Konflikte ohne Bearbeitung
Das Ausmaß von Kriegen und Konflikten in Afrika ist im vergangenen Jahrzehnt weiter gestiegen. Neue externe Akteure sind maßgeblich an der Eskalation beteiligt, während sich Deutschland und Europa immer weiter zurückziehen.
Von 15 auf 28: Die Zahl innerstaatlicher Konflikte in Afrika hat sich zwischen 2013 und 2023 nahezu verdoppelt. Damit findet die Hälfte der weltweiten Bürgerkriege in Afrika statt. Auch bei den Konflikten zwischen nichtstaatlichen Akteuren verzeichnet der Kontinent einen drastischen Zuwachs: von fünf im Jahr 1989 auf 42 in 2022.
Das hat zur Folge, dass derzeit 32 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner innerhalb ihrer Länder vertrieben sind – eine Verdreifachung seit 2010. Hinzu kommen weitere neun Millionen Menschen, die ihr Heimatland als Flüchtlinge verlassen haben. Und es ist kein Trost, dass die Zunahme von Gewalt in Afrika kein singuläres Phänomen ist, sondern weltweiten Trends folgt.
Im Wesentlichen treiben drei Faktoren die Gewalt an. Erstens haben sich seit etwa 2010 dschihadistische Gruppen immer weiter über den Sahel, Westafrika und die Ostküste Afrikas bis nach Mosambik ausgebreitet – worauf Regierungen und regierungsnahe Milizen mit oft äußerst brutalen Kampagnen zur Aufstandsbekämpfung reagiert haben.
Zweitens hat die Internationalisierung afrikanischer Bürgerkriege im vergangenen Jahrzehnt eine neue Qualität erreicht, wodurch diese tendenziell an Dauer und Intensität gewonnen haben. Maßgeblich dafür ist vor allem die Interventionspolitik von Staaten wie den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Russland, aber auch der Türkei. So spielten die VAE eine zentrale Rolle in den Bürgerkriegen in Äthiopien (2020 bis 2022) und im Sudan (seit 2023) – ersterer einer der weltweit tödlichsten Bürgerkriege des Jahrhunderts, letzterer aktuell der Konflikt mit der weltweit höchsten Zahl an Vertriebenen. Integraler Teil der Internationalisierung von Konflikten ist die vielerorts destabilisierende Rolle benachbarter afrikanischer Staaten – derzeit etwa Ruanda in der DR Kongo. Im Gegensatz zum neuen Interventionismus nichtwestlicher Staaten ist diese transnationale Dimension allerdings nicht neu.
Drittens zeichnen sich die gegenwärtigen Konflikte sowohl auf Seiten der Kriegsparteien als auch der externen Akteure durch eine zunehmende Fragmentierung aus. Im sudanesischen Bürgerkrieg etwa mobilisierten die beiden Hauptkonfliktparteien zahlreiche lokale Milizen und Rebellengruppen, über die sie – wenn überhaupt – nur begrenzte Kontrolle ausüben. Hinzu kommt Unterstützung von außen: für die Rapid Support Forces von Seiten der VAE mit Hilfe des Tschad und Khalifa Haftar in Libyen sowie für die sudanesische Regierungsarmee von Ägypten, Iran und Russland. Dies alles hat enormen Einfluss auf das Konfliktgeschehen und die Kalküle der Konfliktparteien.
Unwirksame Friedensbemühungen
Angesichts dieser Konfliktdynamiken erwiesen sich traditionelle multilaterale Konfliktbeilegungsmechanismen wie Machtteilungsabkommen und Übergangsprozesse als weitgehend unwirksam. Das gilt auch für die Friedenssicherung der Vereinten Nationen. Überfrachtete und stereotype Mandate, knappe Ressourcen und das Fehlen tragfähiger Friedensabkommen führten vor allem in großen Flächenstaaten wie Mali, dem Südsudan und der DR Kongo zum Scheitern.
Die Polarisierung zwischen den Mitgliedstaaten des UN-Sicherheitsrats untergrub die Autorität der Vereinten Nationen gegenüber Konfliktparteien vor Ort. Der häufig versuchte Kapazitätsaufbau von Sicherheits- und Streitkräften durch die Europäische Union stieß bei afrikanischen Partnerregierungen auf abnehmende Nachfrage aufgrund begründeter Zweifel an ihrer Wirkung.
