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01. Nov. 2008

Im Bann des Mahdi

Buchkritik

Woher kommt der militante Islamismus – geografisch, historisch? Wie sieht der richtige Umgang mit den Fundamentalisten im Iran aus, wie der mit den Pragmatikern in der Türkei? Und wie lassen sich Europas Muslime besser integrieren? Neue Beiträge zu einer brisanten Debatte.

Als angebliches Schlüsselereignis für die Entwicklung des militanten islamischen Fundamentalismus wird in jüngster Zeit der Sudan-Krieg (1896–1898) wiederentdeckt. Dementsprechend erhielt auch der nun auf Deutsch vorliegende Bericht über den Sudan-Feldzug von Winston S. Churchill den reißerischen Titel „Kreuzzug gegen das Reich des Mahdi“. Dem sachlichen Ton des Autors wie des Übersetzers Georg Brunold wird indessen der Begriff „Kreuzzug“ in keiner Weise gerecht.

Denn Churchill hatte sich von der in England betriebenen Dämonisierung des sudanesischen Herrschers Mohammed Ahmed, der sich zum -islamischen Messias, zum „Mahdi“, erklärt und die ägyptisch-osmanischen Besatzer samt ihrer britischen Helfer aus dem Land gejagt hatte, nicht an-stecken lassen. Der nationale Befreiungskrieg der Sudanesen wurde aus Churchills Sicht weniger aus religiösen Gründen als wegen des ihnen zugefügten Unrechts geführt. Auch wenn Churchill in seinem Bericht ein Befürworter des britischen Kolonialismus bleibt, so zeigt er sich doch fähig zur Selbstkritik. Etwa wenn er die Folgen dieses asymmetrischen Krieges beschreibt, bei dem mit Hilfe moderner Waffen den weit unterlegenen Sudanesen enorme Verluste zugefügt werden, oder wenn er die Schändung des Mahdi-Grabs durch den britischen Oberbefehlshaber verurteilt. Gleichzeitig appelliert er an die Vernunft der Kolonialherren: Den Sudanesen solle man nun Ruhe gönnen, damit sie ihr Land wieder aufbauen können – wohlgemerkt unter britischer Verwaltung.

Auch Yaroslav Trofimov möchte ein für den militanten Islamismus angeblich zentrales Ereignis neu bewertet wissen. Wiederum geht es um das Phänomen des Mahdi. Ende der siebziger Jahre machte eine Verschwörergruppe messianisch orientierter Saudis ihre Anhänger glauben, einer ihrer Köpfe sei der Mahdi. Der Erwählte, der Dichter Mohammed Abdullah, musste allerdings vom Chefideologen der Extremistengruppe, dem Beduinen Dschuhaiman al-Uteibi, selbst erst davon überzeugt werden, der Messias zu sein. Al-Uteibis Extremismus wurzelte Trofimov zufolge im radikalen Wahhabismus jener Beduinenstämme, die von der saudischen Königsfamilie bei der Staatsgründung unterworfen wurden.

Obwohl der Autor darauf hinweist, dass zu den Verschwörern auch ägyptische Islamisten gehörten, ignoriert er deren schon Jahrzehnte zuvor erfolgten Griff zur Gewalt im Namen der Religion ebenso wie die einflussreiche Lehre des Ägypters Sayyid Qutb, der die Legitimität der arabischen Staats-oberhäupter mit radikalislamischen Argumenten schon früh in Frage stellte. Ähnlich wie Qutb argumentierte Dschuhaiman, der seine Anhänger, darunter zahlreiche Ex-Soldaten, besonders mit seiner Vision einer globalen islamischen Revolution begeistert zu haben scheint. Diese sollte mit der gewaltsamen Übernahme der Kaaba in Mekka am 20. November 1979 eingeleitet werden. Die militärisch gut ausgerüsteten Rebellen leisteten den fast amateurhaft gegen sie vorgehenden saudischen Sicherheitskräften mehrere Wochen Widerstand. Erst mit Hilfe von französischen Terrorexperten gelang der entscheidende Gasangriff auf die mittlerweile in den Katakomben unter der großen Moschee in Mekka verschanzten Rebellen. Obgleich der „Anschlag auf Mekka“ keineswegs die „Geburtsstunde des islamistischen Terrors“ war, hatte er gewiss seine Wirkung. Inwieweit allerdings dadurch auch Bin Laden und Al-Qaida inspiriert wurden, wie der Autor suggeriert, bedarf noch der Untersuchung.

