„Mehr Mut zur Leistung“
Interview mit Hans-Olaf Henkel zum Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland
Deutschlands Forschungslandschaft kann sich im internationalen Vergleich sehen lassen. Doch
das allein garantiert nicht, dass das Land auf lange Sicht konkurrenzfähig bleibt. Vor allem die
Universitäten leiden unter chronischer Unterfinanzierung, Überreglementierung und staatlicher
Gängelei, so der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft. Statt Förderprogramme aufzulegen, sollte
auch in diesem Bereich mehr Wettbewerb zugelassen werden. Kurz: mit mehr Autonomie für den
Einzelnen, weniger Hang zur Gleichmacherei und mehr Mut zur Leistung könnte Deutschland
wieder zur Weltspitze aufschließen.
Herr Henkel, Sie sind seit Juli 2001 Präsident der
Leibniz-Gemeinschaft, der 80 Forschungsinstitute
angehören. Darüber hinaus gibt es in Deutschland
zusätzlich zu den über 60 Universitäten noch die
Max-Planck-Gesellschaft mit 77, die Fraunhofer-Gesellschaft mit
58 und die Helmholtz-Gemeinschaft mit 15 angegliederten
Forschungseinrichtungen. Ist es wirklich so schlecht bestellt
um den Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland?
Die außeruniversitären Forschungsorganisationen
sind noch ganz gut aufgestellt, auch wenn die von
Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn ohne Not und ohne
sachlichen Grund angezettelte Debatte um eine Zerschlagung der
Leibniz-Gemeinschaft in den Instituten für große
Verunsicherung sorgt. Aber die Hochschulen leiden unter
chronischer Unterfinanzierung, Überreglementierung und
staatlicher Gängelung. Deshalb wird der von der
Bundesforschungsministerin ausgerufene Eliteuni-Wettbewerb nur
dann Früchte tragen können, wenn die Hochschulen mehr
Freiheit bekommen – die Freiheit, Studiengebühren zu
erheben oder eben auch nicht, die Freiheit, sich die Studenten
selbst auszusuchen, die Freiheit, leidenschaftlichen Forschern
weniger, exzellenten Hochschullehrern mehr Vorlesungen zu
gestatten. Insgesamt gibt Deutschland, Staat und Wirtschaft,
aber im internationalen Vergleich mit den führenden
Technologienationen zu wenig für die Forschung aus.
Jährlich fehlen rund 20 Milliarden Euro.
Toll Collect und Transrapid: „Made in Germany“
scheint kein Gütesiegel mehr zu sein. Sind dies Ausnahmen
oder ist Deutschland wirklich bereits eine – wie Sie
sagen – „Schlamperrepublik“ geworden?
Die beiden Beispiele passen nicht zusammen. Das Mautdebakel
ist tatsächlich ein Beispiel dafür, wie sich die
Töchter zweier führender deutscher Unternehmen unter
tatkräftiger Mithilfe der Bundesregierung an einem
überambitionierten Projekt verhoben haben. Der Transrapid
hingegen steht für eine innovative marktreife Technologie,
die nur eben hier zu Lande keiner haben wollte. Also lautet die
Antwort: teils, teils.
Wie kann Forschung in Deutschland verbessert werden? Sollte
der Staat mehr fördern oder muss die Industrie mehr
investieren? Wer entscheidet, welche Art von Forschung
zukunftsträchtig ist?
Beide müssen mehr tun. Welche Art Forschung am Ende
Erträge abwirft, entscheidet sich allerdings immer erst im
Nachhinein. Die bedeutendsten – und die ertragreichsten
– Wissenschaftsergebnisse sind aus dem freien Spieltrieb
der Forscher entstanden und aus dem Vergnügen, die
Forschungsarbeit aus sich selbst heraus verschafft. Die
wirklich radikal neuen Ergebnisse sind erzielt worden ohne
jegliche Absicht, sie einem Nutzen zuzuführen. Dies ist
eine Tatsache, die man besonders in Zeiten enormen finanziellen
Druckes nicht gerne zur Kenntnis nimmt. Aber die Wirklichkeit
ist so. Deshalb muss der Staat inhaltliche Vorgaben
unterlassen, darf und sollte aber natürlich auf die
Einhaltung von Exzellenzkriterien und ethischen Normen
achten.
