Titelthema

30. Okt. 2023

Jede Menge heiße Luft am Golf

Die Wahl von Ölkonzernchef Ahmed Al Jaber zum Präsidenten des Weltklimagipfels war und ist umstritten. Und die Kritik wird durch einen Blick auf die klimapolitischen Pläne und Maßnahmen der Golfstaaten noch untermauert: Ziele und Taten bleiben bescheiden.

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Bild: Sultan Al Jaber hält eine Rede
In der Pflicht: Sultan Al Jaber will die Finanzierung des Kampfes gegen den Klimawandel zu einem zentralen Thema der COP28 machen. Kommen die Golfstaaten so heraus aus ihrer Rolle als ewige Bremser?
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Mehr als 70 000 Staatsoberhäupter, Regierungsbeamte, Experten sowie Vertreter von Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen werden zur 28. Weltklimakonferenz COP28 erwartet, die am 30. November in der Glitzermetropole Dubai beginnt. Es ist die zweithöchste Teilnehmerzahl in der Geschichte der Konferenz. Die Aufrufe zum Boykott der COP28 haben also ­wenig gefruchtet, so scheint es.

Dabe hat es an solchen Forderungen nicht gemangelt.

Kritiker stoßen sich sowohl am Austragungsort, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), als auch am designierten Präsidenten der Konferenz, Sultan Ahmed Al Jaber. Al Jaber ist in Personal­union Minister für Industrie und Technologie sowie Chef von ADNOC, der staatlichen Erdölgesellschaft der VAE. Für Umweltschützer wurde damit der Bock zum Gärtner gemacht. Die VAE sind nach Saudi-Arabien und dem Irak der drittgrößte Erdölproduzent im Nahen Osten und der siebtgrößte weltweit.

 

Sultan im Interessenkonflikt

Experten und Umweltschützer werfen Al Jaber einen Interessenkonflikt vor. Das Mindeste sei, dass er während der Konferenz seinen Posten bei ADNOC niederlege. Viele fürchten, dass Erdöllobbyisten noch mehr Einfluss auf die ohnehin schwierigen Verhandlungen nehmen könnten.

Erstmals waren bei der Klimakonferenz im ägyptischen Sharm el-Sheikh im vergangenen Jahr auch Erdöllobbyisten eingeladen. Das Ergebnis der Konferenz war enttäuschend. Angeführt von Saudi-­Arabien verhinderten seinerzeit ölproduzierende Länder einen Vorstoß der USA und der EU, in der Abschlusserklärung den schrittweisen Ausstieg aus allen fossilen Brennstoffen anzukündigen.

Kein Wunder also, dass mehr als 100 Abgeordnete des US-Kongresses und des EU-Parlaments im Mai den Rücktritt von Al Jaber als Präsident der COP28 forderten. Der 50-Jährige hat allerdings auch namhafte Unterstützer wie den amerikanischen Sondergesandten für Klimafragen, John Kerry. Kerry nannte die Kritik „unfair“ und lobte die VAE als Land, das dank Al Jaber bereits enorme Schritte unternommen habe, um den Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energien zu meistern. Lob kommt auch von Frans Timmermans, bis vor Kurzem EU-Kommissionsvizepräsident und als Kommissar der Motor des europäischen Green Deal. Aufgrund seines Einsatzes für erneuerbare Energien werde Al Jaber die COP28 zum Erfolg führen, sagte Timmermans am Rande einer Konferenz in Abu Dhabi.

Al Jaber selbst kontert die Vorwürfe mit dem Hinweis, es brauche die Ölkonzerne, solle der ökologische Umbau gelingen. Den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen nennt er „unvermeidlich“. Sein Aktionsplan sieht eine weltweite Verdreifachung der Erzeugung von erneuerbaren Energien sowie eine Steigerung der Energieeffizienz und der Meerwasserentsalzung um das Doppelte bis zum Jahr 2030 vor. Im Rahmen einer Konferenz der OPEC-Staaten forderte er die Öl- und Erdgaskonzerne auf, mehr Geld in umweltfreundliche Energien zu investieren.

Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) wird im laufenden Jahr weltweit fast zweimal so viel in saubere wie in fossile Energien investiert, wobei erstmals mehr Geld für Solarenergie als für die Ölproduktion ausgegeben wird. Die Schattenseite: Die Ausgaben für die ­Förderung von Erdöl und Erdgas stiegen um 7 Prozent, wobei der Löwenanteil auf die staatlichen Ölgesellschaften im Nahen Osten entfällt. Gleichzeitig investierten die Öl- und Gaskonzerne im vergangenen Jahr weniger als 5 Prozent ihrer Ausgaben in umweltfreundlichen Strom und die CO2-Abscheidung.

 

Wo es heiß war, wird es noch heißer

Lange Zeit verfolgten die Golfstaaten eine Vogel-Strauß-Politik: Es liege an den Abnehmerländern ihres Erdöls und Erd­gases, die Treibhausgase zu reduzieren, hieß es lapidar. Der Klimawandel lässt sich indes auch im Nahen Osten nicht mehr leugnen. Ohne Klimaanlage lassen sich die heißen Sommermonate vielerorts schon lange nicht mehr aushalten. In den vergangenen Jahren stiegen die Temperaturen von einem Rekordhoch zum nächsten. Empfanden Iraker vor Jahren 45 Grad noch als extrem, so sind mittlerweile Temperaturen von 50 Grad im Sommer an der Tagesordnung.

