Gegen den Strich

01. Jan. 2010

Entwicklungspolitik

Der Zeitpunkt ist günstig, die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zu reformieren und als Teil einer kohärenten Politik zu konzipieren, denn in der neuen Bundesregierung sind die Ministerien für Äußeres, Wirtschaft und Entwicklung in der Hand einer Partei, der FDP. Entwicklungsminister Dirk Niebel, der im Wahlkampf noch lautstark die Abschaffung des BMZ gefordert hatte, sollte das BMZ stärken, indem er ihm ein klares politisches Profil gibt.

» Entwicklungspolitik ist Teil einer kohärenten Politik «

Schön wär’s. Selbst dem begeisterten Kissinger-Leser ist mittlerweile klar: Das Bild vom Auswärtigen Amt (AA) als Verantwortlicher für die Politik der großen Mächte, vom Wirtschaftsministerium (BMWi) als Wahrer deutscher Außenwirtschaftsinteressen und vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) als internationaler Almosenvergabestelle ist nicht mehr zeitgemäß. Eine kohärente politische Strategie der Geberstaaten erfordert die Abstimmung aller außenpolitischen Instrumente und Strukturen – und die gehen weit über das BMZ hinaus.

Allzu oft ist in der Realität von Kohärenz jedoch wenig zu erkennen. Nicht selten liegt der Grund für die Inkohärenz jedoch in fundamentalen, nicht aufgelösten Widersprüchen in den von verschiedenen Ministerien verfolgten Politiken. Dies betrifft z.B. die Handels- und die Ressourcenpolitik. Eine echte Förderung des Handels – und hier insbesondere der Abbau der Handelshemmnisse und Subventionsprogramme auf den Agrarmärkten der USA und der Europäischen Union – wäre wohl die mit Abstand effektivste Maßnahme, um Entwicklungsländer wirtschaftlich auf eigene Füße zu stellen. Diesen Ländern fairen Zugang zu unseren Märkten zu verschaffen und gleichzeitig ein Dumping künstlich vergünstigter, weil subventionierter, Produkte aus den Industrieländern auf ihren Heimatmärkten zu verhindern, ist ein entwicklungspolitisches Sine qua non.

Ähnlich verhält es sich mit der Ressourcenpolitik. Das BMZ unterstützt Programme wie die Extractive Industries Transparency Initiative (EITI), die sich für mehr Transparenz und bessere Regierungsführung in rohstoffreichen Entwicklungsländern einsetzt, in denen die Einkommen aus Exporten oft in den Taschen einer kleptokratischen Elite verschwinden. Das BMWi hingegen unterstützt Investitionssafaris in Ländern wie Äquatorialguinea, in denen Menschenrechte und gute Regierungsführung überhaupt keine Rolle spielen.

» Menschenrechte müssen Dreh- und Angelpunkt sein «

So sollte es jedenfalls sein. Die Menschenrechte bilden von jeher das normative Fundament der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) und sollten dies auch in der Zukunft tun. Besonders wichtig ist jedoch eine konsequente Anwendung der selbstgesteckten Prinzipien und damit verbunden eine realistische Einschätzung der Rolle, die die deutsche EZ bei der Förderung konstruk-tiven politischen Wandels in Entwicklungsländern spielen kann.

Allzu oft hat sich in der Praxis die Entscheidung über die Vergabe weiterer Entwicklungshilfemittel von der Frage der Einhaltung der mit den Partnerländern vereinbarten Prinzipien entkoppelt. Dahinter stand nicht selten die weit verbreitete Hybris vieler Entwicklungspolitiker und -praktiker, dass entwicklungspolitische Interventionen und politischer Dialog wichtige Beiträge zum politischen Wandel in den Partnerländern leisten können. Die Realität jedoch ist zumeist eine andere. In der Regel vermögen es die Regierungen vieler Partnerländer, die Entwicklungshilfe geschickt für ihre eigenen politischen Zwecke zu nutzen, ohne nachhaltige politische Reformen in Gang zu bringen.

Die Erfahrung zeigt: Die Formel „Wandel durch entwicklungspolitische Annäherung“ versagt allzu oft. Für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit heißt dies, dass eine konsequente Umsetzung der Menschenrechtspolitik im Zweifelsfall auch das Ende der Kooperation mit staatlichen Stellen in den Partnerländern bedeuten muss. Uganda ist dafür ein gutes Beispiel. In dem ostafrikanischen Land wird derzeit ein Gesetz im Parlament diskutiert, dass Homo-sexualität mit der Todesstrafe ahndet und auch in vielen anderen Aspekten gegen fundamentale Menschenrechtsprinzipien verstößt. Politischer Dialog ist hier der erste richtige Schritt. Allerdings müssen den Worten auch Taten folgen. Menschenrechte dürfen nicht durch einen weit verbreiteten Kulturrelativismus verwässert werden.

