IP

31. Dez. 2010

Eine Frage der Kooperation

Wie Deutschland und Europa im Wettbewerb um Rohstoffe bestehen können

Die Situation auf dem Markt der knapper werdenden Rohstoffe darf nicht nur als Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands auf dem Weg zu einer „Lowtech-Nation“ gesehen werden. Vielmehr bietet sie die Chance, internationale Kooperationen in der Rohstoffpolitik voranzutreiben – eine Antwort auf Philipp Mißfelder.

Das Thema der nichtenergetischen Rohstoffe hat in den letzten zehn Wochen mehr Aufmerksamkeit bekommen als in den vergangenen zehn Jahren. Rohstoffe wie Kobalt, Indium, die Metalle der Platingruppe und schließlich die 17 Elemente, die als seltene Erden bezeichnet werden, waren bisher wenig bekannt. Plötzlich stehen sie im Mittelpunkt des Interesses.

Die industrielle Zukunft der Europäischen Union hängt in hohem Maße von diesen nichtenergetischen Rohstoffen ab. Sie kommen bei der Herstellung von Hightech-Produkten wie Katalysatoren, Batterien oder bei der Entwicklung erneuerbarer Energien zum Einsatz. Die Nachfrage nach diesen Rohstoffen steigt ständig – und somit auch deren Preis. Auf der anderen Seite werden die Rohstoffe beständig knapper. Immer mehr Länder verhängen Exportbeschränkungen, um die Nachfrage ihrer nationalen Industrien befriedigen zu können.

Zwischen rohstoffreichen und rohstoffarmen Ländern entsteht auf diese Weise eine Kluft; man befürchtet bereits einen „Kampf um Ressourcen“. Auf lange Sicht wird aber niemand von solch einer Konfrontation profitieren. Im Gegenteil: Neue Ansätze müssen entwickelt werden, um mit der Ressourcenknappheit innovativ und innovationsfördernd umzu-gehen und um Nullsummenspiele zu vermeiden.

In der November/Dezember-2010-Ausgabe der IP hat Philipp Mißfelder die aktuelle Situation auf dem Rohstoffmarkt sehr gut dargestellt. Seine acht Empfehlungen lese ich aber kritisch. Die meisten von ihnen sind wenig geeignet, eine internationale Kooperation in der Rohstoffpolitik voranzutreiben. Darum aber muss es gehen.

Herr Mißfelder schlägt vor, im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) Exportbeschränkungen für Rohstoffe zu diskutieren und sicherzustellen, dass die Reduktion solcher Beschränkungen ein Schlüsselelement für den WTO-Beitritt wird. Nun verbietet die WTO Exportzölle nicht per se; aktuell werden sie von beinahe einem Drittel der WTO-Mitglieder erhoben. Man könnte die Einführung von Exportquoten diskutieren, doch der Erfolg eines solchen Ansatzes ist höchst fraglich. Pascal Lamy, Generaldirektor der WTO, hat diesbezüglich erst kürzlich beim Rohstoffkongress des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) in Berlin seine Zurückhaltung deutlich werden lassen.

Die Rohstoffdebatte wird selbstverständlich im Rahmen der WTO geführt – dafür sorgen schon die inzwischen anhängigen Streitschlichtungsverfahren, in denen Rohstoffhandel eine Rolle spielt. Wer aber gewährleistet, dass etwa die Klage der USA, der EU und Mexikos gegen China erfolgreich ist? Und eine Konzentration auf solche Verfahren ist nicht ohne Risiken: Wächst die Spannung zwischen den Ressourcenproduzenten und den -konsumenten, kann das sogar in einer Art Handelskrieg mit Ländern wie China gipfeln. Keine attraktive Idee. Ein Vorschlag der Europäischen Kommission, der im lancierten Vorentwurf der Rohstoffinitiative zu lesen ist, gibt in diesem Zusammenhang Anlass zur Besorgnis: Es wird vorgeschlagen, das System der Handelspräferenzen gegenüber Ländern mit Exportbeschränkungen zeitweilig auszusetzen. Das ist so mit den geltenden WTO-Regeln nicht kompatibel und liefe auf blinde Konfrontation hinaus.

Vom Vorschlag Herrn Mißfelders, Exportbeschränkungen im Rahmen von WTO-Beitrittsverhandlungen zu diskutieren, könnte Russland betroffen sein. Die meisten ressourcenreichen Länder sind bereits Mitglieder der WTO. Eine Ausnahme bilden Russland und zentralasiatische Staaten. Die EU und Russland sind zurzeit auf dem besten Weg, die WTO-Beitrittsverhandlungen voranzutreiben. Wir sollten in dieser Situation keine Position einnehmen, die als Versuch gesehen werden könnte, Russlands WTO-Beitritt zu verhindern.

