Pekings Technikoffensive
Mit „Made in China 2025“ will China bereits in vier Jahren technologisch zu den führenden Industrieländern aufschließen. Ein ambitioniertes Ziel, für die Volksrepublik aber machbar. Deutschland und Europa sollten da sehr genau aufpassen.
Es war zuletzt deutlich stiller geworden um einen Plan, der nichts Geringeres vorsieht als das weltweite Wirtschaftsgefüge komplett auf die Füße zu stellen. Gut fünf Jahre ist es her, dass die chinesische Führung ihren industriepolitischen Masterplan „Made in China 2025“ (MIC25) vorgestellt hat. Anders als in den zwei Jahrzehnten zuvor, in denen man für günstige, aber qualitativ oft minderwertige Massenware für den Weltmarkt stand, will China bis 2025 technologisch zu den führenden Industrieländern aufschließen. Zehn Schlüsselindustrien hatte die kommunistische Führung definiert, die sie gezielt fördern wollte, darunter IT, Robotertechnik, Hochgeschwindigkeitszüge, Elektromobilität, Luft- und Raumfahrtausrüstung sowie Medizintechnik und Biotechnologie. Das langfristige Ziel: Bis zum 100. Geburtstag im Jahre 2049 soll die Volksrepublik zur führenden „Industrie-Supermacht“ aufsteigen.
Kein Öl ins Feuer gießen
Doch in den vergangenen zwei Jahren findet MIC25 auch im Reich der Mitte selbst kaum noch Erwähnung. Chinesische Spitzenpolitiker verzichten darauf, die Initiative zu propagieren, wie es sonst bei Kampagnen üblich ist, die ganz oben beschlossen wurden. Auch in den Staatsmedien war nicht mehr viel vom industriepolitischen und technologischen Masterplan zu hören. Stattdessen scheint die Staatsführung auch im Zuge der Handelsstreitigkeiten mit den USA und Europa auf Zurückhaltung zu setzen. Ein Ziel ist sicherlich, aus der Schusslinie zu kommen. Insbesondere unter Donald Trump hatten die USA den Plan als Kampfansage empfunden und ihrerseits zum Technologiekrieg aufgerufen. Auch unter Joe Biden entbrennt neuer Zorn gegen China. Peking will nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen.
Doch es gibt noch einen anderen Grund, warum Chinas Führung offensichtlich bescheidener auftritt. Zur Halbzeit ist vieles auf den Weg gebracht, die Gelder verteilt, einiges auch schon umgesetzt. Fast 1000 Dokumente hat die chinesische Staatsführung bis Ende des vergangenen Jahres im Zusammenhang mit MIC25 verabschiedet. In einigen der Schlüsselindustrien steht China bereits an der Weltspitze, etwa bei der Elektromobilität.
Peking versucht schon seit Langem, mit den großen Automobilnationen Japan, Deutschland und den USA gleichzuziehen. Lange Zeit ohne Erfolg. Obwohl schon seit Jahren der größte Automarkt der Welt, schafften es chinesische Autobauer selbst im eigenen Land nicht, Volkswagen, Daimler oder Toyota zu schlagen, zumindest beim Verbrenner. Dieses Rennen hat China aufgegeben. Anders sieht es bei Elektroautos aus. Mit viel staatlichen Subventionen, aber auch mit rigorosen Regeln, ist es der Volksrepublik gelungen, sich in der Elektromobilität zur Nummer eins aufzuschwingen.
Fast die Hälfte aller Elektroautos und Plug-in-Hybride sind im Reich der Mitte unterwegs. Davon haben bislang ebenfalls Toyota und allen voran Tesla profitiert – also Autobauer aus dem Ausland. Doch technologisch holen chinesische Autobauer kräftig auf. Wie aus dem jüngsten Index Elektromobilität 2021 hervorgeht, den die Unternehmensberatung Roland Berger jährlich erstellt, besetzen chinesische Autobauer in der Kategorie Technologie inzwischen den 2. Platz, hinter Südkorea, aber noch vor Deutschland. Und bei den so wichtigen Batterien ist die Volksrepublik Spitze. Bis 2023 dürfte China mehr als 70 Prozent des global nachgefragten Volumens liefern.
Noch augenfälliger ist Chinas digitale Entwicklung. Einem Bericht des Mercator Instituts für China-Studien (MERICS) zufolge spielen chinesische Technologieunternehmen weltweit bereits in der obersten Liga mit. Die chinesischen Telekommunikationsanbieter Huawei und ZTE etwa gehören zu den innovativsten der Welt. Auch bei der Künstlichen Intelligenz (KI) und bei vernetzten Fahrzeugen, also autonomem Fahren, sind chinesische Firmen ganz vorne dabei.
Wichtigster Rohstoff für KI sind Daten. Den neuen Technologien kommt zugute, dass in der Volksrepublik Datenschutz einen überschaubaren Stellenwert hat und dass in der Bevölkerung dafür auch nur ein geringes Bewusstsein existiert. Für die KI-Industrie sind das ideale Bedingungen.
