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01. Juli 2009

Ein Volk hinter Stacheldraht

Der Konflikt in Sri Lanka

Formal ist der Bürgerkrieg zwischen Regierung und der Rebellenorganisation LTTE auf Sri Lanka beendet. Grund zum Aufatmen? Kaum. So interniert Colombo derzeit fast die gesamte tamilische Bevölkerung des Nordens in primitiven Lagern. Eine Praxis, die an die Roten Khmer erinnert und die internationale Gemeinschaft auf den Plan rufen sollte.

Nur die Hunde bellen zwischen den lang gestreckten, halb verfallenen Baracken, aus deren Türöffnungen verstört wirkende Menschen ins Nichts starren. Kinder stochern mit Ästen und Fahrradspeichen im feuchten Sandboden; alte Frauen flicken mit fahrigen Bewegungen mürbe Saris – vertriebene Tamilen im Dschungel außerhalb Vavuniyas im Norden Sri Lankas; Treibgut des Bürgerkriegs zwischen singhalesischen Regierungstruppen und Kämpfern der tamilischen Rebellenorganisation LTTE. „Einmal ging wenige Meter von mir entfernt ein Sprengkörper hoch, der mehrere Menschen zerfetzte“, erzählt ein junger Mann leise. Über Schüsse auf mit Menschen vollgepfropfte Tempel und Schulen berichtet er; über Krankenhäuser, die von Regierungstruppen bombardiert wurden.

All das habe jetzt ein Ende, sagt Sri Lankas Präsident Mahinda Rajapakse im Fernsehen und lässt das Ende des 26-jährigen Bürgerkriegs feiern, der bislang 100 000 Menschen das Leben kostete. Tatsächlich hat die Armee die konventionell kämpfenden Truppen der LTTE besiegt und deren Führer Prabhakaran erschossen. Jetzt sei die Zeit der Versöhnung gekommen, sagt der Präsident. Ziel des Krieges sei gewesen, das tamilische Volk aus den Klauen der LTTE zu befreien. Nun warte auf die Tamilen ein Leben als gleichberechtigte Bürger.

Tiefe Wunden

Salbungsvolle Worte vor dem Hintergrund einer Geschichte, die tiefe Wunden auf beiden Seiten geschlagen hat.Sri Lanka ist eigentlich ein Paradies aus weißen Stränden und Jahrtausende alten Ruinenstädten, aus fruchtbaren Böden und einer faszinierenden Bergwelt. Seit über zwei Jahrtausenden leben hier aus Indien stammende Singhalesen und Tamilen gemeinsam mit später zugewanderten Muslimen und Abkömmlingen tamilischer Tee-arbeiter. Die im Norden und Osten siedelnden Jaffna-Tamilen, von denen die Rebellion ausging, stellen zwölf Prozent der Bevölkerung, die zumeist buddhistischen Singhalesen 74 Prozent.

Die Saat für den ethnischen Konflikt legte die britische Kolonialverwaltung, die die meisten Jobs mit Tamilen besetzte – zum Verdruss der Singhalesen, die nach dem Abzug der Briten 1948 die Diskriminierung umkehrten: 1956 erklärte Staatschef Bandaranaike Singhalesisch zur alleinigen Amtssprache, 1972 seine Witwe und Nachfolgerin den Buddhismus zur Staatsreligion. Der Zugang von Tamilen zu den Hochschulen wurde drastisch erschwert, in den Staatsdienst kamen fast nur noch Singhalesen.

