Interview

28. Apr. 2025

„Es ist eine Raubtier-Diplomatie“

Konfrontation statt Konsens: Die G20-Präsidentschaft Südafrikas steht wegen geopolitischer Zerwürfnisse unter Druck. Und aufgrund der „antiamerikanischen Agenda“ kam US-Außenminister Rubio nicht zur Konferenz nach Johannesburg.

Ein Interview mit Zane Dangor

Bild
Bild: Porträt von Zane Dangor
Zane Dangor ist Generaldirektor des Außenministeriums in Pretoria und südafrikanischer G20-Sherpa. In diesem Rahmen bereitet er als Chefunterhändler die entsprechenden Verhandlungen vor
Lizenz
Alle Rechte vorbehalten

IP: Als Sherpa ist Ihre Rolle die eines Bergführers. Der Gipfel, den Sie erklimmen wollen, ist der G20-Gipfel, der Ende 2025 in Johannesburg stattfinden wird. Wieviel steiler ist der Weg geworden, seit Südafrika im Dezember die G20-Präsidentschaft übernommen hat? 
Zane Dangor: Er ist sicherlich viel steiler geworden. Wir hatten eine Diskussion gegen Ende der brasilianischen Präsidentschaft, als klar war, dass der Wahlausgang in den USA die Arbeitsweise der Troika erheblich verändern könnte. Aber wir wussten damals nicht, wie drastisch die Veränderung sein würde. Wir prüfen, wie wir mit den anderen G20-Mitgliedern und auch dem neuen US-Sherpa zusammenarbeiten können. Erste Treffen haben stattgefunden. Hoffentlich können wir ein Gerüst bauen, um den Aufstieg zu erleichtern.


Denn die Troika, das rotierende Gespann aus dem aktuellen, vorherigen und künftigen G20-Vorsitz – also aus Südafrika, Brasilien und den USA – muss ja zusammenarbeiten.
Ja, das ist sehr wichtig. Denn es gibt eine Kontinuität. Bei der italienischen Präsidentschaft in der Zeit nach Covid lag der Schwerpunkt auf Gesundheitsfragen, aber auch auf der Anerkennung der Abhängigkeit zwischen allen Staaten. Ich war gemeinsam mit dem ehemaligen deutschen G20-Sherpa Lars-Hendrik Röller Vorsitzender der Arbeitsgruppe zur Impfstoffherstellung. Dabei konnten wir uns trotz Meinungsverschiedenheiten auf das Gemeinsame konzentrieren, darauf, dass wir alle aufeinander angewiesen sind. Indien, Indonesien und Brasilien haben diesen Kurs fortgesetzt und wir wollen das auch tun. 


Die US-Administration setzt auf einen transaktionalen Politikstil, auf Deals. Sind Sie auf eine solche Art von Verhandlungen vorbereitet?
Wir gehen unvoreingenommen in die Treffen und engagieren uns – natürlich mit dem Ziel, eine Einigung zu finden, aber ebenso unter Berücksichtigung des Mandats unserer Regierung. Zu den Themen, die für uns nicht verhandelbar sind, gehören die Menschenrechte von Frauen und ­LGBTI-Rechte. Diese Formulierung hat wohl keine Aussicht, in eine gemeinsame Erklärung aufgenommen zu werden, aber das sind wichtige Themen für Südafrika und auch für Brasilien. 


Solidarität, Gleichheit, Nachhaltigkeit – das sind die Themen des südafrikanischen G20-Vorsitzes. Ungleichheit gehört zu Südafrikas größten Herausforderungen, die globale Ungleichheit hat zugenommen, und sie ist auch die Ursache vieler Konflikte. Besteht Konsens unter den Mitgliedern?
Ja. Aus meiner Sicht ist das der Grund, warum wir beim ersten Sherpa-Treffen und auch beim Treffen der Außenminister so viel Unterstützung erfahren haben. Wenn wir von Gleichheit sprechen, geht es um faire Behandlung, um Chancen. Für Einzelpersonen, Gruppen oder Nationen. Es geht um die Tatsache, dass man Ungleichheiten innerhalb von Staaten nicht beseitigen kann, wenn man sie nicht auch zwischen ihnen beseitigt. Es geht um Ursachen: Was treibt Armut und Ungleichheit an? Was hält sie aufrecht? Wie können auch die Schwächsten der Gesellschaft an den Dividenden der Demokratie teilhaben? 

