GERD und der Konflikt am Nil
Die Auseinandersetzung um den Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD) zeigt vor allem Ägypten die Grenzen der eigenen Machtprojektion auf.
Mitte September hat sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen abermals mit dem Nilkonflikt befasst. In einer von allen 15 Mitgliedern unterstützten Stellungnahme wurden Ägypten, Sudan und Äthiopien einmal mehr aufgefordert, ihren Streit um die Inbetriebnahme des Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD) friedlich, durch Verhandlungen unter Vermittlung der Afrikanischen Union beizulegen.
Bislang waren entsprechende Verhandlungen nicht erfolgreich. Erst im Juli hatte Äthiopien die zweite Phase der Befüllung des Staubeckens durchgeführt, unter heftigem Protest aus Kairo und Khartum. Vor allem der Unteranrainer Ägypten befürchtet durch die ungeregelte und nicht abgestimmte Inbetriebnahme des äthiopischen Damms eine Reduzierung seiner Wasserressourcen.
Aus dem Nil kommen über 90 Prozent der verfügbaren Wasserressourcen des Landes. Rund 85 Prozent des Nilwassers, das in Ägypten anlandet, kommen aus dem Blauen Nil, der im äthiopischen Hochland entspringt. Und mehr noch: Aus Sicht Kairos bedeutet Äthiopiens Alleingang beim Bau und Betrieb des GERD einen gefährlichen Präzedenzfall, dem weitere Dammbauprojekte am Oberlauf des Flusses folgen könnten.
Mit dem Rücken zur Wand
Obwohl Kairo die jüngste Stellungnahme des UN-Sicherheitsrats begrüßte, bedeutet sie eine weitere Niederlage in dem seit Jahren andauernden Verhandlungspoker mit Addis Abeba. Die Regierung unter Präsident Abdel Fatah al-Sisi hatte zuletzt auf eine Internationalisierung des Konflikts gesetzt. Der UN-Sicherheitsrat wollte hier jedoch – offenbar auch mit Blick auf andere Wasserkonflikte – nicht Partei ergreifen.
Für Kairo schwinden daher die Möglichkeiten, doch noch zu einer einvernehmlichen Lösung mit dem Oberlieger Äthiopien im Nilstreit zu gelangen. Besonders bitter dürfte für die Sisi-Regierung dabei die mangelnde Unterstützung durch die engsten Verbündeten sein.
Die USA und die Golf-Monarchien haben sich die Position Ägyptens entweder nicht zu eigen gemacht oder belassen es bei symbolischen Solidaritätsbekundungen. Und auch China und Russland, mit denen Kairo in den vergangenen Jahren seine Beziehungen massiv ausgebaut hat, sind auffällig um Neutralität bemüht.
Vor allem aber zeigt der Nilkonflikt für Kairo in aller Deutlichkeit die Grenzen der eigenen Machtprojektion auf. Ägypten verfügt über das größte Militär auf dem afrikanischen Kontinent und liegt im weltweiten Vergleich auf Rang 13. Dennoch waren die militärischen Möglichkeiten im Nilkonflikt bislang sehr begrenzt. Zweifelhaft ist, ob Ägyptens Luftwaffe über die Fähigkeit verfügt, Angriffe auf äthiopisches Hoheitsgebiet zu fliegen. Aufgrund der großen Entfernung zwischen den beiden Ländern ist eine Bodenoffensive ebenfalls keine ernstzunehmende militärische Option.
Das Militär: handlungsunfähig
Folgerichtig zeigte sich die äthiopische Regierung von den zumeist subtil vorgebrachten militärischen Drohungen unbeeindruckt und setzte den Bau des Staudamms unbeirrt fort. Ähnlich konsequent ging Addis Abeba bislang bei der Befüllung vor. Für Präsident Sisi ist das nicht nur mit Blick auf die Wasserversorgung ein Problem. Das Militär bildet das Rückgrat des Sisi-Regimes – und die immensen Militärausgaben werden gerne mit der Rolle der Streitkräfte als Hüter des Staates und Beschützer des Volkes gerechtfertigt.
Die Handlungsunfähigkeit im Nilkonflikt droht auch das Image des Militärs in der Bevölkerung langfristig zu beschädigen – zumal gerade die Wasserfrage über Jahrzehnte zur Sicherheits- und Existenzfrage schlechthin stilisiert wurde. Kairo scheint daher gegenwärtig bemüht, durch exzessive Rüstungskäufe auch gerade bei der Luftwaffe die eigene Schlagkraft zu erhöhen. Zudem wurden zahlreiche Militärabkommen mit anderen Nilanrainern geschlossen.
