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01. März 2013

Für ein „schmales“ Mandat

Wie sich Deutschland und Europa im Mali-Konflikt engagieren sollten

Mit der französischen Militäroffensive verstärkt sich der Druck auf Deutschland, eine Entscheidung über Ziel und Form seines Engagements in Mali herbeizuführen. Angesichts des breit angelegten UN-Mandats wird das nur im multilateralen Rahmen möglich sein – und so könnten EU-Battlegroups erstmals zum Einsatz kommen.

In den kommenden Wochen müssen Bundesregierung und Bundestag darüber Auskunft geben, ob und unter welchen Rahmenbedingungen sie bereit sind, angesichts des Mali-Konflikts ein Kontingent der Bundeswehr nach Westafrika zu entsenden. Dabei sollten einige Lehren aus früheren Auslandseinsätzen der Bundeswehr berücksichtigt werden. Das betrifft die Ausgestaltung des Mandats, die Erreichbarkeit der politischen Ziele und den institutionellen Rahmen einer solchen Militäroperation.

Die Bundesregierung hat bereits im Herbst 2012 angekündigt, sich mit einem Bundeswehrkontingent an einer von der EU geplanten Trainingsmission für die Streitkräfte Malis zu beteiligen. Der Einsatz soll die operativen Fähigkeiten der malischen Armee verbessern und sie befähigen, den Nordosten des Landes aus der Hand einer Rebellenallianz zurückzuerobern. Dieser auch quantitativ überschaubare Beitrag hat in Deutschland keine nennenswerte innenpolitische Kontroverse ausgelöst. Er folgt vergleichbaren Unterstützungsmissionen der EU, an denen die Bundeswehr beteiligt ist und die vom Bundestag (auch ohne formelle Mandatierung) politisch mitgetragen werden, zum Beispiel EUTM Somalia. Für die Mali-Mission laufen die Planungen nun beschleunigt weiter.

Dagegen war bislang nicht vorgesehen, dass Deutschland sich an der „Rückeroberung“ des Nordostens von Mali beteiligt – eine Mission, die nach dem Mandat der Vereinten Nationen einer Truppe der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Economic Community of West African States, ECOWAS) zufallen sollte. Unter hohem Zeitdruck und auf französische Bitte hat die Bundesregierung nun allerdings logistische Unterstützung in Form von drei Transall-Transportflugzeugen gewährt.

Offen ist gegenwärtig, ob die Bundesregierung ein weitergehendes militärisches Engagement in Mali im Rahmen der von Frankreich seit dem 11. Januar 2013 angeführten „Opération Serval“ erwägt, um den Vormarsch der islamistischen Aufständischen zu bekämpfen. Dafür wäre aller Voraussicht nach ein Mandat des Bundestags notwendig.

Direkte und indirekte Bedrohung

Die Überlegungen zu einem möglichen militärischen Engagement Deutschlands in Mali sollten primär von der Frage geleitet werden, welche Bedeutung dieser Konflikt für die deutsche Sicherheit hat. Nur vor diesem Hintergrund sind die Folgen eines solchen Einsatzes bzw. die eines Nichthandelns seriös einzuschätzen.

Vertreter der Bundesregierung haben bislang vor allem argumentiert, dass Deutschland die Sicherheit in Westafrika auch als Teil der eigenen Sicherheit betrachte und der Terrorismus in Mali daher nicht nur eine Bedrohung für Afrika, sondern auch für Europa sei. Andererseits deutet zurzeit nur wenig darauf hin, dass von den islamistischen Gruppen in Mali eine unmittelbare terroristische Gefahr für westliche Staaten ausgeht. Zwar wird zum Beispiel die Organisation Al-Qaida des Islamischen Maghreb (AQIM) sowohl von den USA als auch von der EU als terroristische Organisation eingestuft. Ob diese Gruppe aber tatsächlich primär darauf zielt, Anschläge in westlichen Staaten durchzuführen, erscheint zumindest fraglich – ebenso, ob sie dazu überhaupt in der Lage wäre. Wie auch im Falle anderer islamistischer Gruppen scheint doch eher der Antrieb zu dominieren, Regierungen von Staaten der eigenen Region – hier also der Sahel-Zone – zu bekämpfen.

