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01. Sep 2004

Indonesiens steiniger Weg zur Demokratie

Nach 40 Jahren autoritärer Herrschaft steht nun auch Indonesien an der Schwelle zur Demokratie.
Doch Demokratie zu verkünden ist etwas anderes als sie auch wirklich erfolgreich durchsetzen
zu können. Jürgen Rüland, Professor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, analysiert
Indonesiens Chancen, aber auch Gefahren für die demokratische Konsolidierung des Landes
nach dem Chaos der letzten Jahre.

Als Präsident Suharto am 20. Mai 1998 unter dem Druck einer Reformbewegung (Gerakan Reformasi) von seinem Amt zurücktreten musste, hatte die dritte Demokratisierungswelle mit einiger Verspätung auch Indonesien erreicht. Davor lagen über 40 Jahre autoritärer Herrschaft unter den Präsidenten Sukarno (1957–1966) und Suharto (1966–1998). Der Regimewechsel stürzte den mit 215 Millionen Menschen viertgrößten Staat der Erde in einen turbulenten, ja oft sogar regelrecht chaotischen Demokratisierungsprozess.1 Dazu trug maßgeblich bei, dass der Übergang zur Demokratie einer dreifachen Belastung ausgesetzt war. Nicht nur der Umbau des Institutionensystems war dabei zu bewerkstelligen; schwerer wogen wohl noch die zu bewältigenden katastrophalen Folgen der asiatischen Finanzkrise von 1997/1998. Nach dem 11. September 2001 geriet Indonesien als Staat mit der weltweit größten Muslimbevölkerung zudem ins Fadenkreuz der Antiterrorstrategen im Pentagon. Dies ließ befürchten, dass die Terrorismusbekämpfung Vorrang vor der Demokratisierung gewinnen würde.

2004 ist für Indonesien ein entscheidendes Jahr. Vier umfassende, zwischen 1999 und 2002 beschlossene Verfassungsänderungen treten nunmehr in Kraft, und mit den Parlamentswahlen vom April sowie der ersten, in zwei Wahlgängen durchgeführten Direktwahl für das Präsidentenamt im September beginnt für den Inselstaat nun die Phase der demokratischen Konsolidierung. Anlass genug, eine vorläufige Bilanz der Transition zu ziehen und nach den Perspektiven für die Konsolidierung der Demokratie zu fragen.

Die indonesische Demokratisierung ist nicht das Resultat eines radikalen Umbruchs. Vielmehr ist sie als paktierter Übergang zu verstehen, d.h. als Aushandlung der neuen politischen Spielregeln zwischen den Reformasi-Kräften und Vertretern des Suharto-Staates. Paktierte Übergänge haben indes den Vorzug, dass sie die alten Eliten nicht in eine Fundamentalopposition treiben, sondern sie bei erfolgreichem Verlauf in die demokratischen Strukturen einzubinden vermögen. Aufgrund der damit verbundenen politischen Konzessionen an die alten Eliten schreitet die Demokratisierung allerdings eher langsam voran. Entscheidend für die Dauer und die Störanfälligkeit der Transition ist dabei, welche Machtressourcen die alten Eliten in die neue demokratische Ordnung hinüberzuretten in der Lage sind.

