Unterm Radar

02. Jan. 2023

Ein Vertrag für die Hohe See

Die Staatengemeinschaft verhandelt seit Jahren über ein Abkommen, das mehr als die Hälfte der Erdoberfläche abdecken und Regeln für den Schutz und die nachhal­tige Nutzung der biologischen Vielfalt der Meere festlegen soll. Mit Erfolg?

 

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Bild: Ein Schwarm Rochen vor Mexiko
Um jenseits der nationalen Gerichtsbarkeit die biologische Vielfalt zu erhalten, ist vor allem gebietsbezogenes Management von Bedeutung: Meeresschutzgebiet Yum Balam, Quintana Roo, Mexiko.
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Vom 20. Februar bis 3. März sollen im UN-Hauptquartier in New York Vertreter der Weltgemeinschaft ein globales Abkommen aushandeln, in dessen Mittelpunkt der Schutz und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt der Meere in Gebieten außerhalb der natio­nalen Gerichtsbarkeit stehen.
Als sechste formelle Verhandlungsrunde wird diese nach Ansicht vieler Beteiligter die abschließende sein. Die offiziellen Verhandlungen begannen 2018, wobei bereits seit über 15 Jahren vorbereitende Treffen stattgefunden haben. Die letzte Verhandlungsrunde fand im August 2022 statt, und obgleich erhebliche Fortschritte erzielt werden konnten, endete das Treffen nach zwei intensiven Arbeitswochen mit mehreren ­offenen Fragen.

Das geplante Hohe-See-Abkommen soll für fast 60 Prozent der Erdoberfläche gelten. Meeresregionen außerhalb der nationalen Hoheitsgebiete unterliegen gesonderten ­rechtlichen ­Auflagen. Denn außerhalb dieser nationalen Zonen haben alle Länder die Möglichkeit, von den Ressourcen in diesen Meeres­gebieten zu profitieren – aber sie sind auch gemeinsam für die Bewältigung von Umweltproblemen wie Überfischung, Verschmutzung und Klimawandel verantwortlich.


Das vor 30 Jahren verhandelte Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) legt allgemeine Regeln und die Rechtsgrundlage für die Verwaltung der Ozeanräume fest. Es befasst sich jedoch nicht weitergehend mit dem Schutz und der nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt und lässt viele Lücken bei der Verwaltung dieser Gebiete. Mit dem künftigen Hohe-See-­Abkommen soll die Schaffung eines integrierten Ansatzes in der internationalen Meerespolitik vorangebracht werden, um rechtliche Zuständigkeiten und sektorale Verantwortlichkeiten zu klären.


Das Abkommen und die Verhandlungen konzentrieren sich vor allem auf vier Themenbereiche: 1. genetische Meeresressourcen, 2. Maßnahmen wie gebietsbezogene Management­instrumente einschließlich der Einrichtung geschützter Meeresgebiete, 3. Umweltverträglichkeitsprüfungen sowie 4. der Aufbau von Kapazitäten und den Transfer von Meerestechnologie. Ein weiterer Schwerpunkt der Verhandlungen sind Fragen wie institutionelle Vereinbarungen, Abstimmungsregeln und ­die ­Finanzierung der Umsetzung des künftigen Abkommens.


Nutzung von Ressourcen

Ein schwieriges Thema in allen Verhandlungsrunden ist die Nutzung der genetischen Meeresressourcen; dazu gehört zum Beispiel das Erbgut der Meerespflanzen, -tiere und anderer Organismen. Diese Ressourcen, die unter anderem in Arzneimitteln oder Kosmetika verwendet werden, sind von enormer ­Bedeutung.


Die größte Herausforderung ist die Aufteilung der finanziellen Erträge dieser Meeresressourcen. Die Staaten des Globalen Südens vertreten die Ansicht, dass sie ein „gemeinsames Erbe der Menschheit“ sind und die Vorteile ihrer Nutzung gerecht auf alle Länder verteilt werden sollen. Sie fordern, dass dieser Grundsatz im Abkommen ver­ankert wird.


Die Länder, die in erster Linie für die Ausbeutung, Entwicklung und Wertschöpfung dieser Ressourcen verantwortlich sind, vertreten hingegen die Ansicht, dass der Nutzen zwar geteilt werden sollte, dass er sich aber auf den Wissens- und Informationsaustausch konzentrieren sollte.
Bei den Verhandlungen im August wurden schließlich auch Ideen wie eine Pauschalgebühr oder eine Art Lizenzgebühr diskutiert. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieses Thema auch in der nächsten Verhandlungsrunde eine der größten Herausforderungen bleiben wird.


