Kalte Kohabitation in Kroatien
Zwei Männer, zwei Parteien: Die angespannte Beziehung zwischen Präsident und Premierminister schadet dem Land, das jedes Jahr von so vielen Touristen besucht wird. Dabei steht es drängenden Problemen gegenüber – der höchsten Inflationsrate im Euroraum, dem Umgang mit Arbeitskräften aus dem asiatischen Raum sowie dem schwierigen Verhältnis zum Nachbarn Serbien.
Mit dem Amoklauf eines 19-Jährigen an seiner ehemaligen Schule in Zagreb, bei dem ein sieben Jahre alter Schüler starb und andere verletzt wurden, fand das Jahr 2024 in Kroatien einen dramatischen Abschluss. Während stumme Trauerdemonstrationen durch die Hauptstadt zogen, beherrschte die Debatte über die mentale Gesundheit junger Menschen und das unzureichende Gesundheitssystem die Medien.
Über die Feiertage einberufene Krisenstäbe aus Schulleitern, Regierungsvertretern und Mitarbeitenden der lokalen Verwaltung vereinbarten Sofortmaßnahmen mit verschärften Sicherheitsprotokollen an Schulen sowie Waffenkontrollen, die mit Schulbeginn im Januar auch unmittelbar in Kraft traten. Vorläufig von Hausmeistern, Lehr- und Wachpersonal überwacht, sollen diese mittelfristig von speziell für die Arbeit mit Kindern, Eltern und Lehrern ausgebildeten Sicherheitskräften übernommen werden, so die Zusicherung der Regierung, berichtete der Fernsehsender N1 Anfang Januar.
Der laufende Präsidentschaftswahlkampf, mit dem das kroatische Superwahljahr 2024 nach den Parlamentswahlen im April und den Europaparlamentswahlen im Juni in die letzte Runde ging, trat somit kurz in den Hintergrund.
Wiederwahl des Präsidenten
Im ersten Wahlgang am 29. Dezember verfehlte Amtsinhaber Zoran Milanović von der Sozialdemokratischen Partei (SDP) mit 49,1 Prozent äußerst knapp die absolute Mehrheit. In der Stichwahl am 12. Januar errang er aber mit über 74 Prozent der Stimmen einen mehr als deutlichen Sieg gegen seinen von der Regierungspartei Kroatische Demokratische Union (HDZ) unterstützten Herausforderer Dragan Primorac, der auf knapp 26 Prozent kam.
Von Korruptionsskandalen geschwächt, war die HDZ bei den Parlamentswahlen im April auf nur 61 von 151 Sitzen gekommen und entschloss sich daher zur Bildung einer Koalitionsregierung mit der nationalistischen, rechtspopulistischen Partei Domovinski pokret („Heimatbewegung“). Aus den Wahlen zum Europäischen Parlament war die HDZ mit sechs von zwölf Sitzen zwar als stärkste Kraft hervorgegangen, bei einer Wahlbeteiligung von nur 21 Prozent kann aber kaum von einem robusten Mandat gesprochen werden.
Dass Präsident Zoran Milanović, der von 2011 bis 2016 Premierminister und von 2007 bis 2016 Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei war, nun zum dritten Mal in Folge im Amt bestätigt wurde, überrascht in Kroatien kaum jemanden. Das in den Medien oft als „kalte Kohabitation“ bezeichnete Nebeneinander von Ministerpräsident Andrej Plenković und Präsident Zoran Milanović sowie die Aufteilung der Macht zwischen den beiden größten Parteien HDZ und SDP haben Tradition.
Der Wahlkampf, in dem drei Kandidatinnen und fünf Kandidaten gegeneinander antraten, war von heftigen Debatten über Kroatiens Außenpolitik, die Unterstützung der Ukraine, die Wirtschaftspolitik und die Korruption geprägt.
Präsident Milanović, auch Oberbefehlshaber der Armee, kritisierte die prowestliche Ausrichtung der Regierung Plenković und attackierte die der Korruption beschuldigten HDZ-Minister. Ihm zufolge vertiefe die Wirtschaftspolitik der Regierung die soziale Ungleichheit drastisch und spalte die Gesellschaft. Wie gewohnt positionierte er sich klar gegen die militärische Unterstützung des Westens für die Ukraine und forderte Kroatiens Neutralität in internationalen Konflikten, womit er nicht zuletzt Wähler und Putin-Unterstützer sowohl aus dem linken wie aus dem ultrarechten Milieu ansprach.
Im Gegensatz dazu warb sein Herausforderer Primorac für eine vorbehaltlose proeuropäische Politik und Verortung Kroatiens in westlichen Bündnissen, die Unterstützung der NATO und die Zusammenarbeit mit der Mitte-rechts-Koalition unter Führung der HDZ. Während Primorac die in der Verfassung festgeschriebene Verantwortung des kroatischen Staates hervorhob, für die Rechte der Kroaten im benachbarten Bosnien und Herzegowina einzutreten, vertrat Präsident Milanović ethno-nationalistische Positionen zur Aufteilung der Macht unter den konstitutiven Volksgruppen im Nachbarstaat, die auch in Kroatien bei Nationalisten Zustimmung finden, so die Nachrichtenportale Forbes.hr und Poslovni.hr.