Wenn die Menschen sehen, dass Demokratie mehr bringt als nur Worte auf dem Papier, dass sie wirklich greifbare Vorteile bringt, dann bauen wir ­friedlichere ­Gesellschaften auf. Ohne eine bessere Welt kann es kein besseres Afrika und auch kein besseres Südafrika geben. Das ist der Punkt, an dem für uns dann auch Solidarität ins Spiel kommt.

„Beim Thema Klimawandel werden wir Dissens zulassen, aber sicherstellen, dass dieser uns nicht alle zurückhält“

Ungleichheit gilt auch für internationale Strukturen, die vom Globalen Norden aufgebaut und dominiert wurden. Eines der Hauptziele ist es nun, das multilaterale System zu reformieren, gerechter zu gestalten und auch die G20 zu verbessern. Können Sie das im gegenwärtigen geopolitischen Klima erreichen?
Es ist sogar noch wichtiger geworden. Wir sind der Meinung, dass diese Institutionen zwar reformiert werden müssen – aber, wir brauchen sie. Wir können sie nicht einfach abschaffen. Südafrika ist keine riesige Volkswirtschaft und hat kein ­großes Militär, mit der wir die Welt beeinflussen könnten. Aber wir können, wie viele andere Mittelmächte, auf die globalen Institutionen zurückgreifen. Dort können wir kollektiv zum Ausdruck bringen, was uns gefällt oder nicht und uns gegenseitig zur Verantwortung ziehen. Deshalb ist die Reform des UN-Sicherheitsrats so wichtig. Auch die globale Finanzarchitektur ist zentral. Denn ohne diese Institutionen – so fehlerhaft sie im Moment auch sind – hätten die Mächtigen uneingeschränkte Möglichkeiten. Und genau das erleben wir ja gerade auch schon. 

Unabhängig davon, ob man mit ihren Maßnahmen einverstanden ist oder nicht, muss man diese Institutionen verteidigen und respektieren. Wir müssen sie zwar reformieren, aber sie jetzt zu demontieren, würde nur zu noch mehr Straflosigkeit und Mobbing führen und das Regelwerk für ein faires Handelssystem komplett zerlegen. Wir sehen ja schon mehr als eine trans­aktionale Diplomatie. Es ist eine Raubtier-Diplomatie, die fordert: Gebt uns eure Rohstoffe, damit ihr mit am Tisch sitzen dürft, wenn es um den Frieden in eurem eigenen Land geht. So etwas wird dann eher die Regel als die Ausnahme sein.


US-Geopolitik, Ukraine und Russland, Israel und Gaza waren zentrale Themen beim ersten G20-Außenministertreffen. Die beiden großen Kriege im Sudan und in der DR Kongo wurden auch erwähnt. Die Entwicklungsprioritäten Afrikas und des Globalen Südens sollen fest auf der G20-Agenda stehen. Ist das weiterhin möglich? 
Das steht weiterhin auf der Tagesordnung. Zu Beginn unseres G20-Vorsitzes wurde unsere Agenda voll und ganz akzeptiert, einschließlich der Fortsetzung der Arbeit, die Indonesien, Brasilien und Indien begonnen hatten und der Konzentration auf die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs). Die Ziele der Afrikanischen Union sind sehr eng mit den SDGs verknüpft. Es war die afrikanische Gruppe in New York, die den „Pakt für die Zukunft“ auf den Weg gebracht hat. Es ist wichtig für uns, ihn fortzusetzen. Die G20-Außenminister haben sich im Februar für den Pakt ausgesprochen; aber die Finanzminister sind davon abgewichen, weil die USA nichts zustimmen wollten, was mit Diversität oder SDGs zu tun hat. Das ist eine Herausforderung, wenn ein oder zwei Mitglieder nicht einverstanden sind, der Rest aber schon. Dazu gehören die EU, alle europäischen und alle Schwellenländer; die Ausnahmen bilden Argentinien und die USA.


