IP

01. Apr. 2009

Klasse auf Kosten der Masse?

Über Elite, Chancengleicheit und Auslandserfahrung

Die Bildungsdebatte ist in vollem Gange, an Expertenmeinungen, guten Ratschlägen und Kritik mangelt es nicht. Im IP-Gespräch diskutieren sechs Verteter der jungen Generation aus Europa und den USA über Lebensläufe und Leistungsdruck. Ein Perspektivwechsel.

IP: Was verbinden Sie mit „Elite“?

Zuzana: Ich verstehe unter „Elite“ eine begrenzte Gruppe von Leuten, von Visionären, die das Land vorantreiben. Das muss nicht unbedingt heißen, dass man über viel Geld verfügt – ich glaube, das ist eher eine veraltete Vorstellung von Elite.

Toni: Ich habe ein gespaltenes Verhältnis zu dem Begriff Elite. Ich finde es sinnvoll, von Elitensoziologie zu reden, indem man schaut, wie in einem bestimmten Land Führungskräfte in verschiedenen Feldern ausgewählt werden. Was mich aber an der Elitendiskussion in Deutschland stört, ist, dass es darum eigentlich sehr wenig geht. Hier geht es mehr um Elite als Etikett und als Kategorie der Selbstzuschreibung als um eine soziologische Auseinandersetzung mit den Prozessen.

IP: Tübingen, Sciences Po Paris, Oxford – trotz Ihrer Kritik an dem Etikett „Elite“ haben Sie sich dafür entschieden, an Universitäten zu studieren, die dieses Label ganz klar für sich beanspruchen. Warum?

Toni: Das ist eine Frage, über die ich vor diesem Gespräch nachgedacht habe, weil ich weiß, dass meine Haltung durchaus widersprüchlich ist. Ich denke, man wandelt auf einem schmalen Grat: Auf der einen Seite akzeptiert man, dass manche Universitäten einem mehr ermöglichen als andere, andererseits verhält man sich trotzdem kritisch und ruht sich nicht auf dem Gedanken „Ich bin Elite“ aus.

Heiko: Du hast gesagt, dass das, was du sagst, widersprüchlich ist. Ich glaube aber, dass genau das eigentlich die Elite ausmachen sollte: die kritische Selbstreflexion, Tag für Tag. Nach meinem Dafürhalten besteht eine Elite aus Menschen, die sich über das bloße Notwendige hinaus mit sich selbst auseinander setzen, die neue Impulse geben und fragen: Wo stehe ich überhaupt in der Gesellschaft? Im Übrigen müssen wir, zumindest wenn wir über Bildungselite reden, erst einmal fragen: „Was ist Bildung?“ Und dann, daran anschließend: „Was ist Ausbildung?“ In Deutschland ist das humboldtsche Bildungsideal zunächst einmal etwas anderes als Ausbildung, wenngleich beides natürlich parallel läuft, ich also für einen hohen Ausbildungsgrad auch einen hohen Bildungsgrad brauche. Wenn es in den Tagesthemen heißt, „Wir müssen in Köpfe investieren“, dann bedeutet das Wachstum. Das hat erstmal nichts mit Bildung zu tun. Bildung als Wachstum, als Bruttoinlandsprodukt, als volkswirtschaftliche Generierung von Wohlstand – das hängt vielleicht miteinander zusammen, aber es ist doch nicht identisch!

Zuzana: Bekommt man denn nach einem Studium an der Sciences Po in Frankreich wirklich sofort einen guten Job?

Hermance: Mit dem Stempel „Sciences Po“ öffnet sich im Vorstellungsgespräch jede Tür. Ich selbst habe auch versucht, in das System der Grandes Écoles hineinzukommen: Ich habe einen Vorbereitungskurs gemacht, mich also zwei Jahre lang auf den Concours vorbereitet, wie verrückt gelernt – und es am Ende nicht geschafft (lacht). In unserer Gruppe waren wir drei Leute, die Bafög bekamen, und keiner von uns hat es geschafft... Das ist so, wie es bereits Bourdieu formuliert hat: In Frankreich reüssieren mit erdrückender Mehrheit diejenigen, die ein hohes soziales Kapital mitbringen, Kinder von Ministern, Rechtsanwälten, Ärzten, etc. Das System bleibt geschlossen, nur spricht das in Frankreich keiner aus. Eher heißt es, „jeder hat Chancen, auch normale Uni-Absolventen“, aber die Realität sieht anders aus.