Politische Polarisierung
Wahlkampf und Wahlausgang unterstrichen einmal mehr die tiefgehende politische Polarisierung in Kroatien. Dass die traditionell angespannte Beziehung zwischen Ministerpräsident Plenković und Präsident Milanović, die ihre ideologischen Differenzen und persönlichen Feindseligkeiten regelmäßig und teils in rüdem Ton in der Öffentlichkeit austragen, auch dem Bild Kroatiens in der internationalen Öffentlichkeit schade, kommentierte der Sender N1 kritisch.
Milanovićs Sieg bringt aber auch die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der HDZ-Regierung zum Ausdruck. Nun richtet sich der Blick auf die für Mai geplanten Kommunalwahlen, in denen neben der Inflation, der wirtschaftlichen Lage im Land, dem Einfluss der Zuwanderung von Arbeitskräften aus Drittländern auf die kroatische Gesellschaft auch Themen wie die Transportinfrastruktur, Abfallentsorgung und der Wohnungsmarkt wahlentscheidend sein könnten, meint die Tageszeitung Novi List.
Höchste Inflationsrate
Seit der Einführung des Euro am 1. Januar 2023 ist mit der steigenden Inflation auch die Besorgnis in der Bevölkerung über eskalierende Lebenshaltungskosten stetig gewachsen. Während die Europäische Zentralbank kurz nach der Euro-Einführung nur einen milden Preiseffekt der Währungsumstellung konstatierte, haben die kroatischen Verbraucher deutlichere und nachhaltigere Auswirkungen auf ihre täglichen Ausgaben und besonders auf Lebensmittelpreise gespürt, die bereits seit Mitte 2021 um 35 Prozent gestiegen sind. „Das sind die Ergebnisse der berühmten Sorge der HDZ um die Bürger. Unsere Lebensmittel sind teurer als in 19 anderen EU-Mitgliedsländern, und nächstes Jahr wird es noch schlimmer werden“, kommentierte das Nachrichtenportal Telegram.hr im Dezember.
Kroatien ist derzeit das Land mit der höchsten Inflationsrate in der Eurozone, so die Nachrichtenagentur HINA. Tatsächlich ist derzeit kaum ein anderes Thema in den Medien derart präsent wie die Preissteigerung und überzogene Preise, ob in Restaurants, für Taxifahrten oder für Lebensmittel. Eine im September 2023 veröffentlichte Produktliste wies damals 30 Grundnahrungsmittel aus, deren Preis von der Regierung eingefroren wurde, um den Preisanstieg einzudämmen. Diese Liste ist im Januar 2025 auf insgesamt 70 Produkte angewachsen, berichtete das Wirtschaftsportal Poslovni.hr. Doch haben weder Preisobergrenzen noch Mehrwertsteuersenkungen die Inflation eindämmen können, kommentierten kritische Stimmen die Maßnahmen der Regierung, die wiederum die Händler und ihre hohen Gewinnmargen anprangert.
Die weitverbreitete Überzeugung, dass die Lebensmittelpreise mittlerweile höher seien als in den meisten anderen EU-Staaten und noch weiter ansteigen könnten, hat im Januar eine landesweite Boykottwelle von Geschäften, Supermärkten, Tankstellen und auch Restaurants ausgelöst, die sich mittlerweile gezielt auf Einzelhandelsketten wie Lidl und DM konzentriert. „Wir erwarten eine Explosion aller Preise in diesem Jahr“, warnte die Tageszeitung Novi List.
Teuer, teurer, Kroatien
Die gestiegenen Preise sind jedoch nicht nur ein Problem der Einheimischen, sondern sie unterminieren auf Dauer auch die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Tourismusindustrie, wie Experten befürchten. „Teuer, teurer, Kroatien“, kommentierte das internationale Online-Portal Total-croatia-news.com.
Mehr Investitionen in touristische Angebote mahnte das Wirtschaftsportal Poslovni.hr an, damit die Kapazitäten im Binnen-, Luxus-, Abenteuer- oder Wellnesstourismus ausgebaut werden können; seit Langem geplant ist auch eine Verlängerung der Tourismus-Saison.
Einheimische Wirtschaftsanalysten wie Damir Novotny halten dagegen, dass Kroatien – gleichwohl teurer als die Hauptkonkurrenten Griechenland, Italien, Türkei und Portugal – aufgrund seiner einzigartigen Lage trotz vergleichsweise kurzer Tourismus-Saison und überlasteter Infrastruktur auf Dauer attraktiv bleibe. „Kroatien ist wie der Vatikan oder Rom: Ungeachtet der Preise wird immer jemand zu Besuch kommen“, erklärte er in einem Interview mit N1 TV.