Da die indonesische Reformasi-Bewegung nur gelingen konnte, weil sich Stützen des Suharto-Regimes in Militär, Parlament und Bürokratie zwar vom Ancien Régime lossagten, aber dennoch keinen grundlegenden Neubeginn wollten, hatte die Demokratisierung von Anbeginn zahlreiche Widerstände zu überwinden. Immerhin aber zeigte sich, dass Demokratisierungsprozesse auch von Nichtdemokraten vorangebracht werden können. Denn Suhartos Nachfolger Habibie galt als einstiger Vizepräsident, langjähriges Kabinettsmitglied und Vertrauter des Expräsidenten weithin als Exponent des alten Regimes. Doch in seinem – letztlich vergeblichen – Bestreben, mehr als ein Übergangspräsident zu sein und sich eine eigene politische Machtbasis aufzubauen, avancierte Habibie zu einem wichtigen Weichensteller für die Demokratisierung. Er führte wesentliche demokratische Grundfreiheiten wie die Versammlungs- und Pressefreiheit ein, ließ politische Gefangene frei, hob das unter Suharto geltende Verbot für die Neugründung von Parteien auf, gelobte die Achtung der Menschenrechte und ermöglichte eine Dezentralisierung des Staatsaufbaus. Richtungweisend waren die unter seiner Regie im Juni 1999 abgehaltenen ersten freien Parlamentswahlen seit 1955. Trotz administrativer Probleme bei der Durchführung der Wahlen galten diese als weitgehend störungsfrei und fair. 20 der insgesamt 48 zur Wahl zugelassenen Parteien gewannen Mandate, doch nur fünf von ihnen kamen auf mehr als 7% der Stimmen. Der Wahlsieg fiel mit 33,74% der Stimmen und 153 Parlamentssitzen an die Partai Demokrasi Indonesia-Perjuangan (PDI-P) der Sukarno-Tochter Megawati Sukarnoputri. Zweitstärkste Partei wurde die vormalige Staatspartei Golkar, die unter Suharto stets über 60% der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Sie kam 1999 nur noch auf 22,46% der Stimmen und 120 Mandate. Während PDI-P und Golkar eine säkularistische Staatsauffassung vertraten, stehen die vier nächstplatzierten Parteien für eine islamische Werteordnung. Die Wahl von 1999 reproduzierte damit die Konfliktlinien von 1955; erstaunlicherweise jedoch erhielten die islamischen Parteien dabei weniger Stimmen als 44 Jahre zuvor.

In den nächsten fünf Jahren erfuhr das Parlament einen ungeahnten Einflussgewinn. Während die nach wie vor in Kraft befindliche Verfassung von 1945 eindeutig als Präsidialverfassung gelten konnte, bildete sich in der Post-Suharto-Ära ein hybrides Regierungssystem heraus, das manche Beobachter sogar von einer quasiparlamentarischen Ordnung sprechen ließ. Dieser Wandel wurde besonders augenfällig in den parlamentarischen Kontrollfunktionen und in der Amtsenthebung von Habibies Nachfolger Abdurrahman Wahid im Juli 2001.2

Darüber hinaus war das Parlament maßgeblich an den vier zwischen 1999 und 2002 ausgehandelten Verfassungsänderungen beteiligt, da alle Abgeordneten neben 200 Vertretern großer Verbände (functional groups) und der Gebietskörperschaften Mitglied in dem zuständigen höchsten Staatsorgan, der Beratenden Volksversammlung (MPR), waren. Mit den Verfassungsrevisionen legten sich die politischen Eliten Indonesiens auf ein präsidiales Regierungssystem fest. Das neue Zweikammerparlament erfuhr eine deutliche Aufwertung, das Militär wurde durch die Abschaffung der für die Streitkräfte reservierten Parlamentssitze entmachtet, die Kompetenzen des/der künftigen Präsidenten/in beschnitten und die Gewaltenteilung durch die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit gestärkt. Versuche des politischen Islam, die Scharia für alle Muslime verbindlich zu machen, scheiterten; sie erwiesen sich selbst unter Muslimen als nicht mehrheitsfähig. Die Verfassungsänderungen sollten nach den Parlamentswahlen 2004 und den im gleichen Jahr abzuhaltenden ersten direkten Präsidentschaftswahlen in Kraft treten.

Chancen für die Konsolidierung

Zu den Parlamentswahlen 2004 traten insgesamt 24 Parteien an. 18 von ihnen hatten 1999 nicht kandidiert. Diese Volatilität des Parteiensystems ist zum einen Ausdruck innerparteilicher Konflikte und Spaltungsprozesse, zum anderen aber auch Resultat einer Sperrklausel des Wahlgesetzes. Danach durften Parteien, die 1999 weniger als 2% der Stimmen erlangten, 2004 nicht mehr zur Wahl antreten.