Die Gewaltspirale bedeutet auch ein kollektives Versagen der afrikanischen Staatengemeinschaft, deren proklamierte Visionen („Silencing the Guns by 2030“) an harten Realitäten scheitern. Sinnbildlich für die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist die unverminderte finanzielle Außenabhängigkeit der Afrikanischen Union (AU). Rund zwei Drittel des AU-Budgets stammen von Gebern, nicht von afrikanischen Mitgliedstaaten – mit absehbaren Folgen für afrikanische Eigenverantwortung.
Aber nicht alles ist eine Frage des Geldes. Wie wenig afrikanische Regierungen ihrer gemeinsamen kontinentalen Sicherheitsarchitektur vertrauen, wird auch an der Neigung deutlich, minilaterale Ad-hoc-Koalitionen zu schaffen – so etwa im Tschadseebecken und im Sahel. Effektive präventive Krisendiplomatie wird immer seltener ins Werk gesetzt, auch nicht von jenen Präsidenten, deren Länder als Schwergewichte und selbsternannte Führungsmächte konstruktive Mittlerrollen übernehmen sollten (u.a. Nigeria, Ägypten, Kenia, Südafrika und Äthiopien); dies vielleicht auch, weil sie mit den Problemen im eigenen Land beschäftigt sind.
„Afrikanische Lösungen“ bleiben unverzichtbar, aber derzeit deutet alles darauf hin, dass die weltweite Krise des Multilateralismus auch die Handlungsfähigkeit afrikanischer Regionalorganisationen nicht verschont hat. In Afrika ist das Subsidiaritätsprinzip Teil des Problems, da es die AU aus der Pflicht nimmt und subregionalen Organisationen die Verantwortung überlässt. Doch deren Haltung wird naturgemäß von Mitgliedstaaten bestimmt, die als direkte Konfliktanrainer häufig Partikularinteressen verfolgen.
Europas Statistenrolle
Die EU wiederum ist in diesem Kontext in eine Statistenrolle gerutscht – da sie aus Sicht von Konfliktparteien wie den Regierungen im Sahel keine effektiven Unterstützungsangebote gemacht hat und weil die Europäer bislang keinen kohärenten Umgang mit externen „Störenfrieden“ gefunden haben.
In dieser Hinsicht war der libysche Bürgerkrieg richtungsweisend, in dem die VAE die Offensive Haftars gegen Tripolis 2019 mit chinesischen Drohnen und russischen Luftabwehrsystemen unterstützten. Bezeichnend war dabei das Fehlen jeglichen Protests – geschweige denn von Versuchen, Druck auszuüben – seitens der USA oder der Europäer, vor deren Haustür sich der Krieg ja abspielte. Und so zog der Krieg zunächst türkische, dann auch russische Interventionen an, die sich rasch zu einer permanenten Militärpräsenz verfestigten. Auch die emiratische Unterstützung für Äthiopiens brutalen Krieg in Tigray und für die verbrecherische Kriegsführung der Rapid Support Forces im Sudan waren es westlichen Staaten nicht wert, Spannungen mit den VAE zu riskieren.
Und auch im Sudan war es für die Gegenseite nur folgerichtig, Hilfe dort zu suchen, wo man sie bekommen konnte – etwa in Russland. Der Erfolgszug der Wagner-Gruppe und ihrer Nachfolgeorganisation in Afrika sollte nicht isoliert betrachtet werden, sondern kann nur in diesem größeren Zusammenhang verstanden werden. Ähnliches gilt für die steigende Präsenz von Söldnern aus Ländern wie Rumänien oder Kolumbien, aber auch für den großen Absatz, den bewaffnete Drohnen in einer schnell wachsenden Zahl afrikanischer Länder finden. Nachfrage und Angebot externer Unterstützung bilden einen dynamischen Markt.
