Kooperation mit mehr Energie
Rohstoff-Partnerschaft mit Russland
Auf der einen Seite Russland als Energiequelle der Welt, auf der anderen die auf Rohstoffimporte angewiesenen EU-Staaten: Wie kommen sie künftig besser zusammen? Durch neue Formen der Kooperation, für die es im deutsch-russischen Verhältnis schon gute Beispiele gibt. Russland sendet positive Signale aus: Europa sollte die Chance ergreifen.
Die sichere Versorgung mit fossilen Rohstoffen – zu ausgewogenen und langfristig kalkulierbaren Preisen – wird noch für mindestens drei Dekaden ein existenzielles Thema für die großen Industriestaaten bleiben. Den europäischen Rohstoffimporteuren ist dies genauso bewusst wie dem größten Rohstofflieferanten Europas: der Russischen Föderation. Aus dieser Erkenntnis, dem enormen Ressourcenreichtum und dem sprunghaft angestiegenen globalen Rohstoffbedarf seit der Jahrtausendwende speist sich das neue Selbstbewusstsein Russlands als Energiequelle der Welt. Daraus erwuchs eine Position der wirtschaftlichen Stärke, die das Bestreben nährte, auf außenpolitischer Ebene an Einfluss zu gewinnen.
Die in westlichen Medien propagierte vermeintlich einseitige Abhängigkeit der europäischen Volkswirtschaften vom russischen Wohl und Wehe führte leider zu einem verbalen Kräftemessen, das an die Rhetorik des Kalten Krieges erinnerte. Aus russischer Sicht wurde die Grenze des kritischen Dialogs spätestens dann überschritten, als Moskaus Wirtschaftsentscheidungen vor dem Hintergrund einer möglichen Gefährdung der europäischen Versorgungssicherheit mit großer Vehemenz kritisiert wurden. Dazu gehörte die Art und Weise, wie der Staat die Rückübernahme von russischen Schlüsselindustrien aus den Händen von Oligarchen durchführte. Gleichzeitig fordert Moskau jedoch auch für russische Unternehmen das Recht ein, global zu expandieren, so wie es für jede westliche Volkswirtschaft problemlos möglich ist.
Für beide Auffassungen sollte Verständnis aufgebracht werden und manch überzogenes – möglicherweise von der irrationalen Angst vor neuen Abhängigkeiten geprägtes – außenpolitisches Handeln der vergangenen Jahre selbstkritisch überdacht werden. Unabhängig davon ist aber auch in Russland selbst nicht erst seit der Wirtschafts- und Finanzkrise die Erkenntnis gereift, dass militärische Rhetorik im Wirtschaftsleben direkt zu einer Abnahme der Investitionsbereitschaft westlicher Unternehmen führt; dies gilt auch in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs.
Bedingungsloser Neustart
Im Hinblick auf die Sicherheit und Stabilität der Versorgung mit Energie und Rohstoffen stehen die Europäische Union und Russland heute vor der Notwendigkeit, einen Neustart der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu organisieren. Doch erschwerend kommt hinzu, dass die Ratifizierung der Energiecharta durch Russland unmöglich erscheint. Der Vorschlag von Präsident Dmitri Medwedew vom April 2009 für eine rechtliche Neuordnung der globalen Energiebeziehungen ist sowohl in den eigenen Reihen umstritten als auch für die europäischen Unterstützer der Energiecharta nur schwer zu akzeptieren.
In der Vergangenheit war Russland wirtschaftlich betrachtet zu sehr dem süßen Gift der hohen Rohstoffpreise erlegen. Nun muss es sich eingestehen, dass eine Rolle als Rohstofflieferant in guten Zeiten zwar machtpolitisch interessant, aber in Krisenzeiten weder ausreichend noch zukunftsträchtig ist. Der Ruf Europas nach alternativen Energie- und Rohstoffrouten vergrößert die Verunsicherung über Verlässlichkeit und Vertragstreue der westlichen Partner. Die globale Wirtschaftskrise hat außen- und innenpolitisch insgesamt sehr große Auswirkungen auf das russische Selbstbewusstsein.
