IP

01. Juli 2010

Letzte Rettung

Geo-Engineering statt CO2-Reduktion?

Sind rein technische Möglichkeiten zur Bewältigung des Klimawandels ethisch zu vertreten? Welche politischen Regeln wären notwendig? Diese Fragen diskutierte die IP in ihrer Januar-/Februar-Ausgabe. Die Zweifel überwogen. Aber auf diese Möglichkeit zu verzichten, wäre ein Idealismus, den man sich angesichts der drohenden Gefahren nicht leisten kann.

Es mag ja noch einige Standhafte geben, die glauben, man könne sich kurz- oder mittelfristig auf Reduktionsziele für Treibhausgase einigen. Dabei hätten zwei Jahrzehnte vergeblicher Verhandlungsrunden sie eines Besseren belehren sollen. Nachdem nun auch der Kopenhagener Klimagipfel vom Dezember 2009 grandios gescheitert ist, wächst das Interesse an Methoden des Geo-Engineering (GE) zur Bekämpfung eines Klimawandels. Sie funktionieren auf der Basis eines sehr einfachen Prinzips, nämlich die Intensität der Sonnenstrahlen mit Hilfe eines technischen Eingriffs zu reduzieren, um so einer durch Treibhausgase verursachten Klimaerwärmung entgegenzusteuern. Laut Studien des International Panel on Climate Change (IPCC) reflektieren bereits jetzt unabsichtlich in die Stratosphäre eingebrachte Aerosole die Sonnenstrahlen so intensiv zurück in die Atmosphäre, dass damit die sonst durch Treibhausgase verursachte Erwärmung um 40 Prozent reduziert wird.1

Es gibt mindestens zwei Optionen, mit denen sich eine globale Erwärmung mit Hilfe einer künstlichen Steuerung der Sonneneinstrahlung, einem „Solar Radiation Management“ (SRM) verringern ließe. Eine Option bestünde darin, kleine Mengen von Sulfat-Partikeln mit Hilfe verschiedener Methoden in die Stratosphäre einzubringen. Nach ein bis zwei Jahren würden diese Partikel in Form von Regen oder Schnee wieder zur Erde fallen und zwar in einer Quantität, die im Vergleich mit heutigen Emissionsniveaus gering ist. Eine zweite Option wäre die künstliche Wolkenbildung über dem Meer. Hierbei würde ein feiner Nebel von Salzwassertropfen auf das Niveau niedriger Meereswolken befördert. Dafür könnte eine Flotte ferngesteuerter Hightech-Schiffe eingesetzt werden, die den Nebel hoch sprühen. Nach Verdunsten des Wassers bleiben winzige Salzpartikel, die in die Atmosphäre aufsteigen, die Wolken erhellen (und sie länger erhalten) und damit eine größere Reflektion der Sonnenstrahlen ermöglichen. Einige Studien gehen davon aus, dass mit dieser Methode eine Abkühlung erreicht wird, die etwa 40 Prozent der Erwärmungseffekte durch das jetzige Emissionsniveau neutralisieren würde.

Nutzen und Risiken

Der potenzielle Nutzen des Geo-Engineering ist im Vergleich zu den derzeit zu erwartenden Kosten der Anwendung sehr hoch. Er wird insgesamt an den Schäden zu bemessen sein, die durch Klimaveränderung bereits eingetreten sind und an der Art der Regelungen, die zur Reduzierung von Emissionen gefunden werden. Sollte ein Geo-Engineering im Jahr 2055 zu einer ersten Anwendung kommen und danach für 200 Jahre genutzt werden, könnten die Kosten einer Klimaveränderung um vier bis neun Billionen Dollar (nach dem Dollar-Stand von 2005) reduziert werden. In einer Nachfolgestudie für das American Enterprise Institute kamen mein Koautor Eric Bickel und ich zu folgendem Schluss: Sollte Geo-Engineering als Rettungsmaßnahme in einem Klimanotfall eingesetzt werden, so könnte sich der potenzielle Nutzen auf 14 Billionen Dollar belaufen.2

Neben diesem potenziellen Nutzen gibt es aber auch diverse Risiken, die mitbedacht werden müssen. Am bedrohlichsten erscheint eine mögliche Veränderung globaler Niederschlagsmuster. Vor allem könnte sich ein solches Solar Radiation Management auf den Sommermonsun auf dem Indischen Subkontinent auswirken. Noch sind die vorliegenden Modelle zu ungenau, um diese Risiken genau einschätzen oder quantifizieren zu können und sicherlich gibt es noch einige weitere Bedenken, denen man sorgfältig Rechnung tragen muss. Obwohl die Risiken grundsätzlich eher gering wären, scheint man sich gegenwärtig wohl generell vor dem Unbekannten zu fürchten.