Immer häufiger fegen Sandstürme über das Land. Euphrat und Tigris führen auch wegen der Staudämme in den Nachbar­ländern Türkei und Iran, denen der Klimawandel ebenfalls zusetzt, immer weniger Wasser. Im Südirak droht ein geologisch und biologisch einzigartiger Salzsee auszutrocknen. Vom Schatt al-Arab dringt Meerwasser in den letzten noch erhaltenen Rest der einzigartigen Sumpflandschaft im Südirak ein; das könnte sie endgültig vernichten. Das Land gilt in Sachen Klimawandel als Hochrisikogebiet. Auf der UN-Liste der besonders gefährdeten Länder steht es auf Platz fünf.

Den sechs im Golfkooperationsrat (GCC) zusammengeschlossenen Ländern – Saudi-Arabien, VAE, Katar, Bahrain, Kuwait und Oman – droht die Desertifikation. Ihre Inseln und Küstenregionen könnten infolge des steigenden Meeresspiegels versinken, Grundwasserleiter versalzen.

Saudi-Arabien, das nur 2 Prozent seiner großen Landmasse landwirtschaftlich nutzen kann und mit schwindenden Wasservorräten kämpft, läuft Gefahr, seine wachsende Bevölkerung nicht mehr ernähren zu können. Katar muss seine Trinkwasserversorgung zu einem Gutteil durch die Entsalzung von Meerwasser sicherstellen. Dazu braucht es mehr Strom, und die Umwelt wird enorm belastet. In der gesamten Region sind seltene Pflanzen und Tierarten vom Aussterben bedroht.

Die Golfstaaten zählen weltweit zu den Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Ausstoß an CO2. Inzwischen haben sie erkannt, dass sie die Verantwortung für eine klimaneutrale Politik nicht nur an die Importländer ihres Erdöls und Erdgases abschieben können, sondern auch selbst handeln müssen. Allerdings agieren sie zögerlich. Zu einer Politik der Netto-Null-Emissionen bis 2050, wie es das Pariser Abkommen von 2015 vorsieht, haben sich bisher nur die VAE verpflichtet.

Die VAE wollen zu einem „grünen Hub“ werden. Treibende Kraft ist Al Jaber. Insofern ist er womöglich doch der richtige Mann, um den Klimazielen beim bevorstehenden Gipfel neuen Schub zu verleihen. Im Jahr 2006 gründete Al Jaber das auf erneuerbare Energien spezialisierte Unternehmen Masdar. Von den USA über Europa bis in den Südpazifik investiert Masdar in Solar- und Windenergie. Im eigenen Land führt das Unternehmen 27 Projekte auf seiner Website. Mehrfach mussten die ambitionierten Pläne aber wieder zurückgeschraubt werden. So wird die als komplett klimaneutral geplante Masdar City in Abu Dhabi auch über das normale Stromnetz versorgt; zudem hat sich bisher auch nur ein Bruchteil der geplanten 50 000 Bewohner dort niedergelassen.

 

Die Golfstaaten hinken hinterher

Auf dem Gipfel in Dubai wird erstmals eine umfassende Bestandsaufnahme stattfinden, ob die in Paris vereinbarten Ziele erreicht wurden. Dass die Golfstaaten hinterherhinken, steht schon jetzt fest. Die meisten wollen gemäß ihren 2021 angekündigten nationalen Beiträgen (Nationally Determined Contributions, NDC) 2030 erste Schritte umgesetzt haben, um den Treibhausgasausstoß zu verringern. Die Pläne sind größtenteils bescheiden. Es mangelt nicht an allgemeinen klangvollen Ankündigungen, denen dann aber nur wenige Taten folgen.

Die aktuellen Zusagen des GCC-Schwergewichts Saudi-Arabien basieren auf einem Szenario mit beträchtlichen Erdöl­exporten, schreiben die Experten des Climate Action Tracker. Zudem enthalte das Papier eine Ausstiegsklausel, sollten sich die internationalen Maßnahmen zum Umweltschutz negativ auf die Exporte auswirken. Insgesamt stufen die Experten die Zusagen als „höchst unzureichend“ ein.

Katar, zusammen mit den USA der weltgrößte Exporteur von Erdgas, verspricht, bis 2030 den Treibhausgasausstoß um etwa 25 Prozent zu verringern. Um die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, müsste Katar nach Berechnungen von Climate Analytics die Emissionsreduktion verdoppeln. Oman will die Emissionen bis 2030 um 7 Prozent senken, Kuwait bis 2034 um 7,4 Prozent. Die nationalen Beiträge von Bahrain enthalten gar keine Angaben; das Land verspricht aber, die Energieeffizienz um 6 und den Anteil an erneuerbaren Energien um 5 Prozent zu erhöhen.

