Kleine Insel in großer Gefahr
Zu den Ländern, die am stärksten vom Klimawandel bedroht sind, gehören kleine Inselstaaten wie Mauritius. Zwar tut man hier einiges, um resilient zu werden. Doch ohne die Unterstützung durch den Globalen Norden wird das nicht gelingen.
Die Weltmeere sind im Jahr 2023 so warm geworden wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen. Der starke Temperaturanstieg bedroht die marinen Ökosysteme und erhöht das Risiko für Extremwetterereignisse. Auch im Indischen Ozean wurden außergewöhnlich hohe Werte gemessen, unter anderem in einem breiten Streifen längs des Äquators. In dieser Region liegt Mauritius.
Der Inselstaat ist ein Beispiel dafür, dass die Folgen der Erderwärmung weder gleichmäßig noch gerecht verteilt sind.
Besonders hart getroffen
Die Klimakrise trifft Mauritius stärker als den Durchschnitt der Welt. Während der Meeresspiegel im globalen Mittel um rund 3,7 Millimeter pro Jahr steigt, waren es an der Hauptinsel des ostafrikanischen Landes bereits in der Dekade von 2003 bis 2014 fünf und an der zweitgrößten Insel Rodrigues neun Millimeter pro Jahr. Da der Meeresspiegelanstieg sich beschleunigt, dürfte es inzwischen deutlich mehr sein.
Auch die Erwärmung des Meerwassers und der Luft liegt in Mauritius über dem Durchschnitt. Zudem befinden sich die Inseln im Indischen Ozean in einem Gebiet, in dem tropische Wirbelstürme auftreten, und deren Häufigkeit und Intensität werden durch die Erwärmung zunehmen: Laut einer Studie der US National Academy of Sciences steigt die Wahrscheinlichkeit eines Wirbelsturms im südlichen Indischen Ozean alle zehn Jahre um 18 Prozent. Hinzu kommen andere Extremwetterereignisse wie Starkregen und Dürren. Die Jahreszeiten verschieben sich, die Trockenzeit wird länger.
Lebensgrundlage in Gefahr
Die Folgen sind schon jetzt offensichtlich. Durch den Meeresspiegelanstieg erodieren die Strände, und die bilden die Grundlage für den Tourismus, der wiederum eine wichtige Säule der Wirtschaft des Landes ist. Laut der Afrikanischen Entwicklungsbank ist die Branche für rund ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich und stellt 22 Prozent der Jobs in Mauritius. Manche Strände haben bereits mehr als 20 Meter Breite verloren. Prognosen der mauritischen Regierung zufolge wird mehr als die Hälfte aller Strände in den kommenden 50 Jahren verloren gehen.
Einer der Hauptgründe für den Anstieg des Meeresspiegels ist die Erwärmung des Wassers, das sich mit steigender Temperatur ausdehnt. Und das ist noch in anderer Hinsicht ein erhebliches Problem: Die erhöhte Meerestemperatur verursacht Korallenbleiche, die wiederum zum Absterben der Korallen führen kann. Das ist nicht nur bedauerlich für Taucher – und damit ein weiterer Rückschlag für den Tourismus. Folge des Korallensterbens ist auch ein dramatischer Rückgang der Artenvielfalt, denn Korallenriffe gehören zu den artenreichsten und am dichtesten besiedelten Ökosystemen der Welt. Auch die lokale Fischerei leidet erheblich.
Die Hauptinsel von Mauritius ist fast vollständig von einem Saumriff umgeben, das eine wichtige Schutzfunktion für die Küste erfüllt. Insgesamt ist es rund 150 Kilometer lang. Das Riff hält einen Großteil der Gewalt des Ozeans ab, was bei zunehmenden Stürmen immer wichtiger wird. Doch durch das Korallensterben wird das Riff instabil und baut sich auch nicht weiter auf. So geht es nach und nach kaputt.
Wie weit dieser Prozess schon fortgeschritten ist, ist nicht bekannt, da es nur punktuelle Erhebungen gibt. Eine Studie des Ozeanografie-Instituts von Mauritius mit Beobachtungen an 14 Messstationen rund um die Insel ergab beispielsweise, dass von der Korallenbleiche im Jahr 2016 von unter 20 Prozent der Korallen in Bel Ombre im Süden bis über 80 Prozent in Belle Mare im Osten betroffen waren. 2016 war die Bleiche wegen einer Warmphase durch das Wetterphänomen El Niño besonders schlimm. In diesem Jahr tritt El Niño wieder auf. Wie stark die Erhitzung ausfällt und welche Auswirkungen sie haben wird, ist noch nicht klar.
