Titelthema

28. Okt. 2024

Militärdiplomatie und Machtpolitik: Die Bundeswehr im Indo-Pazifik

Das Engagement besteht bislang vor allem aus einer temporären Präsenz der Marine und Luftwaffe. Ein breiterer Ansatz ist notwendig.

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Die Veränderungen der internationalen Ordnung zeigen sich in Asien besonders deutlich mit Blick auf die regionale Sicherheitsarchitektur. Diese basierte seit dem Ende des Korea-Krieges strukturell auf einem System US-­geführter bilateraler Militärallianzen mit Australien, Japan, Südkorea, Thailand und den Philippinen – dem sogenannten Nabe-und-Speichen-System. 

Deutschland fungierte lange Zeit als Trittbrettfahrer dieser Sicherheitsarchitektur und wurde daher gar nicht als sicherheitspolitischer Akteur wahrgenommen. Die wenigen deutschen sicherheitspolitischen Initiativen in Asien zielten auf die Unterstützung und Ausbildung von Polizeikräften oder den Wiederaufbau nach humanitären und Umweltkatastrophen. Die Bundeswehr war in den vergangenen Jahrzehnten in der Region gar nicht präsent, mit Ausnahme der im Verbund mit anderen EU-Staaten geleisteten Katastro­phenhilfe nach dem Tsunami 2004 in Indonesien und Beiträgen zu den Operationen Enduring Freedom und Atalanta am Horn von Afrika. Allenfalls als Rüstungsexporteur trat Deutschland kontinuierlich in Erscheinung. 

Dies verwundert auf den ersten Blick kaum, denn die deutsche Selbstwahrnehmung ist primär vom Bild des „Handelsstaats“ geprägt. Dass ökonomische Interdependenz Stabilität und Frieden bringt, galt lange als Maxime deutscher Außenpolitik in und gegenüber Asien – und hat im Übrigen in der Region selbst weiterhin viele Anhänger. Handel jedoch betrieb Deutschland vor allem mit einem regionalen Akteur: der Volksrepublik China. 

Und genau dieses China stellt derzeit auf verschiedenen Ebenen die US-geführte regionale Sicherheitsarchitektur offensiv infrage. Indem es diese US-geführte Ordnung als „Relikt des Kalten Krieges“ bezeichnet und den Gegenentwurf einer regionalen Ordnung „von und für Asiaten“ (mit China an der Spitze) propagiert; wirtschaftlich durch die Belt and Road Initiative und den Umstand, dass China den USA in Sachen Handel und Investitionen in Asien längst den Rang abgelaufen hat; und nicht zuletzt militärisch durch die Aufrüstung der Volksbefreiungsarmee, den Ausbau bilateraler Sicherheitspartnerschaften (allen voran mit Russland) und die Militarisierung von großen Teilen des Südchinesischen Meeres. 

Gleichzeitig schwindet in der Region seit Jahren das Vertrauen in die USA. Zum einen aufgrund innenpolitischer Entwicklungen wie der immer stärkeren Polarisierung oder auch der wachsenden Skepsis hinsichtlich des globalen Engagements der USA. Zum anderen, weil Washington nach außen die eigene Zuverlässigkeit gegenüber Partnern und Alliierten wiederholt selbst infrage gestellt hat. Mehr noch, der relative Machtverlust der USA gegenüber China schreitet weiter voran – nicht nur auf wirtschaftlicher, sondern auch auf militärischer Ebene. 

US-Alliierte in der Region versuchen daher, die eigenen sicherheitspolitischen Beziehungen zu diversifizieren – vor allem zu anderen asiatischen Partnern. Die regionale Sicherheitsarchitektur wird somit schrittweise „asianisiert“; sie unterscheidet sich dabei aber deutlich von Xi Jinpings „Asien für Asiaten“. Tatsächlich treibt gerade Chinas immer offensiveres Großmachtstreben diese „Asianisierung“ voran. Auf der Suche nach Partnern blicken viele Staaten der Region auch in Richtung Europa. Ordnungspolitisch befindet sich die Region somit in einem Interregnum, in dem, Antonio Gramsci paraphrasierend, die alte Sicherheitsordnung stirbt, aber die neue noch nicht geboren ist. 

Zwar hält Ostasiens „langer Friede“ derzeit noch an, aber die sicherheitspolitischen Konflikte häufen sich. Darunter sind maritime Auseinandersetzungen zwischen Anrainerstaaten des Südchinesischen und des Ostchinesischen Meeres, allen voran derzeit zwischen den Philippinen und China, der Taiwan-Konflikt und auch der indisch-chinesische Grenzkonflikt. Eine Destabilisierung der Region ­hätte unmittelbare negative Auswirkungen auf wirtschaftliche Interessen, wenn beispielsweise Handelsrouten beeinträchtigt und Lieferketten gestört würden. Allein durch die den Indischen Ozean und das Südchinesische Meer verbindende Straße von Malakka wird rund ein Drittel des internationalen Warenhandels geschifft. Auch deswegen bekennt sich Berlin zu einem stärkeren sicherheits- und verteidigungspolitischen Engagement im sogenannten Indo-Pazifik. 