Gegenüber der direkten Terror­gefahr für Europa überwiegt deshalb die destabilisierende Wirkung des Mali-Konflikts in der Sahel-Region selbst. Daraus ergibt sich allerdings eine mittelbare Bedrohung für Europa. Diesen Aspekt stellte die EU in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen, als sie 2011 ihre Strategie für Sicherheit und Entwicklung in der Sahel-Zone formulierte. Die gleiche Sichtweise leitet auch die Mali- bzw. Sahel-Politik der USA. Demnach ist die Situation in Westafrika durch zwei Faktoren geprägt: erstens durch schwach ausgebildete Staatlichkeit sowie innere Konflikte ethnischer, politischer und/oder sozialer Art; zweitens durch Ausnutzung dieser Gemengelage durch islamistisch inspirierten Terrorismus.

Eine solche Konstellation führe nicht mehr nur zur Destabilisierung einzelner Länder, so das EU-Strategiepapier, sondern bedrohe die gesamte Region, da die Konflikte auf weitere Staaten überspringen könnten. Dadurch wiederum würden nicht allein humanitäre Notlagen in den jeweiligen Ländern ausgelöst. Vielmehr seien auch europäische Interessen berührt – etwa dann, wenn Flüchtlingsströme in Richtung Europa entstehen oder der Schmuggel von Drogen erleichtert wird.

Veränderte Rahmenbedingungen

Den Rechtsrahmen für die Konflikt­intervention der internationalen Gemeinschaft in Mali bilden die beiden Resolutionen 2071 und 2085 des UN-Sicherheitsrats vom Oktober und Dezember 2012. Darin hat der Sicherheitsrat festgestellt, dass die Lage in Mali den Weltfrieden und die internationale Sicherheit bedrohe und er Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta autorisiere. Vorgesehen war, zwei völlig unterschiedlich ausgerichtete militä­rische Maßnahmen aufeinander folgen zu lassen:

• Zuerst sollte die African-led International Support Mission to Mali (AFISMA) mit Unterstützung der EU die malischen Streitkräfte (wieder) aufbauen, ausbilden und ausrüsten.

• Erst wenn Malis Armee einsatz­fähig wäre, sollte sie – mit Unterstützung der AFISMA – die Rebellenallianz aus dem Nordosten verdrängen und das gesamte Staatsgebiet wieder der Zentralregierung zugänglich machen. Mit dieser umfangreichen Operation rechneten die beteiligten westafrikanischen Staaten nicht vor September 2013.

Doch seit dem 11. Januar 2013 gibt es eine dritte Dimension, nämlich die von Frankreich angeführte Nothilfeoperation gegen den Vormarsch der islamistischen Aufständischen, die im Kern die zweite Aufgabe durchführt, von dieser jedoch im Moment rechtlich wie logistisch getrennt ist.

Der zeitliche und auch ursächliche Zusammenhang zwischen den beiden erstgenannten Elementen der UN-Mandatierung ist durch die französische Militärintervention faktisch umgedreht worden: Die Rückeroberung der Rebellengebiete hat begonnen, ohne dass die entsprechenden AFISMA-Kontingente in Mali waren, geschweige denn effektive malische Streitkräfte existierten. Die Rahmenbedingungen für das ohnehin geplante Engagement der Bundeswehr in Mali haben sich gegenüber dem Vorjahr also signifikant verändert.

Ein breites UN-Mandat

Ein westliches Eingreifen – ob im EU-Rahmen oder als Koalition der Willigen – wäre auch deshalb kompliziert, weil das UN-Mandat ein multidimensionales und komplexes Aufgaben­paket umfasst. Es enthält neben den erwähnten sicherheitspolitischen Elementen auch eine Anti-Terror-Komponente (Kampf gegen islamistische Rebellen), eine humanitäre Dimen­sion (Schutz von Flüchtlingen) sowie eine politische Stoßrichtung (Plan für eine Rückkehr des Landes zur konstitutionellen Ordnung).

