Titelthema

27. Febr. 2023

Gegen den Hass: Im Zentrum aller Außenpolitik Israels steht der Iran

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Bild: Grafische Illustration eines Schwertes dessen Spitze in einen Stift übergeht
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Es ist lange her, seit Jimmy Carter als Präsident der Vereinigten Staaten dem Schah zuprostete und den Iran als „Insel der Stabilität in einer turbulenten Ecke der Welt“ pries. Heute scheint die Islamische Republik für die USA nur noch als Herausforderer zu existieren.

Es sei ein „Kerninteresse“ des Iran, die amerikanische Vormachtstellung anzugreifen, argumentiert etwa Michael Singh vom Washinton Institute. Das vermittelt den Anschein, Teherans Handeln werde geleitet von einer kohärenten Politik oder Ideologie. Gegenüber Israel aber ist die iranische Haltung so gar nicht auf Logik oder Rationalität zurückzuführen, sondern auf etwas weitaus emotionaleres: auf pathologischen Hass.



Aus der Sicht Israels gibt es auf absehbare Zeit nur ein außenpolitisches Ziel: diesen Hass einzuhegen. Alles ist darauf ausgerichtet, unabhängig von der Zusammensetzung der Regierung. Die meisten Länder, die an Verhandlungen mit dem Iran beteiligt sind, haben den doppelten Vorteil, dass sie auf Distanz gehen können und – abgesehen von strategischen oder kommerziellen Interessen – nur wenig riskieren müssen.



Es ist natürlich einfacher, sich voranzutasten oder Geschäfte zu machen, wenn die Grenzen zum Iran Tausende von Kilometern entfernt sind. Israel hat diesen Luxus nicht. Ein iranischer Atomschlag gegen den jüdischen Staat würde nur ­Minuten in Anspruch nehmen – und auch ein Land- oder Luftangriff über ­Stell­vertreter- bzw. Pufferstaaten wie Syrien oder den Libanon könnte schnell umgesetzt werden.



Israel ist deswegen in einem andauernden Stellvertreterkrieg mit dem Iran; sehr zum Leidwesen derer, die sich in entfernten Hauptstädten um die Herstellung einer Patt­situation mit dem Iran bemühen. Als Zionist und Verteidiger Israels kommt mir diese Frustration oft vor wie die eines Schülers, der lange versucht, eine stabile Lösung zwischen einem Mobbingopfer und seinem Peiniger auszuhandeln, während das gemobbte Kind Tag für Tag weiter schikaniert wird. Fragen Sie das Opfer, wie es sich fühlt, wenn Sie versuchen, in aller Ruhe zu verhandeln, während sein Leben unter Dauerbeschuss steht.

 

Nukleare Bedrohung und die „Achse des Elends“

Ich gebe nicht vor, mich mit den komplexen außenpolitischen Zusammenhängen auszukennen, die in den Zuständigkeitsbereich von Denkfabriken oder Experten auf diesem Gebiet fallen. Ausgefeilte Spitzfindigkeit überlasse ich schlaueren Köpfen. Wenn Sie eine nuancenreiche Lektüre wünschen, darf ich Ihnen höflich vorschlagen, sich woanders umzusehen. Denjenigen, die trotzdem noch dabei sind, ist vielleicht aufgefallen, dass dieser Artikel, der Breite und Umfang der außenpolitischen Herausforderungen Israels abdecken sollte, ausschließlich auf den Iran konzentriert. Das liegt daran, dass dies seit der iranischen Revolution tatsächlich Israels Hauptsorge ist, wenn nicht sogar seine einzige, ist doch der Iran an fast allen außenpolitischen Heraus­forderungen Israels direkt beteiligt.