Leitlinien in der Praxis

„Indo-Pazifik“ ist allerdings ein durch und durch politischer Begriff und daher weder geografischer Natur noch wertneutral. Das Konzept des „Free and Open Indo-­Pacific“, das die USA von Japan übernommen haben, zielt auf die Eindämmung Chinas zum Zwecke der Aufrechterhaltung der US-Hegemonie in Asien ab und ist somit untrennbar verknüpft mit der wachsenden strategischen Rivalität zwischen Washington und Peking. In diesem geopolitisch verstandenen Raum positioniert sich Deutschland nun auch. Zwar betonen die deutschen Indo-Pazifik-Leitlinien (2020) unter anderem wirtschaftliche Interdependenz, multilaterale Zusammenarbeit, die Vermeidung einer „neuen Bipolarität“ und die Verteidigung der „regelbasierten internationalen Ordnung“ als zentrale strategische Interessen. Sie formulieren eine inklusive, keinen Staat formell ausschließende Konzeption des Indo-Pazifik. Besonders in ­Peking jedoch wird „Indo-Pazifik“ generell als gegen China gerichtete, US-geführte Eindämmungsstrategie verstanden. Entsprechend argwöhnisch blickt man auf die sicherheitspolitischen Aspekte deutscher Indo-Pazifik-Politik. 

Deutschland versuchte zunächst auch eine Quadratur des Kreises. Als Anfang 2021 die Route für die Fregatte „Bayern“ geplant wurde, die von August 2021 bis Februar 2022 den Indo-Pazifik durchquerte, sah diese einen Hafenbesuch in Schanghai vor. Peking aber weigerte sich, die „Bayern“ im Hafen anlegen zu lassen, und interpretierte Deutschlands sicherheits­politisches Engagement als Teil antichinesischer Eindämmungsstrategien. 

Auch um dem Vorwurf zu begegnen, rein militärische Machtpolitik zu betreiben, hat sich Deutschland sicherheitspolitisch breiter aufgestellt und strebt ein stärkeres Engagement an, von der Rüstungskon­trolle über Nonproliferation, Cybersicherheit, humanitäre und Katastro­phenhilfe, Piraterie- und Terrorismusbekämpfung, Konfliktbewältigung sowie -prävention bis hin zum Erhalt der regelbasierten Ordnung inklusive der Durchsetzung internationaler Rechtsnormen wie des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen. Die hierfür einzusetzenden Instrumente umfassen Ausbau und Vertiefung von bilateralen und multilateralen Kooperationen in der Region über Verteidigungsdiplomatie bis hin zu gemeinsamen Übungen mit ­Partnerstaaten.

2024 war die Bundeswehr mit einer Fregatte, einem Einsatzgruppenversorger und 32 Flugzeugen im Indo-Pazifik präsent

Tatsächlich liegt bislang der Schwerpunkt deutscher Initiativen überwiegend im militärischen Bereich, während sich das Engagement bei Proliferation, Katas­trophenhilfe und Terrorismusbekämpfung bislang in Grenzen hielt. Am sichtbarsten waren hierbei Initiativen mit maritimem Fokus. Vor dem Hintergrund, dass in Berlin wie auch in vielen Partnerhauptstädten derzeit vor allem die maritime Sicherheit in der Region als bedroht angesehen wird, ist das auch nicht verwunderlich. 

Mit der „Bayern“ wurde im August 2021 erstmals seit zwei Jahrzehnten eine Fregatte nach Asien entsandt. Im Rahmen der formell als Ausbildungsmission deklarierten Entsendung wurden vor allem verteidigungsdiplomatische Aufgaben erfüllt: diverse Hafenbesuche als, so die Bundeswehr, „Botschafter in Blau“ sowie viele bilaterale Einzelübungen mit Marinestreitkräften anderer Nationen und die Teilnahme an multilateralen Manövern. Zudem wurde die Entsendung in Berlin als Beitrag „an der Seite internationaler Wertepartner für die Freiheit der See­wege und die Einhaltung des Völkerrechts in der Region“ dargestellt. Geopolitische Brennpunkte wie die Taiwan-Straße wurden ­allerdings umschifft. 

