Erdöl adieu
Technologie
Bis uns die Sonne aus schlichtem Wasser unseren Brennstoff bruzzelt, wird noch einige Zeit vergehen. Die Forschung arbeitet fieberhaft auf das Wasserstoffzeitalter hin
Nein, die Lichter werden nicht ausgehen. Doch der Preis für die Stromrechnung steigt, ökonomisch wie politisch. Denn noch saugt die Welt ihren Energiebedarf aus dem Ölhahn. Und wird immer durstiger. Der Energiehunger der wachsenden Weltwirtschaft ist enorm. Die so genannte Dritte Welt holt auf, die „Erste“ erspäht manche Länder schon im Rückspiegel, auf der Überholspur. China, Indien, Brasilien und andere Schwellenländer legen ein hohes Tempo vor. Und verfeuern dabei Energie en masse. Allein China hat seinen Ölkonsum binnen zehn Jahren verdoppelt. Schon investiert Peking von Indonesien bis Algerien in Gas- und Ölfelder, um sich Vorräte für die Zukunft zu sichern.
Von 1980 bis 2000 wuchs der Weltenergieverbrauch um etwa 34 Prozent. Schätzungen besagen, dass er in den nächsten zwei Jahrzehnten rund 50 Prozent zunehmen wird. Der wichtigste Grundbrennstoff bleibt das Öl, das die Menschheit seit bald anderthalb Jahrhunderten aus der Erde pumpt, um es zu verfeuern. Eine endliche Ressource, entstanden vor vielen Jahrmillionen und in 30, 50, 100 Jahren erschöpft, verbraucht, alle. Die Schätzungen hängen vom künftigen Konsum ab, von der Entdeckung neuer Ölfelder, der Entwicklung der Fördertechnik und vom künftigen Ölpreis, der darüber entscheiden wird, wie weit es sich rechnet, auch so genanntes nicht konventionelles Erdöl (Ölsande, Ölschiefer etc.) auszubeuten. Aber auch die anderen fossilen Brennstoffe sind endlich: Uran, Erdgas und die Kohle. Wobei letztere wohl noch Jahrhunderte reichen wird.
Die Nachteile all dieser Energieträger sind hinlänglich bekannt. Die Atomenergie beschert uns dafür auf Jahrtausende ein massives Sicherheits- und Müllproblem. Alle anderen ein immer drängenderes CO2-Problem, das die Welt, wenn überhaupt, sehr schleppend anpackt. Klimaforscher fordern die Reduzierung der Treibhausgase um etwa 60 Prozent bis zur Mitte dieses Jahrhunderts. Selbst das viel gerühmte Kyoto-Protokoll aber verlangt von den teilnehmenden Industriestaaten bis 2012 einen Rückgang des Kohlendioxid-Ausstoßes von gerade fünf Prozent. Die CO2-Supermacht USA und die nachrückende CO2-Super-macht China sind bekanntlich ohnehin nicht mit von der Partie.
Öl und Kohle haben unsere Industrialisierung befeuert. Doch ihre Ära wird zu Ende gehen. Die Tyrannei des Öls muss baldmöglichst gebrochen werden. Das Ende der Steinzeit, lautet ein Bonmot unter Experten, kam auch nicht aus Mangel an Steinen. Aber Geduld. Der Weltenergierat prophezeit, noch 2050 würden mindestens 70 Prozent des globalen Bedarfs aus fossilen Quellen gedeckt. Ehrgeiziger formulieren es Länder wie Deutschland, die darauf hinarbeiten, bis zu diesem Zeitpunkt den Anteil erneuerbarer Energien auf die Hälfte zu steigern.
Das ist der Traum: All unseren Energiehunger mit Hilfe von Sonne, Wind, Wasser, Biomasse, Biokraftstoffen und geothermischen Prozessen zu stillen, mit erneuerbaren Energien, die solange vorrätig sind, wie die Sonne auf uns scheint. Länger werden wir sie ohnehin nicht brauchen. Nur eine Frage der Technologie, sagt die Wissenschaft, und der Investitionen. Die Windkraft wird beständig effizienter, die Photovoltaik auch – und Sonne scheint gerade in den ärmeren Weltregionen reichlich. Faszinierender noch wirkt die Verheißung des anbrechenden Wasserstoffzeitalters. Denn Wasserstoff gibt es quasi überall in unbegrenzter Fülle. Man muss ihn nur leider erst gewinnen, da er pur in der Natur nicht vorkommt. Dann füttert man ihn in Brennstoffzellen, die Autos und Häuser mit Strom versorgen können. Ohne dass dabei CO2 entsteht.