Bestimmte Probleme wie die Versauerung der Ozeane, die ebenfalls durch den Klimawandel verursacht werden, kann Geo-Engineering nicht lösen. Hier hilft tatsächlich nur eine Emissionsreduktion von Treibhausgasen. Ein Allheilmittel sind Reduktionen aber auch nicht. Es dauert viel zu lange, bis sie eine Wirkung zeigen, und für einen Einsatz zur Bewältigung eines überraschend eintretenden Klimanotfalls sind sie überhaupt nicht geeignet. Ein Solar Radiation Management hingegen könnte innerhalb weniger Monate zu einer substanziellen Abkühlung beitragen.

Aus diesen Gründen beginnen viele Experten, sich intensiver mit den Möglichkeiten von Geo-Engineering auseinanderzusetzen. Das US-Repräsentantenhaus wie auch das britische Parlament haben Forschungsarbeiten in Auftrag gegeben. Die renommierte Royal Society in Großbritannien und eine amerikanische Stiftung haben kürzlich Forschungsberichte zu diesem Thema veröffentlicht, und auch die Europäische Union hat die Erstellung einer Studie veranlasst.

Ethische Bedenken

Neben neuen Befürwortern regt sich auch Widerstand gegen Optionen des Geo-Engineering, besonders des Solar Radiation Management. Über den Einsatz von solchen aktiv das Klima beeinflussenden Maßnahmen, wird argumentiert, könne erst auf der Grundlage eines informierten, globalen Konsenses entschieden werden. Ohne eine solche Übereinstimmung dürften auch keine Tests durchgeführt werden. Dabei zeigen doch die Realitäten der Weltpolitik, dass ein solcher „globaler Konsens“ nichts als eine schöne Illusion ist.

Gerade im Bereich der Klimapolitik wirkt eine solche Vorbedingung bizarr. Etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung, vor allem die in den ärmeren Ländern, haben noch nie etwas von „Klimaveränderung“ gehört. Die meisten Regierungen in den Ländern der Dritten Welt regieren auch nicht gerade auf der Grundlage eines „informierten Konsenses“ unter ihren Bürgern. Wer einen solchen Konsens als eine unverzichtbare Vorbedingung für Tests fordert, sagt im Grunde nur, dass überhaupt keine Tests durchgeführt werden dürfen. Nur muss eine solche Forderung nicht unbedingt das Beste für die Menschheit sein, in deren Namen die Kritiker ja gerne sprechen.

Niemand hat einen globalen informierten Konsens gefordert, als es um die Festlegung von Zielvorgaben für die Emission von Treibhausgasen ging – obwohl gerade die Menschen in den ärmeren Ländern einen nicht geringen Teil der Lasten (und auch Risiken) zu tragen haben. Auch bei der Frage der nuklearen Proliferation (der zivilen Nutzung von Kernkraft), bei der Konzentration auf Biotreibstoff, der die Nahrungsversorgung gefährden kann oder im Falle ökoprotektionistischer Maßnahmen, die Handelskriege auslösen können, wird nicht nach einem „globalen Konsens“ gefragt.

Warum wird dann beim Thema Geo-Engineering mit zweierlei Maß gemessen? Zudem haben Regierungen der reicheren Länder auch ganz klare Verpflichtungen gegenüber ihren eigenen Bürgern. Nur wenige Staatschefs würden es wohl dulden, dass die abstrakte Idee eines globalen informierten Konsenses Aktionen blockiert, die notwendig sind, um ihre eigene Bevölkerung zu schützen. Wer sich darauf einlässt, dürfte wohl nicht mehr lange im Amt verbleiben.

Rettung im Alleingang?