Aus der Diskriminierung zogen einige junge Tamilen die für sie logische Konsequenz: Sie entschieden sich für den Separatismus. 1975 gründete der damals 20-jährige Bauernsohn Velupillai Prabhakaran die „Befreiungstiger von Tamil Eelam“, LTTE. Ihr Ziel: ein unabhängiger Staat der Jaffna-Tamilen im Norden und Osten Sri Lankas. Neben der offenen Feldschlacht setzten die „Tamil Tigers“ den Terror als Waffe ein. Für Geld und Ausrüstung sorgten Tamilen in der deutschen, französischen oder kanadischen Diaspora. Im Laufe des Krieges wurden Hunderttausende im Norden lebender Tamilen immer wieder vertrieben, ihre Reisfelder, Kokosplantagen und Bewässerungsanlagen zerstört; ebenso Straßen, Bahngleise, Telefon- und Stromleitungen. Und Sri Lanka ist wegen des Krieges, trotz ausreichender Ressourcen und einer gut ausgebildeten Bevölkerung, wirtschaftlich zurückgefallen hinter Länder wie Thailand und Malaysia, denen es vor 30 Jahren voraus war.

Immer wieder gab es von der internationalen Gemeinschaft initiierte Friedensverhandlungen, zuletzt von 2002 bis 2005. Unnachgiebigkeit auf beiden Seiten brachte die Verhandlungen zum Erliegen; 2005 kam eine singhalesisch-nationalistisch dominierte Regierung an die Macht, die den Waffenstillstand kündigte und immer mehr vom Territorium der „Tamil Tigers“ eroberte, die zuvor den größeren Teil des Nordens und einen kleineren des Ostens kontrolliert hatten. Die LTTE reagierte mit Terroranschlägen auf Touristenziele und den Flughafen von Colombo.

Der Krieg habe die singhalesische Gesellschaft in die Schizophrenie getrieben, sagt Jehan Perera, Chef des Nationalen Friedensrats, einer Initiative, die den Konflikt erforscht. Privat verhielten sich die Singhalesen einfühlsam und kultiviert; politisch aber seien sie erschreckend brutalisiert und abgestumpft. Auch anderen Beobachtern erscheint Sri Lankas Demokratie zu einer Militärherrschaft unter gewählten Führern degeneriert. Fast 1000 Menschenrechtler, Journalisten und Studenten sind in den letzten zwei Jahren verschwunden; über 2000 sitzen ohne Anklage im Gefängnis; viele werden gefoltert. Kaum ein Singhalese scheint sich darüber aufzuregen.

„Um die Unnachgiebigkeit der Singhalesen gegenüber den Tamilen zu verstehen, muss man sehen, wie tief verunsichert die Singhalesen sind“, sagt Perera. Die Wurzeln dafür fänden sich im „Mahavamsa“, einem vor 1500 Jahren von buddhistischen Mönchen verfassten Geschichtswerk, das bis heute als Basis der eigenen Identität verstanden wird. Nach dem „Mahavamsa“ kamen immer, wenn auf der Insel singhalesische Königreiche aufblühten, tamilische Invasoren aus Südindien und zerstörten die Reiche. „Die Singhalesen verstehen sich deshalb bis heute als belagerte Minderheit im südindischen Raum. Dieser Komplex, ein von der Ausrottung bedrohtes Volk zu sein, veranlasst sie, um keinen Preis nachzugeben gegenüber den Tamilen.“

Und so interniert Sri Lankas Regierung derzeit fast die gesamte tamilische Bevölkerung des Nordens in an Konzentrationslager erinnernde Camps, umgeben von Stacheldraht, bewacht von Soldaten mit Maschinenpistolen. „In Zelten für vier Personen sind bis zu zehn, oft stark traumatisierte Menschen untergebracht“, berichtet Dirk Altweck von der Deutschen Welthungerhilfe, deren Mitarbeiter seit Jahren – unter hohem persönlichen Risiko – Bürgerkriegsopfer in Sri Lanka unterstützen. Unter den rund 300 000 Insassen der 40 Dschungelcamps gibt es, so das Rote Kreuz, bereits Tausende Fälle von Hepatitis, Typhus, Ruhr und Mangelernährung. Schuss- und Splitterwunden werden unzureichend oder gar nicht behandelt. Viele Menschen sterben; dennoch blockiert Colombo immer wieder Nahrungsmittel-, Kleider- und Wasserlieferungen von Hilfsorganisationen.

