IP

01. Sep 2004

Multipolarität gestalten

Chinas Rolle im ASEM-Prozess

Angesichts der wachsenden Bedeutung Chinas als regionale Führungsmacht in Asien erweist sich
die Einbindung der Volksrepublik in den Rahmen des Asien-Europa-Treffens (ASEM) als sehr
erfolgreich. Auf diese Weise „lernt“ die Großmacht, Multilateralismus im globalen wie regionalen
Maßstab zu praktizieren und sich nicht zu einer Bedrohung in ihrem Umfeld zu entwickeln.

Im Jahr 1996 trafen sich in Bangkok erstmals die 26 Teilnehmer des ASEM (Asia-Europe Meeting)-Prozesses zu einem Gipfeltreffen. Seitdem nehmen auf asiatischer Seite die VR China, Japan, die Republik Korea, Singapur, Malaysia, Thailand, Indonesien, Vietnam, die Philippinen sowie das Sultanat Brunei Darussalam und auf europäischer Seite die EU und deren ehedem 15 Mitgliedstaaten Teil.

Darüber hinus partizipieren Vertreter des privaten Sektors und – in zunächst eingeschränktem, inzwischen jedoch in wachsendem Umfang – der Zivilgesellschaft. Die Republik China ist nicht Mitglied des ASEM-Prozesses und wird dies auch nicht werden, bevor nicht eine grundlegende Veränderung des Verhältnisses zwischen Beijing und Taipeh stattgefunden hat. Chinesische Diplomaten schließen in diesem Zusammenhang eine dem APEC-Prozess vergleichbare Entwicklung aus. Dies gilt auch für Hongkong.

Alle zwei Jahre finden Gipfeltreffen und jährlich mehrere Treffen auf Ebene der Fachminister und der hohen Beamten statt. Das nächste, fünfte ASEM-Gipfeltreffen ist für den 8. und 9. Oktober 2004 in Vietnam geplant, auf dem auch die Erweiterung des Prozesses um die zehn neuen EU-Mitgliedstaaten sowie Myanmar (früher Birma), Kambodscha und Laos vorgesehen ist. Die Frage der Aufnahme von Myanmar ist jedoch auch wenige Wochen vor dem Gipfeltreffen sehr umstritten und ungeklärt. Alle Akteure begreifen die Kooperation zunehmend als politisch motiviert. In diesem Sinne gestalten sie durch interregionale Politik die Entstehung einer neuen Weltordnung, die multipolar konzeptionalisiert wird.

Chinas1 Außenpolitik befindet sich in einer Phase des Umbruchs. Beispielhaft für diese Entwicklung lassen sich das Verhältnis Beijings zu den Staaten der ASEAN, das proaktive Eintreten für eine friedliche Lösung des Konflikts um die Koreanische Halbinsel und der Beitritt der Volksrepublik in die WTO anführen. Auf regionaler sowie globaler Ebene, im Hinblick auf sicherheitspolitische wie auch auf wirtschaftspolitische Fragen weicht die Regierung Chinas in zunehmendem Maße von einer unilateralen oder bilateralen Politik ab und wendet eine Strategie der multilateralen Problemlösung an.

Aber warum ist das so und weshalb ist diese Entwicklung gerade jetzt zu beobachten? Ist dieser neue Kurs lediglich eine taktische Anpassung der kommunistischen Machthaber – aufgrund des wachsenden innenpolitischen Reformdrucks – an ein leichtgläubiges internationales Umfeld? Oder ist China ein berechenbarer und kooperativer Partner, der sich wegen seiner geographischen Größe und seines Bevölkerungsreichtums unter den Bedingungen eines anhaltenden Wirtschaftswachstums sowie einer steigenden wirtschaftlichen und politischen Integration in das internationale System zu einer künftigen kooperativen Supermacht entwickelt?