Eva: Mir scheint, auf eine knappe Formel gebracht: Die Elite gewinnt, die Masse verliert. Nur: Wer definiert Elite? Letztendlich wird sie an den Unis definiert. Dort werden Menschen ausgebildet, die sich bewusst als Elite verstehen, und die dann wiederum Kandidaten auswählen, die ihnen ähnlich sind. Bleibt die Frage: Was zählt bei der Auswahl?

IP: Heiko, Sie sitzen in der Auswahlkommission der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Worauf achten Sie denn besonders?

Heiko: Es gibt natürlich einen Kriterien Katalog, den wir überprüfen. Dazu gehören analytisches Vermögen, fachliche Kompetenz, soziales Engagement und Ähnliches – wie man diese Punkte allerdings persönlich gewichtet, ist noch einmal eine andere Frage. Ich habe selbst BWL studiert, und Ihr glaubt nicht, wie viele sich „sozial engagieren“, indem sie irgendwo mitmachen, um es sich dann in den Lebenslauf zu schreiben... Aber man merkt relativ schnell, ob die Motivation intrinsisch ist. Darüber hinaus ist natürlich die Persönlichkeit wichtig. Manchmal ist es sehr schwierig, diese zu verbalisieren. Es gibt Fälle, da denkt man einfach: Der Kandidat ist mir unsympathisch! Naja, und wenn das dann drei Kommissionsmitglieder so sehen, gibt es vielleicht so etwas wie eine „objektive Antipathie“. (Gelächter)

IP: Wie wichtig sind Mobilität und Auslandserfahrung?

Heiko: Auslandserfahrungen sind inzwischen völlig normal, Mobilität wird erwartet. Allerdings versuchen wir zu beurteilen, welche der Teilnehmer aus eigenem Antrieb gehen und welche nicht. Denn „über den Tellerrand hinausschauen“ tut heute jeder, ebenso wie inzwischen alle „interdisziplinär“ ausgebildet sind. Das sind diese Phrasen, die immer wieder gedroschen werden, in Vorstellungsgesprächen und in Ausschreibungen – ich finde das furchtbar. Der Grundkonsens bei Wirtschaftswissenschaftlern lautet zum Beispiel: „Wenn ich nicht ein halbes Jahr irgendwo anders war, krieg ich keinen Job“. Das hat gerade an BWL-Unis zu einer regelrechten Pflicht, ins Ausland zu gehen, geführt. Das muss man sich mal vorstellen – eine Pflicht, ins Ausland zu gehen! Was soll das? Entweder ich habe ein Bedürfnis, ins Ausland zu gehen, weil ich neugierig bin, weil ich etwas Neues kennen lernen möchte, oder aber ich muss gezwungen werden?

IP: Wie mobil sind denn amerikanische Studenten im Vergleich zu Europäern, Asmita? Auf welche Weise schaut man auf der anderen Seite des Atlantiks „über den Tellerrand“?

Asmita: Nun ja, Amerika ist weitaus größer als Europa. Insofern ist es für Studenten, die zum Studium ans andere Ende des Landes ziehen, so, als reisten sie einmal quer durch Europa. Daher ist die Frage der Mobilität, gerade in Bezug auf Eliteuniversitäten, bei uns nicht so akut... Was die Fremdsprachen angeht: Man hält uns schon in der Schule dazu an, Sprachen zu lernen, leider ist unser Unterricht aber sehr schlecht. So können wir zwar auf die schönste Weise Verben konjugieren, wenn wir aber sprechen sollen, bekommen wir den Mund nicht auf. Selbst in Stanford sind Sprachkurse ein Witz, aber da Englisch als Universalsprache angesehen wird, ändert sich daran nichts.

IP: Wird in Ihren Herkunftsländern denn auch so intensiv über Bildung und den Elitebegriff diskutiert wie in Deutschland?

Asmita: In den USA gibt es keine Debatte über Elite oder „nicht-Elite“. Wir gehen einfach davon aus, dass unsere Ivy League Colleges Elite-Universitäten sind. Wenn du auf einem dieser Colleges studierst, dann bist du eben auch Elite. Stanford gehört zu den besten fünf Universitäten in den USA, und das lassen sie uns nie vergessen. Aber ich denke, dass wir dieses Elitedenken auch ausnutzen. Wenn wir zum Beispiel zu Vorstellungsgesprächen gehen, vertrauen wir immer auf die Tatsache, dass wir von Stanford kommen. Jeder, der in den USA etwas zu sagen hat, war entweder in Harvard, Yale, Massachussets Institute of Technology, Princeton, Stanford, usw. Vielleicht kommt auch deswegen keine Elitediskussion auf, weil keiner von ihnen zugeben möchte, selbst nur über diese Schiene so weit gekommen zu sein – denn letztendlich handelt es sich ja nur um einen elitären Club von Absolventen, die sich gegenseitig auf die Schultern klopfen.