Die VAE legten im Juli ihre dritten aktualisierten nationalen Beiträge vor. Darin visiert der Golfstaat eine Reduzierung der Treibhausgase um mindestens 14 Prozent bis 2030 an. Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müsste es sie aber um mindestens 35 Prozent senken. Insgesamt bewertet Climate Tracker die Zusagen positiv, bezeichnet die Pläne aber weiter als „unzureichend“.



Unhaltbare Situation

Als Al Jaber seine Agenda für die COP28 vorstellte, sagte er, es müsse Schluss sein mit „business as usual“. Alle seien zu entschlossenem Handeln aufgefordert. Dabei nannte er vier Eckpunkte für den Klimagipfel: Beschleunigung der Energiewende, eine umfassende Transformation der Klimafinanzierung, Fokussierung auf die Öffentlichkeit und die Lebensgrund­lagen (Natur, Nahrung, Gesundheit) sowie die Einbeziehung der Jugend und der indigenen Völker.

Obwohl Al Jaber die Staatengemeinschaft aufforderte, den „unvermeidlichen“ und „unverzichtbaren“ Ausstieg aus fossilen Brennstoffen zu beschleunigen, denkt am Golf vorerst niemand daran. Im Gegenteil: Die GCC-Staaten planen, die Förderung zu steigern.

Die IEA geht davon aus, dass die Investitionen in die Erdöl- und Erdgasförderung im laufenden Jahr auf den höchsten Stand seit 2015 steigen. Die Menge würde über dem Niveau liegen, das für eine klimaneutrale Politik (Netto-Null-Emissionen) bis 2050 nötig wäre, heißt es in einer Analyse der Agentur. Angeführt von Saudi-Arabien, den VAE und dem Irak planten die Länder im Nahen Osten, bis 2028

7 Prozent mehr Öl aus dem Boden zu pumpen. Saudi-Arabien werde zwischen 2023 und 2028 die Förderung um 800 000, die VAE um 700 000 und der Irak um 600 000 Barrel pro Tag steigern, prognostiziert die Agentur.

Ein Kernproblem der GCC-Staaten ist laut dem Thinktank Carnegie Endowment for International Peace, dass ihre geplanten Maßnahmen vor allem wirtschaftlich motiviert sind. Man lege seinen Fokus auf Projekte, die für den Export wichtig seien, wie die Wasserstoffproduktion oder Kohlenstoffabscheidungsanlagen, stelle aber das Inland betreffende Schritte in Richtung Energiewende zurück. Im Vordergrund stehe der Wunsch, die Herrschaft der Könige und Emire abzusichern, an den wirtschaftlichen Verkrustungen ändere sich wenig. Das sei „eine unhaltbare Situation“, die die Energiewende gefährde, schreibt die Organisation in einer Analyse.



Kein Golfstaat unter den Gebern

Sultan Al Jaber kündigte an, die Finanzierung des Kampfes gegen den Klimawandel zu einem zentralen Thema des Gipfels zu machen. Im Jahr 2009 vereinbarten die damaligen Konferenzteilnehmer, bis 2025 jährlich 100 Milliarden Dollar bereitzustellen, um in ärmeren Ländern die Folgen der Erderwärmung abzufedern und den Aufbau einer nachhaltigen Energieversorgung zu unterstützen. Diese Zusagen wurden bei Weitem nicht erfüllt.

Zwischen 2015 und 2020 meldeten laut einer Analyse der Nachrichtenagentur Reuters 35 Geberländer mehr als 182 Milliarden Dollar in Form von Beihilfen, Darlehen, Anleihen, Kapitalbeteiligungen und anderen Beiträgen bei den Vereinten Nationen. Die Beschreibungen seien oft vage, häufig sei nicht einmal klar, in welches Land die Gelder flossen oder wie das Geld verwendet wurde. Hinzu kommt, dass sich unter diesen Geberländern nicht ein einziger Golfstaat befand. Folgt man Al Jaber, wird sich daran auch wenig ändern. Er betonte vielmehr, die Geberländer müssten ihre Zusagen auf 100 Milliarden Dollar in diesem Jahr einhalten.

Dabei wäre viel mehr Geld erforderlich. Nach Angaben der UN-Klimawandelkonvention (UNFCCC) braucht es bis 2030 mindestens sechs Billionen Dollar. Auf dem Gipfel in Ägypten voriges Jahr einigten sich die Teilnehmer nach zähem Ringen darauf, die Weichen für einen neuen Fonds zum Ausgleich klimabedingter Schäden einzurichten. Um etliche Einzelheiten wird freilich noch immer gerungen. Mit den VAE als Austragungsort und Al Jaber als Präsidenten können die Golfstaaten nun beweisen, dass sie nicht die „ewigen“ Bremser sind, sondern eine führende Rolle bei der Bewältigung des Klimawandels übernehmen wollen.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik Special 6, November/Dezember 2023, S. 22-27

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Inga Rogg berichtet für die Schweizer Wochenzeitung NZZ am Sonntag und andere Medien aus dem Nahen Osten. Sie war lange Nahost-­Korrespondentin der NZZ.

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