Wie schon 1999 konnten auch die Parlamentswahlen im April 2004 als im Großen und Ganzen frei und fair bezeichnet werden. Stärkste Partei wurde mit 21,57% der Stimmen die Golkar, während die PDI-P (18,53%) fast die Hälfte ihrer Stimmen einbüßte. Die Wahlniederlage der PDI-P war die Quittung für die Führungsschwäche und Visionslosigkeit der Präsidentin, die allgegenwärtige Korruption und den nur zögerlichen ökonomischen Wiederaufschwung. Die islamischen Parteien vermochten ihre Stimmenanteile weitgehend zu halten, wobei allerdings die aus der islamistischen Partai Keadilan hervorgegangene Partai Keadilan Sejahtera (PKS) mit 7,34% der Stimmen überraschte. Nicht ganz so unerwartet kam das gute Abschneiden der Demokratischen Partei (7,45%) des Exgenerals Susilo Bambang Yudhoyono, der seit geraumer Zeit als Favorit für das Präsidentenamt gehandelt wird.

Mit der direkten Präsidentenwahl sollte ein erhebliches Legitimitätsdefizit des politischen Systems beseitigt werden, wurde doch bis dahin der/die Präsident/in nur indirekt durch die Beratende Volksversammlung (MPR) gewählt. Dies lud zu politischem Kuhhandel geradezu ein. So verfügte die Partei des 1999 gewählten Präsidenten Abdurrahman Wahid gerade einmal über 10% der Parlamentssitze. Dennoch gelang es Wahid durch geschicktes Taktieren in der MPR die Wahlsiegerin Megawati Sukarnoputri auszumanövrieren, für die lediglich die Vizepräsidentschaft übrig blieb. Sie wurde erst nach dem Scheitern Wahids zur Präsidentin gekürt. Mit derartigen Winkelzügen sollte nun Schluss sein.

Für den ersten Wahlgang bei den Präsidentschaftswahlen am 4. Juli 2004 durften nur Parteien oder Parteienkoalitionen Kandidaten nominieren, die bei den vorausgegangenen Parlamentswahlen mehr als 5% der Stimmen auf sich vereinigen konnten. So traten zum ersten Wahlgang fünf Kandidaten an. Nach einem weitgehend unspektakulären und störungsfreien Wahlkampf gewann Susilo 33,8% der Stimmen; es folgten Amtsinhaberin Megawati Sukarnoputri (PDI-P) mit 26,2%, der Golkar-Kandidat General Wiranto (22,2%), Amien Rais (PAN) mit 14,9% und Hamzah Haz (PPP) mit 3,1%. Da keiner der Kandidaten mehr als 50% der Stimmen erhielt, muss nun am 20. September ein zweiter Wahlgang zwischen Susilo und Megawati entscheiden. Obwohl Susilo als Favorit ins Rennen geht, ist der Ausgang ungewiss. Viel wird davon abhängen, inwieweit es den Kandidaten gelingt, sich der Unterstützung anderer Parteien – und hier vor allem der Golkar – zu versichern. Ob die Wähler allerdings den Wahlempfehlungen der Parteioberen Folge zu leisten bereit sind, ist angesichts des auf Personen ausgerichteten Wahlverhaltens und der geringen Parteiidentifikation der Wähler sehr fraglich.

Institutionelle Voraussetzungen

Was nun die Konsolidierungschancen des runderneuerten politischen Systems angeht, so sind im wesentlichen drei Fragenkomplexe zu klären: Wie tragfähig sind die institutionellen Voraussetzungen? Wie lassen sich die Vetokräfte einbinden? Und in welchem Umfang hat sich in den letzten Jahren eine demokratische Bürgerkultur herausgebildet?

