Musterunternehmer
Für die Regierung sind sie Symbole des „China-Traums“, die zum Erfolg der Nation beitragen. Chinesische Unternehmer selbst wollen unternehmerische Freiheit, verhalten sich aber dem Geschäft zuliebe regierungskonform. Und die Öffentlichkeit? Bewundert in den Self-Made-Men den amerikanischen Traum von persönlichem Erfolg und Reichtum.
Lange Zeit vertrat die Kommunistische Partei Chinas den Anspruch, wachsenden Wohlstand zu garantieren. Seit aber die Wachstumsraten bescheidener ausfallen, ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Führung gefährdet. Peking versucht gegenzusteuern und die Wirtschaft umzustrukturieren. So propagiert die Parteiführung Unternehmer als Vorbilder, um die Bürger zu unternehmerischer Aktivität zu motivieren. Gleichzeitig werden in den staatlichen Medien „Anti-Helden“ der Geschäftswelt an den Pranger gestellt um zu demonstrieren, dass die Staatsführung politisch konformes Verhalten der Bürger erwartet. Nun genießen die „Unternehmer-Helden“ der Regierung einige Bewunderung – jedoch nicht selten für Fähigkeiten, die wenig mit Regierungspropaganda zu tun haben.
Der Hongkonger Immobilienmogul Li Ka-shing (Jahrgang 1928) galt lange Zeit als einer der „Musterunternehmer“ der KP-Führung; die staatliche Presse nannte ihn den „Superman“. Fast zwei Jahrzehnte lang war Li, der sich als loyaler Anhänger der chinesischen Regierung zeigte, der reichste Mann Hongkongs. Zum Wohlgefallen der Regierung verkörperte er die perfekte Harmonie zwischen patriotischem Unternehmergeist und autoritärer Kontrolle.
Doch Lis vom Staat propagierte Rolle als Vorzeigekapitalist endete abrupt mit den Demonstrationen in Hongkong vom Herbst 2014: Im September beorderte Partei- und Staatschef Xi Jinping die einflussreichsten Unternehmer Hongkongs nach Peking. Die Magnaten sollten sich öffentlich gegen die dortigen Proteste aussprechen. Li folgte dieser Anweisung nicht. Zudem hatte er in den vergangenen Jahren viele seiner Immobilien auf dem chinesischen Festland verkauft. Als einer der prominentesten Investoren setzte er auf diese Weise negative Signale für den ohnehin fragilen chinesischen Immobilienmarkt. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua warf Li Ka-shing daraufhin vor, leichtfertig agiert zu haben; die staatseigene Global Times schrieb, er habe sich „unpatriotisch“ verhalten und spiele keine herausragende Rolle mehr. Er sei vielmehr „nur ein Tropfen Wasser im Ozean“.
Jack Ma: vom Englischlehrer zum Milliardär
Kaum ein anderer Unternehmer sorgt für so viele Schlagzeilen wie Jack Ma (Jahrgang 1964, s. Foto S. 21). International machte der ehemalige Englischlehrer Furore mit dem Börsengang seiner IT-Firma Alibaba, und die politische Führung in Peking propagiert Ma als Vorbild. Er steht für die von der Politik vorangetriebene Innovationsfähigkeit Chinas. Premier Li Keqiang bezeichnete den Unternehmer als eine treibende Kraft hinter Chinas „neuer Ökonomie“.
Ma zeigt sich politisch loyal, begleitet die Staatsführung bisweilen auf Auslandsreisen und übernimmt politische Ehrenämter wie einen Sitz im zivilgesellschaftlichen Deutsch-Chinesischen Dialogforum. Er verteidigte öffentlich die Niederschlagung der Protestbewegung 1989. Und er fügt sich gut in das geopolitische Konzept der Kommunistischen Partei ein: Ma bietet jungen Taiwanesen Finanzierungsmöglichkeiten für Firmengründungen, um zwischen der „abtrünnigen Provinz“ und der Volksrepublik Verbindungen herzustellen. Darüber hinaus engagiert sich Ma für den Umweltschutz und übernimmt soziale Verantwortung. Die „positive Veränderung der Gesellschaft“ sei ihm wesentlich wichtiger als reiner Profit, betont der Alibaba-Chef. Er passt in das Bild, das die Regierung von der Zivilgesellschaft zeichnen will: eine „konstruktive“ Zivilgesellschaft, die sich um sozial Benachteiligte oder Umweltbelange kümmert und Regierungsprogramme ergänzt – ohne dabei autonome Räume für Bürgerbeteiligung zu schaffen. Auch in Bezug auf das verlangsamte Wachstum nimmt Ma die Regierung in Schutz und spricht blumig von den Chancen einer Abkehr vom quantitativen Wachstum.
