Online-Veröffentlichung

26. Febr. 2025

Putin will ein zweites Jalta

Wie Russland den 80. Jahrestag der Krim-Konferenz nutzt, um seine Machtansprüche zu begründen. Die russische Regierung und die staatliche Propaganda werben für die Notwendigkeit, die Welt zwischen Russland, China und den USA neu aufzuteilen.

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Bild: Churchill, Roosevelt und Stalin bei der Jalta-Konferenz
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Gemeinfrei CC0

In diesem Jahr jährt sich zum 80. Mal die Konferenz von Jalta, bei der Franklin D. Roosevelt, Winston Churchill und Josef Stalin die Nachkriegsordnung aushandelten. Aus diesem Anlass schrieb der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha auf der Plattform X: „Vor 80 Jahren wurden in Jalta die Nachkriegsordnung und die Einflusssphären festgelegt. Heute will Putin ein neues ‚Jalta‘, neue Grenzen und Einflusssphären. Im Interesse einer sicheren Welt müssen die illegitimen Forderungen des Aggressors zurückgewiesen werden. Stattdessen muss er zu einem gerechten Frieden gezwungen werden.“

Die Konferenz von Jalta (4. bis 11. Februar 1945) und die Potsdamer Konferenz (17. Juli bis 2. August 1945) legten den geopolitischen Rahmen der Nachkriegsordnung fest: Osteuropa fiel unter sowjetische Kontrolle, Westeuropa schloss sich den USA und ihren Verbündeten an. Und es wurde der Grundstein für die Vereinten Nationen als Mechanismus für kollektive Sicherheit und Konfliktlösung gelegt. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 erodierte diese Stabilität. Ehemalige Mitglieder des Warschauer Pakts und ehemalige Sowjetrepubliken traten NATO und EU bei; das schwächte Russlands Einflussbereich und stellte seine geopolitischen Bestrebungen infrage.

2008 marschierten russische Truppen in Georgien ein; 2014 annektierte Russland die Krim; 2022 begann der Krieg gegen die gesamte Ukraine. Diese Ereignisse zeigen auch die Grenzen internationaler Institutionen auf und verdeutlichen die Unfähigkeit der Vereinten Nationen und westlicher Mächte, Aggressionen abzuwehren oder einen dauerhaften, gerechten Frieden durchzusetzen.
 

Historischer Revisionismus als politisches Instrument

Der russische Staat und seine politischen Eliten berufen sich auf das Erbe der Konferenz von Jalta, um ihre geopolitischen Ambitionen zu rechtfertigen. So schrieb Wladimir Putin im Juni 2020 anlässlich des 75. Jahrestags des „Großen Sieges“ der Sowjetunion: „Der historische Revisionismus, den wir derzeit im Westen erleben – insbesondere in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen – ist gefährlich, weil er die 1945 auf den Konferenzen von Jalta und San Francisco festgelegten Grundsätze der friedlichen Entwicklung auf zynische Weise verzerrt. Die wichtigste historische Errungenschaft von Jalta und den anderen Abkommen dieser Zeit war die Schaffung eines Mechanismus, der es den Großmächten ermöglichte, ihre Differenzen im Rahmen der Diplomatie beizulegen.“

Weniger als zwei Jahre nach der Berufung auf den „Rahmen der Diplomatie“ startete Putin eine groß angelegte Invasion der Ukraine. Sechs Jahre zuvor hatte er bereits die Krim annektiert und einen Krieg in der Ostukraine entfacht – Ereignisse, die den endgültigen Zusammenbruch des Jalta-Potsdam-Systems markieren.

Die russische Propaganda behauptet, dass es der Westen war und nicht Moskau, der den „Geist von Jalta“ durch die Erweiterung der NATO und die „Untergrabung“ der Sicherheit Russlands verletzt habe. Dieser Darstellung zufolge legitimierte die Konferenz von Jalta die Kontrolle Moskaus über die ehemaligen Sowjetrepubliken, während deren Demokratisierung und das Engagement des Westens ein unrechtmäßiger Eingriff sei. So schrieb der russische Außenminister Sergej Lawrow in „Russia in Global Affairs“ über das Erbe der Konferenz, dass der Westen die Prinzipien von Jalta „verraten“ habe. Er behauptete insbesondere, dass der neue US-Außenminister Marco Rubio die moderne Weltordnung als ein Instrument betrachte, das gegen amerikanische Interessen eingesetzt wird. „Das heißt, nicht mehr die Jalta-Potsdam-Ordnung – mit den Vereinten Nationen im Zentrum – wird als inakzeptabel angesehen, sondern sogar die sogenannte ‚regelbasierte Ordnung‘ wird jetzt abgelehnt. Einst als Verkörperung Washingtoner Arroganz und westlichen Eigeninteresses nach dem Kalten Krieg angesehen, wird auch sie nun abgelehnt“, schrieb Lawrow und fügte hinzu: „Eine Rückkehr zum vorherigen Status quo, für den sich die USA und ihre Verbündeten lange Zeit eingesetzt haben, wird es nicht geben, da sich die demografischen, wirtschaftlichen, sozialen und geopolitischen Bedingungen unwiderruflich geändert haben.“