Unweigerlich wird ein solcher Fokus auf die Einhaltung der Menschenrechte schwierige moralische Fragen aufwerfen. Wie kann man rechtfertigen, HIV-infizierten Menschen keine Hilfe zukommen zu lassen, nur weil die politischen Machthaber in ihrem Land die Menschenrechte mit Füßen treten? Solche Fragen können kaum generell beantwortet werden. Es müssen in jedem Fall alle Möglichkeiten (etwa die der Kooperation mit nichtstaatlichen Durchführungspartnern) ausgeschöpft werden. Allgemein aber gilt: Entwicklungszusammenarbeit – und auch der Kampf gegen HIV/Aids – hat vor allem dann Aussicht auf Erfolg und Nachhaltigkeit, wenn die Partnerregierungen die Grundrechte ihrer Bürger achten und ihnen gegenüber Rechenschaft ablegen müssen. Die Achtung der Menschenrechte und der Erfolg von Entwicklungszusammenarbeit korrelieren stark.

» Deutsche Wirtschaftsinteressen gehen vor «

Nein, aber man sollte Eigeninitiative vor Ort fördern. Im Bundestag wird immer wieder eine stärkere Berücksichtigung der deutschen Wirtschaftsinteressen in der EZ gefordert. Der Ruf nach mehr „Partnerschaft“ ist dabei oft eine nur wenig verhüllte Forderung nach mehr Aufträgen für deutsche Unternehmen. Doch eine Rückkehr zur so genannten Lieferbindung ist ein entwicklungspolitischer Holzweg. Nicht eine Förderung der deutschen Wirtschaft, sondern ein stärkerer Fokus auf den oft unterentwickelten Privatsektor in den Partnerländern – hier ins-besondere auf kleine und mittelständische Unternehmen – ist angesagt. Die nachhaltige Wirtschaftsentwicklung ist seit langem eines der wesentlichen Fördergebiete der deutschen EZ, hat bislang aber nur einen geringen Stellenwert. Dies gilt insbesondere für die Privatwirtschaftsförderung.

Privatwirtschaftliche Initiative, ob im formalen oder informellen Sektor, ist der wesentliche Motor für wirtschaftliche Entwicklung, Beschäftigung und Wohlstand. In den meisten Entwicklungsländern fehlt es dabei kaum an Initiative und Innovationskraft – ganz im Gegenteil. Was fehlt, sind die notwendigen rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, damit sich diese individuelle Innovationskraft entfalten kann. Der peruanische Entwicklungsökonom Hernando de Soto hat in seinem Buch „Freiheit für das Kapital“ die wesentlichen Hürden für erfolgreiches privatwirtschaftliches Engagement herausgearbeitet und einige Lösungsmodelle skizziert. Liberale Entwicklungspolitik wird bei de Soto viele nützliche Anhaltspunkte für den Um- und Ausbau der Marktwirtschaftsförderung in den Partnerländern finden. Zentraler Aspekt dabei sollte die Sicherung privater und unternehmerischer Eigentumsrechte sein, die wesentliche Voraussetzungen für die Bildung von Kapital sind. In vielen Entwicklungsländern bezieht sich dies insbesondere auf Fragen des Landbesitzes – ein in der Regel hochpolitisches (und nicht selten hochexplosives) Thema.

» Staatliche Strukturen müssen gestärkt werden «

Nur bedingt. In der Entwicklungszusammenarbeit dominiert das Bild vom „schwachen Staat“, der nicht in der Lage ist, seine Bürger zu schützen oder wesentliche Grundbedürfnisse zu befriedigen. Zentrales Leitmotiv der EZ ist daher die Stärkung staatlicher Strukturen in den Partnerländern. In vielerlei Hinsicht ist dieses Bild korrekt. Ebenso richtig ist aber auch, dass viele Entwicklungsländer nicht einfach an einem „schwachen“ Staat leiden. Der Staat ist oft „stark“ – bloß in den falschen Bereichen, vom Militär- und Sicherheitsapparat bis hin zur Bürokratie. Gerade viele afrikanische Länder leiden an dysfunktionalen Regularien und byzantinischen bürokratischen Strukturen, die nicht selten den Nährboden für Korruption bilden. Auch hier sollte von Seiten der deutschen EZ stärker angesetzt werden und auf Bürokratieabbau sowie effektive Korruptionsbekämpfung gewirkt werden.

