und Supercomputer

Wer wissen will, was Künstliche Intelligenz leisten kann, muss Serien gucken

Jahrhundertelang konnte sich der Mensch eine Künstliche Intelligenz nicht anders vorstellen, denn als Homunculus aus Blech und Draht. Dabei geht es gar nicht um die naturgetreue Nachahmung menschlicher Bewegungsfähigkeit. Sondern um Speicherplatz, eigenständig lernfähige Algorithmen und vielleicht sogar digitale Diktatur. Eine kleine Geschichte der KI.

Es muss wohl der brennende Wunsch nach Perfektion sein, der den Menschen treibt, sich nicht mit der eigenen, etwas störanfälligen Spezies zu begnügen, sondern ein nie ermüdendes, nicht zu Fehlern neigendes und schon gar nicht launenhaftes Wesen zu schaffen. Intelligent sollte es natürlich auch sein. Und was wäre besser geeignet, Intelligenz, wenigstens der analytischen Sorte, in Form möglichst vieler gewonnener Schachpartien zu beweisen? 1789 baute der österreichisch-ungarische Hofbeamte und Mechaniker Wolfgang von Kempelen eine Schachmaschine in Form eines in türkische Tracht gekleideten Mannes. Der konnte den linken Arm heben, blickte nach jedem Zug auf dem Brett umher, wackelte bei falschen Zügen mit dem Kopf und verursachte bei jeder seiner Bewegungen uhrwerkartige Geräusche.

Der Schachtürke war eine Sensation. Er gewann fast jede Partie. Er ging mit seinem Erfinder Kempelen auf große Tour. Er zeigte seine Kunst vor Kaiser Joseph in Wien, König Friedrich dem Großen in Potsdam und Großfürst Paul in St. Petersburg. Nachdem er seinen Besitzer gewechselt hatte, gelangte er sogar bis in die USA. Aber sein Geheimnis gab er lange nicht preis. Erst knapp 60 Jahre nach seinem ersten Auftritt stellte sich heraus: obwohl von Kempelen eine große Show daraus machte, den Maschinenkasten vor Beginn der Vorführung zu öffnen, waren eben doch Menschen darin versteckt, die des Schachtürken Arm führten.

Der maschinelle Schachgroßmeister erwies sich als geschickter Schwindel. Und doch hat Kempelen ein Erbe hinterlassen. Der Begriff „etwas türken“ geht auf den Schachtürken zurück. Der Traum von der künstlichen Schachintelligenz blieb erhalten und wurde mit dem Computerzeitalter neu erweckt. Eine moderne Rekonstruktion des Schachtürken steht heute im Heinz Nixdorf Museums- Forum in Paderborn. Und 1996 war dann die wirkliche Sensation zu erleben. Als erstem Computer gelang es Deep Blue, Schachweltmeister Gary Kasparow zu schlagen. Ein Jahr später siegte Deep Blue sogar in einem ganzen Wettkampf über sechs Partien unter Turnierbedingungen.

Für den Erfinder Rotwang ist es nicht der Drang nach Perfektion, sondern Verlustschmerz, Rachsucht, aber auch soziales Revoluzzertum, die ihn dazu brachten, einen „Maschinen-Menschen“ zu erschaffen. Eine mit zerstörerischer Macht, die das Reich seines Widersachers Joh Fredersen mitsamt seiner Zweiklassengesellschaft zerstören soll. „Noch 24 Stunden Arbeit“, droht er Fredersen, „und kein Mensch wird den Maschinen-Menschen von einem Erdgeborenen unterscheiden können“. Womit er ziemlich genau die anfängliche Idee der Künstlichen Intelligenz umschreibt, nämlich ununterscheidbar von der des Menschen zu sein. Fritz Langs Klassiker Metropolis ist natürlich nicht nur ein Film über einen enttäuschten Mann, der einen Roboter baut und diesem schließlich, in Gestalt der unvergesslichen Brigitte Helm, das Gesicht der geliebten Maria gibt – jener Frau, die Rotwang liebte und die Fredersen ihm weggenommen hatte. Es ist eine Großkritik an der Moderne und der Technologie, die sie hervorbringt. Lang kann sich eine solche Welt nicht anders denn als modernes Sklavenhaltertum vorstellen, in der gesichtslose Arbeiter eine ominöse Maschine bedienen, während die herrschende Klasse die gezähmte Natur genießt.