Eva: In Lettland gibt es auch kaum eine Elitediskussion, allerdings aus anderen Gründen. Jeder kann an einer staatlichen Uni studieren, und wir haben wenig Stiftungen, die uns Stipendien anbieten, die meisten Studenten nehmen einen Kredit auf – du musst einfach gut sein, wenn du etwas werden möchtest. Und zielgerichtet. Lettland braucht leider noch Zeit, um zu begreifen, dass es auch eine persönliche Bereicherung sein kann, nach oder während des Studiums noch andere Dinge zu erleben... Da spreche ich aus eigener Erfahrung: Als ich nach fünf Jahren Jura-Studium beschlossen habe, ein Jahr lang in Irland mit obdachlosen Alkoholikern zu arbeiten, da haben alle gedacht: „Die ist verrückt geworden!“

Zuzana: Ich denke, gerade in kleinen Ländern wie Lettland oder der Slowakei sind Mobilität und Sprachen sehr wichtig. In der Slowakei gibt es nur fünf Millionen Einwohner, da müssen wir raus, sonst geht es nicht. Die Hälfte der Studenten aus Bratislava studiert in Wien, viele auch in Deutschland, England, Frankreich und den USA. Die Leute kehren nach dem Studium und den ersten Arbeitserfahrungen mit guten Sprachkenntnissen wieder zurück, am häufigsten sprechen sie Englisch und Deutsch.

IP: Was wird unternommen, um die Leute nicht ans Ausland zu verlieren?

Zuzana: Ich glaube, in den mittel- und osteuropäischen Ländern ist die wichtigste Motivation zurückzukehren ohnehin die Familie. Man geht für ein paar Jahre weg, aber man kommt auch wieder zurück, das weiß man schon im Vorhinein. Natürlich müssen auch entsprechende Arbeitsplätze vorhanden sein. Gerade in den letzten Jahren haben wir einen großen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt, weil viele Investoren ins Land gekommen sind und sogar heftig geworben haben, um im Ausland lebende Slowaken zurückzugewinnen. So verbessert sich die Situation schrittweise. Im Bereich der Wissenschaft und Forschung allerdings ist es schwieriger, da sind die Leute wahrscheinlich endgültig weg, das lässt sich kaum verhindern. Die meisten gehen in die USA, wo die Infrastruktur und die Arbeitsbedingungen viel vorteilhafter sind, das ist ja auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern der Fall.

Toni: Ich habe in Paris Menschen aus allen Ecken Europas kennen gelernt. Aber mir sind nie so überzeugte Europäer und Europäerinnen untergekommen wie die jungen Männer und Frauen aus dem östlichen Europa – die so viele Sprachen sprechen, so viel Wert auf Mobilität legen, so viel vorhaben, und auch so positiv über die EU denken. Wie kommt das?

Eva: Man braucht gar nicht so hochpolitisch zu denken. Es ist einfach so: Wir leben jeden Tag den direkten Vergleich zwischen dem, was unsere Elterngeneration in der Sowjetunion für Möglichkeiten hatte, und dem, was wir jungen Leute heute alles machen können, und zwar wegen der EU, weil die Grenzen gefallen sind.

IP: Was ist es denn, was amerikanische Universitäten so viel besser machen als europäische, Asmita?

Asmita: Zunächst einmal stehen uns unheimlich viele Mittel zur Verfügung, für Professoren und für Studenten – eigentlich investieren alle wichtigen privaten Geldgeber in Stanford. Ich glaube aber, es ist mehr als nur das Geld. Amerika scheint für viele ausländische Studenten immer noch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu symbolisieren. Kalifornien beispielsweise zieht junge Leute aus aller Welt an, vor allem Asiaten. Im Übrigen stamme ich selbst von jemandem ab, der Baindrain betrieben hat: Mein Vater hat Indien damals verlassen, weil es dort einfach nicht genug Chancen für ihn gab. Jetzt studiere ich in Stanford. Ich glaube, dass auch diese Vielfalt und Weltoffenheit an amerikanischen Universitäten das Land so attraktiv machen. Seitdem ich in Deutschland bin, werde ich beispielsweise immer wieder mit meiner eigenen Identität konfrontiert: “Das ist unsere Gaststudentin aus Indien”, so werde ich hier vorgestellt, dabei bin ich Amerikanerin. In den USA dagegen hat meine Hautfarbe nie eine Rolle gespielt.