Auch die staatliche Nachrichtenagentur TASS verzerrt das Vermächtnis von Jalta, um die russischen Ambitionen zu rechtfertigen. In einem Artikel zum Jahrestag der Konferenz heißt es dort: „Die Großen Drei haben den Frieden auf der Erde für die nächsten 50 Jahre gesichert, und jetzt sind 80 Jahre vergangen. Etwa ein halbes Jahrhundert lang wurde der Frieden aufrechterhalten – mit nur lokalen Konflikten – ohne größere Kriege in Europa oder Amerika.“ Mit diesen Worten behaupten russische Propagandisten, dass das „Ablaufdatum“ des Jalta-Potsdam-Systems überschritten sei – was neue geopolitische Ausrichtungen und eine neue Aufteilung der Einflussbereiche erforderlich mache.

Moskau präsentiert sich als Anhänger der Idee eines „Neuen Jalta“ und, wie 1945, als wichtiger Akteur bei der Gestaltung einer überarbeiteten Weltordnung. Das heutige Russland befindet sich jedoch in einer weitaus schwächeren geopolitischen Position als die damalige Sowjetunion; es fehlt ihm an globaler Reichweite und Einfluss. Aber diese Darstellung ist für den Kreml nach wie vor nützlich, denn sie fördert die Illusion von Großmacht. Die Verklärung der Vergangenheit, die durch Verweise auf historische Gipfeltreffen und große diplomatische Ereignisse verstärkt wird, dient einem weiteren strategischen Zweck: Unter dem Deckmantel, sich für „Frieden“ einzusetzen, versucht Russland, den gegenwärtigen Krieg einzufrieren und seine Gebietsansprüche später zu erweitern. Der Kreml argumentiert, dass das moderne Russland ebenso wie die Sowjetunion 1945 das Recht habe, neue geopolitische Regelungen zu diktieren.
 

Imperialistisches „Jalta 2“

Im Jahr 2023 erklärten Beamte der Krim, dass die Krim wieder zum „Zentrum der Weltpolitik“ werden würde, während lokale Medien über die Möglichkeit einer modernen Jalta-Konferenz spekulierten. Es erschienen Artikel mit Überschriften wie „Jalta-Konferenz 2.0: Kann die Krim das Blutvergießen erneut stoppen?“, die die Ansichten des Kremls bekräftigten. Laut Moskau ist die Zeit für ein „Jalta 2“ gekommen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte, dass Russland für einen solchen Gipfel bereit sei – allerdings nur unter der Bedingung, dass zwei der drei dominanten Mächte am Tisch antiwestlich eingestellt seien. Dann würde China Großbritannien ersetzen und sich gemeinsam mit Russland gegen die USA verbünden.

Der Kreml scheint einen geopolitischen Deal zu erwarten, der an Jalta erinnert und der seinen Interessen durch einen knallharten Pakt zwischen Großmächten dient. Für Moskau würde ein solcher Pakt nicht nur seine territorialen Eroberungen legitimieren, sondern auch die Vorstellung bekräftigen, dass die Weltordnung eher durch rohe Macht als durch die Grundsätze von Souveränität und Selbstbestimmung diktiert wird. Denn Russland strebt eine Welt an, in der militärische Stärke und politischer Einfluss das Schicksal der Nationen bestimmen – und eben nicht das Völkerrecht.

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Bibliografische Angaben

Internationale Plotitik, Online Veröffentlichung, 25. Februar 2025

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Dr. Lesia Bidochko ist Assistenzprofessorin für Politikwissenschaft an der Kyjiw-Mohyla-Akademie in der Ukraine und derzeit auch Non-Resident Fellow an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder.

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