Für eine, notwendig vorläufige, Beantwortung der Fragen ist die Analyse des außenpolitischen Verhaltens der VR China im ASEM-Prozess aufschlussreich. Wesentliche Ziele und die dem außenpolitischen Handeln Chinas zugrunde liegenden Interessen finden sich in der Unterstützung der chinesischen Regierung für eine Politik der interregionalen Beziehungen, wie sie sich im Falle des ASEM-Prozesses in den letzten zehn Jahren herausgebildet hat. Dabei zeigt sich, dass der außenpolitische Handlungsspielraum der VR China gewachsen ist, der der ASEAN-Mitgliedstaaten abgenommen hat und Europa als Kooperationspartner einen wachsenden Einfluss auf die chinesische Außenpolitik ausübt.

Aus der Sicht Beijings besitzt der ASEM-Prozess zwei wesentliche politisch-strategische Funktionen: Zum einen verfolgt die VR China das Ziel, ihren Status als Regionalmacht in Asien weiter auszubauen. Zum anderen soll durch eine Intensivierung der Beziehungen mit Europa einer zu starken – weil einseitigen – Abhängigkeit von der USA entgegengewirkt werden. Es lassen sich daher eine regionale und eine globale Ebene voneinander unterscheiden. Die regionale Ebene betrifft die Zusammenarbeit zwischen den asiatischen Teilnehmern, d.h. die intraregionale Kooperation. Die globale Ebene betrifft die Zusammenarbeit zwischen asiatischen und europäischen Teilnehmern, d.h. die interregionale Kooperation. Darüber hinaus betrifft sie das Verhältnis der beiden Regionen Asien und Europa zu weiteren Akteuren, insbesondere zu den USA. Der ASEM-Prozess ist daher ein Beispiel für zwei Phänomene der politischen Globalisierung und deren wechselseitiger Beeinflussung, nämlich für die Prozesse der Regionalisierung und die Prozesse der Interregionalisierung der internationalen Politik – also der kooperativen Gestaltung der Interaktion von zwei oder mehr Regionen auf globaler Ebene.

Die regionale Ebene: China als Hegemon

Weder in offiziellen Reden noch in offiziellen chinesischen Dokumenten, wie beispielsweise dem „China’s EU Policy Paper“ vom Oktober 2003,2 hat es die chinesische Regierung zu ihrem Interesse erklärt, den ASEM-Prozess zu nutzen, um den Status Chinas als Regionalmacht weiter auszubauen. Vielmehr sucht Beijing den Eindruck zu vermeiden, es strebe nach Vorherrschaft. Tatsächlich nutzt Chinas Regierung jedoch den ASEM-Prozess, um sich als regionaler Akteur zu profilieren und misst dem Prozess wachsende Bedeutung bei. Diese Entwicklung setzte im Zuge der so genannten Asien-Krise 1998 ein. Seitdem kann von einer spezifischen ASEM-Politik Beijings gesprochen werden. Chinas Anspruch auf eine Führungsrolle in Asien kommt in der Aussage eines hohen Beamten des chinesischen Außenministeriums zum Ausdruck, der dem Verfasser gegenüber hinsichtlich der Inhalte, die China in Gesprächen mit Europäern während des ASEM-Prozesses führt, formulierte: „Asiens Gesamtinteresse kommt zuerst. Chinas Interessen stehen an zweiter Stelle.“ Es zeigt sich, dass es der Anspruch der chinesischen Regierung ist, ein so genanntes asiatisches Gesamtinteresse gegenüber den Europäern zu vertreten.

