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01. Febr. 2007

Mehr Ökologie wagen

Buchkritik

Mutmacher: Der ehemalige US-Vizepräsident ruft erneut zum Umdenken in der Klimapolitik auf. Die Zeichen, dass er diesmal gehört wird, stehen nicht schlecht.

14 Jahre nach der Veröffentlichung seines Bestsellers „Earth in the Balance“  (deutsch: „Wege zum Gleichgewicht“) hat Al Gore wieder ein Buch zur ökologischen Krise vorgelegt: „Eine unbequeme Wahrheit“ (im Original „An Inconvenient Truth“). Das neue Werk unterscheidet sich jedoch gewaltig von dem des Jahres 1992, als Gore an der Seite von Bill Clinton ins Weiße Haus gewählt wurde. Ging es seinerzeit auf 400 eng bedruckten Seiten eher intellektuell zu, so jagt die Lektüre der „unbequemen Wahrheit“ den Lesern zunächst einen Schrecken ein: Mit Hilfe von Fotos, Satellitenaufnahmen, Projektionen, Graphiken, Tabellen und wissenschaftlichen Kronzeugen zeigt der Autor ein ums andere Mal, wie die Menschheit derzeit dabei ist, dem Planeten Erde im wahrsten Sinne des Wortes einzuheizen und so ihre eigene Lebensgrundlage zu ruinieren.

Gore demonstriert, mit welch rasanter Geschwindigkeit die Gletscher der Anden, der Rocky Mountains, des Himalaya, der Alpen oder des Kilimandscharo schwinden und mit welch drastischen Folgen für die großen Flüsse und die menschliche Wasserversorgung zu rechnen ist. Akribisch dokumentiert er die Wirbelstürme im Golf von Mexiko, zeichnet die Spur ihrer Verwüstungen nach und rechnet die explodierenden Folgekosten der nunmehr im Jahresrhythmus auftretenden „Jahrhundertstürme“ vor. Auch auf Afrika, den „vergessenen Kontinent“, wird der Blick gerichtet. Anders als in weiten Teilen Europas, Nordamerikas und Südasiens ist hier nicht mit einer Zunahme an Niederschlägen durch den Klimawandel zu rechnen, sondern mit einem weiteren Rückgang, also einer Ausbreitung der Wüsten, dem Schrumpfen von Süßwasserreservoiren und mit armutsbedingten Völkerwanderungen.

Bei der Suche nach den Schuldigen dafür, dass es trotz der erdrückenden Belege für den Klimawandel mit der Bekämpfung des Problems national wie international nicht recht vorangehe, nennt Gore in erster Linie die gegenwärtige US-Regierung. Die Bush-Administration habe sich faktisch zum Handlanger einiger Öl-, Kohle- und Stromkonzerne gemacht und den Irrglauben verbreitet, Klimaschutz und ökonomische Prosperität schlössen einander aus. Auch den Medien stellt Gore kein gutes Zeugnis aus. Er beklagt ihre zunehmende Beliebigkeit und zitiert eine vielsagende Studie: Von 928 Artikeln zum Klimathema in hochrangigen wissenschaftlichen Zeitschriften habe kein einziger die Existenz des menschgemachten Treibhauseffekts in Zweifel gezogen, von 636 Artikeln in den wichtigsten US-Zeitungen hingegen hätten 53 Prozent den Klimawandel bezweifelt. So sei in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, es sei keineswegs sicher, ob der Mensch durch sein Handeln das Klima beeinflussen könne.

Bei aller Kritik an der gegenwärtigen US-Regierung bleibt Gore Patriot. Wohl wird das Kyoto-Protokoll als Beitrag zur internationalen Kooperation gewürdigt, doch als Motor des Klimaschutzes sieht Gore nicht die Staatengemeinschaft, sondern die USA. Sein Credo: „Wir haben eine neue Nation gegründet, die auf Freiheit und individueller Würde fußt. Wir haben moralisch entschieden, dass Sklaverei etwas Böses ist und sie abgeschafft. Wir haben das Frauenwahlrecht eingeführt, den Faschismus im Atlantik und im Pazifik zugleich niedergekämpft, gefährliche Seuchen besiegt, die Bürgerrechte für alle durchgesetzt und sind auf dem Mond gelandet. Jetzt ist es an der Zeit, den Klimawandel entschieden zu bekämpfen. Die Mittel dazu haben wir!“

Gore will Mut machen. Dabei setzt er seine Hoffnung weniger auf die Regierung in Washington, sondern auf amerikanische Gemeinden, Bundesstaaten und Unternehmen. Er lobt Technologie-unternehmen wie General Electric, empfiehlt den Emissionshandel der nordöstlichen Bundesstaaten als geeignetes Instrument, um den Marktkapitalismus für Zwecke des Klimaschutzes zu nutzen, und listet die vielen US-Städte und -Gemeinden auf, die freiwillig das Kyoto-Protokoll ratifiziert haben. Im Schlusskapitel des Buches führt er eine Fülle von Maßnahmen auf, die jeder einzelne ergreifen kann, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.

Al Gore hat mit seinem Buch und dem gleichnamigen Kinofilm in den USA einen Nerv getroffen, denn er steht keineswegs allein. Schon spricht das Newsweek-Magazin von „America’s Newest Eco-Craze“, und Republikaner wie Kaliforniens Senator Schwarzenegger sind nicht mehr gewillt, die klimapolitische Ignoranz der Bush-Administration mitzutragen. Wenn Amerika sich entscheiden sollte, mit dem Klimaschutz ernst zu machen, wäre Europa am Zug. Denn dann gäbe es keinen Grund mehr, sich hinter dem Nichtstun der USA zu verstecken.

Al Gore:  Eine unbequeme Wahrheit. Die drohende Klimakatastrophe und was wir dagegen tun können. München: Riemann 2006, 328 Seiten, € 19,95

Dr. Reinhard Loske, MdB. Siehe auch seinen Beitrag „Zur Sonne!“, S. 54–57.

 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, Februar 2007, S. 131 - 133.

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