Kaum bezahlbarer Wohnraum
Ein Dauerbrenner in den Medien ist auch das Thema bezahlbarer Wohnraum. Die Immobilienpreise sind seit 2021 in Kroatien im Vergleich zum EU-Durchschnitt in die Höhe geschnellt: Ein Eigenheim, noch immer bevorzugte Wahl gegenüber dem Mieten, ist besonders für junge Menschen kaum erschwinglich. Wie in anderen südeuropäischen Ländern ebenfalls üblich, bleiben diese weniger aus kulturellen als aus ökonomischen Gründen zwangsläufig bei den Eltern weit über die Ausbildungszeit hinaus wohnen.
Die im internationalen Vergleich noch relativ niedrigen Mietpreise haben jedoch ebenfalls stark angezogen und tragen damit zur hohen Belastung des Einkommens durch Wohnkosten bei, und zwar vor allem in großen Städten und touristischen Zentren, wie Forbes.hr betont. Beachtenswert ist außerdem, dass neben den Baukosten seit 2023 die Gewinne im Bausektor als eine der tragenden Säulen der heimischen Wirtschaft ebenfalls weit schneller gestiegen sind als andernorts in der EU.
Hin zum Einwanderungsland
Das klassische Auswanderungsland Kroatien hatte seit Beitritt zur Europäischen Union im Sommer 2013 eine weitere Emigrationswelle erlebt. Diese hat die anhaltend aufgeregte Berichterstattung über den durch Alterung, Geburtenrückgang und Abwanderung seit Jahrzehnten anhaltenden Bevölkerungsschwund weiter zugespitzt.
Allerdings hat sich der Trend seit 2021 zu verschieben begonnen: zum einen durch Rückwanderung, vor allem aber durch die Zuwanderung von ausländischen Arbeitskräften aus Drittländern. Wirtschaftswachstum und Arbeitskräftemangel haben die Liberalisierung des Arbeitsmarkts eingeleitet. Traditionell aus den Westbalkan-Ländern rekrutierte Arbeitskräfte werden mittlerweile zahlenmäßig von Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus Bangladesch, Nepal, Indien, den Philippinen oder dem Kaukasus weit überholt. Der Tourismus- und Bausektor, aber auch Handelsketten, die Nahrungsmittelindustrie und Kurierdienste sind stark auf diese neuen und nicht mehr nur saisonal benötigten Arbeitskräfte angewiesen.
So lässt sich in Echtzeit beobachten, wie das Auswanderungsland Kroatien zum Einwanderungsland wird – mit tiefgreifenden Konsequenzen für den sozialen Zusammenhalt und das Selbstverständnis einer sich als ethnisch homogen begreifenden Gesellschaft, die kaum auf Erfahrungen der Integration von Zuwanderern aus anderen Kulturkreisen aufbauen kann.
Über vereinzelte gewaltsame Übergriffe auf Arbeitsmigranten und deren Verurteilung durch die Regierung wurde berichtet, sonst aber vor allem über Sachfragen wie die Zuteilung von Arbeitsgenehmigungen, zum Beispiel im Online-Portal der Tageszeitung Jutarnji list. Den verbreiteten Eindruck, dass einheimische Arbeitnehmerinnen und -nehmer etwa bei Kurierdiensten durch ausländische ersetzt würden, bezeichnete das Wirtschaftsportal Poslovni.hr als „irreführend, es gibt mehr einheimische als ausländische Arbeitskräfte“.
Der Nachbar Serbien
Die in Serbien anhaltenden innenpolitischen Unruhen und Proteste gegen die Regierung seit dem Einsturz des Bahnhofvordachs in Novi Sad am 1. November 2024, dem 15 Menschen zum Opfer fielen, wirken sich auch auf das gespannte Verhältnis zwischen den Nachbarn Serbien und Kroatien aus.
So beschuldigte der serbische Präsident Aleksandar Vučić Kroatien, sich in die inneren Angelegenheiten Serbiens einzumischen und zu versuchen, das Nachbarland zu destabilisieren. Diese Vorwürfe werden in der Tageszeitung 24 sata als „Paranoia von Belgrad“ bezeichnet: Wieder einmal seien Kroaten für alles verantwortlich und würden als Spione und Ustaša diffamiert.
Nach der Festnahme, polizeilichen Vernehmung und Abschiebung von fünf Mitgliedern der kroatischen Zivilgesellschaft im Januar, die an einem Workshop in Belgrad teilgenommen hatten, reagierte Kroatien mit einer diplomatischen Protestnote und Warnung vor Reisen nach Serbien. Das Verhältnis zum Nachbarn ist wieder einmal an einem Tiefpunkt.
Internationale Politik 2, März/April 2025, S. 120-123