Mit der präsidialen Demokratie entschied sich Indonesien für ein Regierungssystem, das Institutionentheoretiker als ungeeignet für neue Demokratien erachten. Von Juan J. Linz stammt die These, dass parlamentarische Demokratien bessere Konsolidierungschancen besitzen.3 Der ihnen eigene Kontrollmechanismus des Misstrauensvotums verleihe ihnen größere Flexibilität bei der Auswechslung nicht mehr mehrheitsfähiger Regierungen; außerdem gebe es keine auf die rivalisierende Legitimität zwischen Exekutive und Legislative zurückzuführenden Politikblockaden. Auch sei die in Präsidialdemokratien häufig zu beobachtende „the-winner-takes-all“-Mentalität weitaus weniger ausgeprägt. Empirische Untersuchungen zeigen jedoch, dass diese Annahmen nur bedingt zutreffen.4 Viel ausschlaggebender für die Effektivität eines Regierungssystems ist, wie die entsprechenden Regelungen in der politischen Alltagspraxis ausgelegt und gehandhabt werden. Ebenso wenig lässt sich die These halten, Präsidialdemokratien seien primär Mehrheitsdemokratien.5 Gerade die indonesischen Verfassungsänderungen sind ein Lehrbeispiel dafür, wie eine Präsidialdemokratie konsensdemokratisch ausgestaltet werden kann – eine angesichts der ethnischen und religiösen Vielfalt des Staates überaus kluge Entscheidung. Zu den konsensdemokratischen Komponenten gehören das Verhältniswahlsystem, die nach dem Territorialprinzip zusammengesetzte zweite Kammer (DPD) und die sich einer Föderalisierung annähernde Dezentralisierung. Ein weiteres, in der Verfassung nicht explizit vorgesehenes konsensdemokratisches Prinzip trat bei den Präsidentschaftswahlen zu Tage: die Tendenz zu großen Koalitionen. Denn alle Präsidentschaftskandidaten/innen gingen mit einem Vizepräsidentschaftskandidaten ins Rennen, der nicht nur einer anderen Partei angehört, sondern auch für die jeweils andere Hauptströmung entlang der säkular-religiösen Konfliktschiene steht. Auch nach dem zweiten Wahlgang wird der/die neue Präsident/in angesichts fehlender Mehrheiten im Parlament nur mit Hilfe von Koalitionen regieren können. Freilich sind mit einem Konsenssystem auch Gefahren verbunden: Reformen und Innovationen sind schwerer durchzusetzen, Entscheidungsblockaden nicht auszuschließen. Hinzu kommt, dass eine „big bang“-Dezentralisierung des indonesischen Typs den Zentralstaat eklatant schwächen kann. In der Tat mehren sich die Anzeichen, dass es sich bei ihr mehr um eine Dezentralisierung von Korruption denn eine Vergrößerung der lokalen Partizipationsmöglichkeiten handelt.

Vetoakteure

Vetoakteure sind mächtige gesellschaftliche und staatliche Akteure, die kein verfassungsgestütztes Mandat zum politischen Handeln besitzen.6 Es sind in der Regel konservative politische Kräfte, die versuchen, wesentliche Bestandteile der überkommenen Ordnung zu bewahren und die Demokratisierung, wenn schon nicht rückgängig zu machen, so doch zu verlangsamen oder auch zu verwässern.

Vetokräfte in Indonesien sind die Mitglieder des Suharto-Clans, die Streitkräfte, radikale Islamisten und Separatisten. Während die Mitglieder des Suharto-Clans bestenfalls noch eine Nebenrolle spielen, gilt dies in keinem Falle für das Militär. Zu dessen korporativen Interessen gehören seine vielfältigen legalen und illegalen kommerziellen Aktivitäten, der Verteidigungshaushalt, das Bestreben, eine gründliche Aufarbeitung der Vergangenheit zu hintertreiben sowie die Bewahrung der unter Suharto geschaffenen Territorialstruktur als wesentlicher organisatorischer Stütze. Viele Indonesier vermuten, dass unzufriedene Militärs hinter etlichen Gewaltakten der letzten Jahre stecken, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Dies schloss auch die Unterstützung von Milizen ein, die wie die Laskar Jihad auf den Molukken in lokale Bürgerkriege eingriffen.

Allerdings ist das Militär gespalten; sicher ein Grund dafür, dass Putschversuche ausblieben. Doch wurde der Sicherheitsapparat inklusive des Geheimdienstes (BIN) durch Antiterrorismusgesetze nach dem verheerenden Bombenanschlag der islamistischen Terrororganisation Jemaah Islamiyah (JI) auf Bali im Oktober 2002 erheblich gestärkt. Das jüngste Vorgehen gegen NGOs und die Ausweisung der Menschenrechtlerin Sidney Jones scheinen mithin jenen Stimmen recht zu geben, die einen Rückfall in staatliche Repression befürchten. Auch die im Mai 2003 begonnene Militäroffensive gegen die Separatisten in Aceh wird häufig dahingehend gedeutet. Gleiches gilt für die Kandidatur zweier hochrangiger ehemaliger Militärs für das Präsidentenamt, von denen einer, Susilo Bambang Yudhoyono, im September zur Stichwahl antreten wird.