Generell sollte in der EZ gefragt werden, in welchem Rahmen Dienstleistungen für die Menschen am effizientesten erbracht werden können. Gerade im Infrastrukturbereich – ob „weich“ (z.B. Bildung, Gesundheit) oder „hart“ (z.B. Energie, Wasser) sollte immer erwogen werden, in welchem Rahmen die Leistungserbringung am besten organisiert werden kann. Insbesondere im Gesundheitssektor müsste in der deutschen EZ radikal umgedacht werden. Bislang wird staatszentrisch gedacht. Primäres Ziel der entwicklungspolitischen Maßnahmen ist es, die Kapazität staatlicher Gesundheitsvorsorge zu stärken. Doch in der Praxis hat sie in vielen Ländern, insbesondere Sub-Sahara-Afrikas, nicht funktioniert. Die staatlichen Gesundheitssysteme sind nach Jahrzehnten der Geberunterstützung oft sehr ineffizient und korrupt. Kein Wunder also, dass beispielsweise Bürger Tansanias – trotz angeblich kostenloser öffentlicher Gesundheitsversorgung – nach offiziellen Schätzungen im Schnitt mehr als 30 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für private Gesundheitsdienstleistungen ausgeben.

Die Qualität dieser privaten Dienstleistungen ist oft fragwürdig, aber daran kann man arbeiten. Die Gates Foundation finanziert mehrere Programme in Afrika, die mittels Standardisierung und Zertifizierung die Qualität im privaten Gesundheitssektor erhöhen sollen. Problematisch ist zudem oft der Zugang zu privaten Strukturen, den sich arme Haushalte nicht leisten können. Hier experimentiert die Kreditanstalt für Wiederaufbau mit einem Voucher-Programm in Uganda, mit dem armen Menschen ermöglicht werden soll, private Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Es gilt, in den nächsten Jahren ohne ideologische Scheuklappen systematisch die Lehren aus diesen Experimenten zu ziehen. Die Entwicklungshilfe-Euros sollten dann in die Initiativen fließen, die am effektivsten zur Grundversorgung der Bürger beitragen – gleich, ob sie staatlich, privat oder öffentlich-privat sind.

» Mehr Geld bedeutet automatisch mehr Erfolg «

Falsch. Zweifelsohne müssen wir die Anstrengungen für die Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele erhöhen. Die krampfhafte Festlegung auf eine stufenweise Erhöhung der deutschen ODA-Quote auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ist jedoch der falsche Ansatz, solange die effektive Verwendung der zusätzlichen Mittel nicht garantiert ist. Leider ist dies gegenwärtig nicht der Fall. Garantiert ist nur der kontraproduktive Wettbewerb unter den Gebern um „Abflussmöglichkeiten“ für die zusätzlichen Mittel. Die 0,7-Prozent Formel, schon 1970 im Rahmen der Vereinten Nationen unter den großen Gebern vereinbart, hat somit in vielen Entwicklungsländern kontraproduktive Effekte. Aufgrund der dort oft vorherrschenden Absorptionsengpässe wird jeder zusätzliche Euro, der in die EZ investiert wird, ineffizient eingesetzt – und wirkt nicht selten korruptionsfördernd. Die Geber müssen die stetig steigenden Hilfebudgets jedoch irgendwie unterbringen (im Jargon: Mittelabfluss gewährleisten), was im schlimmsten Fall dazu führt, dass die Vergabeanforderungen sukzessive gesenkt werden. Den Partnerländern wird zudem jeglicher Anreiz genommen, die Mittel effizient einzusetzen oder Auflagen zu erfüllen.

Diesem Treiben muss möglichst schnell ein Ende gesetzt werden. Es ist unerlässlich, die tatsächliche Absorptionsfähigkeit eines Landes genau abzuschätzen. Eine solche Bestimmung ist schwierig. Analytische Ansätze dafür gibt es aber nicht nur beim Internationalen Währungsfonds, sondern auch in den Strukturen der deutschen EZ. Gleichzeitig sollte liberale Entwicklungs-politik auf mehr produktiven Wettbewerb in der Gebergemeinschaft drängen. Dies sollte vor allem ein öffentlicher und transparenter Wettbewerb um bestmögliche Ergebnisse der Kooperation sein. Die deutsche EZ sollte sich an internationalen Maßstäben messen lassen, Evaluierungsergebnisse müssen öffentlich zugänglich und vergleichbar sein. Erste Schritte auf diesem Weg wurden bereits unternommen, doch es muss mehr geleistet werden. Wichtig wird vor allem sein, diese Evaluierungsergebnisse politisch verwertbar zu machen und in Entscheidungsprozesse einfließen zu lassen. Bislang sind Evaluierungsergebnisse nur einem kleinen Kreis Eingeweihter zugänglich. Diese Ergebnisse müssen in Zukunft auch so präsentiert werden, dass sie in der politischen Diskussion und Entscheidungsfindung sichtbar werden.

