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01. März 2015

Eine angolanische Dubai-Fantasie

In Luanda zeigen sich die beiden Seiten des Ressourcenreichtums

Der Erdöl-Boom in den vergangenen Jahren hat Luanda verändert: Bauunternehmen aus China, Portugal und Brasilien errichten ein Hochhaus nach dem anderen, die Preise steigen rasant. Aber nur eine kleine Oberschicht und Staatsunternehmen profitieren davon; fünf Millionen Menschen leben in einem riesigen Slum unterhalb der Armutsgrenze.

Es herrscht reger Betrieb, wie immer, an der Bar des Hotels „Presidente“: Trotz des frühen Morgens sind die Barhocker und Sessel in der achten Etage des 20-stöckigen Hochhauses fast alle besetzt. Kellner mit weißen Hemden und schwarzen Fliegen servieren vor allem Geschäftsreisenden Nüsse, Chips und Drinks.
 
Vom Panoramafenster blickt man auf die „Baía de Luanda“, die sich in einem nahezu perfekten Halbkreis dahinziehende Bucht. Auch den Hafen hat man von hier aus im Blick: Er hat wohl seine Kapazitätsgrenze weit überschritten, zumindest nach den vielen Tankern und Frachtern zu urteilen, die draußen vor Anker liegen und darauf warten, einzufahren und entladen zu werden.

Der Blick gleitet zurück ans Ufer: unübersehbar das riesige, 20 Meter hohe Propagandaplakat, das eine Wand des Nachbargebäudes fast vollständig bedeckt. Darauf abgebildet ist das Konterfei von José Eduardo dos Santos, des seit 1979 amtierenden Präsidenten der Republik Angola. Dos Santos ist damit zugleich Regierungschef, Oberkommandierender der Streitkräfte und Führer der allgegenwärtigen MPLA-Partei, einer ehemals doktrinär-marxistischen und inzwischen zum Kapitalismus konvertierten Befreiungsbewegung.
Das „Presidente“ liegt an der bekanntesten Straße der angolanischen Hauptstadt, an einer palmengesäumten Uferpromenade, die im Volksmund „Avenida Marginal“, seit der Unabhängigkeit 1975 aber offiziell „Avenida 4 de Fevereiro“ heißt – benannt nach dem 4. Februar 1961, an dem offiziell der erste Schuss im Befreiungskampf gegen die portugiesischen Kolonialherren fiel.

Warten auf den Einsatz

Der 42-jährige António Joaquim Silva, ein Tiefsee­experte aus Portugal, trinkt an diesem Morgen schon das dritte Tonic-Wasser. Eigentlich sollte er jetzt draußen auf dem Atlantik sein, 150 Kilometer vor der Küste Angolas – auf der „Pazflor“ („Friedensblume“), der größten Ölplattform der Welt. Doch die Öl­firma habe ihn vergessen, erzählt er. Zumindest habe ihn niemand abgeholt, tags zuvor am Flughafen von Luanda. Und jetzt warte er – wie viele andere Gäste – „auf den Anruf der Auftraggeber, auf das ‚Go‘, meinen Job endlich aufnehmen zu können“.

Viele Männer an der Bar kommen wie António Joaquim aus Portugal, aber auch aus Südafrika, Polen, den Philippinen, Frankreich oder Brasilien. Seit Jahren ist Angola ein Magnet für „Expats“. Es hat sich herumgesprochen, dass hier für bestimmte Jobs Spitzenhonorare gezahlt werden; Spezialisten können gut und gern 15 000 Dollar pro Monat und mehr verlangen, plus Spesen. Für dieses Geld nimmt man auch die Wartezeit gern in Kauf – Tage, Wochen, in Einzelfällen Monate –, vor allem wenn diese vom Auftraggeber bezahlt wird. Allein das Hotelzimmer im „Presidente“ kostet 400 Euro pro Nacht. Für angolanische Verhältnisse ist das nicht einmal besonders teuer, allenfalls mittlere Preisklasse. In den meisten Fällen ist „Sonangol“, der staatliche Erdölkonzern Angolas, der Auftraggeber, und bei den Männern an der Bar handelt es sich vor allem um Erdöl- oder Maschinenbauingenieure, die für Spezialaufträge eingeflogen wurden.