Diese nicht offiziell bekundete Politik vermag, inter alia, das gestiegene Interesse Beijings an ASEM erklären: Nachdem China zu Beginn des Prozesses ein sehr zurückhaltender Kooperationspartner war, übernahm es die Funktion des ASEM-Koordinators für Nordostasien und war Gastgeber mehrerer ASEM-Treffen auf Ministerebene und Ebene der hohen Beamten (z.B. die „ASEM Ministerial Conference on Science & Technology“ im Oktober 1999 und das erste „ASEM Environment Ministers Meeting“ im Januar 2002). Vorläufig letzte Beispiele dieser Entwicklung sind das fünfte ASEM-Wirtschaftsministertreffen im Juli, das „ASEM Seminar on Anti-Terrorism“ im September und die „ASEM Ministerial Conference on Culture and Civilization“ im Dezember 2003. Wie die ASEM-Außenminister im Jahr 2002 zum Ausdruck brachten, hat China darüber hinaus seine praktische Mitarbeit gesteigert, indem es in allen so genannten ASEM-Schlüsselinitiativen für das letzte ASEM-Gipfeltreffen in Kopenhagen mitgewirkt hat. Abgesehen davon macht die chinesische Regierung zunehmend Gebrauch vom ASEM-Prozess, um die Politik der USA (etwa gegenüber Irak während des Kopenhagener Gipfeltreffens) zu kritisieren, und es versucht ASEM-Treffen im Sinne seiner Interessen zu instrumentalisieren.

Auf der regionalen Ebene hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Die VR China wird in Südostasien nicht mehr als Bedrohung, sondern zunehmend als Schutzmacht wahrgenommen. Auch wenn sich Politiker, wie beispielsweise der ehemalige Generalsekretär der ASEAN Rodolfo C. Severino Jr., dagegen verwahren, die neue Rolle Chinas in Südostasien als hegemonial zu bezeichnen, so erkennt auch Severino den zunehmenden Einfluss der chinesischen Außenpolitik auf die ASEAN-Mitgliedstaaten. Dieser resultiert aus der sich für die ASEAN-Mitgliedstaaten ergebenden Notwendigkeit zur wachsenden Kooperation mit China. Der ASEM-Prozess schuf hierfür wesentliche Voraussetzungen, weil er die Vertrauensbildung zwischen China und den ASEAN-Staaten förderte – insbesondere während der Asien-Krise. In der Folge ist Beijing als Kooperationspartner für die ASEAN-Staaten so wichtig geworden, dass China auf der asiatischen Seite der De-facto-Hegemon des ASEM-Regimes ist.

Mit dieser Entwicklung geht einerseits die Erweiterung des chinesischen Handlungsspielraums einher; andererseits auch eine Schwächung der ASEAN, weil die Staatengruppe an Kohäsion verloren hat. Insofern ist Chinas wachsender Handlungsspielraum auch Ausdruck für die Ohnmacht Südostasiens, sich gegenüber der aufstrebenden Hegemonialmacht China politisch und wirtschaftlich zu behaupten. Denn es ist den Mitgliedstaaten der ASEAN bisher nicht gelungen, durch eine Strategie der regionalen Integration gegenüber der VR China an Verhandlungsmacht zu gewinnen. Stattdessen weist die Absicht der Bildung einer gemeinsamen Freihandelszone im Jahr 2010 auf eine dritte Variante hin: eine Restauration der chinesischen Hegemonie. Es bleibt abzuwarten, ob die Absichtserklärungen der ASEAN vom Juli 2003 über zukünftige, weiterreichende Integrationsschritte, wie die Gründung einer politischen und wirtschaftlichen Gemeinschaft, den bis dato rein deklaratorischen Charakter dieser Entwicklung zu überwinden vermögen.

Die globale Ebene: China als Supermacht

Parallel zum Anwachsen des globalen wirtschaftlichen und politischen Gewichts der VR China wird der Handlungsspielraum Beijings zur unilateralen Durchsetzung nationaler Interessen aufgrund der zunehmenden Einbindung Chinas auf globaler Ebene immer kleiner. Diese Folge wachsender Interdependenz ist wegen der doppelten Einbindung Chinas im ASEM-Prozess, nämlich auf regionaler und interregionaler Ebene, besonders ausgeprägt. Weil das Prinzip des Multilateralismus in einer Fülle von Politikfeldern Anwendung findet, bietet der Prozess für China jedoch die Möglichkeit, auf die Gestaltung des ASEM-Prozesses durch eine eigene Politik einzuwirken – unter der Voraussetzung, dass diese mit denen der weiteren asiatischen und europäischen Teilnehmer koordiniert wird. Die multilaterale Kooperation stellt daher eine zu erfüllende Nebenbedingung dar, um den von China intendierten Aufbau von gemeinsamen Interessen und Positionen im ASEM-Prozess zu ermöglichen.