Aus ihren Motiven macht die Regierung kein Geheimnis: Sie verdächtigt die tamilische Bevölkerung – und auch ausländische Helfer – pauschal, mit der LTTE zu sympathisieren. Spezialisten des Militärs unterziehen deshalb sämtliche Tamilen intensiver Verhöre – auch Jugendliche, Frauen und Alte. Unabhängige Beobachter sind dabei nicht zugelassen, viele Verhörte sind verschwunden. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen fürchten, dass sie ermordet wurden.

Die zutage tretende Absicht der Regierung, Hunderttausende unbeteiligter Bürger über Jahre und unter schlimmsten Bedingungen in Lagern festzuhalten, erinnert an das Regime der Roten Khmer in Kambodscha. Wie jenes Regime begehe Sri Lankas Regierung damit Völkermord, sagen renommierte Juristen wie Francis Boyle, Professor für internationales Recht an der Universität von Illinois. Tatsächlich definiert Artikel 2 der UN-Konvention über die Bekämpfung des Völkermords als Völkermord unter anderem „die vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für eine ethnische Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen“.

Gegen den gemäß dieser Definition in Sri Lanka stattfindenden Völkermord müssten die Unterzeichnerstaaten der Konvention eigentlich vorgehen und die Schuldigen der Bestrafung zuführen, fordern Kritiker. Von entsprechenden Aktivitäten der deutschen oder anderer Regierungen ist indes bislang nichts bekannt. Und so werden die Tamilen weiter gefangen bleiben, meint Jehan Perera. „Rajapakse will auf jeden Fall verhindern, dass sich als Zivilisten getarnte LTTE-Kader irgendwo im Lande neu formieren.“ Kommen Tamilen tatsächlich irgendwann frei, dann werden sie in der Regel nicht dort leben dürfen, wo früher ihr Haus stand. „Wenn die Regierung den Norden neu besiedelt, wird sie dabei strengste Sicherheitskriterien anlegen. Sicherheitsexperten werden entscheiden, wo wieder Tamilen leben dürfen, wo Straßen und wie Häuser gebaut werden. Überall, wo viele Tamilen leben, wird es starke militärische Präsenz geben.“

Auch politische Zugeständnisse an die Tamilen wird es kaum geben, meinen fast alle Beobachter, allenfalls ein wenig kulturelle Autonomie. Politische Autonomie jedoch, das Hauptanliegen der Tamilen, will und kann die singhalesische Regierung den Tamilen nicht gewähren. Dazu ist sie zu sehr Gefangene jener singhalesisch-nationalistischen Ideologie, mit der sie den Krieg gegen die LTTE geführt hat.

Ein wenig Selbstverwaltung dürften die Tamilen des Nordens erhalten – dann allerdings wohl unter Politikern vom Schlage Pillayans. Der kleine, stämmige Mann mit dem runden, um würdigen Ausdruck bemühten Gesicht versinkt fast im Sessel hinter seinem riesigen Schreibtisch. Pillayan (ein Kampfname) war Kindersoldat der „Tamil Tigers“; heute residiert er als Chefminister von Sri Lankas Ostprovinz in deren Hauptstadt Trincomalee. So wurde er von Colombo dafür belohnt, dass er und die ganze „Tiger“-Führung im Osten sich 2004 von der LTTE abspalteten und der Armee halfen, den Osten zu erobern.

Pillayan schwadroniert davon, dass er Reisanbau, Rinderhaltung und Fischerei in der Ostprovinz zu neuen Höhen führen will. Trincomalees Naturhafen will er ausbauen; im Rahmen eines von Colombo finanzierten Entwicklungsplans sollen Investoren neue Fabriken bauen. Tatsächlich, klagen die Bewohner, lebten die zahlenmäßig etwa gleich starken Tamilen, Muslime und Singhalesen hier in tiefem Misstrauen gegeneinander; paramilitärische Trupps der lokalen Regierungspartei terrorisierten die Bevölkerung. Hinter Pillayans Plan stehe die Absicht der Zentralregierung, möglichst viele Singhalesen in die Region zu locken, den Osten also singhalesisch zu kolonisieren.

