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01. Sep 2002

Globale Herausforderungen – europäische Lösungen

Buchkritik

Die Europäische Union steht vor großen Herausforderungen. Wie soll die Zukunft Europas aussehen? Die großen Aufgaben, die es zu bewältigen gilt, sind die Erweiterung der EU nach Osten, die Gestaltung des Verhältnisses zu den Nachbarn an den neuen Außengrenzen dieser erweiterten Union, die Neuordnung der Institutionen, die sich u.a. aus der zu erwartenden Mitgliederzahl ergibt, sowie die Weiterentwicklung der Europäischen Sicherheits-und Verteidigungspolitik. Nachdem der Vertrag von Nizza nicht als der erwartete Erfolg gewertet wurde, ist die Aufgabe, neue strategische Ideen für Europas Zukunft zu entwickeln, an den Europäischen Konvent übertragen worden, der seit Februar 2002 unter Leitung von Valéry Giscard d’Estaing tagt. Denn das Fehlen eines neuen strategischen Leitgedankens für die Zukunft des Kontinents scheint die Krux der europäischen Integration zu sein. Dabei steht zu erwarten, dass die kommenden Entwicklungen oder vielmehr das „große Europa“ die Defizite der EU noch sehr viel deutlicher zu Tage treten lassen werden. „Die Geschichte gönnt Europa keine Atempause“ – dieser Einleitungssatz von Werner Weidenfeld beinhaltet die Notwendigkeit einer „Idee Europa“, die auf die drängenden Fragen der neuen Epoche eine Antwort anbieten kann.

Um welche Fragen es sich im Einzelnen handelt, vor welchen Herausforderungen nicht nur die EU selbst, sondern auch ihre Mitgliedstaaten und die Beitrittsaspiranten stehen, versucht das Europa-Handbuch in seiner zweiten, völlig überarbeiteten Auflage zu beleuchten. Das umfangreichste Kapitel des Handbuchs behandelt die „Staatenwelt in Europa“; es beleuchtet die politische und wirtschaftliche Entwicklung einzelner europäischen Staaten. Es wird deutlich, dass in Europa der Nationalstaat noch lange nicht überflüssig geworden ist, da viele seiner politischen und rechtlichen Einrichtungen bisher nicht durch entsprechende europäische Institutionen ersetzt worden sind. Sie sind, so Hagen Schulze, zudem mehr denn je „Ausdruck jener Pluralität, ohne die Europa sein Wesen verlieren müsste“.

Die weiteren Kapitel zum politischen System der EU, zu ihren Politikbereichen und Außenbeziehungen sowie zu ihrer Zukunft sind im Hinblick auf die aktuellen Fragestellungen gleichermaßen interessant. Die Gliederung ist im Vergleich zur ersten Auflage systematisch weiterentwickelt worden: So wurden Länderberichte zu allen europäischen Staaten eingeführt, die nunmehr alphabetisch aufgelistet sind; das Kapitel Außenbeziehungen der EU wurde vervollständigt, so dass es nun alle Beziehungen der EU zu Drittstaaten und Regionen beinhaltet; um insbesondere die Frage nach der Zukunft der EU zu vertiefen, wurde das gleichnamige Kapitel um drei Beiträge von renommierten europäischen Persönlichkeiten ergänzt. Kommissionspräsident a.D. Jacques Delors, der frühere polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszewski sowie Tony Blairs europapolitischer Berater Roger Liddle regen mit ihrer jeweiligen Vision der zukünftigen EU zum Nachdenken an.

In einer veränderten weltpolitischen Kulisse sucht Europa nach seiner neuen Rolle. Das Handbuch zieht an dieser Nahtstelle historischer Entwicklungen eine Bilanz der Integrationsschritte, bietet einen Überblick über die wichtigen Akteure und Herausforderungen und versucht, die Vielfalt innerhalb der EU und ihre Konsequenzen zu verdeutlichen.

Werner Weidenfeld (Hrsg.), Europa-Handbuch, 2. aktualisierte und völlig neu überarbeitete Auflage, Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung 2002, 935 S., 35,00 EUR.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 9, September 2002, S. 57 - 58.

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