1979 flammte auch im Iran der – dem sunnitischen nicht unähnliche – schiitische Glaube an das Kommen des Mahdi auf, mit dem der Ayatollah Khomeini assoziiert wurde. Die von ihm angeführte islamische Revolution sollte auch in den schiitischen Süd-libanon exportiert werden, wo mit -Unterstützung des Iran um 1982 die Hisbollah entstand. Die erste auf Deutsch verfasste Geschichte dieser Schiitenmiliz liegt nun vor.

Manuel Samir Sakmani, ein libanesischstämmiger deutscher Hochschuldozent, betont, dem Libanon auch persönlich verbunden zu sein. Im ersten, wissenschaftlichen Kriterien genügenden Abschnitt ist von der emotionalen Verbundenheit des Autors kaum etwas zu spüren. Umso stärker allerdings im zweiten, mit „Hizbullah und der Libanon“ überschriebenen Teil des Buches. Sakmani schließt sich hier, wenn auch im wissenschaftlichen Gewand, im Wesentlichen der Argumentation der Hisbollah an. So etwa in der Frage, ob die Organisation als terroristisch zu bezeichnen sei, was der Autor eindeutig verneint. Dabei ignoriert er allerdings, dass die Hisbollah noch Ende der achtziger Jahre ganz offen mit palästinensischen Terrororganisationen kooperierte – in ihrer Zeitschrift Al-Ahd, die Sakmani nicht konsultiert hat, ist dies nachzulesen. Indessen sieht der Autor in der Hisbollah einen entscheidenden innerlibanesischen Stabilisierungsfaktor und spielt ihre militant-islamistischen Bestrebungen auf eine für einen hiesigen Hochschullehrer bedenkliche Weise herunter. Sakmanis wiederholt vorgetragene Einschätzung, die Hisbollah stelle für den libanesischen Staat keine „akute Bedrohung“ dar, muss spätestens seit dem gewaltsamen Vorgehen gegen ihre libanesischen Gegner in diesem Frühjahr gründlich korrigiert werden.

An die Ankunft des Mahdi glaubt auch der iranische Präsident Achmadinedschad. Das macht ihn und seine Clique, wie Volker Perthes in seinem neuen Buch darlegt, für den Westen nicht gerade berechenbarer. Einem besseren Verständnis des Iran steht allerdings dessen einseitige Wahrnehmung im Westen im Weg. Gegen diese schreibt Perthes an und liefert ein sehr differenziertes Bild der iranischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die keineswegs von inneren Widersprüchen frei sei, aber durch ein starkes Nationalgefühl zusammengeschweißt werde. Über die künftige Entwicklung im Iran steht hier vieles im Konjunktiv, konkrete erhellende Beispiele aus der inneriranischen Diskussion hätte man sich häufiger gewünscht. An einer Annäherung an die USA und den Westen werde selbst die jetzige radikale Führung in Teheran nicht mehr lange vorbeikommen. Deshalb solle sich der Westen bemühen, eine „Entspannungspolitik“ einzuleiten, und zwar schon heute. Denn auch wenn unklar sei, ob der Iran den Besitz von Atomwaffen anstrebe – Perthes hält es für eher unwahrscheinlich –, verhindern ließe sich das von außen ohnehin kaum.

Als Bedrohung werden hierzulande bisweilen auch die türkischen Islamisten um Ministerpräsident Tayyip Erdogan empfunden. Dieses einseitige Bild korrigiert Rainer Hermann, FAZ-Korrespondent in Istanbul, in seinem Buch „Wohin geht die türkische Gesellschaft? Kulturkampf in der Türkei“ überzeugend. Der Konflikt zwischen Islamisten und Säkularisten reicht dem Autor als Erklärung für den türkischen Kulturkampf nicht aus. Gestützt auf die Studien der türkischen Soziologin Nilüfer Göle vertritt er die These, dass es sich um den Gegensatz handelt zwischen einer westlich orientierten urbanen Elite, die den radikalen säkularistischen Staat und somit ihre privilegierte Stellung beharrlich verteidigt, und einer traditionell und islamisch geprägten Bevölkerung, die vom Land in die Städte gewandert ist, ohne ihren ländlich-religiösen Konservatismus ganz aufgegeben zu haben.