Der Einflussverlust Europas in den Konflikten des Nachbarkontinents ist weitgehend den eigenen Prioritäten geschuldet. Die übergeordneten Interessen, die europäische Staaten mit den VAE, der Türkei oder Ägypten verbinden – wie Migrationsverhinderung, milliardenschwere Rüstungsexporte oder die Beziehungen zu Israel – wiegen schwerer als die negativen Folgen ihrer Einmischung in Afrika. Und so erleben Stellvertreterkriege in Afrika derzeit eine Neuauflage, nachdem sie seit dem Ende des Kalten Krieges stark zurückgegangen waren.
Erschwerend kam im Sahel hinzu, dass europäisches – und auch deutsches – Engagement eng mit dem Frankreichs verknüpft war. Letzteres wurde zur Zielscheibe von Putschisten, die neuen Souveränismus propagieren. Es kam zu einer Kettenreaktion: Im Gefolge des Abzugs französischer Truppen mussten auch eine UN-Mission, mehrere EU-Missionen sowie das US-Militär das Feld räumen. Doch auch diese Entwicklung wäre ohne die Leichtigkeit, mit der neue externe Akteure die Europäer nun zumindest teilweise ersetzen konnten, kaum denkbar gewesen.
Rückzug ist auch keine Lösung
Wie werden sich afrikanische Konflikte ohne multilaterales Eingreifen entwickeln? Kriege dürften zunehmend militärisch entschieden werden – oder endlos weitertoben. In Mali könnte irgendwann ein syrisches Szenario eintreten: die Übernahme der Regierung durch eine (post-)dschihadistische Bewegung. Anderswo könnten einflussreiche Golfstaaten mit viel Geld labile Deals zwischen konkurrierenden Eliten aushandeln. Ein drittes Modell wäre Libyen: ein eingefrorener Konflikt, in dem die Parteien ausländischen Schutz benötigen und Staaten wie Russland und der Türkei eine permanente Militärpräsenz ermöglichen.
Innerhalb der EU mag die Versuchung groß sein, das sicherheitspolitische Engagement in Afrika weiter zu reduzieren, um sich ganz der Landes- und Bündnisverteidigung zu widmen. Das wäre allerdings kurzsichtig, sowohl außen- als auch sicherheitspolitisch. Wenn Europa eines nicht braucht, dann ist es eine weitere instabile Nachbarregion, diesmal im Süden.
Der eigene Einfluss ist begrenzt, aber ohne die Mitgestaltung bei der Prävention und dem Management von Konflikten wird Europa zu einem Objekt, das den Umwälzungen in seiner südlichen Nachbarschaft weitgehend tatenlos zusehen wird. Der enge Blick auf die augenscheinliche Priorität der Stunde – Migrations- und Fluchtbewegungen reduzieren – bietet auf Dauer keine Lösung; zumal er neue Abhängigkeiten schafft beziehungsweise erhöht, diesmal gegenüber den Maghreb-Staaten.
Mit jedem Gewaltkonflikt entstehen oft genug auch kollabierende Staaten, die als Partner bei der Lösung regionaler und globaler Probleme ausfallen. Die Legitimations- und Identitätskrise französischer Afrika-Politik ist dabei eine Chance auf mehr europäische Kohärenz und Glaubwürdigkeit. Das entbindet die Europäer nicht von der Aufgabe, die Wirksamkeit der eigenen Strategien und Instrumente in den Bereichen Prävention und Stabilisierung kritisch zu hinterfragen.
Der Ernst der Lage sollte beim für Ende dieses Jahres geplanten AU-EU-Gipfel Anlass sein für eine kritische Bestandsaufnahme der bisherigen Kooperation im Bereich Frieden und Sicherheit.
Internationale Politik Special 2, Mai 2025, S. 26-29
Teilen
Themen und Regionen
Artikel können Sie noch kostenlos lesen.
Die Internationale Politik steht für sorgfältig recherchierte, fundierte Analysen und Artikel. Wir freuen uns, dass Sie sich für unser Angebot interessieren. Drei Texte können Sie kostenlos lesen. Danach empfehlen wir Ihnen ein Abo der IP, im Print, per App und/oder Online, denn unabhängigen Qualitätsjournalismus kann es nicht umsonst geben.