Islamische Extremisten konnten mit der Demokratisierung ihren Aktionsradius beträchtlich erweitern. Radikalisierend wirkten dabei vor allem die proisraelische Politik Washingtons und nach dem 11. September 2001 die amerikanischen Militärinterventionen in Afghanistan und in Irak. Doch schon vorher waren die Asien-Krise und der von Australien geleitete UN-Einsatz nach den Ausschreitungen proindonesischer Milizen in Ost-Timor 1999 Wasser auf die Mühlen der Islamisten: Beide Ereignisse wurden von vielen Indonesiern als westliche Verschwörung gedeutet. Organisatorisch sind die Islamisten in einigen politischen Parteien wie der PKS, mehr aber noch in militanten Gruppen und Milizen wie der Laskar Jihad, der Front Pembela Islam, dem Majelis Mujahedin Indonesia und der Terrorvereinigung Jemaah Islamiyah (JI) verankert. Indes darf aber bei aller Lautstärke und öffentlichen Präsenz vieler dieser Gruppen nicht verkannt werden, dass es sich bei ihnen um eine verhältnismäßig kleine Minderheit handelt. Auch heute kann der indonesische Islam als vielfältig und vergleichsweise tolerant gelten. Garant dafür sind nicht zuletzt die beiden großen sozio-religiösen Vereinigungen Nahdlatul Ulama und Muhammadiyah, die sich nach anfänglichem Schweigen der wachsenden Militanz der Islamisten entgegenstellten.

Während unbestritten ist, dass vor allem die JI über internationale Verbindungen nach Afghanistan, Pakistan und auf die Arabische Halbinsel verfügt und sie mit islamistischen Extremisten und Aufstandsbewegungen in Malaysia und auf den Philippinen vernetzt ist, lässt sich die Intensität ihrer Verbindungen zur Al Khaïda nur schwer einschätzen. Wie sich vor und nach dem Bali-Anschlag zeigte, gibt es Querverbindungen zur Al Khaïda; einiges spricht allerdings dafür, dass sie im Ausland überbewertet werden. Indonesien als Brutstätte und Rückzugsgebiet für internationale Terroristen (und damit als „zweite Front“) zu bezeichnen, geht entschieden zu weit. Nicht übersehen werden sollte auch, dass Indonesien entgegen häufig zu hörender Vorwürfe aus den USA und Nachbarstaaten, die Terrorgefahr zu negieren,7 seit Ende 2002 beachtliche Erfolge bei der Fahndung nach JI-Aktivisten vorzuweisen hat. So wurden nicht weniger als 100 von den insgesamt 130 in Südostasien festgenommenen JI-Aktivisten mit Hilfe vom Westen ausgebildeter Sondereinsatzgruppen wie dem Team 88 in Indonesien gefasst.8

Demokratische Bürgerkultur

In den letzten Jahren scheinen separatistische Bewegungen in Indonesien an Boden verloren zu haben. Ost-Timor ist mittlerweile unabhängig, und die Konflikte in den Molukken und Zentralsulawesi konnten durch das Malino-I-Abkommen entschärft werden. Dies gilt allerdings nicht für die Konflikte in den Provinzen West-Papua und Aceh. In Aceh verhängte die Regierung im Mai 2003 nach einem gescheiterten Waffenstillstandsabkommen das Kriegsrecht (mittlerweile zurückgestuft auf einen zivilen Notstand). Zugleich startete die Armee eine von Besorgnis erregenden Menschenrechtsverletzungen begleitete Offensive. Die häufig unterstellten Verbindungen zwischen Separatisten, internationalem Terrorismus und der überhand nehmenden Piraterie in indonesischen Gewässern gründen allerdings mehr auf Mutmaßungen denn harten empirischen Belegen.