Den anhaltenden Erfolg der AKP führt der Verfasser in erster Linie auf die Anpassung an die EU-Normen vor allem in Recht und Wirtschaft zurück. Versucht die alte säkularistische Staatselite diesen so genannten EU-Prozess aus Machtkalkül zu bremsen, so versteht es die AKP, aus diesem Prozess Kapital zu schlagen. Kompromisslos in Fragen wie dem Kopftuchstreit, können die islamistischen Pragmatiker neben dem Wirtschaftsaufschwung auf Errungenschaften wie die Abschaffung der Todesstrafe und der berüchtigten Staatssicherheitsgerichte verweisen. Hermann empfiehlt, den Islamisten bei der weiteren Durchsetzung des türkischen EU-Prozesses entgegenzukommen. Erdogan habe die Türkei in eine geachtete Regionalmacht verwandelt, an der die EU nicht vorbeikomme.

Auch Nina zu Fürstenbergs Buch „Wer hat Angst vor Tariq Ramadan?“ kreist um die Frage, wie fundamentalistisch vermeintliche Fundamentalisten eigentlich sind. Hier geht es um den umstrittenen neokonservativen Intellektuellen schweizerisch-ägyptischer Abstammung Tariq Ramadan, nach Auffassung der Autorin kein Fundamentalist, sondern ein Reformer, der den in Europa lebenden religiösen Muslimen helfen will, sich besser in die europäischen Gesellschaften zu integrieren. Im Umstand, dass Ramadan gleichzeitig zu einer Rückbesinnung auf einen islamischen Glauben neokonservativer Prägung aufruft, sieht die Autorin kein Problem: Schließlich könne man im heutigen Europa niemanden davon abhalten, für seine Religion zu missionieren. Hier würde man sich ebenso ein etwas strengeres Urteil wünschen wie bei der Verwendung von Koranzitaten, mit denen Ramadan Demokratieverständnis und Pluralismus im Islam zu demonstrieren sucht. So sollte etwa die vordergründig Toleranz suggerierende Koranstelle „Es gibt keinen Zwang in der Religion“ (Sure 2:256) im Kontext gelesen werden, in dem anschließend den „Ungläubigen“ mit dem „Höllenfeuer“ gedroht wird. Gleichwohl ist die Bemühung der Autorin um einen interreligiösen Dialog, den sie auch als Direktorin der Stiftung „Reset – Dialogues on Civilizations“ unterstützt, lobenswert und konsequent, ebenso wie die um einen innermuslimischen Diskurs. Die Behauptung allerdings, die künftige Entwicklung des europäischen Islam werde prägenden Einfluss auf die Zukunft der islamischen Welt haben, wird ebenso wenig empirisch begründet wie die Annahme, ohne eine Dialogkultur, wie sie etwa Ramadan anstrebt, würden sich die europäischen Muslime nur noch weiter radikalisieren.

Winston S. Churchill, Georg Brunold (Hrsg./ Übers.): Kreuzzug gegen das Reich des Mahdi, Eichborn Verlag 2008, 480 Seiten, 34,00 €

Yaroslav Trofimov:Anschlag auf Mekka. 20. November 1979 – die Geburtsstunde des islamistischen Terrors. Blessing Verlag, 2008, 384 Seiten, 19,95 €

Manuel Samir Sakmani: Der Weg der Hizbullah. Demokratietauglichkeit, Konflikt- und Stabilisierungspotenziale im Libanon. Klaus Schwarz -Verlag, 2008, 204 Seiten, 24,90 €

Volker Perthes: Iran – Eine politische Herausforderung. Suhrkamp Verlag, 2008, 160 Seiten, 9,00 €

Rainer Hermann: Wohin geht die türkische Gesellschaft? Kulturkampf in der Türkei. München: DTV, 2008, 320 Seiten, 14,90 €

Nina zu Fürstenberg: Wer hat Angst vor Tariq Ramadan? Freiburg: Herder 2008, 191 Seiten, 16,95 Euro

Dr. JOSEPH CROITORU ist Autor der FAZ mit den Schwerpunkten Naher Osten und Osteuropa.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 11, November 2008, S. 98 - 101

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