Herr Mißfelders Forderung nach einer deutschen Rohstoffholding, die aus großen Unternehmen, Banken und der Regierung bestehen soll, ist nicht neu. Die Forderung kommt immer dann auf den Tisch, wenn eine Hysterie um Rohstoffe ausbricht, und sie ist nicht geeignet, eine vertrauensvolle und für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit mit Exportländern aufzubauen. Darüber hinaus würden wir uns mit der Einrichtung einer solchen Rohstoffholding selbst widersprechen: Lange Jahre haben wir Exportmonopole verurteilt, weil sie Wettbewerb verhindern – und heute wollen wir auf dem globalen Markt ein Importmonopol aufbauen, das die gleichen Wirkungen hätte? Eine solche Idee kam bereits in Bezug auf Energieimporte von der russischen Gazprom auf, wurde jedoch von Experten sofort verworfen, da dadurch europäisches Wettbewerbsrecht und die Vertragsfreiheit eindeutig verletzt würden.

Zugang mit Bedingungen

Wenn Herr Mißfelder von Zusammenarbeit mit ressourcenreichen Ländern spricht, bezieht er sich in großen Teilen auf Entwicklungspolitik. Es ist sicher wichtig, internationale Initiativen für mehr Transparenz, wie zum Beispiel die Extractive Industries Transparency Initiative (EITI), anzusprechen – aber Entwicklungspolitik dazu nutzen, privaten Unternehmen aus Industrieländern Zugang zu Ressourcen zu verschaffen? Sollen wir, wie Kommissar Günther Oettinger es innerhalb der EU-Kommission vertreten hat, Entwicklungszusammenarbeit rohstoffpolitisch konditionieren? Dies widerspricht den Zielen der Entwicklungspolitik von Grund auf. Wenn man Entwicklungspolitik als Verhandlungsmasse missbraucht, riskiert man die Spannungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zu verschärfen – kaum ein Weg, China etwa in Afrika den Rang abzulaufen.

Chinas Modell „Ressourcen gegen Infrastruktur“ zu kopieren, wie Herr Mißfelder vorschlägt, ist nicht falsch. Aber es genügt nicht. Dieses Modell wäre nur auf einen Teil der Entwicklungsländer anwendbar. Der chinesische Ansatz ist für viele ressourcenreiche Länder nicht interessant, da sie bereits einen hohen Entwicklungsstand erreicht haben. Wenn, dann muss die Maxime lauten „Ressourcen gegen Technologie und Know-how“. So sagte es der kasachische Premierminister Karim Massimow im Rahmen des OSZE-Gipfels in Astana, wo er Deutschland eine wirtschaftliche Zusammenarbeit angeboten hat.

Die Formel „Ressourcen gegen Technologie“ sollte auch gegenüber China genutzt werden. Wir brauchen für eine gewisse Zeit jedenfalls noch den Zugang zu Chinas seltenen Erden – zumindest solange, bis neue Fördermöglichkeiten in Ländern wie den USA, Kanada und Australien entstanden sind. Peking ist umgekehrt sehr interessiert an Hightech-Produkten – solange bis China seine eigene „In-house“-Technologieentwicklung aufgebaut hat. Wie wäre es, aus dieser Situation eine sinnvolle Kooperation zu entwickeln? Einige Unternehmen sind hier bereits auf dem richtigen Weg: Die Siemens-Tochter Osram hat beispielsweise ein Joint Venture mit dem Seltene-Erden-Förderunternehmen China Rare Earth gegründet, um gemeinsam Phosphorverbindungen für die Leuchtindustrie herzustellen. Ulrich Grillo, Vorsitzender des Ausschusses Rohstoffpolitik des BDI, hat in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ebenfalls bekräftigt, dass der Austausch „Deutsches Know-how gegen Marktzugang“ ein wichtiger Ansatz ist.

Es ist wichtig, ehrliche und für beide Seiten rentable Kooperationen aufzubauen. So zum Beispiel im Rahmen von Spekulationsbeschränkungen auf dem Rohstoffmarkt durch die G-20 oder durch die Bündelung von chinesischer, japanischer, amerikanischer und europäischer Expertise im Bereich Forschung und Entwicklung: Vor allem der nachhaltige Abbau und das Recycling von Rohstoffen ist für uns von hohem Interesse, da uns China hier im Bereich der seltenen Erden weit voraus ist.