Die Regierung inszeniert den Sympathieträger Ma als Symbol für den nationalkollektivistischen „China-Traum“. Laut einer Studie der renommierten Schanghaier Fudan-Universität von 2015 gilt er unter Studenten als die am meisten respektierte öffentliche Person. Nur verkörpert Jack Ma für sie eher den „amerikanischen Traum“, denn sie bewundern weniger seinen Patriotismus als seinen Reichtum, seinen Geschäftssinn und seine Internetaffinität.
Lei Jun: der chinesische Steve Jobs
Die staatlichen Medien bewerben Lei Jun (Jahrgang 1969), den Mitbegründer der Firma Xiaomi (internationaler Name: Mi), als einen der innovativsten Köpfe Chinas. Seine vor knapp fünf Jahren gegründete Unterhaltungselektronikfirma gilt auch weltweit als das am höchsten bewertete Start-up-Unternehmen. Lei Jun ist neben Jack Ma ein Aushängeschild für das Regierungsprogramm „Made in China 2025“, mit dem Innovationen vorangetrieben werden sollen. Während der Unternehmer in Europa und Nordamerika oft als Apple-Fälscher belächelt wird (Xiaomi-Smartphones ähneln in Teilen den iPhones), präsentieren die chinesischen Staatsmedien Lei Jun als Vorreiter im Bereich „Internet der Dinge“, d.h. der intelligenten Vernetzung der Offline- mit der Online-Welt, wie etwa die IT-basierte Steuerung von Alltagsgegenständen (Smart Home). Um mehrere Geräte über die gleiche IT-Plattform steuern zu können, wirbt Lei Jun in seiner Funktion als Abgeordneter des Nationalen Volkskongresses für einen entsprechenden nationalen Standard.
Lei und seine Produkte sind überaus beliebt. Die Marketingstrategie des Smartphone-Herstellers basiert auf Mund-zu-Mund-Propaganda. Diese Taktik scheint gut zu funktionieren; bereits 2014 verkaufte Xiaomi mehr Handys auf dem chinesischen Markt als der Rivale Samsung. Für größere Aufregung in der chinesischen Öffentlichkeit sorgte aber etwas anderes: Zum ersten Mal hielt Lei eine Präsentation (in Indien) auf Englisch. Seine stockende Aussprache und eigenwillige Grammatik brachten ihm, neben einiger Kritik, aber auch viel Sympathie in den chinesischen sozialen Medien. Netizens identifizierten sich mit diesen allzu menschlichen Schwächen des Unternehmers.
Die Rolle, die Privatunternehmer in China einnehmen – oder die ihnen zugeschrieben wird – ist komplex. Peking versucht sie als Aushängeschilder des „China-Traums“ zu vereinnahmen, die zum Erfolg für die Nation beitragen und Dienst am Vaterland leisten. Aber die Verurteilung durch staatliche Medien ist gewiss, sobald sie nicht mit der Kommunistischen Partei konform gehen. Chinas Wirtschaftsbosse selbst sind in erster Linie an unternehmerischen Freiheiten interessiert, gehen aber mit der Regierung konform, wenn es den Unternehmen dient. Und der Großteil der Bevölkerung bewundert diese Wirtschaftsbosse nicht für ihren Patriotismus, sondern für ihren persönlichen Erfolg und Reichtum.
Simon Lang ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei MERICS.
IP Länderpoträt 2, Juli-Oktober 2015, S. 21-23