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01. Aug. 2004

Energiepoker.

Ökologische Warnzeichen vor Ort und Sorgen um die Versorgungssicherheit

Das globale Klima, soviel scheint festzustehen, wird sich im 21. Jahrhundert ändern, sollte ökologisch
oder industriepolitisch nichts Durchgreifendes geschehen. Jürgen Turek stellt zwei Bücher
vor, die sich mit den klimatischen Konsequenzen eines zunehmenden Energieverbrauchs
und mit den langfristigen Problemen der internationalen Energiesicherheit auseinander setzen.

Zwei Dinge stehen fest: Wenn zum einen ökologisch oder industriepolitisch nichts Durchgreifendes geschieht, wird sich das globale Klima im 21. Jahrhundert ändern. Zum anderen ist der größte Teil der globalen Erwärmung im vergangenen Jahrhundert auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen, insbesondere auf die durch die Verbrennung von Kohle, Gas und Öl produzierten Treibhausgase. Nach früheren Untersuchungen weltweit führender Klimatologen musste bisher in diesem Jahrhundert dabei mit einer weiteren Erwärmung von mindestens 1,5 bis höchstens 5 Grad gerechnet werden.

Dieser Befund, der durch Tausende von Klimadaten bestätigt wird , ist äußerst alarmierend, doch bleiben die Zahlen zunächst abstrakt. Was bedeuten sie für die unterschiedlichen Gegenden dieser Welt? Was heißt das konkret für das Schicksal einzelner Menschen und ihrer Gesellschaften? Was ist wirklich zu erwarten und welche Konsequenzen sind zu ziehen? Diesen und anderen Fragen geht der Politikwissenschaftler und Historiker Mark Lynas mit seinem Buch „Sturmwarnung“ in faszinierender Weise auf den Grund.

In den vergangenen drei Jahren hat er Weltgegenden bereist, in denen die Klimaveränderung schon angekommen ist. Er sprach mit den Menschen vor Ort und nahm die eingetretenen Veränderungen selbst in Augenschein. Sein Weg führte ihn dabei in die USA, in die Mongolei, nach China, auf die Pazifik-Inseln und auch in den Osten Deutschlands. Der Leser erfährt in anschaulicher Weise, wie sich die veränderte Eisbildung in Alaska auf die Seehundjagd der dort beheimateten Inuit auswirkt oder wie die große Trockenheit in Afghanistan traditionelle Weidegründe verwüstet. So entsteht jenseits der bloßen Fakten ein Bild der damit verbundenen Tragödien, das sich dem Betrachter ganz konkret durch Hunger, ökologische Vertreibung oder Verlust der Heimat auf drastische Weise erschließt .

Solche Schicksale sind die mit Namen und Gesichtern versehenen Vorboten eines möglichen weltweiten Desasters. Lynas schließt hier mit einem historischen Verweis: Vor 251 Millionen Jahren erschütterte der Ausbruch eines Vulkans das heutige Sibirien und löste damit eine Klimakatastrophe aus. Die dadurch ausgelöste Erwärmung um sechs Grad führte zum größten Artensterben der Welt; erst 50 Millionen Jahre später erholte sich der Globus und brachte eine neue Artenvielfalt hervor. Was hierbei dramatisch ist: Im Januar 2001 legten Klimaforscher neue Prognosen für das 21. Jahrhundert vor und setzten die Höchstgrenze der Schätzungen herauf; sie liegt nunmehr bei sechs Grad.

Nun liegt es auf der Hand, dass man einen relativ abrupten und einen schleichenden Klimawandel über einen Zeitraum von knapp 100 Jahren wohl nicht ohne weiteres vergleichen kann. Darüber hinaus muss man hier auch die Verbindung von schwindenden Primärenergieträgern und Klimawandel bedenken. Man könnte Herrn Lynas ja beruhigen, weil das Angebot herkömmlicher Energien ohnehin in etwa 20 Jahren abnehmen soll. Aber wenn das so nicht wirklich stimmt, muss die Menschheit durchaus auf gravierende Veränderungen gefasst sein.