Auch Chinas Staatsunternehmen haben in den vergangenen Jahren eine Modernisierung durchlaufen. Waren sie lange Zeit im Westen als marode Dinosaurier verschrien, die wegen mangelnder Effizienz die Wirtschaftsentwicklung eher hemmen als fördern, so kommt ihre enge Anbindung an den Staat heute Industrien wie dem Schiffsbau, der Luftfahrt und dem Eisenbahnbau sogar zugute. Investitionen in diese Großindustrien lassen sich von Privatinvestoren kaum stemmen.
Chinas Führung steckt hohe Summen in diese Sektoren. Um die Staatsriesen auf Effizienz zu trimmen, hat die Regierung mehrere von ihnen fusioniert. Sie sind nun als Giganten weltweit auf Expansionskurs. Vor allem aber arbeitet China konsequent daran, eigene technologische Standards zu setzen. Es dürfte schon bald auch die Rahmen für internationale Unternehmen bestimmen und damit chinesischen Unternehmen ihre Marktdominanz für Jahrzehnte sichern.
Globalisierung mit China im Zentrum
Flankiert wird MIC 25 durch die Belt and Road Initiative, auch bekannt als Neue Seidenstraße. Sie beschränkt sich keineswegs auf den Ausbau der Lieferwege von Ostasien quer über den Kontinent bis nach Europa. Peking will in den kommenden Jahren bis zu 1000 Milliarden US-Dollar investieren, um auch in Afrika, Lateinamerika, ja sogar in der Arktis Häfen, Flughäfen, Bahntrassen, Straßen, Pipelines und Mobilfunknetze zu bauen. Es geht um nicht weniger als eine neue Phase der Globalisierung – mit China im Zentrum.
Die MERICS-Autoren weisen darauf hin, dass trotz dieser Erfolge Chinas Abhängigkeit von ausländischem Fachwissen vor allem in der Grundlagenforschung und bei Kernkomponenten nach wie vor groß ist. Der Handelskrieg mit den USA könnte die ambitionierten Pläne sogar durchkreuzen. Das derzeit größte Nadelöhr: Trotz milliardenschwerer Fördermaßnahmen ist es China bislang nicht gelungen, in der Halbleiterindustrie eine ernsthafte Konkurrenz zu internationalen Marktführern aufzubauen. „High-Chips kann China bislang nicht selbst herstellen“, sagt der China-Ökonom Markus Taube von der Universität Duisburg-Essen. „Da ist man abhängig von US-amerikanischer Technologie.“ Die USA unter Trump hatten genau das erkannt und die Ausfuhr von Chips in die Volksrepublik im Zuge von Sanktionen deutlich gedrosselt. An diesen Sanktionen hält Trumps Nachfolger Biden fest.
Die Antwort der chinesischen Führung darauf ist ein weiterer Plan. Mit dem Konzept der sogenannten „Dual Circulation“ hat sie sich zum Ziel gesetzt, in systemrelevanten Technologien noch zügiger unabhängig von Importen aus dem Ausland zu werden. Ökonom Taube vermutet allerdings, dass es mindestens drei, eher fünf bis zehn Jahre dauern wird, bevor China auch in diesem Bereich aufgeholt hat. Das mag zwar nicht nach viel klingen. Aber in diesen Jahren kann viel kaputt gehen. „Huawei rennt vor die Wand, wenn China im Laufe des Jahres nicht neue Chips bekommt“, so Taube.
Chinas Ambitionen sollten dennoch nicht unterschätzt werden. Denn das Land war zuletzt immer wieder bekannt für überraschende und dynamische Entwicklungen, schreiben die MERICS-Forscher Max Zenglein und Anna Holzmann. Für die deutsche Industrie ergeben sich daraus zwar viele Chancen. Schon jetzt wird kein anderes Land in Chinas Plänen so oft und explizit genannt wie Deutschland. Chinas Führung will insbesondere bei der Grundlagenforschung mit Deutschen kooperieren. Genau das birgt aber auch Risiken.
In den USA, aber auch in Großbritannien und Australien warnen Experten schon seit einiger Zeit vor dem Wissens- und Technologietransfer an die Chinesen. An deutschen Universitäten und Unternehmen scheint die Diskussion darüber erst begonnen zu haben. Die MERICS-Forscher empfehlen, klare Kriterien für die Zusammenarbeit zu entwickeln. Darüber hinaus raten sie, Europas Abhängigkeit von Kernkomponenten aus China zu verringern. Lernen könnten die Europäer von Japan, Südkorea und Taiwan. Diese Länder verfolgten schon seit einiger Zeit bei Forschungskooperationen einen „deutlich restriktiveren Ansatz“. Den wirtschaftlichen Beziehungen mit China habe das nicht geschadet.
Felix Lee war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz und anderer deutschsprachiger Medien. Heute lebt er in Berlin und schreibt u.a. für ZEIT ONLINE und das China.Table Professional Briefing.
Internationale Politik Special, Mai, 03/2021, S. 51-54
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