Obwohl sich vieles seit dem 11. September 2001 verändert hat, leben wir immer noch in einer Welt, die zunehmend durch die Kräfte der Globalisierung bestimmt ist. Ein Unterschied wird jedoch immer deutlicher: Während der zwölf Jahre zwischen dem Ende des Kalten Krieges und der Angriffe auf New York und Washington wurden Regionalisierung und Globalisierung als dialektisch begriffen. In den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts war es eine häufig gestellte Frage, ob Regionalisierungsprozesse dem multilateralen Ansatz der WTO hinderlich oder förderlich seien. Wegen ihres Integrationsprozesses und der Abgabe von staatlicher Souveränität an eine supranationale Institution wurde die Europäische Union als so genannte Festung Europa bezeichnet. Insbesondere südostasiatische Regierungen fürchteten diese Entwicklung, weil ihre Verhandlungsmacht gegenüber der von europäischen Akteuren abnahm. Denn letztere können – etwa in Fragen der Handelspolitik – mit einer Stimme sprechen. Dies ist ein Grund, weshalb die ASEAN-Mitgliedstaaten Mitte der neunziger Jahre annahmen, dass ihnen die Ausweitung der Kooperation mit China auch eine stärkere Verhandlungsposition ermögliche. Als Teil der asiatischen Region und gemeinsam mit der aufstrebenden Macht China würden sie im ASEM-Prozess – anders als im ASEAN-EU-Dialog – eine stärkere Position gegenüber den Europäern einnehmen können. Aus Sicht der ASEAN-Mitgliedstaaten war dies ein wichtiger – wenn auch nicht offiziell verlautbarter – Grund für die Gründung des ASEM-Prozesses.

Im Hinblick auf die Bedeutung der strategischen, also langfristigen Beziehungen zwischen China und Europa lösten die Angriffe der Terroristen jedoch einen neuen Prozess der Bewusstseinsbildung aus. Regionale Integrationsprozesse werden nicht mehr als problematisch, sondern als notwendig bewertet. Parallel zu dieser Entwicklung ist ebenso eine Aufwertung bilateraler Politik zu beobachten.

Weil die Regierung von George W. Bush ihre Politik in wachsendem Maße auf unilateralem Wege umsetzt (etwa in Hinsicht auf Fragen der Handelspolitik, der Umweltpolitik, der Gründung des Internationalen Gerichtshofs und, wie das Beispiel Guantánamo vor Augen führt, der Menschenrechtspolitik) wird der Multilateralismus als Ordnungsprinzip in den internationalen Beziehungen mehr und mehr delegitimiert und erodiert. Daher wächst die Bedeutung des ASEM-Prozesses als internationale Institution, die auf dem Prinzip der Multilateralität basiert. Die Entwicklung des Prozesses hat darüber hinaus gezeigt, dass dieser aufgrund der normativ-institutionellen Verfasstheit der Kooperation ein großes Potenzial besitzt, um Alternativen zu einer auf rein nationale Interessenpolitik ausgelegten unilateralen Politik zu entwickeln.