Ihre Einsatzorte sind zwei, drei Flugstunden entfernt, auf einer der Offshore-Plattformen im Atlantik. Doch das Sonangol-eigene Flugunternehmen „Sonair“, das für den Transport der Mitarbeiter zuständig ist, hat gerade massive Probleme: Fehlende Hubschrauber, ein Engpass bei den Piloten, technische Probleme und schlechte Wetterbedingungen verzögern die Flüge auf die Ölplattformen. In Angola nennt man das „confusão“. Ein chronisches Problem.

Auch der 30-jährige Moacir Teixeira, ein Werbefachmann aus Brasilien, sitzt an der Bar, jedoch mit einem anderen Problem. Er hatte einen Vorstellungstermin bei der Firma von Tchizé dos Santos, doch der wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Tchizé dos Santos ist eine Tochter des Staatspräsidenten und Mitinhaberin eines überaus mächtigen Marketing- und Medienunternehmens, das unter anderem für die Regierungspropaganda zuständig ist. In São Paulo hat Moacir eine Kampagne für eine amerikanische Fast-Food-Kette mitkonzipiert. Mehrere seiner früheren Kollegen arbeiten inzwischen in Angola und sind zufrieden. Er möchte es ihnen gleich tun. „Hier steckt die Werbebranche noch in den Kinderschuhen. Man kann Pionierarbeit leisten und Kreative wie wir bekommen das für neue Kampagnen erforderliche Geld.“

Tatsächlich stellt die Regierung der Firma von Tchizé dos Santos jährlich rund 23 Millionen Dollar zur Verfügung, um das Image des Präsidenten aufzupolieren – mit CDs, Broschüren, Videos und eben großflächigen Outdoor-Plakaten. Und alles eine Nummer aufwändiger, glänzender und größer als selbst in Brasilien. Kreativen aus dem Ausland werden Monatsgehälter von 10 000 Dollar und mehr in Aussicht gestellt. Das Geld lockt sie nach Angola. Moacir ist optimistisch. Er will so lange im Hotel ausharren, bis er den Vorstellungstermin bekommt: „Wenn es zur Vertragsunterzeichnung kommt, steht mir die Welt offen, mit fantastischen Etats für meine Kampagnen. Bis dahin braucht man Geduld und eine gut gefüllte Brieftasche, um die Drinks an der Bar zu bezahlen.“

Das teuerste Pflaster der Welt

Luanda ist teuer, besonders für Ausländer; in einem internationalen Ranking von „Mercer“ zu den Lebenshaltungskosten für ins Ausland Entsandte landet die Hauptstadt Angolas seit Jahren auf Platz eins.

Die Stadt ist ein Moloch mit einer völlig unterdimensionierten Infrastruktur, ohne ausreichende Wasserversorgung, ohne eine funktionierende Müllabfuhr, mit einem viel zu kleinen Hafen und täglichen Stromausfällen, vor allem an den Rändern der Stadt. Vor diesem Hintergrund klingt es verwunderlich, dass ausgerechnet Luanda die teuerste Stadt der Welt sein soll. „Dafür gibt es eine Erklärung“, sagt Moacir: „Angola produziert fast gar nichts selbst. Fast alle Konsumgüter werden teuer importiert – Chips, Wasser, Bier für die Gäste an den Hotelbars, aber auch Fisch, Bananen, Wasser und Reis für die rund 22 Millionen Angolaner. Und die verdienen lange nicht so viel Geld wie wir.“

An der Hotelbar kursiert so manches Gerücht: Kleine Importeure, heißt es, müssten die Zöllner am Hafen bestechen, damit sie ihre Ladungen überhaupt abfertigen. Es komme vor, dass verderbliche Waren wochenlang nicht entladen werden können, weil die Tanker chinesischer Baufirmen sich Prioritäten erkauft haben. Auch solche Zustände tragen zu den überhöhten Preisen bei.  