Oft werden die USA als Vorbild angeführt, wenn es um
Spitzenforschung geht. Was können wir von den USA
lernen?
Dass Wettbewerb der entscheidende Schlüssel zu
Spitzenleistungen ist.
Halten Sie die Vorschläge der Bundesregierung zur
Förderung von Eliteuniversitäten für
sinnvoll?
In der ursprünglichen Form nicht. Aber Bund und
Länder haben jetzt einen guten Kompromiss erreicht und die
Förderung von exzellenten Forschungsverbünden und
Nachwuchsgruppen mit aufgenommen.
Obwohl die Bundesregierung Anfang des Jahres eine
Innovationsinitiative ausgerufen hat, sagen Sie, dass sie zu
wenig Geld für Forschung & Entwicklung ausgibt. Doch
wo soll das Geld herkommen bei einer Staatsverschuldung von
über drei Prozent?
Wir leisten uns Sozialsysteme, die jedes Jahr 600 Milliarden
Euro verbrauchen, und wir gewähren Subventionen von
deutlich über 100 Milliarden Euro. Dagegen nehmen sich die
fehlenden 20 Milliarden für die Forschung doch recht
bescheiden aus. Außerdem wird umgekehrt ein Schuh draus:
Auch weil Deutschland zu wenig für die Forschung tut,
lahmt die wirtschaftliche Dynamik und die öffentlichen
Haushalte geraten in Unordnung.
Deutsche Unternehmen verlagern nicht nur die Produktion,
sondern in zunehmendem Maße auch ihre Forschungs- und
Entwicklungsabteilungen ins Ausland. Wie kann man
verhindern, dass mehr und mehr Arbeitsplätze im Bereich
F&E verloren gehen?
Erstens durch exzellente Ausbildung. Wenn Deutschland die
besten Ingenieure und Wissenschaftler hat, dann bleiben auch
die Entwicklungsabteilungen hier. Zweitens durch Anreize, die
für eine begrenzte Zeit dabei helfen, in Ostdeutschland
anspruchsvolle Arbeitsplätze im Forschungssektor
aufzubauen. Drittens durch mehr Pragmatismus und weniger
Ideologie, damit Wissenschaftler und Unternehmen auch auf
Feldern wie der grünen Gentechnik oder der
Stammzellforschung ihre Kreativität ungehindert einsetzen
können.
In Interviews und Artikeln sehen Sie oft den Staat in der
Pflicht, Deutschland zum Aufschwung zu verhelfen. Tragen die
Unternehmen und ihre Manager keinerlei Schuld an der
Misere?
Den Aufschwung können nur die Unternehmen tragen. Aber
der Staat darf ihnen keine Knüppel zwischen die Beine
werfen, wie etwa durch Dosenpfand und
Ausbildungsplatzabgabe.
Sie haben auch gesagt, dass die Entscheidungsprozesse hier
zu Lande zu schwerfällig geworden sind und schlagen daher
einen Konvent für Deutschland vor. Wie soll dieser Konvent
aussehen? Was soll er im Idealfall erreichen?
Den Konvent gibt es. Unter der Leitung von
Altbundespräsident Roman Herzog machen führende
Wirtschaftsvertreter und „Elder Statesmen“ aller
Parteien Vorschläge für eine Reform unserer
Reformfähigkeit, wie ich es nenne. Dazu gehören zum
Beispiel das Wiedererstarken des Föderalismus oder eine
klare Zuordnung der Steuerhoheit, indem die Finanzverfassung
reformiert wird. Im Idealfall steht am Ende also eine
Erneuerung unserer Verfassung. Unter
<http://www.konvent-fuer-deutschland.de> können Sie
sich ein Bild machen.
Was muss sich in Deutschland ändern, damit wir in
puncto Forschung, Bildung und Wirtschaftsleistung wieder zur
Weltspitze gehören?
Mehr Mut zur Leistung, mehr Autonomie für den
Einzelnen, weniger Hang zur Gleichmacherei.
Die Fragen stellte Anja Papenfuß.
Internationale Politik 5, Mai 2004, S. 74-76
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