Es kommt nun darauf an, wie sensibel die westlichen Industriestaaten mit diesen stark veränderten wirtschaftlichen und damit machtpolitischen Rahmenbedingungen umgehen. Alle Beteiligten müssen deutlich machen, welche Gestalt die europäisch-russischen Energiebeziehungen künftig haben sollen. Die weltwirtschaftliche Realität erfordert dabei neue Antworten auf die alten Fragen nach Sicherheit und Stabilität der Rohstoffversorgung.
Gerade in Krisenzeiten geht es darum, Dialogangebote zu unterbreiten und Bereitschaft zu verlässlicher Zusammenarbeit zu signalisieren. Rohstoffproduzenten und Energieimporteure sind mehr denn je auf eine intensive und gut strukturierte internationale Kooperation angewiesen. Dabei können die deutsch-russischen Rohstoffbeziehungen als gutes Beispiel dienen. Mit der Russischen Föderation verbindet Deutschland im Bereich von Wissenschaft und Technik eine langjährige Partnerschaft, die insbesondere bei der Optimierung der Wertschöpfungskette von energetischen und mineralischen Rohstoffen stetig weiterentwickelt wird. In diesem Bereich ist das bilaterale Verhältnis von großer Offenheit und Verständnis für die Probleme der anderen Seite sowie den Erfahrungen eines jahrzehntelang funktionierenden Interessenausgleichs geprägt.
Durch den Ausbau der deutsch-russischen Zusammenarbeit auf dem Rohstoffsektor könnte eine wirkliche Modernisierungspartnerschaft zwischen der Europäischen Union und Russland entstehen. Deutschland sollte sich dafür einsetzen, die Russische Föderation künftig im Rahmen konkreter wissenschaftlich-technischer Projekte in europäische Partnerschaften einzubeziehen – dies insbesondere in den Bereichen Infrastruktur, Bergbau, Exploration, Rohstoffverarbeitung und Modernisierung von Leitungsnetzen.
Als Gegenleistung für weitere europäische Investitionen in den Rohstoffsektor hat Russland bei der zweiten Deutsch-Russischen Rohstoffkonferenz im März 2009 in St. Petersburg positive Signale gegeben: die Lockerung protektionistischer Tendenzen, eine deutliche Entbürokratisierung und die Herbeiführung von mehr Transparenz bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Diese ausgestreckte Hand gilt es beherzt zu ergreifen und dabei überholte politische Ressentiments hintanzustellen.
Russland will sich künftig auch in den Bereichen erneuerbare Energien, Klimaschutz, bei Exploration und Verarbeitung von Rohstoffen sowie den bisher vernachlässigten Möglichkeiten des ressourcenschonenden Einsatzes von Energie engagieren. Die Gründung der Russisch-Deutschen Energie-Agentur (RUDEA) im Juli 2009 ist dafür ein deutliches Zeichen und eine Einladung zur Kooperation. Die Steigerung der Energie-effizienz, die Verringerung von Transportverlusten und die Verbesserung der technischen Voraussetzungen für die schwieriger werdende Exploration stehen auch im Vordergrund der Tätigkeit von Wissenschaft und Forschung an den ausgezeichneten russischen Universitäten.
Hier ist ein komfortabler Ansatzpunkt für eine bilaterale Zusammenarbeit, die perspektivisch in eine europäisch-russische Zusammenarbeit münden kann. Dazu gehören die Qualifizierung und Weiterbildung von Nachwuchskräften, aber auch Expertisen zu Fragen der Innovationen und der Investitionstätigkeit über alle Stufen der Wertschöpfungskette der mineralischen Rohstoffe. Zudem sollten Fragen des Umweltschutzes und des Recyclings sowie die Forschung und Entwicklung auf dem Sektor zukünftiger Werkstoffe und alternativer Energiequellen in den aktiven Rohstoffdialog einbezogen werden.
Das gemeinsame Wirken an zahlreichen zukunftsträchtigen wissenschaftlichen Projekten, bei denen auf Augenhöhe zusammen geforscht und entwickelt wird und die wirtschaftlich nutzbare Ergebnisse für die Praxis liefern, stärkt das gegenseitige Verständnis und Vertrauen.
Internationale Politik 1, Januar/Februar 2011, S. 94 - 97
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