Von besonderer Bedeutung ist aber, dass wir das Thema Ressourcenknappheit nicht auf die Frage des Zugangs zu Primärrohstoffen reduzieren. Das heißt, dass wir uns auch auf sekundäre Rohstoffe – auf das so genannte „Urban Mining“ – konzentrieren müssen.

Aus Abfall Gold gewinnen

Recycling von Rohstoffen ist wichtiger als bekannt: In einer Tonne Computerleiterplatten sind 250 Gramm Gold enthalten, während eine Mine mit hohen Ertragsraten lediglich fünf Gramm Gold aus einer Tonne Erz gewinnen kann, so Christian Hagelueken von der belgischen Firma Umicore. Der Europäische Verband für Metalle (Eurometaux) hat im Recyclingbereich den Vorschlag gemacht, so genannte „Recyclingpartnerschaften“ aufzubauen. Momentan wird sehr viel hochwertiger Abfall, wie zum Beispiel Mobiltelefone oder Computerfestplatten, in Entwicklungsländer transportiert. Dort landet er dann entweder auf Müllkippen oder wird in einer Art und Weise recycled, die die Gesundheit der Menschen und die Umwelt gefährdet. Um Gold aus den Abfällen zu gewinnen, werden bei dieser Art von ineffizientem Recycling außerdem andere wertvolle Bestandteile zerstört.

Zusätzlich zur Stärkung der Abfallexportbestimmungen, die Herr Mißfelder kurz angesprochen hat, können wir durch Recyclingpartnerschaften den richtigen Umgang mit Elektromüll sicherstellen. Menschen, die bisher in Entwicklungsländern in der Elektromüllverwertung tätig waren, könnten künftig als Elektromüllsammler arbeiten, die gut für die gesammelten Geräte entlohnt werden. Von diesem neuen internationalen Geschäftsmodell zwischen kleinen und mittleren Unternehmen in Entwicklungsländern und Recyclingfirmen in Europa können beide Seiten profitieren: Die EU wird mit wichtigen sekundären Rohstoffen versorgt, während gleichzeitig die Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung in Entwicklungsländern geschützt werden und ein Teil des erwirtschafteten Geldes an die Entwicklungsländer fließt. Erste Pilotprojekte, wie eine Zusammenarbeit zwischen Frankreich und dem Senegal, gibt es bereits.

Schließlich sollten alle Akteure anerkennen, dass neben der Außenpolitik die Industriepolitik eine Hauptrolle spielt, wenn es um die Rohstoffsicherheit geht. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit der Sicherung zukünftiger Wettbewerbsfähigkeit. Wir sollten unsere Wettbewerbsfähigkeit durch die Beschränkung der Kosten für Rohstoffe steigern. Effizienzsteigerung und Recyclingpotenziale sind hier die richtigen Stichworte.

Die Europäische Union hat ihre Öko-Design-Richtlinie, die energie-effiziente Produkte fördert, bereits umgesetzt. Die Kommission sollte den Vorschlag machen, die Richtlinie auf Ressourceneffizienz auszuweiten. Laut der Deutschen Materialeffizienzagentur (demea) könnten jährlich ein Fünftel aller Materialkosten, die sich auf ungefähr 500 Milliarden Euro belaufen, durch effizientere Produktionsabläufe eingespart werden. Das bedeutet ein Sparpotenzial von 100 Milliarden Euro pro Jahr. Durch massive Steigerung der Rohstoffeffizienz können die deutsche und die europäische Industrie ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten.

Wir müssen das gegenwärtige Interesse am Rohstoffthema nutzen, um über die klassischen Nullsummenansätze hinauszugehen. Mit neuen innovativen Ideen müssen internationale Partnerschaften aufgebaut werden, die Rohstoffsicherheit und Win-Win-Situationen schaffen. Die aktuellen Diskussionen um eine bevorstehende Rohstoffkrise sollten in besonderem Maße als Möglichkeit wahrgenommen werden, aktiv zu werden. Nur wenn Deutschland im europäischen Geleitzug dafür streitet, dass sich bei uns eine ressourceneffiziente Hightech-Industrie mit geschlossenem Produktionskreislauf entwickelt, können wir unsere Position im hart umkämpften internationalen Wettbewerb halten.

REINHARD BÜTIKOFER ist Grünen-Abgeordneter im Europaparlament und Mitglied des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2011, S. 109-113

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