Angola produziert nur ein einziges Produkt in Hülle und Fülle: Rohöl. Deshalb ist das Land bei den internationalen Ölkonzernen gefragt. Seitdem 2002 der Bürgerkrieg zwischen der MPLA-Befreiungsbewegung und den UNITA-Rebellen beendet wurde, brummt das Geschäft. Die Produktion ist von 600 000 Barrel täglich im Jahr 2002 auf heute über 1,8 Millionen angestiegen – das entspricht nahezu der Leistung Nigerias, des größten Rohölproduzenten in Afrika.

Die angolanischen Wirtschaftspolitiker haben sich seit der Unabhängigkeit des Landes 1975 auf zwei Bereiche konzentriert. Bis 2002 war es das Geschäft mit dem Krieg. Es ging darum, sich auf dem Weltmarkt, vor allem im Ostblock, mit Kriegsgerät einzudecken. Die Waffen bezahlte man mit Diamanten oder Elfenbein. Nachdem die Rebellen der UNITA besiegt waren, konzentrierte man sich auf den Ausbau der Ölwirtschaft; andere Wirtschaftszweige, zum Beispiel Landwirtschaft oder Fischerei, wurden vernachlässigt. Das Öl sprudelte – und damit die Einnahmen derjenigen, die an der Quelle saßen. Das waren der Präsident, einige Generäle und Parteibonzen. Die Regierung versäumte es allzu bereitwillig, die Wirtschaft zu diversifizieren, denn der Öl-Boom war zu verlockend.

Angola hat zwar den Vorteil, dass die politische Lage im Vergleich zu anderen Ölstaaten Afrikas als sehr stabil gilt – mehr als 35 Jahre ist José Eduardo dos Santos an der Macht. Deshalb sind alle großen Konzerne hierhergekommen: Chevron, BP, Total. Aber trotzdem stellt sich die Frage, ob das Öl Fluch oder Segen für Angola ist. Nur 2 Prozent der Bevölkerung leben direkt oder indirekt vom Öl. Der große Rest wohnt auf dem Land oder in Luandas Armensiedlungen, geht leer aus, leidet unter hohen Miet- und Immobilienpreisen und muss damit zurechtkommen, dass Früchte, Reis und Bohnen so teuer sind wie in Grönland. Für die allermeisten Menschen ist das Öl ein Fluch.

Laut UN-Angaben leben heute fast 35 Prozent der Bevölkerung in „extremer Armut“, also von weniger als einem Dollar am Tag. Dafür kann man sich an der Avenida Marginal gerade mal eine Banane kaufen. Zwar lag dieser Prozentsatz im Jahr 2000 noch bei 54 Prozent; aber eigentlich müsste die Lage wesentlich besser sein, denn das Land ist seither deutlich gewachsen: Das Bruttoinlandsprodukt hat sich laut Angaben der Weltbank von 660 Dollar pro Kopf 2000 auf fast 6000 Dollar im Jahr 2013 fast verzehnfacht. Während die Armen also kaum gewonnen haben, werden die Reichen immer reicher.

Propaganda an allen Ecken

Bei der Fahrt mit dem Geländewagen durch die chronisch verstopfte Hauptstadt drängen sich Porsche Cayennes, Landrovers und Toyota-Geländewagen Stoßstange an Stoßstange durch Straßen, die zumeist noch im Bau sind. Chinesische, portugiesische und brasilianische Baufirmen haben in den vergangenen Jahren lukrative Bauaufträge ergattert.

Die Fahrt führt vorbei an weiteren ungewöhnlich großflächigen Propagandaplakaten, die an allen wichtigen Verkehrsknotenpunkten angebracht wurden. „Mais energia eléctrica para todos“ (Mehr Strom für alle) und „Construindo uma Angola Próspera e Solidária“ (Wir bauen ein wohlhabendes und solidarisches Angola auf) steht da in großen Lettern. Dazu Fotos von neuen Kraftwerken oder Stauseen.