Hermance: Im Vergleich zur Ausstattung an amerikanischen Universitäten herrscht in Europa Mittelalter. Ich war einen Monat in Duke, und das hat mich tief beeindruckt: Super Bibliotheken, kleine Veranstaltungen, interessante Ausflüge – die haben einfach unheimlich viel Geld. Von den Studenten wird aber auch anderes erwartet: Student sein in den USA ist Hauptberuf. Man lebt auf dem Campus, geht nicht aus, sondern verbringt Nächte in der Bibliothek – das macht die Qualität aus. Aber da stellt sich natürlich auch die Frage: Was wollen wir? Wollen wir Studenten, die fünf Jahre in einem Mikrokosmos leben, abseits vom „echten Leben“?

Zuzana: Ich war an der Tufts University in der Nähe von Harvard und habe dort ähnliche Erfahrungen gemacht: Wir waren viel mehr unter uns, haben uns intensiver gesehen und ausgetauscht, meistens beim Lernen. In den USA, aber auch in der Slowakei steigt man mit 23 Jahren bereits ins Arbeitsleben ein. Das ist eines der größten Probleme in Deutschland: Hier dauert alles länger, weil alle nebenbei noch andere Dinge machen, hier ist man schon 27 oder 28 Jahre alt, wenn man fertig wird. Das ist eigentlich verlorene Zeit.

Heiko: Die Bachelor- und Master-Einführung versucht ja genau das: zu straffen, wo es geht. Allerdings denke ich, dass das vielleicht zu Gunsten der Masse geht, meinetwegen auch zu Gunsten der Volkswirtschaft – aber zu Lasten der Spitze. Die könnte nämlich ohne Anwesenheitspflicht und verschultes System auf ganz andere Ideen kommen und ganz neue Impulse setzen. In Deutschland gibt es immer mehr Campus-Universitäten, die natürlich auch alle den Stempel „Elite“ tragen. Die Absolventen sind sicher sehr gut, bekommen alle tolle Positionen und werden Top-Führungskräfte – aber ich frage mich, ob Menschen mit hohem Potenzial nicht mehr gewännen, wenn sie freier wären. Deswegen finde ich den Bachelor, zumindest so wie er in Deutschland funktioniert, problematisch. Man müsste sich hierzulande öfter fragen: Auf wen stellen wir ab?

IP: Was sind Eure Empfehlungen an das deutsche Hochschulwesen ?

Heiko: Es herrscht ein Mentalitätsproblem in Deutschland, es gibt auf individueller Ebene zu wenig Fördermentalität. In der Uni rennt man gegen geschlossene Türen, und selbst wenn man gut ist, muss man Glück haben, um gefördert zu werden. Die Deutschen stehen unter einem ständigen Konkurrenzdruck – zwischen Professoren, die sich nicht gegenseitig zitieren wollen, zwischen Studenten im Noten- und Karrierekampf, eben auch, weil wir so viele sind. Dazu dann noch die Wirtschaftskrise – das schafft kein sehr förderwilliges Klima.

Hermance: Wenn du so über Deutschland denkst – wie soll ich dann über Frankreich denken? Es mag sein, dass sich das deutsche System verbessern muss, kein System ist perfekt. Ich studiere zwar noch auf Magister, und kenne das Bachelor- und Master-System kaum, aber ich finde die Freiheit, die die deutsche Uni bietet, ziemlich ideal. Ich finde übrigens auch nicht, dass ein Student hier Glück haben muss, um erfolgreich zu sein. Wenn er nur den Willen hat und hart arbeitet, um seinen Willen unter Beweis zu stellen, dann kann es hier jeder schaffen. Ich finde, die Beziehungen zwischen Studenten und Lehrern sind hier gerade nicht hierarchisch, hier gibt es keine verschlossenen Türen. In Frankreich sind Professoren Monster, auf dem Flur grüßen sie Studenten nicht einmal. Ich denke, Deutschland sollte viel stolzer sein auf sein System, denn es bietet nach wie vor viele Freiheiten.