Ein dermaßen breit angelegtes Mandat führte in der Vergangenheit häufig dazu, dass westliche Regierungen ihre Militäreinsätze mit komplexen politischen, zum Teil mandatsfremden Zielvorstellungen überfrachteten. Dies diente vor allem der innenpolitischen Legitimierung solcher Missionen, hatte jedoch zur Folge, dass die Streitkräfte die gestellten Aufgaben gar nicht erfüllen konnten.

Ähnliches wäre auch in Mali zu befürchten. Vergleichsweise unkompliziert und erfolgreich waren in der Vergangenheit dagegen jene Auslands­einsätze der Bundeswehr, denen ein „schmales“, klar sicherheitspolitisch umrissenes Mandat zugrundelag, das sich mit den existierenden militärischen Fähigkeiten umsetzen ließ. Dies gilt etwa für EU NAVFOR Somalia – Operation Atalanta, die EU-Mission zur Piraterie­bekämpfung am Horn von Afrika.

Abhängigkeit von anderen Akteuren

Schwierig bis erfolglos geblieben sind wiederum diejenigen Auslandsein­sätze der Bundeswehr, deren Gelingen vollständig oder überwiegend von der Mitwirkung anderer internationaler, regionaler oder nationaler Akteure abhängig war. Je mehr Koordina­tion zwischen den Beteiligten erforderlich ist, je stärker es der Vorleistung anderer bedarf, um ein politisches Ziel durch militärisches Engagement zu erreichen, desto fraglicher wird es, ob sich die vom UN-Mandat bzw. der jeweiligen deutschen Politik gestellten Aufgaben erfüllen lassen.

Bereits für die Ausbildungskomponente in Mali sind Existenz, Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit nationaler Streitkräfte eine zentrale Voraussetzung; unabdingbar für die Rückeroberung des Nordostens wiederum sind ausreichende militärische Kräfte der AFISMA sowie (nunmehr) Frankreichs und seiner Verbündeten. Beides scheint derzeit nicht gegeben – auch wenn am 17. Januar 2013 die EU-Mission in Mali eingerichtet und die Verlegung von ECOWAS-Truppen beschleunigt wurde.

Erst mittel- und langfristig werden angesichts bestehender Defizite diese beiden Elemente eine Rolle bei der ­sicherheitspolitischen Stabilisierung des Landes und damit der Region spielen können. Bis auf weiteres fällt die Gewährleistung von Sicherheit externen Akteuren zu. Dies droht nicht nur Frankreich länger in Mali zu binden, als Staatspräsident François Hollande plant,5 sondern stellt zumindest für Westafrika auch den Ansatz der sicherheitspolitischen Subsidiarität („regionale Lösungen für regionale Probleme“) in Frage.

Erwartungen an Deutschland

Natürlich lässt sich nur eingeschränkt zugunsten einer größtmöglichen deutschen Handlungsautonomie argumentieren, denn aus politischen wie rechtlichen Gründen wird die Bundesrepublik in Mali nur in einem multilateralen Kontext operieren können und wollen. Schon jetzt bindet dieser Rahmen Deutschland politisch stärker, als dies eigentlich gewünscht ist. Enge Verbündete, allen voran Frankreich, sind bereits in Mali involviert, und als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat (bis Ende 2012) war die Bundesrepublik an der Entstehung der beiden Mali-Resolutionen direkt beteiligt. Diese Umstände erschweren es der deutschen Politik, sich dem Ruf nach Übernahme internationaler Verantwortung zu entziehen.

Für die skizzierte Ausbildungskomponente sind die Rahmenbedingungen bereits klar. Die EU wird die Mission EUTM Mali in den kommenden Wochen unter deutscher Beteiligung beginnen. Der Erfolg dieser ohnehin kleinen Mission bleibt aber an zahlreiche politische Voraussetzungen gebunden, die sich von der EU nur wenig beeinflussen lassen. Primär gehören dazu die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung in Mali und die Durchführung von Wahlen. Bleibt dies aus, läuft die EU Gefahr, ein Regime in Bamako zu unterstützen, das sie unter anderen Vorzeichen eher boykottieren würde.

Schwieriger ist die Frage zu beantworten, welchen militärischen Beitrag zur Rückeroberung von Malis Nordosten Deutschland leisten kann und will. Solange die französische Intervention Erfolge zeitigt und die islamistischen Rebellen zurückdrängen kann, gibt es zunächst keine politische Notwendigkeit, über die drei Transall-Flugzeuge hinaus ein deutsches Kontingent zu entsenden.

