Pfeifen im Walde
Buchkritik
Mit der Autobiografie von Helmut Schmidt und der Festschrift für Christian Hacke liegen zwei Neuerscheinungen zur deutschen Außenpolitik vor. Ihr Fazit fällt ähnlich aus: Statt Visionen ist auch in Zukunft Realpolitik gefragt, und ohne Amerika läuft weiterhin nicht viel.
Mag Helmut Schmidt seit nunmehr über einem Vierteljahrhundert offiziell als „Bundeskanzler a.D.“ fungieren – außer Dienst hat er sich wohl kaum jemals wirklich gefühlt. In seinem jüngsten Buch zieht er nun eine Bilanz dessen, was er in der Politik gelernt zu haben meint – nicht zuletzt aus eigenen Fehlern. Nüchtern und praktisch, aber nie nur pragmatisch und zuweilen sehr eindringlich rät der Altkanzler zum unbedingten Vorrang Europas in der deutschen Außenpolitik und warnt vor weltpolitischen Abenteuern. Er plädiert dafür, die Beziehungen zu unseren Nachbarn weiter zu stärken und warnt vor neuen Erweiterungsschritten der EU wie auch – angesichts des Krieges in Georgien durchaus prophetisch – vor einer Ausdehnung der NATO an die Grenzen Russlands. Eine Ausdehnung, wie sie in Washington diejenigen Kräfte betreiben, die Schmidt ganz offen als „imperialistisch“ bezeichnet.
Überhaupt Amerika: Zwar betont der Autor, die USA würden die Führungsmacht des Westens bleiben, aber seine Begeisterung darüber hält sich erkennbar in Grenzen. Langfristig sei wohl eine Kurskorrektur der amerikanischen Außenpolitik zu erwarten, aber bis dahin „werden wir handlungsunfähigen Europäer uns den übermächtigen USA weitgehend zu fügen haben“. Immerhin sollte sich die Europäische Union wenigstens auf wirtschaftlichem Gebiet, wo sie auch dank des Euro stark ist, um eigene Initiativen bemühen, etwa um eine stärkere Kontrolle und Überwachung der internationalen Kapitalmärkte durch den IWF. Mit Urteilen über seine Nachfolger in der Außen- und Sicherheitspolitik geht Schmidt derweil sparsam um. Immerhin, an einer Stelle schildert er, wie er nach seinen vielen wichtigen Auslandsreisen „außer Dienst“ stets Berichte an das Auswärtige Amt schickte und fügt dann lakonisch hinzu: „Erst als Joseph Fischer ins Amt kam, habe ich diese Praxis eingestellt.“
Während das Genre der (Auto-)Biografie unverändert boomt, scheinen Festschriften in der Politikwissenschaft etwas aus der Mode zu kommen. Hier ist eine, die ganz im Sinne der Tradition daherkommt und eine Reihe von Vorzügen aufweist, wenn auch einige Nachteile – von der allzu großen Vielfalt der Beiträge bis zu etlichen vermeidbaren Druckfehlern. Gewidmet ist der Band einem der herausragenden deutschen Außenpolitikforscher und einem temperamentvollen, zuspitzend formulierenden Kommentator und Analytiker: Christian Hacke. Die Herausgeber haben die Beiträge klug um drei Schwerpunkte gruppiert, die Hackes Wirken immer wieder umkreisten: „Deutschland & Europa“, „Realismus & politisches Denken“ sowie „USA & transatlantische Beziehungen“.
Der mit 14 Beiträgen umfangreichste Teil III des Bandes rundet sich zu einer lesenswerten Zustandsbeschreibung des atlantischen Bündnisses. Amerika ist schwach geworden, und das ist ein großes Problem für Europa, lautet ein zentraler Befund. Gemeinsame Werte und Interessen werden zwar immer wieder beschworen, doch klingt das nach dem Pfeifen des Wanderers im finstern Walde. In keinem der Beiträge allerdings wird die folgenreiche Entwicklung Amerikas hin zu einem neuen nationalen Sicherheitsstaat im „Krieg“ gegen den globalen Terror thematisiert; eine Entwicklung, die in den letzten Jahren die Wertegrundlagen der US-Politik empfindlich zu beschädigen drohte. Erst, wenn sich Amerika unter einem neuen Präsidenten aus dieser unheilvollen Fixierung lösen kann, werden sich wohl die Grundlagen des transatlantischen Bündnisses wieder festigen können.
Helmut Schmidt: Außer Dienst: Eine Bilanz. München: Siedler 2008, 450 Seiten, 22,95 €
Volker Kronenberg/Jana Puglierin/Patrick Keller (Hrsg.): Außenpolitik und Staatsräson, -Festschrift für Christian Hacke zum 65. Geburtstag. Baden-Baden: Nomos 2008, 307 Seiten, 59,00 €
Prof. Dr. HANNS W. MAULL lehrt Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Außenpolitik und Internationale Beziehungen an der Universität Trier.
Internationale Politik 10, Oktober 2008, S. 116 - 117