Ein zweites Argument gegen einen aktiven Eingriff in das Klima lautet, dass ein einzelner Staat Geo-Engineering-Technologien im Alleingang anwenden könnte. Fraglos verfügen Staaten wie die USA, China, Indien oder Russland, die im Übrigen alle Nuklearmächte sind, über dieses Potenzial. Das angestrebte Ziel einer globalen Erwärmung von maximal zwei Grad kann – zumindest im 21. Jahrhundert – mit einer geringfügigen Erdabkühlung erreicht werden. Ein Solar Radiation Management könnte deshalb in kleineren Schritten zur Anwendung kommen. Wollte man solche Maßnahmen mit einer militärischen Intervention verhindern, wären die Kosten vermutlich wesentlich höher als die Schäden, die durch Geo-Engineering und eine Abkühlung des Klimas entstehen könnten. Dass man mit militärischen Mitteln gegen Großmächte vorgeht, die unilateral SRM einsetzen, ist deshalb sehr unwahrscheinlich. Handelssanktionen wären ein weniger destruktiver Ansatz. Aber die Erfahrung zeigt auch, dass Sanktionen kleinerer gegen größere Staaten jenen schadet, die sie verhängen, dass sie selten zum Ziel führen und deshalb auch nicht häufig angewandt werden.

Eine wesentlich effektivere Methode, eine Klimaabkühlung durch Geo-Engineering zu verhindern, wäre ein „Gegen-Geo-Engineering“. Mit Hilfe freigesetzter Rußpartikel könnten die tieferen Schichten der Atmosphäre wieder erwärmt werden. Würden diese Partikel auf die Erde fallen und dort die Absorption des Sonnenlichts erhöhen, könnte dieser Effekt noch verstärkt werden. Diese Technik erscheint weder besonders kostenintensiv noch erfordert sie ausgefeilte Technologie. Auf einen künstlichen Eingriff in das Klima mit einem weiteren Eingriff zu reagieren, verstärkt sicherlich nur sämtliche Befürchtungen vor den Nebenwirkungen von Geo-Engineering – aber genau dieses Risiko wäre geeignet, Alleingänge zu vermeiden. Denn warum sollte ein Staat Maßnahmen ergreifen, die von einem anderen Staat unterlaufen werden könnten? Russland, dessen historischer Drang nach Warmwasserhäfen nur allzu bekannt ist, bekundet ein ausgeprägtes Interesse an Geo-Engineering. Aber aus den genannten historischen Gründen wäre es wohl eher unwahrscheinlich, dass Moskau im Alleingang technologische Methoden zur Abkühlung des Klimas anwenden würde.

Sollten weitere Forschungen bestätigen, dass „Gegen-Geo-Engineering“ funktioniert, wird dieser Umstand mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verschiebung der Machtpositionen bei den kommenden Verhandlungen über ein globales Regulierungssystem für Geo-Engineering führen. Auch aus anderen Gründen könnten die niedrigen Anwendungskosten von GE darüber hinwegtäuschen, wie schwierig sich die Durchführung von Climate-Engineering-Maßnahmen tatsächlich gestalten würde. Kleinere Staaten könnten durch die Androhung gravierender Handelssanktionen, aber auch durch die Drohung mit militärischer Gewalt, effektiv von der Umsetzung ihrer Pläne abgehalten werden.

Die Großmächte werden vermutlich durch mindestens drei Faktoren in ihrem Handeln begrenzt: Erstens müssen Staaten in geopolitischer Hinsicht die vitalen Interessen ihrer natürlichen Verbündeten berücksichtigen. Für die USA ist ein starkes und stabiles Indien ein wichtiger Faktor für das globale Gleichgewicht der Kräfte. Jedes Vorhaben, das den indischen Monsun gefährden könnte, würde deshalb auf ernsthafte Widerstände innerhalb der USA stoßen. China mag hier allerdings andere Prioritäten setzen.

Zweitens verstärken die Interdependenzen des „globalen Dorfes“ das Interesse offener Gesellschaften an Wohlstand, Stabilität und Wohlergehen anderer Nationen. Globaler Handel, vernetzte Märkte und mobile Bevölkerungen erweitern die einstmals engeren Definitionen des aufgeklärten nationalen Eigeninteresses. Gesellschaften, die den Klimawandel im Süden immer stärker als Bedrohung ihrer eigenen nationalen Sicherheit empfinden, sind deshalb wahrscheinlich nicht bereit, die eigene Stabilität durch unbesonnenes Geo-Engineering zu riskieren.