Eine weitere Leidtragende der Klimakrise in Mauritius ist die Landwirtschaft. Neben dem Verlust von Anbauflächen an den Küsten werden sich der Temperaturanstieg und der Rückgang der Niederschläge in Zukunft negativ auf die Agrarproduktion auswirken. Hinzu kommt die Evapotranspiration – die Verdunstung von Wasser aus Tier- und Pflanzenwelt, aus Boden- und Wasseroberflächen. Bei 10 bis 20 Prozent weniger Regen und einem Temperaturanstieg von zwei Grad Celsius würde der Zuckerertrag nach Schätzungen um 50 bis 66 Prozent zurückgehen.
Zuckerrohr ist das mit Abstand wichtigste Agrarprodukt; es wird auf rund drei Vierteln der landwirtschaftlich genutzten Fläche angebaut. Extremwetterereignisse wie Dürren und Starkregen führen schon jetzt zu Ernteeinbußen und bedrohen die Lebensgrundlage der Menschen.
Bei Wirbelstürmen in Zyklonstärke geht es sogar unmittelbar um Leben oder Tod. Bisher ist Mauritius von den ganz großen Katastrophen verschont geblieben, wie sie etwa der Zyklon Idai im März 2019 verursachte. Ihm fielen mehr als 1000 Menschen in Mosambik, Simbabwe und Malawi zum Opfer. Aber das Damoklesschwert eines tödlichen Sturmes hängt über der Insel. Im Februar 2022 traf der Tropensturm Batsirai auf Mauritius, ein Zyklon der Kategorie IV. Zwei Menschen starben. Starke Windböen entwurzelten Bäume, verursachten Stromausfälle und richteten weitere Schäden an der Infrastruktur an. Der mit Batsirai einhergehende Starkregen führte zu heftigen Überschwemmungen. Auch diese treten immer häufiger auf. Das überfordert die unzureichende und in Teilen marode Infrastruktur, etwa das Kanalsystem.
Wo die Verantwortung liegt
Mauritius hat nur rund 1,2 Millionen Einwohner, sein CO2-Ausstoß ist entsprechend gering. Auch pro Kopf ist der Verbrauch im weltweiten Vergleich unterdurchschnittlich – 2019 waren es 3,3 Tonnen, 2020 sank der Wert coronabedingt auf 2,9 Tonnen. Zum Vergleich: Deutschland hat 2019 7,9 Tonnen pro Kopf ausgestoßen, die USA haben sogar 14,7 Tonnen emittiert. Die Verantwortung für die Klimakrise liegt somit eindeutig woanders.
Doch dass der kleine Inselstaat so stark unter den Folgen leidet, hat zum Teil auch mit eigenen Fehlern zu tun: Wo früher Mangroven die Küste schützten, stehen heute Hotelanlagen oder Häuser. Bis vor einigen Jahren wurde zudem Sand für die massive Bautätigkeit auf der Hauptinsel entnommen. Und bis heute tragen neben dem Anstieg der Meerestemperatur auch Fischerei und Tourismus zur Schädigung der Riffe bei: durch Überfischung und zerstörerische Fangmethoden sowie durch Touristenboote, die Schnorchler und Taucher zum Riff bringen und oft auf den Korallen ankern. Wasserverschmutzung, vor allem durch chemische Abfälle und Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft, spielt ebenfalls eine Rolle.
Das Land steuert nun aber mit seinen Möglichkeiten gegen – Klimaschutz und Anpassung stehen weit oben auf der Agenda der Regierung. Laut seinen nationalen Klimabeiträgen im Rahmen des Pariser Klimaabkommens will Mauritius bis 2030 seine Treibhausgasemissionen um 40 Prozent im Vergleich zum Business-as-usual-Szenario verringern und seine Energie zu 60 Prozent aus erneuerbaren Quellen erzeugen. Die Stromgewinnung aus Kohle soll bis 2030 ganz enden.
Das Ministerium für Umwelt, Abfallwirtschaft und Klimawandel hat einen Zehnjahresplan erstellt, der im Mai 2022 von der Regierung beschlossen wurde. Laut dem zuständigen Minister Kavydass Ramano sieht dieser Plan unter anderem ein Verbot von nicht abbaubaren Einwegplastikprodukten sowie Strategien zum Umgang mit festen Abfällen und zur Reduzierung der Emissionen aus dem Fahrzeugverkehr vor. Bei der Anpassung investiert die Regierung mehr als 15 Millionen US-Dollar in den Bau von Wasserkanälen und in Programme zur Rehabilitierung der Küsten an besonders von Erosion betroffenen Abschnitten.
