Buchkritik

01. Juli 2016

Glaube ja nicht, was du denkst

Was „gedankliche Deutungsrahmen“ für die politische Kommunikation bedeuten

Wenn Migrationsgegner vom „vollen Boot“ sprechen und Liberale von der „Steuerlast“, dann nutzen sie ein Phänomen aus der Neuro- und Kognitionsforschung. Wie wirkt sich diese Einbettung von Begriffen und Wendungen in bestehende Denk- und Wahrnehmungsmuster, das „Framing“, politisch aus? Ein großer Wurf mit (nicht ganz so) kleinen Mängeln.

Was den achtsamen, verständlichen und stilistisch anspruchsvollen Gebrauch der Sprache in der Politik angeht, gilt Deutschland zu Recht als Entwicklungsland. Kein Wunder, werden doch durchdachtes Debattieren, überzeugendes Vortragen und gutes Schreiben in Deutschland weder systematisch gelehrt noch wirklich geachtet. Rhetorik gilt spätestens seit ihrem verhängnisvollen Missbrauch im Nationalsozialismus nicht als Kernfähigkeit, die dem öffentlichen Mandatsträger eine Zier ist, sondern als charismatische Verführungskunst, die denjenigen verdächtig macht, der sie zu nutzen weiß.

Mit der Neuro- und Kognitionsforschung ist nun in den vergangenen Jahren eine neue Disziplin hinzugekommen, die sich der Analyse von Sprache und ihrer individuellen und öffentlichen Wirkung widmet. Auch ihre Erkenntnisse sind von potenziell großer aufklärerischer Bedeutung in der politischen Arena. Damit dieser Disziplin nicht ein ähnliches Schicksal beschert ist wie der klassischen Lehre von der Beredsamkeit, hat die aus Hamburg stammende und im amerikanischen Berkeley lehrende Soziologin und Linguistin Elisabeth Wehling ein ambitioniertes kleines Buch geschrieben.

Frames und Fakten

Leider ist ihre Schrift von sehr durchwachsener Qualität und weist neben brillanten und unbedingt lesenswerten Abschnitten auch Teile auf, die den Anschein erwecken, als schriebe sich eine junge Wissenschaftlerin einen Teil ihrer ideologischen Dämonen von der Seele.

Im ersten, ausgesprochen lesenswerten Drittel des Buches stellt Wehling ihre Disziplin vor und beschreibt die Mechanismen des Framings, also wie Begriffe und Wendungen mit Kontext versehen und Bedeutung aufgeladen werden, die dann in der öffentlichen Diskussion ihre Wirkung entfalten. Der Autorin gelingt hier ein großer Wurf. Nicht nur, dass sie das umfängliche Schrifttum ihrer faszinierenden Disziplin sortiert und zusammenfasst; es gelingt ihr auch, die komplexe Materie jargonfrei in gut lesbare, manchmal vielleicht etwas zu flockig-informelle Sprache zu übertragen. Gebannt folgt man ihr durch die kognitiv-neuronale Grundlegung, die für manch neue Erkenntnis sorgt.

Wehling will zeigen, dass ohne Frames, ohne „gedankliche Deutungsrahmen“, keine Kommunikation möglich ist. Ohne den Umweg über Frames sind Fakten nicht vermittelbar. Basierend auf Erfahrungen, persönlichen Umständen, kulturellen Prägungen und dem Einfluss der physischen Umgebung reichert unser Hirn jedes bedeutungstragende Wort, sei es der „Hammer“ oder die „Steuererleichterung“, mit einem „Bouqet semantisch angegliederter Ideen“ an und lenkt so unser Denken in vorgegebene Bahnen. Das passiert automatisch und ganz unterbewusst – und führt dazu, dass rund 98 Prozent der kognitiven Aktivitäten vom Menschen nicht bewusst wahrgenommen werden.

Hier setzt die politische Bedeutung von Frames ein. Da politische Ideen stets abstrakt sind, bedürfen sie umso mehr der Auffüllung mit anschaulicher Bedeutung. Wenn Ideen in unseren Hirnen mit Bedeutung besetzt werden, bleibt die erste Prägung die wirksamste. Sie bestimmt unser Denken und unsere politischen Ansichten am nachhaltigsten. Um eine abstrakte Idee mit politisch wirksamer Bedeutung aufzuladen, verwenden wir Metaphern, die Abstraktes im Wortsinne „anschaulich“ machen. Zuneigung etwa wird durch Begriffe versinnbildlicht, die physisch begreifbare Konzepte wie Wärme (man ist mit jemandem warm geworden, eine Beziehung ist abgekühlt) oder der Nähe (man ist eng beieinander, man hat sich voneinander entfernt) nutzen. Das sind einfache Beispiele für ein Phänomen, das dann im politischen Bereich hohe Komplexität erreichen kann.