Hinsichtlich des politischen Umgangs mit den Folgen des transnationalen Terrorismus belegt die Erklärung der Staats- und Regierungschefs während des vierten ASEM-Gipfeltreffens im Jahr 2002, dass die ASEM-Teilnehmer im multilateralen Vorgehen, und somit im Prinzip des Multilateralismus, eine grundsätzliche Voraussetzung für die Bekämpfung des transnationalen Terrorismus erkennen. Während ihres Treffens in Kildare, Irland, im April 2004 formulierten die Minister in einer „ASEM-Erklärung zum Multilateralismus“: „Die ASEM-Minister bekräftigten ihre Verpflichtung auf Multilateralismus und auf eine faire und gerechte, auf Regeln beruhende internationale Ordnung, mit starken Vereinten Nationen in ihrem Kern, um internationale Streitfälle zu lösen, um positive Aspekte der Globalisierung zu fördern und um die Demokratisierung der internationalen Beziehungen voranzubringen.“

Neues Gleichgewicht zwischen den Regionen

In ihrem „EU-Policy Paper“ vom Oktober 2003 verbindet die chinesische Regierung mit ihrer ASEM-Politik das Ziel, den ASEM-Prozess zu einem Referenzmodell der interregionalen Kooperation zu machen. Der Prozess soll darüber hinaus eine treibende Kraft für die Herstellung einer neuen internationalen politischen und wirtschaftlichen Ordnung sein.

Diese offizielle Zuweisung einer globalen Funktion der asiatisch-europäischen Kooperation wurde von Kadern der Kommunistischen Partei der VR China und Diplomaten des chinesischen Außenministeriums gegenüber dem Verfasser spezifiziert. Demnach erfährt der ASEM-Prozess seine strategische Bedeutung aus seiner Funktion, Multipolarität durch die Verstärkung von Interdependenzen zwischen Europa und Asien aufzubauen. Dem zweiten Sekretär des „International Liaison Department“ des Zentralkomitees der KP zufolge verfolgt die chinesische Regierung darüber hinaus das Interesse, den Einfluss der USA auf die Entstehung einer neuen Weltordnung, insbesondere im politischen Bereich, auszugleichen. Hieraus resultiert die Gefahr eines wachsenden Antagonismus in den Beziehungen der europäischen und asiatischen ASEM-Akteure gegenüber den USA.

Wie das Beispiel der gemeinsamen Entwicklung des von amerikanischen Satelliten unabhängigen Navigationssystems Galileo zeigt, verfolgt auch die EU mit ihrer Kooperation mit China eine Strategie, die auf der Überzeugung basiert, dass eine Unabhängigkeit von den USA notwendig ist oder werden kann. Statt vorhandene amerikanische Infrastruktur zu nutzen, kooperiert die EU mit China, um eigene Hochtechnologie verwenden zu können. Angesichts dieser neuen Entwicklungen, die ebenso wie der ASEM-Prozess Ausdruck der politischen Globalisierung und einer multipolaren Ordnungsstruktur des internationalen Systems sind, gilt es zu beachten, dass zwischen den neuen so genannten Polen bestehende Asymmetrien durch kooperative Beziehungen verhandelt werden.

Die ASEM-Politik der VR China ist daher mit dem Risiko verbunden, dass die USA den ASEM-Prozess als eine Bedrohung ihrer Interessen in Asien begreifen. Nicht zuletzt wegen der Möglichkeit, dass der ASEM-Prozess zu einer solchen Entwicklung beiträgt oder diese fördert, betont die Europäische Kommission den informellen Charakter der Kooperation. Da die ASEM-Teilnehmer in den letzten vier Jahren begonnen haben, einzelne Bereiche der amerikanischen Außenpolitik – etwa die Sicherheitspolitik und die Handelspolitik –, zunächst indirekt, dann expressis verbis zu kritisieren, hat die politische Funktion des ASEM-Prozesses als Gegengewicht zu den USA an Bedeutung gewonnen.