Drittens unterliegen demokratische Regierungen auch der Kontrolle von Interessengruppen, die ein Geo-Engineering unterbinden oder zumindest einschränken könnten. Innerhalb der Europäischen Union wären es gewiss grüne Gruppierungen, die sich vehement gegen solche Maßnahmen aussprechen oder sie verhindern würden. In den USA existiert ein tiefer Graben zwischen eher linken Amerikanern, die eine Reduktion von Treibhausgasen befürworten, und Rechten, die bezweifeln, ob es überhaupt einen Klimawandel gibt. Beide Gruppierungen könnten und würden vermutlich Geo-Engineering unterbinden wollen. Und da nicht geklärt ist, wie sich Solar Radiation Management auf den indischen Monsunregen auswirken würde, darf man auch damit rechnen, dass sich die relativ große indische Diaspora vehement gegen solche Maßnahmen stark machen würde.

Im Laufe der Zeit könnten sich diese Argumentationsmuster jedoch verändern. Die Prioritäten der Großmächte dürften sich einander annähern. In wenigen Jahrzehnten wird der Klimawandel bestimmt weder für Russland noch für die USA einen Nettonutzen erbringen. Zudem kann auch das Risiko eines schlagartigen und folgeschweren Klimaumbruchs nicht mehr ausgeschlossen werden. Sollte der Meeresspiegel steigen und die chinesischen Küstenstädte gefährden, in denen ein Großteil der Industrie angesiedelt ist, oder sollte das Land von häufiger auftretenden Dürren heimgesucht werden, dann könnte dies das Interesse Pekings an Geo-Engineering durchaus steigern.

Technologie für die Großen

Wie also kann die Welt in dieser Frage weiter verfahren? Die Vorzüge von Climate-Engineering sind bedeutend, die Risiken hingegen beunruhigend und die politischen Barrieren beachtlich. US-Botschafter Richard Benedick schlug vor, dass die 15 größten Weltmächte Testläufe durchführen sollten, um danach auch die Verantwortung für eine Anwendung zu übernehmen. Das Management von Geo-Engineering wird eine Vielzahl von Entscheidungen erfordern und mit fortschreitender Sachkenntnis wird das System auch immer wieder neue Feinabstimmungen erfordern. Erwartungen und Interessen werden regional differieren und die Verhandlungskosten können hoch sein. Sind zu viele Spieler beteiligt, könnte der Prozess auch schnell zum Erliegen kommen.

Die größeren Mächte verfügen über die Möglichkeit, unilateral zu handeln, und deshalb kommt ihnen automatisch eine tragende Rolle in der Entscheidungsfindung zu. Da ihre Interessen jedoch so unterschiedlich gelagert sind, kann man voraussetzen, dass sie sich gegenseitig in Schach halten, dass sie nur sehr vorsichtig agieren und dass sie die möglichen negativen Auswirkungen solcher Aktionen durchaus im Blick behalten. Kontrollieren nur Staaten ein Geo-Engineering, die auch über die entsprechenden Fähigkeiten verfügen, dann wären Erpressungsversuche von Dritte-Welt-Kleptokratien vermeidbar, die sich ihre Zustimmung (wie sonst leider bei UN-Verhandlungen üblich) bezahlen ließen und sich ansonsten darauf verlegen würden, den Fortschritt zu behindern.

Sicherlich werden auch die größeren Mächte kaum in der Lage sein, ein perfekt funktionierendes Kontrollsystem zu errichten und aufrechtzuerhalten. Wir werden es ja auch nicht so schnell erleben, dass der Löwe friedlich neben dem Lämmchen liegt oder dass auf der Erde universal die Demokratie ausbricht. Aber im Stillstand zu verharren und darauf zu warten, dass jemand die Patentlösung für all diese Probleme findet, wäre ein all zu teuer bezahlter Idealismus.

LEE LANE ist Resident Fellow und Kodirektor des Geo-Engineering Project des American Enterprise Institute in Washington, DC.

  • 1Intergovernmental Panel on Climate Change, Summary for Policymakers, in: Climate Change 2007: The Physical Science Basis – Contribution of Working Group I to the Fourth Assessment Report of the IPCC.
  • 2J. Eric Bickel und Lee Lane: An Analysis of Climate Engineering as a Response to Climate Change, Copenhagen Consensus Center, Copenhagen Consensus on Climate 2009; 
J. Eric Bickel: The Climate Engineering Option: Economics and Policy Implications, 
AEI Geoengineering Project 2010.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2010, S. 106 - 111

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