» Die deutsche EZ ist institutionell gut aufgestellt «

Falsch. Auf Ebene der deutschen Umsetzungsstrukturen besteht seit Jahren wohlbekannter und dringender Reformbedarf. Mehr als 30 Durchführungsorganisationen teilen das Budget des BMZ unter sich auf, was zu Unübersichtlichkeit, Doppel- und Dreifachstrukturen sowie großer Ineffizienz beiträgt. Zudem ist die Trennung der technischen Zusammenarbeit (organisiert in der GTZ) und der finanziellen Zusammenarbeit (vertreten durch die Staatsbank KfW) in der entwicklungspolitischen Praxis nicht mehr nachvollziehbar.

Versuche der Vorgängerregierung, das Dickicht der Durchführungsorganisationen neu zu ordnen, sind trotz umfangreicher Studien und Schützenhilfe des Bundesrechnungshofs vor allem am politischen Widerstand der Hauptakteure – insbesondere der GTZ – gescheitert. Nur eine Minireform (die Zusammenführung der Carl-Duisberg-Gesellschaft mit der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung zur INWENT GmbH) glückte.

Im Koalitionsvertrag wird ein weiterer Reformvorstoß angemahnt. Der große Wurf – die Fusion von KfW und GTZ – scheint allerdings vom Tisch. Stattdessen hat das BMZ in den vergangenen Jahren einen Pseudo-Koordinationsmechanismus etabliert (die so genannte „EZ aus einem Guss“), der die GTZ und KfW zu engerer Abstimmung in der Programmaufsetzung und -abwicklung zwingen soll. Ein solch ineffizientes System lähmt Kreativität und Motivation der vielen qualifizierten und engagierten Mitarbeiter der deutschen EZ. Schätzungen gehen davon aus, dass Mitarbeiter der GTZ und KfW mittlerweile fast ein Viertel ihrer Zeit mit der internen Abstimmung im deutschen „Länderteam“ verbringen. Erst dann beginnt der Dialog mit den anderen Gebern, und, ach ja, der Partnerregierung.

Was also ist zu tun? Aus liberaler ordnungspolitischer Sicht gibt es eigentlich nur zwei „saubere“ Lösungen. Die eine wäre die Zusammenführung der gesamten Umsetzungsstruktur in einer „Deutschen Entwicklungsagentur“, die als nachgeordnete Behörde des BMZ fungieren würde. Die Aufsichts- und Steuerungsfunktion des BMZ müsste gestärkt werden, um diese Mammutorganisation effektiv programmieren und kontrollieren zu können. Die Alternative wäre ein wirklicher Wettbewerb in den Umsetzungsstrukturen nach amerikanischem oder britischem Muster. In einem solchen Modell würden Aufträge für Entwicklungsprojekte international ausgeschrieben und auf Basis eines öffentlichen Teilnahmewettbewerbs an den bestqualifizierten Bewerber vergeben. Problematisch an diesem Modell ist, dass es vielleicht die Qualität der Einzelprojekte erhöht, allerdings das Problem der hohen Anzahl der Akteure im „Feld“ nicht effektiv angeht, sondern eher verschlimmert. Die Praxis des amerikanischen Modells zeigt überdies, dass auch ein Outsourcing an private Dienstleister nicht immer zu guten Ergebnissen führen muss bzw. die Tücken in der Umsetzung liegen.

Egal in welche Richtung es geht: Eine Reform muss auch eine Stärkung des BMZ beinhalten. Das BMZ kann in seiner gegenwärtigen Aufstellung die ihr zugedachte Steuerungshoheit nicht wahrnehmen. Eine solche Stärkung sollte explizit auch eine Aufwertung der Vertretungen in den Partnerländern umfassen. Eine Aufwertung der personellen Strukturen in den Partnerländern, gekoppelt mit einer Verlagerung von Entscheidungsverantwortung für die Mittelvergabe, würde die deutsche EZ deutlich flexibler machen.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2011, S. 98 - 103

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