Einige Beobachter hoffen, dass im Norden eine stärkere tamilische Persönlichkeit eine Schlüsselposition erhält, etwa der Exrebell und Sozialminister Douglas Devananda. Devananda könne noch am ehesten aus dem Schatten seiner singhalesischen Herren heraustreten und sich für ein erträglicheres Leben der Tamilen engagieren. Vermutlich aber nimmt eine verhängnisvolle Entwicklung weiter ihren Lauf: Die singhalesische Regierung unterdrückt die Tamilen; diese bauen, sobald sie sich vom Schock der militärischen Niederlage erholt haben, neuen Widerstand auf – finanziert aus der Diaspora, die für die LTTE zuletzt 25 Millionen Euro jährlich aufbrachte. Frieden zwischen tamilischem und singhalesischem Nationalismus können Waffen nicht erzwingen; da sind sich alle Beobachter einig. Dauerhaften Frieden in Sri Lanka erreichen nur politische Gespräche auf Augenhöhe.

Solchen Gesprächen versuchte die internationale Gemeinschaft immer wieder den Weg zu ebnen – mit bedrückenden Resultaten. 1987 verbrannte sich Indien die Finger, als es in Sri Lanka intervenierte. Fortan hielten sich die Inder zurück. Ab 2001 schufen vor allem norwegische und deutsche Vermittler auf der Insel eine Art Friedensindustrie mit Workshops, auf denen immer dieselben Experten sprachen; Friedensarbeiter wurden auf die Dörfer geschickt, um mit der verdutzten Bevölkerung Versöhnung zu üben; eine Geberkonferenz im Jahr 2003 versprach den Sri-Lankern vier Milliarden Dollar Aufbauhilfe, wenn sie denn Frieden schlössen.

Vergeblich. 2006 setzten sich bei Singhalesen wie Tamilen die Scharfmacher durch. Und der Westen verkroch sich im Schmollwinkel: Er verbot die LTTE als „Terrororganisation“, strich Sri Lanka die Entwicklungshilfe und beraubte sich so jeden Einflusses – sehr zur Freude der Chinesen, die flugs zum wichtigsten militärischen und wirtschaftlichen Partner Colombos avancierten. Allein 2008 griff China Sri Lanka mit einer Milliarde Dollar unter die Arme; an der Südspitze der Insel bauen Chinesen einen neuen Hafen; zur Lösung des ethnischen Konflikts allerdings dürfte das wirtschaftlich und strategisch motivierte Engagement Chinas wenig beitragen.

Unterm Strich habe die internationale Gemeinschaft bislang völlig versagt beim so genannten Konfliktmanagement in Sri Lanka, resümieren sowohl Regierungsanhänger als auch kritische Vertreter der Zivilgesellschaft. Im Bürgerkrieg begangene Verbrechen gegen die Menschlichkeit werde die Weltgemeinschaft schon deshalb nicht ahnden, weil China im UN-Sicherheitsrat seine schützende Hand über Sri Lanka hält. Dennoch, sagt Jehan Perera, gebe es keine Alternative dazu, die Gemeinschaft der Staaten in die Pflicht zu nehmen. „Es ist extrem wichtig, dass die internationale Gemeinschaft interessiert bleibt an Sri Lanka und insbesondere am Schicksal der Tamilen. Zumindest vorläufig kann nur sie sicherstellen, dass die Tamilen ein Minimum an Rechten behalten.“

THOMAS KRUCHEM arbeitet vor allem für den deutschsprachigen Hörfunk zu Entwicklungspolitik, Verbraucherschutz und gesellschaftlichen Randgruppen.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 7/8, Juli/August 2009, S. 70 - 75.

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