Das ist noch Zukunftsmusik, aber längst keine Utopie mehr. Die NASA benutzt seit 30 Jahren flüssigen Wasserstoff für ihre Raketen. Längst hat jede große Automobilfirma ein Brennstoffzellenprogramm. Quer über den Globus wird an optimalen Lösungen gefeilt. In Japan hat die Regierung Energieversorger und Automobilhersteller zusammengeführt und ein kleines Tankstellennetz auf den Weg gebracht. Bis 2010 sollen dort 50 000 Wasserstofffahrzeuge fahren.
Auch die EU-Kommission hat ein Programm angeschoben, das im nächsten Jahrzehnt 2,8 Milliarden Euro verfeuern darf. Die Industrie schätzt, dass in acht Jahren die Serienproduktion anlaufen kann. Bis 2020 könnten in Europa bis zu sechs Millionen Wasserstoffautos fahren.
Selbst die USA sind nicht untätig. Wiewohl ihre Politik öllastig bleibt, zu viel gebohrt und zu wenig gespart wird, hat die Washingtoner Regierung ein 1,7 Milliarden Dollar schweres Programm initiiert, das zum Ziel hat, jedem heute geborenen US-Amerikaner, wenn dieser ins fahrtüchtige Alter kommt, ein mit Wasserstoff getriebenes Auto zu garantieren. Der Plan heißt, mit landesüblichem Pathos, „Freedom Car“. Der kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger startete 2004 eine Public Private Partnership, die bis 2010 einen kalifornischen „Hydrogen Highway“ aufbauen soll, mit 150 bis 200 Wasserstofftankstellen.
Auch die deutsche Gas-Firma Linde schlägt den Bau eines solchen „Hydrogen Highway“ vor – einer deutschen Wasserstoff-Autobahn, die sich in einem 1800-Kilometer-Ring Berlin–Leipzig–München–Stuttgart–Köln–Hannover–Berlin durchs Land schlängelt.
Kein Zweifel: Auch die Brennstoffzellen werden effizienter und billiger werden. Entscheidend aber bleibt, wie der Wasserstoff produziert wird. Ideal wäre, wenn dieser Wasserstoff-„Sprit“ alsbald per Wind- oder Sonnenkraft hergestellt werden könnte. Die klassischen Verfahren aber fußen noch auf der Verwendung fossiler Brennstoffe. Das Ende der Steinzeit Sollte man nicht warten, bis die Herstellung 100 Pro-kam auch nicht zent öko ist? Nein, sagen viele Experten: Wir arbei-aus Mangel an Steinen.ten am optimalen Herstellungsverfahren. Doch für das Wasserstoffzeitalter braucht es eine völlig neue Infrastruktur. Die aufzustellen ist teuer – und wird deutlich billiger, wenn man einen Massenmarkt schafft.
Ansätze sind vorhanden, die Forschung läuft fieberhaft. Verstärkt fließt Venturekapital etwa in den USA in Alternativenergieprojekte, selbst die Investmentgurus vom Kleiner, Perkins, Caufield & Byers aus dem Silicon Valley stecken erstmals Geld in Energie. Futuristen träumen von riesigen Sonnenkraftwerken im All, die uns die Energie via Mikrowellen zusenden. Auf dem Reißbrett gibt es die kleinen Traumraffinerien bereits. So arbeiten etwa Altair Nanotechnologies, die Uni Nevada und die britische Firma Hydrogen Solar an einer Demotankstelle in Las Vegas, wo der neue H-Treibstoff mit Hilfe von zwei Solarzellen aus Wasser hergestellt werden soll. Die Vision von Hydrogen Solar-Chef David Auty: dass wir solche Gerätschaften einst auf dem Garagendach haben. Und uns die liebe Sonne aus schlichtem Wasser unseren Brennstoff bruzzelt.
Internationale Politik 4, April 2005, S. 114 - 115.