Wir sind unterwegs mit dem Menschenrechtsaktivisten Rafael Marques, dem Mann, der in seinem Blog „Maka Angola“ immer wieder über Korrup­tion und Misswirtschaft schreibt. „Viele der Projekte auf den Fotos sind noch gar nicht eingeweiht worden, einige sind noch nicht einmal im Bau. Das ist typisch für das in Angola herrschende Regime: Es vereint das Schlimmste der Planwirtschaft mit dem Schlimmsten des Raubtierkapitalismus. Wenn die Propaganda nicht mit der Realität übereinstimmt, dann ändert die Regierung einfach die Realität. Unser Land ist sehr reich, aber die meisten Angolaner leben unter der Armutsgrenze.“

Bereits nach wenigen Kilometern Fahrt verwandelt sich die Stadt, die zu Kolonialzeiten für 500 000 Einwohner konzipiert wurde, in einen riesigen Slum für fünf Millionen Menschen. Rafael Marques sagt: „Entgegen der Propaganda auf den Plakaten und in den staatlichen Medien wurde in den vergangenen Jahren zu wenig in die Infrastruktur investiert. Wohnungen, Schulen, Krankenhäuser, Trinkwasser oder Strom wurden den Menschen nie zur Verfügung gestellt. Im Gegenteil: Der Strom fällt ständig aus, und die Armen sitzen im Dunkeln, denn sie können sich keine Stromaggregate oder Generatoren leisten.“

Erdrückende Korruption

Immer wieder wird die Regierung international kritisiert – wegen Vetternwirtschaft, Korruption und mangelnder Transparenz. Was ist mit rund 32 Milliarden Dollar passiert, die der staatliche Mineralölkonzern „Sonangol“ zwischen 2007 und 2011 eingenommen hat? Nach einem Bericht des Internationalen Währungsfonds fehlt diese gigantische Summe in den öffentlichen Bilanzen. Das Geld sei für Infrastrukturprojekte ausgegeben worden, sagt die Regierung. Für ­welche Projekte genau, verschweigt sie jedoch.

„Die Korruption ist erdrückend. Wie kann es sein, dass eine der Töchter des Präsidenten, Isabel dos Santos, zur reichsten Frau Afrikas und einer der reichsten Unternehmerinnen weltweit aufstieg?“, fragt Rafael Marques. In den vergangenen Jahren hat Isabel dos Santos, die ältere Halbschwester von Tchizé dos Santos, ihre Beteiligungen an angolanischen und portugiesischen Unternehmen kräftig aufgestockt. So ist sie Hauptaktionärin mehrerer Banken, der Telefongesellschaft Unitel sowie des größten portugiesischen Kabelfernsehanbieters. Allein diese Beteiligungen sollen mehr als eine Milliarde Dollar wert sein. Unbestätigt ist die Behauptung, dass die vier Kinder des Präsidenten – Isabel, Tchizé, Coreon-Dú und Zenu – zusammen 30 Prozent des gesamten Vermögens in Angola besitzen.

„Jahrelang sprudelten die Rohöleinnahmen, aber man hat es versäumt, die breite Bevölkerung an dem Reichtum zu beteiligen. Die Abhängigkeit vom Erdöl ist himmelschreiend. Mehr als 95 Prozent der Exporterlöse Angolas basieren auf dem Erdöl. Und das rächt sich jetzt“, sagt Rafael Marques.

Subventionen werden gekürzt

Für den Staatshaushalt 2015 wurde ein durchschnittlicher Erdölpreis von 81 Dollar pro Barrel zugrunde gelegt. Das wären Staatseinnahmen von über 72 Milliarden Dollar. Doch es kam anders: Der Preisverfall des Rohöls auf dem Weltmarkt reduzierte das Bruttosozialprodukt Angolas bereits 2014 um ein Drittel. Für 2015 rechnet man jetzt – sehr optimistisch geschätzt – mit 30 Milliarden Dollar weniger Öleinnahmen als veranschlagt.