Toni: Heiko, ich würde dir auf die angelsächsische Art antworten: „Ich stimme dir zu, aber... “ (lacht). Ich finde es problematisch zu behaupten, dass mangelnde Elitenförderung heutzutage das größte Problem in der deutschen Bildungslandschaft sei. Ich glaube, nach den 68er Jahren gab es in der deutschen Bildungspolitik keinen Moment, in dem die Elite so stark gefördert wurde wie jetzt. Wenn man sich anschaut, wie stark zum Beispiel das Budget der Parteistiftungen in den vergangenen Jahren gewachsen ist – das ist immens! Für mich liegt das Problem eher auf einer anderen Ebene: In Deutschland haben wir zu lange geglaubt, dass es eine universelle Universität gibt, also ein Modell, das für alle greift. Ich bin der Ansicht, dass das nicht funktioniert. Ich persönlich finde das humboldtsche Bildungsideal attraktiv; ich glaube aber, dass es für diejenigen, die sich einfach eine Ausbildung wünschen, um danach sofort in den Beruf zu gehen, nicht der richtige Weg ist. Die Universitäten sollten freier entscheiden dürfen, wie und wen sie ausbilden möchten: solche, die einfach kompetent einen Beruf ausüben möchten, oder solche, die – ich nehme die Floskel von vorhin trotzdem noch einmal auf – „über den Tellerrand schauen“ und die ihr eigenes Tun konstant in Frage stellen. Allerdings würde ich mit Blick aus dem Ausland auch sagen, dass das deutsche System gar nicht so schlecht ist oder war, wie es oft gemacht wird. Wenn wir von dem Anspruch wegkommen könnten, eine einzige Universität für alle schaffen zu wollen, an der alle forschen und sich ausbilden lassen, dann wären wir einen Schritt weiter.

Zuzana: In der Slowakei studieren viele nur, um später bessere berufliche Einstiegchancen mit entsprechendem Gehalt zu bekommen. Dadurch kommt unser System inzwischen ein wenig aus dem Gleichgewicht: Schon jetzt haben wir einen Mangel an Fachkräften auf dem Markt, gerade in den „nicht so populären“ technischen Berufen. Wir haben viele Betriebswirtschaftler, Soziologen, Juristen, Mediziner – aber wenn PSA Peugeot Citroen kommt und 3500 Arbeitsplätze schafft, dann können wir gerade mal die Führungspositionen im Management besetzen und den Rest, tja – wo findet man 3000 Facharbeiter von einem Tag auf den anderen? Das ist ganz klar ein Fehler im System.

Eva: Für mich ist die größte „Bildungslücke“ nach wie vor die fehlende Chancengleichheit: Wie können wir überhaupt von Elite sprechen, wenn die Ausgangsposition nicht für alle Menschen gleich ist? Erst wenn dieses Problem behoben ist, können wir wirklich über die Elite reden.

Das Gespräch führten Luisa Seeling und Anna Mauersberger. 

Teilnehmer: 

Elite sollte kein Label sein, findet Toni Weis, 26. Er arbeitet im Afrikareferat der Heinrich-Böll-Stiftung und studierte in Tübingen, Berlin, Paris und Oxford Internationale Politik.

Eva Sablovska, 29, promoviert in Lettland über EU-Recht und ist Mitbegründerin des Online-Magazins Europe & Me. Nach ihrem Studium in Riga und Berlin arbeitete sie ein Jahr lang mit obdachlosen Alkoholikern: „Alle dachten, ich sei verrückt geworden".

Zuzana Mikulasova, 31, studierte in Bratislava, Innsbruck, Zürich und Paris Wirtschaftswissenschaften und Marketing. „In einem kleinen Land sind Mobilität und Sprachen besonders wichtig“, findet die Slowakin, die in ihrer Heimat für das Wirtschaftsministerium arbeitet.

Asmita Kumar, 20, studiert seit 2006 in Stanford Elektroingenieurswesen. Das „Elitedilemma“ ihrer deutschen Kollegen ist der jungen Amerikanerin fremd: Stanford gilt als eine der besten Universitäten der Welt. Und wer dort studiert, gehört zur Elite. So ist das eben.

Heiko Richter, 26, hält die Einführung des Bachelors für problematisch. Er absolvierte in Mannheim sein BWL-Studium und verbrachte ein Jahr in Australien. Heute studiert er in Berlin Jura und sitzt in der Auswahlkommission der Studienstiftung.

Hermance Gremion, 26, entschied sich bewusst gegen ein Studium in ihrem Heimatland: „In Frankreich sind Professoren Monster!“ Seit 2005 studiert sie Literatur und Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, April 2009, S. 28 - 33.

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