Nicht weniger umstritten ist das Thema Klimawandel. Wie können jetzt Fortschritte erzielt werden, wo der US-Hilfsstopp zu einer noch größeren finanziellen Belastung führen wird und der Klimawandel von einigen Mitgliedern grundsätzlich in­frage gestellt wird?
Beim Klimawandel lassen wir uns von der Wissenschaft leiten. Wir werden Vereinbarungen auf den Tisch legen, zu denen wir alle unseren Beitrag leisten müssen, und wir werden die Sprache der Klimagipfel verwenden, die die Prinzipien eines kollektiven Vorgehens formulieren. Ich erwarte, dass die USA und Argentinien das herausfordern werden, hoffentlich nicht auch Italien. In Arbeitsgruppen wurde bereits gesagt, dass „Wirtschaft keine Farbe“ haben könne, also nicht von „grüner Wirtschaft“ gesprochen werden soll. 


Sind das Begrifflichkeiten, die sich umschiffen lassen? Könnten Sie etwa von nachhaltiger Wirtschaft sprechen?
Wir werden über nachhaltige Volkswirtschaften sprechen. Wir werden verschiedene Wege finden, um dieselben Ziele zu erreichen, geleitet von der Wissenschaft, von dem, was wir alle tun müssen, um den Klimawandel zu bewältigen und der Tatsache, dass eine gerechte Energiewende stattfinden muss, der alle bereits zugestimmt haben. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir über die ­Umsetzung diskutieren müssen. Wir ­wollen nicht die Debatten der letzten vier oder fünf Jahre wiederholen. Das können wir uns nicht leisten. Und das gilt nicht nur für afrikanische Länder: Die Welt kann es sich nicht leisten, die Wissenschaft zu leugnen.


Aber genau darin besteht momentan  das Risiko, oder? 
Es ist ein massives Risiko. Aber wir werden Wege finden, damit umzugehen. Die Mehrheit der G20-Mitglieder unterstützt die Klimawandel-Agenda. Debattiert werden unterschiedliche Vorstellungen von der Umsetzung und Finanzierung. Aber es gibt keine wirklichen Differenzen darüber, dass die CO2-Emissionen reduziert werden müssen. Auf dieser Basis werden wir ­arbeiten und auch Dissens zulassen, aber sicherstellen, dass dieser uns nicht alle zurückhält. 


Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa sprach in einer Rede davon, dass die G20 ausreichend „Stoßdämpfer“ besitze, um die Interessen der Welt voranzubringen. Wo verorten sie diese Stoßdämpfer – in Europa, im Globalen Süden?
Beides. Der eine Stoßdämpfer ist die EU, der andere sind die Schwellenländer. Wenn man sich die Volkswirtschaften Chinas, der EU und der Schwellenländer anschaut, dann gibt es genug Unterstützung für die Hauptthemen, um als Stoßdämpfer zu fungieren. Die Herausforderung besteht darin, dass dies auch während der G20-Präsidentschaft (der USA) im kommenden Jahr so bleibt und wie wir das gestalten können. 


Eine gemeinsame, konsensbasierte Deklaration am Ende des G20-Vorsitzes gilt auch dafür als entscheidend. Streben Sie dieses Ziel weiter an?
Eine konsensbasierte Deklaration wäre insofern wichtig, als sie das schützt, was wir schon erarbeitet haben. Wir versuchen, eine Erklärung zu verhandeln, die mit unseren Prioritäten übereinstimmt und das normative Rahmenwerk nicht schmälert, egal ob es um Gender-Rechte oder den Klimawandel geht. Wenn nur eine Deklaration möglich wäre, die den normativen Rahmen verzerrt, untergräbt oder abschwächt, würden wir lieber ein anderes Format wählen. Es könnte eine Erklärung des G20-Vorsitzes sein, in der die Debatten und Positionen zu den wichtigsten Themen zusammengefasst sind. Das wäre besser als eine Deklaration, die unsere eigenen Ziele, Werte und die Prinzipien, die für uns alle wichtig sind, verwässert.


Das Interview führte Leonie March. 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik Special 2, Mai 2025, S.42-45

Teilen

Themen und Regionen