Darauf hat Präsident dos Santos bereits reagiert – mit der Folge, dass die Spritpreise im Lande um 20 Prozent stiegen. Aber warum erhöhen sich beim zweitgrößten Rohölexporteur Afrikas die Benzinpreise, wenn doch die Rohölpreise auf dem Weltmarkt sinken?
Die scheinbar widersinnige Entwicklung hat folgenden Hintergrund: Mehr als 80 Prozent des Sprits in Angola werden aus Ländern wie Südafrika, Portugal oder Gabun importiert. Denn Angola besitzt bislang nur eine einzige Raffinerie. Die Spritpreise wurden jahrelang durch Subventionen niedrig gehalten – zum Vorteil der Besitzer großer Geländewagen und anderer Luxuskarossen, aber auch der Hoteliers, die mit dem verbilligten Diesel ihre Notstromaggregate betreiben. Die Subventionierung der Spritpreise kostet den angolanischen Staat jährlich 3,5 Milliarden Dollar, circa 3,7 Prozent des gesamten Bruttosozialprodukts. Diese Subventionen wurden nun gekürzt.

Nur 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden indes für die Gesundheitsversorgung ausgegeben: „Angola hat noch immer eine der höchsten Säuglingssterberaten der Welt, mehr als 80 von 1000 Kindern erreichen nicht das fünfte Lebensjahr; schlimmer ist es nur in Sierra Leone, Somalia und einigen anderen Bürgerkriegsländern“, so Rafael Marques.

Die Krise als Chance?

Auf der „Ilha“, einer Landzunge mit Strand in Sichtweite des Hotels „Presidente“, schwelgt die angolanische Elite im Luxus. Orlando Ferraz hat es sich gemütlich gemacht, auf einem Liegestuhl im „Clube Náutico“, mit Blick auf den Yachthafen. Ferraz ist einer jener Angolaner, der die Lage seines Landes differenziert betrachtet: „Es klingt wie eine Binsenweisheit, aber die Erdölpreis-Krise kann eine große Chance für unser Land sein, ein Anlass für unsere Regierung, endlich der institutionalisierten Korruption den Kampf anzusagen, der Verschwendung öffentlicher Mittel Einhalt zu gebieten und die Wirtschaft zu diversifizieren.“

Orlando Ferraz ist Berater von Provinzregierungen in Angola und Politikdozent an einer Privatuniversität in Luanda. Ende der achtziger Jahre hatte er – mitten im Bürgerkrieg – seiner Heimat den Rücken gekehrt, voller Frust über den zerstörerischen Bruderkrieg und zermürbt vom starren Einparteiensystem. Über Umwege gelangte er nach Westdeutschland. An der Universität Bonn studierte er Politikwissenschaften. Zwei Jahre nach dem Friedensvertrag von 2002 ging der Politologe mit großem Optimismus nach Angola zurück, um beim Wiederaufbau seiner Heimat mitzuwirken.

Heute sagt Ferraz: „Angola ist ein reiches Land. Wir haben nicht nur Erdöl. Wir haben auch Diamanten, Gold, verschiedene Erze, dazu ein großes Entwicklungspotenzial im industriellen und vor allem landwirtschaftlichen Sektor. Auch die Fischerei hat so manche Geschäftschance zu bieten. Angolas Ölrausch ist nicht vorbei, er macht nur eine kurze Pause.“ Ferraz ist auch Unternehmensberater. Seinen Kunden rät er, jetzt erst recht in Angola zu investieren – kontrazyklisch sozusagen: „Jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt.“

Ein Magnet für Expats aus Portugal

Am späten Nachmittag im achten Stock des „Presidente“: António Joaquim, der Tiefseeexperte aus Portugal, hat inzwischen Nachrichten von seinem Auftraggeber: „Morgen früh um sechs soll es losgehen. Um acht könnte ich schon auf der Pazflor sein.“ Bei einem Gin Tonic erzählt António Joaquim aus seinem Privatleben: Er habe Familie – eine Frau und einen Sohn. Sie lebten in Porto. Geboren sei er aber in Angola. Und zwar, noch zu Kolonialzeiten, in der südangolanischen Stadt Namibe, die damals „Mocâmedes“ hieß. Im Jahr der Unabhängigkeit vor 40 Jahren haben seine Eltern, ein Lehrerehepaar, mit ihm das Land Hals über Kopf verlassen. Damals sei er gerade mal zwei Jahre alt gewesen. Viele weiße Familien hatten damals – in den Wirren der Unabhängigkeit – Angst um ihre Sicherheit und kehrten dem Land den Rücken.