Diese neue Entwicklung ist mit der Frage verbunden, ob der ASEM-Prozess auf globaler Ebene und im Verhältnis zu Dritten auch weiterhin multilaterale Verhaltensmuster anwenden wird oder ob er – instrumentalisiert durch die Interessen Beijings an einem Ausbalancieren der USA mit Hilfe der Europäer – seinerseits unilaterale Handlungsmuster unterstützt. Im Zuge der weltpolitischen Veränderungen erscheint es deshalb ratsam, dass die Europäer einen substanziellen Dialog mit den USA über ihre Asien-Politik(en) führen.

Die doppelte Einbindung Chinas

Das Interesse der chinesischen Regierung an multilateraler Kooperation sowohl auf regionaler wie auch auf globaler Ebene ist gestiegen. Daher erweist sich angesichts der wachsenden Bedeutung Chinas als regionale Führungsmacht in Asien die Politik der regionalen Einbindung Chinas im Rahmen des ASEM-Regimes als erfolgreich. Um die Bereitschaft Beijings als eine verantwortungsvolle regionale Ordnungsmacht zu fördern, gewinnt die Einbindung Chinas in multilaterale internationale Institutionen an Bedeutung. Hierbei besitzt das ASEM-Regime einen komparativen Vorteil gegenüber anderen multilateralen Institutionen, da einzig in ihm die Region Asien als Kollektivakteur in Erscheinung tritt.

China wird im Rahmen des ASEM-Regimes jedoch nicht nur auf regionaler Ebene intraregional, sondern ebenso auf globaler Ebene interregional eingebunden durch die Kooperation mit den europäischen ASEM-Teilnehmern. Es zeigen sich daher die Vorteile der doppelten Einbindung Chinas, die einzig im ASEM-Regime zu beobachten ist: Indem China auf globaler Ebene im ASEM-Regime eingebunden wird, kann der Akteur China multilaterale Kooperation im Umgang mit seinen Nachbarstaaten unter den neuen weltpolitischen Gegebenheiten erlernen. Insbesondere für die Mitgliedstaaten der ASEAN bietet sich durch die Kooperation mit den Europäern im Rahmen des ASEM-Prozesses deshalb die Möglichkeit, trotz der eigenen relativen Schwäche einen Einfluss auf das außenpolitische Verhalten der regionalen Führungsmacht China auszuüben. Gleichzeitig ermöglicht dieser Prozess Beijing die Teilhabe an der Gestaltung von Weltpolitik und Weltwirtschaft. Eine wachsende Anzahl von beteiligten Beamten und Kadern verinnerlichen auf diesem Wege multilaterale Handlungsmuster.

Die doppelte Einbindung Chinas trägt dazu bei zu verhindern, dass die VR China, die noch nicht auf dem Scheitelpunkt ihrer Macht angelangt ist, diese Machtentfaltung durch unilaterale Handlungsmuster zu einer Bedrohung ihres regionalen und globalen Umfelds werden lässt. Der ASEM-Prozess bewährt sich als eine internationale Institution, die eine auf dem Prinzip der Multilateralität beruhende Multipolarisierung der internationalen Beziehungen fördert.

Anmerkungen

  1. Aus Gründen der Lesefreundlichkeit werden im Folgenden die Bezeichnungen VR China, Volksrepublik, China sowie chinesische Regierung und Beijing synonym verwendet.
  2. Das EU-Policy Paper Chinas sowie die ASEM-Multilateralismus-Erklärung sind in der Asien-Dokumentation dieser Ausgabe enthalten, S.117 ff. und <http://www.internationalepolitik.de>.&nbsp;
Für Vollzugriff bitte einloggen.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 9, September 2004, S. 30‑36

Teilen

0

Artikel können Sie noch kostenlos lesen.

Die Internationale Politik steht für sorgfältig recherchierte, fundierte Analysen und Artikel. Wir freuen uns, dass Sie sich für unser Angebot interessieren. Drei Texte können Sie kostenlos lesen. Danach empfehlen wir Ihnen ein Abo der IP, im Print, per App und/oder Online, denn unabhängigen Qualitätsjournalismus kann es nicht umsonst geben.