Äthiopiens riskantes Spiel
Auch wenn die vergangenen Monate gezeigt haben, dass Addis Abeba im Streit um den Nil-Staudamm zunächst am längeren Hebel sitzt, ist die kompromisslose äthiopische Politik mit Risiken verbunden. So haben sich die Rahmenbedingungen des Konflikts für die Führung in Addis Abeba in den vergangenen Monaten fundamental verschoben. Hatte sich das Land in den vergangenen zwei Dekaden zur Regionalmacht und zu einem geschätzten internationalen Partner am Horn von Afrika aufgeschwungen, droht es nun in einem Bürgerkrieg zu zerbrechen.
Der Konflikt in Tigray ist zur zentralen sicherheitspolitischen Herausforderung für die Regierung unter Ministerpräsident Abiy Ahmed geworden, dessen internationales Ansehen durch begangene Menschenrechtsverletzungen massiv gelitten hat. Eine weitere Eskalation könnte die planmäßige Fertigstellung des GERD behindern.
Vor allem aber haben sich im Windschatten des Tigray-Konflikts die Beziehungen zwischen Äthiopien und Sudan massiv verschlechtert. Der Streit um die fruchtbare Grenzregion al-Fashqa führte Ende 2020 sogar zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der sudanesischen Armee und lokalen äthiopischen Milizen.
Regionale Zuspitzung?
Infolgedessen hat Sudan in den vergangenen Monaten seine bisher weitgehend neutrale Position im Nilstreit aufgegeben. Obgleich das Land durch seine geografische Lage anders als Ägypten kaum um sein Nilwasser fürchten muss und von der Aufstauung in Äthiopien durch die damit verbundene Verstetigung des Wasserflusses sowie Stromimporte sogar profitieren könnte, hat sich die sudanesische Regierung nun klar auf die Seite Ägyptens gestellt. Hiervon zeugen nicht nur die abgestimmten Verhandlungspositionen, sondern auch eine verstärkte militärische Zusammenarbeit etwa durch gemeinsame Manöver.
Vor diesem Hintergrund muss die äthiopische Führung unter Abiy Ahmed befürchten, dass die weitere Befüllung des Staubeckens ohne vorherige Vereinbarung dazu beitragen wird, dass sich die Beziehungen zum direkten Nachbarn Sudan weiter verschlechtern – in einer Situation, in der eigene militärische Ressourcen im Tigray-Konflikt gebunden sind. Und auch wenn Ägypten bislang keine Möglichkeiten für ein direktes militärisches Eingreifen haben dürfte, könnte die Sisi-Regierung etwa durch Waffenlieferungen an lokale Milizen erhebliches Störpotenzial entfalten, um die Regierung in Addis Abeba zu schwächen.
Die Rahmenbedingungen für eine weitere Zuspitzung des Nilstreits sind somit gegeben. Ob es jedoch tatsächlich dazu kommt, dürfte ganz entscheidend von zwei Faktoren abhängen, die es künftig zu beobachten gilt.
Marode Wasserinfrastruktur
Zum einen dürfte die Entwicklung der maroden Wasserinfrastruktur in Ägypten selbst von zentraler Bedeutung sein. Das mit über 104 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste arabische Land hat seit Jahren mit Wasserproblemen zu kämpfen und steuert auch ohne den Staudamm in Äthiopien auf einen massiven Wassermangel zu. Die Sisi-Regierung treibt daher die Erschließung alternativer Wasserressourcen voran. Vor allem in die Meerwasserentsalzung, die bislang nur einen Anteil von 1 Prozent an den Wasserressourcen hat, will Kairo in den kommenden Monaten und Jahren massiv investieren.
Ob hierdurch eine größere Unabhängigkeit vom Nilwasser erreicht werden kann, ist allerdings fraglich. Der Wasserbedarf in der Landwirtschaft, in der weit über 60 Prozent des verfügbaren Wassers verwendet werden, ist durch Meerwasserentsalzung nicht zu decken.
Hier wäre ein Umdenken in Bezug auf den Anbau wasserintensiver Agrarprodukte und alternativer Bewässerungsmethoden erforderlich, das derzeit nicht erkennbar ist. Zudem sind unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten fragwürdige Infrastrukturvorhaben wie der Bau einer neuen Hauptstadt kaum mit der Wassersituation des Landes in Einklang zu bringen.
Zum anderen dürften der Klimawandel und damit auch die Wetterentwicklung ganz erheblichen Einfluss auf den Konfliktverlauf haben. So wurde durch heftige Regenfälle im äthiopischen Hochland in den Sommermonaten 2020 und 2021 die Befüllung des Staubeckens des GERD ermöglicht, ohne den Wasserfluss spürbar zu stören.
Diese günstigen Wetterbedingungen müssen indes nicht immer eintreten. Sollte es während der weiteren Befüllung oder später, während des Betriebs des GERD, zu ausgeprägten Trockenperioden kommen, dürfte der Druck auf die ägyptische Führung steigen, in der Nilwasserfrage Ergebnisse zu erzielen und hierzu auch militärische Mittel zum Einsatz zu bringen.
Dr. Stephan Roll leitet die Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
Internationale Politik 6, November/Dezember 2021, S.12-14
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