Es ist das Kultwerk für Nerds, Geeks, solche die es werden wollen oder einfach nur Freunde schrägen britischen Humors. Angeblich entstanden, als Autor Douglas Adams betrunken auf einem Acker irgendwo in der Nähe von Innsbruck lag und in den Sternenhimmel starrte, wurde die 1978 zuerst ausgestrahlte, zunächst fünfteilige BBC-Hörspielserie Per Anhalter durch die Galaxis zu einem der erfolgreichsten Sci-Fi-Romane. Und die Geschichte? Machen wir es eher kurz: Durchschnitts-Engländer gerät nach Zerstörung der Erde auf ein Raumschiff, auf dem er unter anderem den depressiven Roboter Marvin trifft, begibt sich mit seinen Freunden auf die Suche nach dem legendären Planeten Magrathea, erfährt dort, dass die Erde in Wahrheit ein Supercomputer war, an dem er mitgearbeitet hat. Und welche Aufgabe sollte der Supercomputer erledigen? Natürlich. Die Frage nach dem Sinn des Lebens, des Universums und überhaupt allem beantworten. Dummerweise hat Deep Thoughts Vorgänger nach sieben Millionen Jahren Rechenzeit die Frage vergessen. Und Deep Thought selbst wird von bösen Vogonen fünf Minuten vor Ablauf des zehn Millionen Jahre dauernden Programms zerstört. Oh dear. Im Original lieh übrigens die britische Schauspielerin Helen Mirren dem Supercomputer ihre Stimme. Ob Deep Thought deshalb zum Vorbild des Schachmeisters Deep Blue wurde?

Nun ja, wir Menschen haben es auch in diesem Film mal wieder hingekriegt: Totale Zerstörung der Erde nach einem Atomkrieg. Nur ein Teil der Menschheit hat überlebt, und in James Camerons Terminator ist es auch mit der Entwicklung Künstlicher Intelligenz für die Menschen nicht so toll gelaufen. Die überlebenden Erdlinge dienen nämlich im Jahr 2029 intelligenten Kriegsmaschinen. Weil sich die Kreaturen aus Fleisch und Blut dagegen zu wehren beginnen und deren Anführer John Connor auch Erfolg zu haben scheint, schicken die Maschinen einen der ihren – genau, Arnold Schwarzenegger – in die Vergangenheit zurück, um zu verhindern, dass der künftige Widerstandskämpfer überhaupt erst geboren wird. Künstliche Intelligenz, Zeitmaschine, die Überwindung des Zeit-Raum-Kontinuums, der Film enthält eigentlich alles, was man sich wünschen kann, um der physisch beschränkten Erdenexistenz zu entkommen. Und doch geht es dem Menschen wie einst Goethes Zauberlehrling. Er beherrscht die Kreatur nicht, die er selbst schuf. Apropos Intelligenz: Allzu viel Vertrauen in die Eloquenz ihres Kampfroboters scheinen die Erfinder des Terminators nicht gehabt zu haben. Schwarzenegger spricht in diesem Film nur 17 Sätze mit etwa 70 Wörtern. Mehr muss er auch nicht sagen, im Gedächtnis bliebt ja ohnehin nur sein legendär knapper Schlusssatz: I’ll be back.