Innerhalb Afrikas ist Mauritius laut Climate Resilience Index mit einem Wert von 39,1 von 100 das am besten an den Klimawandel angepasste Land. Im weltweiten Vergleich fällt es allerdings in die Gruppe der Länder mit geringer Widerstandsfähigkeit, die von 0 bis 44,9 reicht.
Der aktuelle sechste Sachstandsbericht des Weltklimarats bescheinigt Mauritius denn auch, dass auf lokaler Ebene so gut wie keine Klimaanpassungspläne vorhanden seien und es auf Bezirksebene an finanziellen Mitteln für Anpassungsmaßnahmen fehle. Gleichzeitig betont der Bericht, wie wichtig es sei, dass kleine Inselstaaten Investitionen in Anpassungsmaßnahmen vornehmen und in den Kapazitätsaufbau investieren.
Mauritius betont, dass es dafür dringend die Hilfe der internationalen Gemeinschaft braucht. Laut seinen nationalen Klimabeiträgen kann der Staat zusammen mit dem Privatsektor 35 Prozent der für Klimaschutz und -anpassung benötigten Mittel selbst aufbringen. Das sind 2,3 Milliarden Dollar. Die übrigen 65 Prozent müssen aus anderen Quellen kommen. Verlässlicher und unbürokratischer Zugang zu Finanzierung ist daher neben Technologietransfer und Kapazitätsaufbau eine Hauptforderung Mauritius’ an die Industrieländer.
Der Inselstaat, der geografisch zu Afrika gehört, vertritt in internationalen Klimadebatten die Standpunkte der Africa Group of Negotiators (AGN), der Alliance of Small Island States (AOSIS) und der G77 plus China (Gruppe der Entwicklungsländer). Ihnen zufolge sollten kleine Inselentwicklungsländer (SIDS, s. Kasten) und andere Entwicklungsländer vorrangigen Zugang zu Finanzierungsinstrumenten erhalten.
Die globale Klimafinanzierung soll erhöht, vor allem aber sollen die Zusagen eingehalten werden: Eines der wichtigsten Finanzierungsinstrumente, der 2010 im Rahmen der UN-Klimarahmenkonvention eingerichtete Grüne Klimafonds, sieht vor, dass die Industrieländer ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar für die Unterstützung von Entwicklungsländern mobilisieren, damit diese ihre Klimaziele erreichen können. Davon ist der Klimafonds weit entfernt: In den ersten beiden Finanzierungsrunden 2014 und 2019 kamen nur rund
18 Milliarden Dollar zusammen, eine weitere Finanzierungsrunde läuft. Deutschland gehört zu den größten Gebern.
Klagen für das Klima
Der Ansatz, dass reiche Länder, die historisch gesehen die Hauptverursacher der Klimakrise sind, Klimaschutz und Anpassung in ärmeren Ländern unterstützen, soll für mehr globalen Klimaschutz sorgen und zugleich zur Klimagerechtigkeit beitragen. Gerechtigkeit deshalb, weil Länder wie Mauritius kaum zur Klimakrise beigetragen haben, aber am stärksten unter den Folgen leiden. Gleichzeitig haben Länder mit geringem Einkommen anders als die reichen Länder nicht die finanziellen Mittel, um Folgen wie Ernteausfälle, Infrastruktur-Zerstörungen oder andere Auswirkungen angemessen abzufedern und für die Zukunft ausreichend vorzubeugen. Hier greift also neben dem Verursacherprinzip auch das Leistungsfähigkeitsprinzip: Wer mehr Geld hat, kann auch mehr beisteuern.
Immer häufiger ziehen Geschädigte vor Gericht, um Klimagerechtigkeit juristisch einzufordern – darunter auch kleine Inselstaaten. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet hat eine Kommission kleiner Inselstaaten, der Mauritius allerdings nicht angehört, im Dezember 2022 einen Rechtsantrag beim Internationalen Seegerichtshof in Hamburg eingereicht, über den seit einigen Wochen verhandelt wird. Der Prozess gilt als erstes zwischenstaatliches Gerichtsverfahren zu den Folgen des Klimawandels. Zu klären ist, ob das Versäumnis vieler Länder, ihre CO2-Emissionen zu begrenzen, als Verstoß gegen das Seerecht angesehen werden kann. Die Inselstaaten hoffen, dass das Gericht zum Schluss kommt, das Seerecht verlange von Staaten auf der ganzen Welt, ihre Treibhausgasemissionen zu mindern, um die Weltmeere zu schützen. Ein solches Rechtsgutachten könnte Aktivisten zufolge für den Kampf gegen die Klimakrise von entscheidender Bedeutung sein, denn daraus ließen sich verbindliche Verpflichtungen ableiten.
Internationale Politik Special 6, November/Dezember 2023, S. 33-37
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