Ändern wird sich die Lage aber, sollte der französische Vormarsch ins Stocken geraten, eine größere Zahl an Opfern unter den Streitkräften zu beklagen sein oder auch die innenpoli­tische Zustimmung in Frankreich ­erodieren. Angesichts der Tatsache, dass der ursprünglich für Mali vorgesehene subsidiäre Ansatz fraglich geworden ist – es besteht nur wenig Zu­trauen in die ECOWAS-Kontingente und noch viel weniger in die malischen Truppen –, dürften dann auch größere Erwartungen an Deutschland herangetragen werden.

Ein solcher Bundeswehreinsatz wäre politisch kontroverser, aber auf den ersten Blick auch erfolgversprechender als die Ausbildungsmission. Denn das militärische Ziel des UN-Mandats, nämlich die Rückeroberung des Nordostens, sollte grundsätzlich mit europäischen Kräften allein zu erreichen sein. Allerdings sind die Probleme hier nur anders gelagert – sie stellen sich weniger vor einem möglichen Erfolg als vielmehr danach. Wer schützt die kontrollierten Gebiete, wenn Malis Sicherheitskräfte dazu (noch) nicht in der Lage sind? Und wie lässt sich verhindern, dass deutsche und europäische Truppen auf Dauer im Land bleiben müssen, wenn der Aufbau der malischen Streitkräfte ins Stocken gerät?

EU-Battlegroups nutzen

Schließlich ist die Frage nach dem deutschen Handlungsrahmen noch ­genauer zu klären. Aus politischen Gründen kommt es sicherlich nicht in Frage, dass eine umfangreiche französische Operation lediglich einen deutschen Appendix erhält. Sollte sich die Bundesregierung prinzipiell für einen Mali-Einsatz entscheiden, würde es sich daher anbieten, zur Nothilfeoperation erstmals die seit 2007 bestehenden militärischen Krisenreaktionskräfte der EU, die so genannten Battlegroups, zu nutzen. Ein solcher Einsatz wäre vom Rat für Auswärtige Angelegenheiten einstimmig zu beschließen.

Die Battlegroups sind explizit für Erstmissionen in einer Krisenregion gedacht; sie sollen die notwendigen Voraussetzungen für einen weiteren Einsatz anderer Akteure (hier: der ECOWAS oder, wie zuletzt diskutiert, einer Blauhelm-Truppe der Vereinten Nationen) schaffen. Der Operationszeitraum liegt dabei zwischen 30 und 120 Tagen, der Gedanke eines schnellen Rückzugs ist also strukturell angelegt, jedoch gleichermaßen voraussetzungsvoll. Die EU-Battlegroups, die ausdrücklich zum Krisenmanagement in der Peripherie Europas geplant wurden, sind innerhalb weniger Tage einsatzbereit und in das entsprechende Zielland verlegbar.

Die Notwendigkeit und Chancen einer europäischen Initiative sind umso offensichtlicher, als sich die Debatte um einen möglichen Militäreinsatz in Mali vor dem Hintergrund einer Innenwende der amerikanischen Politik abspielt. Die USA haben im Zuge der NATO-geführten Libyen-Operation unterstrichen, dass sie nicht länger als Ordnungsmacht in der geografischen Nachbarschaft Europas agieren werden. Auch jetzt ist die Rolle Washingtons mehr als zurückhaltend. Konkret haben die Vereinigten Staaten seit Herbst 2012 zwar Planungen für eine Militäroperation in Mali vorgenommen. Diese sehen jedoch keine Entsendung eigener Bodentruppen vor, sondern lediglich Ausbildung, Ausrüstung und Transport der malischen Regierungstruppen sowie der ECOWAS-Streitkräfte.

Losgelöst vom Einzelfall ist die Ausgestaltung des militärischen EU-Engagements in Mali fast paradig­matisch für die künftige europäisch-amerikanische Koopera­tion beim Konfliktmanagement im regionalen Umfeld Europas.

PD Dr. habil. Markus Kaim leitet die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik in der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2013, S. 66-71

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