Zusammen mit der Frage nach den klimatischen Konsequenzen eines zunehmenden Energieverbrauchs entsteht langfristig das Problem der internationalen Energiesicherheit. Dieses Themas nimmt sich Frank Umbach mit einer umfangreichen Studie an und verweist darauf, dass die Europäische Union in 20 bis 30 Jahren zur Deckung ihres Energiebedarfs zu 70 Prozent vom Import der fossilen Energieträger Erdöl und Erdgas abhängig sein wird. Gegenwärtig betrage diese Abhängigkeit etwa 50 Prozent. Für ihn hat die Aufgabe der Sicherstellung der Energieversorgungssicherheit eine sicherheitspolitische Dimension, da die Versorgungsrisiken und Verwundbarkeiten der europäischen Energieversorgungssicherheit aufgrund der zunehmenden Abhängigkeit der Energieversorgung von politisch und ökonomisch instabilen Lieferländern zunehme. Vor allem als Folge der Eskalation regionaler Konflikte könnte dies in Zukunft zu temporären Lieferausfällen und rapiden Preissteigerungen führen, welche die weltwirtschaftliche und politische Stabilität gefährden könnten. Hierbei müsse bedacht werden, dass die Weltenergienachfrage ohnehin in den kommenden 25 Jahren um mehr als 60 Prozent wachsen werde, wobei der Zuwachs zukünftig vor allem auf die industriellen Schwellenländer Asiens zurückgehe.

Aufgrund der politisch labilen Situation in den Staaten Zentralasiens, des Persischen Golfes und in Saudi-Arabien wird nach Umbach die Stabilität dieser Region für die weltweite Rohöl- und Erdgasversorgung eine Schlüsselrolle bei der Ausgestaltung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU einnehmen müssen. Eine herausragende Rolle spielte hierbei auch die wirtschaftliche Entwicklung in China. Aufgrund des rasanten Wachstums der chinesischen Volkswirtschaft sei die Lösung von Problemen der chinesischen Energiesicherheit durchaus auch im europäischen Interesse, wenn weltweite negative Auswirkungen in umwelt- und sicherheitspolitischer Hinsicht vermieden werden sollen. Vor diesem Hintergrund konstruiert der Autor in elf Schritten eine Energiesicherheitsstrategie, die unter anderem durch Diversifizierungen im Energiemix, die Beachtung des Potenzials der Atomkraft oder eine Energiepartnerschaft mit Russland zu einer nachhaltigen europäischen Energiepolitik verdichtet werden muss. Unter Beachtung des Zieldreiecks von globaler Versorgungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Umweltverträglichkeit sei es hierbei von entscheidender Bedeutung, ob es der internationalen Politik gelingen werde, regionale und globale Strategien zur nachhaltigen Energieentwicklung und Reduzierung der Treibhausgase nicht nur konzeptionell zu formulieren, sondern sie auch mit verbindlicher Wirkung weltweit durchzusetzen. Es sei deshalb höchste Zeit, dass in Deutschland ebenso wie in den anderen EU-Staaten endlich die zahlreichen Fragen der zukünftigen Energieversorgungssicherheit diskutiert werden. Diese müssten auch auf die außen- und sicherheitspolitische Tagesordnung zurückkehren und integraler Bestand der zukünftigen Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) sowie einer Gemeinsamen Europäischen Energiesicherheitspolitik (GEESP) der EU sein.

Diesem Befund kann man angesichts der großen Sensibilität des Themas nur zustimmen. Der Verbindung von umwelt- und sicherheitspolitischen Aspekten der Energiepolitik wird sicherlich in Zukunft ein größeres Gewicht beizumessen sein. Denn die Menschheit wächst, ebenso wächst ihr Energiehunger. Umbachs sorgfältig angelegte Studie schärft dafür den Blick.

Mark Lynas, Sturmwarnung. Berichte von den Brennpunkten der globalen Klimakatastrophe, München: Riemann Verlag 2004, 381 S., 20,00 EUR.

Frank Umbach, Globale Energiesicherheit. Strategische Herausforderungen für die europäische und deutsche Außenpolitik (Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Reihe „Internationale Politik und Wirtschaft“, Bd. 70), München:R. Oldenburg Verlag 2003, 328 S., 44,80 EUR.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 8, August 2004, S. 115-117

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