„Meine Eltern haben die Geschichte nicht so gut verkraftet. Sie wollen nie wieder hierher kommen. Ich aber freue mich immer sehr darüber, dass es mich beruflich zurück nach Angola verschlagen hat.“ Er verdiene nicht schlecht, wie viele portugiesische Expats. Inzwischen sollen wieder an die 200 000 Portugiesen in Angola leben. Die gemeinsame Sprache, die intensiven wirtschaftlichen Verbindungen und die hohe Arbeitslosigkeit im ehemaligen Mutterland Portugal haben viele Portugiesen dazu bewegt, ihr Glück in Angola zu versuchen.

Die Unabhängigkeit wurde am 11. November 1975 von der MPLA ausgerufen. In Portugal hatten sich kurz zuvor linke Militärs an die Macht geputscht, kurzerhand den Krieg gegen die Befreiungsbewegungen in Afrika für beendet erklärt und die Kolonien überstürzt in die Unabhängigkeit entlassen. Die MPLA suchte und fand Alliierte in Kuba und im europäischen Ostblock. Sie errichtete ein Ein-Parteien-Regime nach sowjetischem Vorbild, obwohl auch andere Befreiungsbewegungen gegen die Kolonialherrschaft gekämpft hatten. Das Ergebnis: wirtschaftlicher Niedergang, Chaos, Bürgerkrieg. „Erst nach einer Million Toten und der völligen Zerstörung des Landes konnte es wieder bergauf gehen mit Angola. Notwendig war dazu auch der Fall der Berliner Mauer und der Zusammenbruch des Sowjetimperiums“, fasst António Joaquim zusammen.

Im vergangenen Jahrzehnt hat sich Angola rasant verändert. Die Avenida 4 de Fevereiro ist längst keine Kolonialkulisse mehr. Sie verwandelt sich immer mehr in eine angolanische Dubai-Fantasie. Noch vor ein paar Jahren gab es nur ein einziges Hochhaus an der Avenida: das „Presidente“. Jetzt sind viele andere Hochhäuser dazugekommen, vor allem repräsentative Hauptsitze angolanischer Staatsunternehmen: von Banken, von der Diamantengesellschaft, von „Sonangol“. „Sonangol“ ist nicht nur das staatliche Erdölunternehmen, sondern viel mehr: ein Staat im Staate. Unzählige Unterfirmen gehören inzwischen zur Sonangol-Gruppe: „Sonangol finance“, „Sonangol shipping“, „Sonangol imobilíaria“, „Sonagás“. Der Staatskonzern hält Beteiligungen an ausländischen Firmen, vor allem in Portugal, aber auch in den USA, in Hongkong, Singapur oder im Irak.

„Angola ist reich an allen möglichen Rohstoffen“, schwärmt António Joaquim, während er an der Bar sitzt. „Doch das Faszinierendste an Angola ist die kulturelle Vielfalt, die Menschen, das Lebensgefühl. Das setzt Adrenalin frei. Es ist schwer zu beschreiben, aber wenn man dieses Gefühl spürt, dann lässt es einen nicht mehr los.“

Der Abend naht und damit das allabendliche Spektakel: Das Haupt­gebäude von „Sonangol“ leuchtet in allen Farben: rot, gold, blau, grün, orange. Es ist eine ultramoderne, in China konzipierte Lichtshow auf der Fassade des futuristischen Bürohochhauses. Immer wieder baut sich das Logo des Staatskonzerns in riesigen Lettern auf und ab in einer psychedelischen Endlosschleife. Son-An-Gol. „Darauf einen Gin Tonic“, sagt einer der Gäste an der Bar im achten Stock des „Presidente“.

António Cascais arbeitet als Journalist für Rundfunk und Fernsehen, vor allem zu Themen der portugiesischsprachigen Welt.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2015, S. 110-117

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