Die Nation als Gefäß

Der zweite Teil des Buches, doppelt so lang wie der einführende erste, widmet sich dann der Analyse von neun solcher komplexen Frames, die in der aktuellen deutschen Diskussion von Belang sind. Hier leistet die Autorin erneut Wichtiges: Sie geht den bestehenden Framings auf den Grund, macht also sichtbar, was unbewusst in unseren Hirnen abläuft, wenn wir über Dinge wie Steuern, Abtreibung, Sozialleistungen oder Islamophobie und Flüchtlingsströme sprechen. Sie macht sichtbar, wie die Begreifbarmachung der abstrakten Idee der Nation als Gefäß („das Boot ist voll“) oder von Ressourcen als Raum („unsere Mittel sind begrenzt“) nicht nur komplexe Ängste in einfachen Bildern wiedergeben, sondern dazu benutzt werden könnte, solche Ängste bewusst zu schüren.

So klug Wehling hier die Tiefenschichten freilegt und die Prägekraft sprachlichen Framings für Verständnis und Diskurs nachweist, so sehr treten im zweiten Teil auch die Mängel des Buches zutage. Dass die Autorin ihre Herkunft aus einem bestimmten politischen Lager, dem linken (dem sie das Framing „progressiv“ verpasst) weder verleugnen kann noch will, ist zunächst einmal gar kein Problem. Heikel wird es immer dann, wenn sie ihre Disziplin ­bewusst in den Dienst des ­weltanschaulichen Aktivismus stellt. Dann wird nicht nur ihre Analyse plötzlich unscharf und flach. Auch ihre Glaubwürdigkeit als Aufklärerin des politischen Diskurses leidet. Wenn ein Buch den Anspruch hat, den Leser widerstandsfähiger gegen Framing-Manipulationen zu machen, aber selbst auf den politischen Kriegspfad geht, dann ist das peinlich und nicht ohne Tragik, selbst wenn man ihrer Meinung sein könnte. So werden Teile des Buches ihrerseits zum Framing oder Re-Framing. Beispiele hierfür sind die Analysen zu den Themen Steuern und Abtreibung.

So kritisiert Wehling zu Recht, dass Steuern in unseren Frames viel zu einseitig als Bürde und Beschwernis, als „Steuerlast“ konnotiert werden und nicht als Beitrag zum Gemeinwohl. Doch dabei belässt sie es dann. Sie kann oder will nicht verstehen, dass dieses Unbehagen nicht nur daher rührt, dass Bürger sauer Verdientes wieder abgeben müssen, sondern auch und vor allem daher, dass sie schlicht unzufrieden mit der Verwendung des Geldes sind. Ihr „progressives“ Staatsverständnis macht es der Autorin unmöglich, das klassisch liberal-konservative Misstrauen gegen staatliches Handeln nicht als ausschließlich von Gier getriebene Einstellung zu betrachten, sondern als Haltung, die sich auch aus der Erfahrung mit staatlicher Inkompetenz, Willkür und Verantwortungslosigkeit speist.

Beim Thema Abtreibung zeigt sich dieses Problem noch deutlicher. In ihrem heiligen Zorn über das Framing von Abtreibung als grundsätzlich unmoralischem Verhalten verheddert sich Wehling in den Untiefen der deutschen Fristenlösung und versteigt sich zur Gleichsetzung einer Abtreibung mit der Entfernung einer Warze.

Nun kann man natürlich darüber diskutieren, ob eine Abtreibung nur innerhalb der ersten zwölf Wochen legal sein soll. Man kann sogar darüber streiten, ob in der Gebärmutter in dieser Zeit schon menschliches Leben existiert oder nicht. Aber man kann nicht darüber streiten, ob das, was da vor sich geht, tatsächlich auf die Schaffung menschlichen Lebens abzielt. Ihr ebenso plumper wie vehementer Versuch des Re-Framings ist so unnötig wie verbohrt und dämpft die Euphorie über diese ansonsten so offensichtlich herausragende Autorin mächtig.

Leider sind diese ideologisch motivierten Hirnrissigkeiten nicht die einzige Schwäche dieses Werkes. Auch fachlich hätte sich der Laie noch ein bisschen mehr gewünscht. Offen bleibt vor allem, wer im Framing eigentlich der ursprüngliche Akteur ist. Die Autorin sagt oft „Wir sprechen von“ oder „unsere Sprache macht“ dieses oder jenes. Aber unsere Sprache macht gar nichts. Wir sind es, die sie durch täglichen Gebrauch bewusst oder unbewusst gestalten. Wer sind die Autoren von Frames? Es sind ja nicht immer Journalisten, Werber und PR-Strategen, die da am Werke sind. Wie verändern sich Frames mit der Zeit? Was passiert, wenn Frame auf Frame prallt? Wie genau all das in ausdifferenzierten modernen Gesellschaften abläuft – das verrät uns die Autorin leider nicht.

Elisabeth Wehling: Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht, Köln: Herbert von Halem Verlag 2016, 226 Seiten, 21,00 €

Jan Techau ist Direktor von Carnegie Europe, Brüssel.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli-August 2016, S. 139-141

Teilen

Themen und Regionen

Mehr von den Autoren