Auf die Entsendung der „Bayern“ folgte die deutsche Luftwaffe mit der Verlegung von 13 Militärflugzeugen in die Region („Rapid Pacific 2022“). In diesem Rahmen nahm die Luftwaffe unter anderem an „Pitch Black“ teil, dem größten Luftwaffenmanöver Australiens, zusammen mit 16 weiteren Staaten. Neben militärischen Übungen und Verteidigungsdiplomatie diente „Rapid Pacific 2022“ auch als Signal an regionale Partner, dass die Bundeswehr – trotz des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und den damit verbundenen sicherheitspolitischen Herausforderungen in Europa – in der Region weiterhin präsent sein kann und will.

2023 nahm das Heer an der multinationalen Übung „Talisman Sabre“ in Australien teil. 2024 wurden eine Fregatte und ein Einsatzgruppenversorger in die Region entsandt, ebenso die Luftwaffe, die mit 32 eigenen Flugzeugen präsent war. Neben diversen bi- und minilateralen Übungen und Besuchen von Partnerländern nahmen 2024 Marine und Luftwaffe gemeinsam am multilateralen US-Großmanöver RIMPAC vor Hawaii teil. Von Seiten der Bundesregierung wurde erneut betont: „Unser Ansatz ist multilateral, inklusiv, partnerschaftlich und europäisch eingebettet, und unser Engagement ist gegen niemanden gerichtet, sondern setzt sich für die Einhaltung der regelbasierten internationalen Ordnung ein.“ Im Unterschied zu 2021 erfolgte dieses Mal die Durchfahrt durch die Taiwan-Straße, aus deutscher Sicht ein „internationales Gewässer“, das von China nicht als solches anerkannt wird. 


Eine sinnvolle strategische Option

In Berlin ist mittlerweile unstrittig, dass die eigene Sicherheit weder am Hindukusch noch in der Straße von Taiwan verteidigt wurde bzw. wird, sondern in Europa – derzeit primär an der NATO-Ostflanke. Angesichts der damit zusammenhängenden Verpflichtungen und Einsätze ist ein zusätzliches Engagement im Indo-Pazifik nur leistbar, wenn an anderer Stelle weniger getan wird. Bereits jetzt wird aus Sicht von Kritikern die Überwachung von kritischer maritimer Infrastruktur in Nord- und Ostsee und der Schutz der Schifffahrt im Roten Meer zugunsten des Indo-Pazifiks vernachlässigt. Gleichzeitig ist jedoch plausibel anzunehmen, dass die geopolitischen Spannungen im Indo-Pazifik weiter wachsen und regionale Stabilität und Sicherheit fragiler werden. 

Da die direkten Einflussmöglichkeiten Deutschlands auf den Hegemoniekonflikt der Großmächte im Indo-Pazifik begrenzt sind, erscheint die Herausbildung eines möglichst dichten Geflechts an Sicherheits­partnerschaften mit einer diversen Gruppe von regionalen Partnern als sinnvollste strategische Option, um den ­Großmächtekonflikt einzuhegen. Hierbei geht es vor allem um die Staaten der Region. Dies betrifft gleichsam US-­Alliierte wie Japan oder die Philippinen und Staaten außerhalb des US-Allianzsystems. Je komplexer das regionale Geflecht aus bi-, mini- und multilateralen Sicherheitsbeziehungen ist, desto schwieriger werden im Prozess der Asianisierung der Sicherheitsarchitektur Blockbildung, Großmächtekonfrontation und Nullsummenlogik. 

Deutschlands Beiträge zu einer post-hegemonialen Sicherheitspolitik im Indo-Pazifik sollten jedoch nicht auf Verteidigungspolitik in Gestalt von regelmäßigen Marinebesuchen und Verteidigungsdiplomatie beschränkt bleiben. Zwar ist die temporäre Entsendung von Bundeswehr­einheiten eine deutlich sichtbare Initiative; die Bedeutung politischer Signale soll hier nicht kleingeredet werden. Aber angesichts der Tatsache, dass in vielen deutschen Botschaften der Region bislang nicht einmal Militärattachés Dienst versehen, ist der verhältnismäßig hohe Ressourcen­einsatz doch fraglich. Denn besonders in Asien sind persönliche Kontakte, Ansprechbarkeit und regelmäßige Treffen für die konkrete Ausgestaltung von Kooperationsbeziehungen zentral. Zudem ­könnten durch eine engere europäische Koordinierung von Entsendungen Skalen­effekte erzeugt werden. 

Die Sicherheitsbedrohungen in der Region sind vielfältig. Sie betreffen vielerorts nicht nur Chinas Großmachtansprüche, sondern auch Fragen der Ernährungs-, Energie- oder Umweltsicherheit. Schon aufgrund der eigenen limitierten Ressourcen gilt für Berlin, klare Prioritäten zu setzen, kohärente Signale zu senden, hochrangig präsent zu sein und die Kooperation mit einer durchaus heterogenen Gruppe von Partnern zu suchen.               

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, November/Dezember 2024, S. 62-65

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Themen und Regionen

Dr. Felix Heiduk leitet die Forschungsgruppe Asien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

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