Es wäre genau, was sich Geheimdienste erträumten, um schlauer spionieren zu können: Eine Maschine, die potenzielle Terroristen und Attentäter erkennt, bevor sie größeren Schaden anrichten können. So ist es vermutlich kein Zufall, dass der amerikanische Fernsehsender CBS die erste Staffel der Serie ­Person of Interest fast genau zehn Jahre nach 9/11 ausgestrahlt hat. Dem Protagonisten der Serie, IT-Genie Harold Finch (Foto, gespielt von Michael Emerson) ist es gelungen, „Die Maschine“ zu bauen, ein Big-Data-Moloch, das alles, was sich im virtuellen Raum befindet, zusammenzuführen weiß. Und das ist aufgrund Tausender Überwachungskameras, breitester, von uns selbst gelegter Datenautobahnen, gigantischer Speicherkapazitäten im Prinzip unser gesamtes Leben. „You are being watched“, sagt Finch im Vorspann der Serie, „the government has a secret system, a machine, that spies on you every hour, every minute. I know it, because I built it.“ Seine Erfindung haben Finch und dessen Geschäftspartner nämlich für einen symbolischen Preis an die Regierung verkauft. Wer würde auch nicht gerne dabei helfen, Terrorattentate zu verhindern, die vielen Menschen das Leben kosten könnten? Nur beginnt damit auch schon das Problem. Weil Regierungen dumme Dinge mit zu vielen Daten anstellen, böse Kräfte die Maschine haben wollen – und, weil das alte menschliche Gewissen pocht. Finch kann es nicht akzeptieren, dass nur „relevante“ Gewaltakte, also Terrorattentate verhindert werden sollen, aber nicht „irrelevante“ Kapitalverbrechen, die jeden Tag in der großen Stadt New York geschehen. So heuert der menschenscheue Milliardär den ehemaligen CIA-Mann John Reese an, der ihm dabei helfen soll, diese Menschen zu retten. Das Ganze könnte eine Haudrauf-Serie sein, in der ein cooler, immer Anzug tragender Ex-CIA-Supermann ein paar böse Kerle verprügelt und gemeinsam mit einem schrägen Technikvogel Verbrechen verhindert. Was als Geschichte wohl nicht ganz ausreichen würde, um eine Serie über fünf Staffeln zu bringen und eine Menge Preise zu gewinnen. Vielmehr erzählt der britische Drehbuchautor der Serie, Jonathan Nolan, dem Zuschauer alles, was man über Big Data nie so genau wissen wollte, aber unbedingt wissen sollte. Und nicht nur das: Geradezu subtil setzt er die grenzenlose Welt von Big Data und Künstlicher Intelligenz in Verbindung mit der Welt menschlicher Erfahrung. Harold Finchs Hauptquartier ist eine verlassene Bibliothek, dieses Jahrhunderte alte Speichermedium menschlichen Wissens. Die Codes, die die Maschine ausspuckt, orientieren sich an den Signaturen der Bücher. Als Finch die Maschine lehrt, den Menschen zu verstehen, damit sie das Abweichende – und in seiner Vorstellung auch das Gefährliche – erkennen könne, beschert sie ihm die Begegnung mit seiner großen Liebe. Weil das Abweichende eben auch das Besondere sein kann.

Was ist Maebelline Holland nur für eine anstellige junge Dame. Und so froh, dass sie durch die Vermittlung ihrer College-Freundin Annie einen Job im coolsten Unternehmen des Silicon Valley, ach was, der USA, wenn nicht der ganzen Welt gefunden hat: Sie steigt ein als Kundenbetreuerin bei Der Circle, einer Art Konglomerat aus Google-Facebook-­Apple-Twitter, das von drei geheimnisvollen Gründern geleitet wird. Weil sie so anstellig ist und nicht etwa nur über einen, sondern bald über mehrere Bildschirme Kunden bedienen, ihr Team anleiten und überwachen und ihren von der Firma erwarteten Social-Media-Aktivitäten so fantastisch multitaskend nachgehen kann, macht sie auch bald Karriere. Immer im festen Glauben, dass die Leitsprüche der Firma „Geheimnisse sind Lügen“ oder „Privatsphäre ist Diebstahl“ wahrer nicht sein könnten und zu einer besseren Gesellschaft beitragen, stellt sie sich selbst als Testperson für das neueste Pilotprojekt zur Verfügung: totale Transparenz. Sie trägt fortan die Minikamera „SeeChange“ am Körper, um über jede Minute ihres Daseins Rechenschaft zu geben. Schließlich soll „SeeChange“ demnächst überall eingesetzt werden. Von Politikern, denn wirklich rechtschaffene Menschen haben doch nichts zu verbergen, oder? Von Eltern, die so ihre Kinder auf Schritt und Tritt überwachen können, damit den Kleinen nur nichts zustößt? Von jedermann, denn wir alle zusammen wollen doch an der Schaffung einer besseren Welt mitwirken? Dave Eggers Buch ist literarisch gewiss kein neues „1984“. Aber doch, um einen weiteren Klassiker zu nennen, ein Blick in die „Brave New World“ eines so sanft und gutwillig daherkommenden, aber doch so beklemmenden digitalen Totalitarismus.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli-August 2016, S. 50-53

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