Nukleare Bedrohung durch Anreicherung in iranischen Atomanlagen? Check. Bedrohung durch Raketen und Angriffe an der Nordgrenze durch die Hisbollah? Check. Bedrohung der Gasfelder, die Israels Energiesicherheit garantieren? Check. Regelmäßige willkürliche, tödliche Raketenangriffe durch Terrorgruppen aus dem Gazastreifen? Check. Heute steht der iranische Staatschef einer Gruppe vor, die Karim Sadjadpour treffend als „Achse des Elends“ bezeichnet hat und die vom Irak über den Jemen und Syrien bis zum Libanon reicht. Dem Iran dienen diese Staaten als vorgeschobene Stützpunkte und auch als „Pufferländer“, als Schutzwall für die Islamische Republik. Dass diese Länder ihre Rolle noch nicht begriffen haben oder machtlos sind, sich zur Wehr zu setzen, ist natürlich eine Tragödie. Dennoch: Nehmen Sie sich eine Minute Zeit, um über jede Gruppe nachzudenken, die Israels Armee, Luftwaffe, Marine oder den Mossad regelmäßig beschäftigt. Denken Sie über all die Gebiete nach, in denen es regelmäßig zu Auseinandersetzungen kommt. Oder über all die Vereinigungen, die versuchen, Waffenlager oder -transporte zu sabotieren oder abzufangen. Von welchen Staaten gehen solche Operationen aus? Und wer steht hinter ihnen? Exakt.



Die Wahlen vom November 2022, bei denen Benjamin Netanjahu ins Amt des Ministerpräsidenten zurückkehrte, und die darauffolgende Vereidigung der 37. Regierung Israels, die sich aus ultraorthodoxen und rechtsextremen Parteien zusammensetzt, haben große Aufmerksamkeit erregt. Nun ist es an der israelischen Bevölkerung, sich mit den Folgen auseinanderzusetzen. Auch die palästinensische Führung muss darüber nachdenken, warum der israelische Wählerwille so ausgefallen ist; das Gleiche gilt für alle Länder, die gute Beziehungen zu Israel pflegen.



Es ist schwer, die Empörung zu verdauen, die der neuen israelischen Regierung aus europäischen Hauptstädten entgegenschlägt, wenn man bedenkt, dass allein in Frankreich, Italien und Schweden auf verschiedenen Ebenen Regierungen an der Macht sind, in denen rechtsextreme Parteien mitbestimmen und die ganz erheblich mehr Stimmen erhalten haben als die rechtsextremen oder ultraorthodoxen Parteien in Israel.



Ein Wechsel des Ministerpräsidenten wird in Israel keine Auswirkungen auf die außenpolitischen Ziele des Landes haben. Es stimmt zwar, dass Netanjahu wohl weniger Zeit und Energie für Europa aufwenden wird als sein Vorgänger – und viele europäische Länder werden die neue Regierung als ruppiger empfinden als üblich. Ebenso sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ohnehin wankelmütige Staaten dem Abraham-Abkommen beitreten werden. In der wichtigsten außenpolitischen Frage, die den jüdischen Staat betrifft, ist Israel jedoch bemerkenswert konsequent gewesen: Von Peres über Scharon und Netanjahu bis hin zu Lapid und wieder zurück zu Netanjahu gibt es in der Iran-Frage keinen Unterschied. Der große Shimon Peres hat einst eine Doktrin aufgestellt, die auch nach über 20 Jahren noch Bestand hat: Die nuklearen Bestrebungen des Iran seien ein globales Problem, nicht nur ein israelisches.



Nun ist es der Ukraine-Krieg, der die Frage einer nur vermeintlichen Entfernung von Konfliktherden neu aufwirft. In der Ukraine bringen vom Iran an die russischen Streitkräfte gelieferte Drohnen Tod und Zerstörung. Der Iran führt nun einen Stellvertreterkrieg auf europäischem Boden.

 

Heikler Balanceakt mit Moskau

Israel befindet sich hier in einem heiklen Balanceakt. Natürlich steht es an der Seite der Ukraine, kann es sich aber nicht leisten, Russland zu verärgern. Denn nur dank Moskaus Wegsehen kann sich Israel gelegentliche Angriffe auf syrischem Boden leisten, bei denen iranische Erfüllungsgehilfen ins Visier genommen werden. Diese Aktionen werden als vital für Israels Sicherheit beschrieben. Es gibt Länder, die sie als beunruhigend oder unpassend für einen demokratischen Staat empfinden. Aber wie oben genanntes Schulkind kann man sich den Luxus einer langfristigen Perspektive im täglichen Kampf ums Überleben nicht immer leisten. Oder um es mit Lenin zu sagen: Wenn es um die Außenpolitik geht, dann gibt es in Israel nur Stahl. Es kann keinen anderen Weg geben, und keine neue, alte oder zukünftige Regierung in Israel wird Ihnen jemals etwas anderes erzählen.



Aus dem Englischen von Kai Schnier

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2023, S. 54-55

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Alex Benjamin ist Direktor der European Jewish Association (EJA) in Brüssel.

 

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