Nach Auffassung von Transitionsforschern ist die Konsolidierung der Demokratie erreicht, wenn es keine die Demokratie grundsätzlich in Frage stellende gesellschaftliche Kraft mehr gibt. Dies setzt voraus, dass die demokratischen Spielregeln von der Bevölkerung verinnerlicht wurden. Dieser Zeitpunkt liegt in Indonesien allerdings noch in weiter Ferne, wie die Präsenz antidemokratischer Vetokräfte verdeutlicht. Zwar stimmen hohe Wahlbeteiligungen zwischen 85 und 95% und der weitgehend friedliche und faire Wahlverlauf optimistisch, doch ist der Kreis der Demokratieaktivisten trotz einer sich allmählich herausbildenden Zivilgesellschaft noch immer recht klein. Die Parteien sind von den Parteiführungen dominierte politische Vehikel der Eliten. Die innerparteiliche Demokratie ist nur schwach entwickelt, anstelle inhaltlicher Programme dominiert der Populismus. Auch taucht angesichts durchschlagender (wirtschaftlicher) Erfolge der Demokratie und weit verbreiteter Korruption immer wieder der Ruf nach dem starken Mann auf. Hinzu kommen kulturelle Barrieren gegen eine demokratische Streitkultur und historische Hypotheken wie die gescheiterte parlamentarische Demokratie der fünfziger Jahre sowie der nach wie vor präsente Einfluss traditioneller javanischer Machtkonzepte und aus dem Westen importierter organischer Staatstheorien.

Fazit

Trotz vieler Hemmnisse fällt die Bilanz der indonesischen Transition gar nicht so düster aus. Die Demokratisierung ist weiter fortgeschritten und stabiler als vielfach dargestellt. Anders als früher gingen zwei Wechsel im Präsidentenamt gewaltfrei über die Bühne, und derzeit gibt es auch keine Anzeichen, dass dies nach den Präsidentschaftswahlen im September anders sein könnte. Die Gesundung der nach der Asien-Krise schwer angeschlagenen Volkswirtschaft ist zwar wesentlich langsamer vorangekommen als in den Nachbarstaaten – gleichwohl sind aber auch hier Silberstreifen am Horizont erkennbar. Für einen großen Vertrauensverlust in die noch junge Demokratie sorgt allerdings die Korruption, die auch vor dem Justizwesen nicht halt macht. Großes Aufsehen erregte in dieser Hinsicht zuletzt der höchstrichterliche Freispruch für den der Korruption angeklagten und in zwei früheren Instanzen für schuldig befundenen Parlamentspräsidenten Akbar Tanjung. Sowohl für die demokratische Konsolidierung als auch die wirtschaftliche Gesundung ist unerlässlich, dass Indonesien seinen Ruf als eines der korruptesten politischen Systeme hinter sich lassen kann.

Anmerkungen

1  Für eine umfassende Analyse der indonesischen Transition vgl. Andreas Ufen, Herrschaftsfiguration und Demokratisierung in Indonesien (1965–2000), Hamburg 2002.

2  Zur Rolle des Parlaments im Transitionsprozess und weiteren Literaturverweisen vgl. Rüland/Clemens Jürgenmeyer/Michael L. Nelson/Patrick Ziegenhain, Parliaments and Political Change in Asia. A Comparative Study of India, Indonesia, the Philippines, South Korea and Thailand, Singapur 2004 (im Druck).

3  Vgl. Juan J. Linz, The Perils of Presidentialism, in: Journal of Democracy, Jg. 1, Nr. 1, 1990, S. 51–69 und ders., The Virtues of Parliamentarism, in: Journal of Democracy, Jg.1, Nr. 4, 1990, S. 84–91.

4  Vgl. etwa Dieter Nohlen, Lateinamerika zwischen Präsidentialismus und Parlamentarismus, in: Albert von Gleich et al. (Hrsg.), Lateinamerika Jahrbuch 1992, Frankfurt a.M. 1992, S. 86–99.

5  Vgl. Arend Lijphart, Constitutional Design for Divided Societies, in: Journal of Democracy, Jg. 15, Nr. 2, 2004, S. 96–109.

6  Vgl. Wolfgang Merkel, Systemtransformation, Opladen 1999; S. 162.

7  Als Beleg dafür wird oft auch das verhältnismäßig milde Urteil gegen den mutmaßlichen JI-Führer und Drahtzieher des Bali-Attentats, Abubakir Bashir, herangezogen.

8  Vgl. Far Eastern Economic Review, 15.7.2004, S. 20.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 9, September 2004, S. 57‑64

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