Mehr Meeresschutzgebiete

Für den Erhalt der biologischen Vielfalt in Gebieten jenseits der nationalen Gerichtsbarkeit ist vor allem gebietsbezogenes Management von Bedeutung, zum Beispiel die Einrichtung von Meeresschutzgebieten. Dies wird ausdrücklich von Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft und von Umwelt-NGOs unterstützt. Zuletzt wurden bedeutende Fortschritte erzielt, unter anderem bei der Vorbereitung und Überprüfung neuer Vorschläge und bei den Abstimmungsregeln, die sicherstellen, dass einzelne Staaten die Entscheidungsfindung nicht aktiv behindern können.
Ein kritischer Punkt bleibt jedoch bestehen: das Verhältnis des künftigen Abkommens und seiner Umsetzung zu bestehenden Regelungen und Gremien (zum Beispiel für die Fischerei oder Tiefseemineralien) mit einem Mandat in Bereichen außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit. Einige Staaten vertreten die Auffassung, dass der künftige Hohe-See-Vertrag die bestehenden Regelungen nicht untergraben darf; andere schlagen vor, dass die Bewirtschaftungsmaßnahmen die bestehenden Regelungen ergänzen oder mit ihnen vereinbar sein sollen.


Umweltrisiken begrenzen

Der dritte Themenbereich der Verhandlungen sind Umweltverträglichkeitsprüfungen. Mit ihnen soll sichergestellt werden, dass geplante Aktivitäten ­anhand vereinbarter Umweltkrite­rien und Schwellenwerte bewertet werden. Derzeit ­drehen sich die Diskussionen um zwei Hauptfragen: Sollen auch Aktivitäten, die sich möglicherweise auf die biologische Vielfalt in Gebieten außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit auswirken, bewertet werden oder nur jene Aktivitäten, die dort wirklich stattfinden? Und zweitens, welche Rolle spielen die im Rahmen des Abkommens einzurichtende Konferenz der Vertragsparteien (COP) sowie wissenschaftliche Gremien bei der Überprüfung der von den nationalen Behörden vorgelegten Bewertungen? Die großen Meeresnutzer, vor allem die Länder aus dem Globalen Norden, wollen den Umfang der Bewertungen begrenzen, um mögliche zukünftige Anforderungen zu reduzieren. Die Staaten des Globalen Südens hingegen befürchten, dass die Gutachten zu schwach sein werden und keinen angemessenen Schutz vor Umweltrisiken bieten.


Beim vierten Punkt, dem Kapazitätsaufbau und Technologietransfer, sind sich die Verhandlungsführer überwiegend einig. Insbesondere Staaten des Globalen Südens fordern ehrgeizigere Verpflichtungen: Sie wollen, dass eine Liste von Initiativen zum Kapazitätsaufbau und Technologietransfer in das Abkommen aufgenommen wird.


Deutsches Engagement

Deutschland zeigt großen Ehrgeiz, eine Führungsrolle in der Ozeanpolitik zu übernehmen. Als Mitglied der High Ambition Coalition zum Schutz der biologischen Vielfalt der Meere, der die 27 EU-Staaten sowie weitere 23 Länder angehören, kündigte Deutschland während des One Ocean Summit in Frankreich im Februar 2022 eine „Meeresoffensive“ an. Die Ankündigung verpflichtet Deutschland zum Schutz der Ozeane und zu internationalen Lösungen.


Deutschland hat außerdem seinen ersten Meeresbeauftragten ernannt: Sebastian Unger, seit September 2022 im Bundesumweltministerium angesiedelt, soll Deutschland in Fragen des Meeresschutzes koordinieren und vertreten. Auf die laufenden Hohe-See-Verhandlungen angesprochen, sagte Unger: „Das künftige Abkommen bietet die historische Chance, einen integrierten Rechtsrahmen für die Hohe See zu entwickeln, der sowohl den Schutz als auch die nachhaltige Nutzung der Meere vereint.“


Aufbauend auf den Impulsen, die von der deutschen G7-Präsidentschaft 2022 und der UN-Ozean­konferenz in Lissabon im Juni 2022 ausgingen, forderte Deutschland bei dem Treffen der Internationalen Meeresboden­behörde im Oktober eine „vorsorgliche Pause“ für den Tiefseebergbau in Gebieten außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit. Dies ist ein starkes Signal von Deutschland, das sich nun einer kleinen, aber stetig wachsenden Gruppe von Ländern anschließt, die eine Pause oder einen vollständigen Stopp dieser Aktivitäten fordern, bis sichergestellt ist, dass potenzielle Risiken für die Meeresumwelt vermieden oder zumindest deutlich reduziert werden können.


Ein Meilenstein, und dann?

Ein erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen in New York wäre ein Meilenstein für den Schutz der Ozeane. Aber die Phase der Umsetzung muss danach auch zügig beginnen. Dazu müssen die Staaten das Abkommen möglichst schnell ratifizieren und in nationales Recht überführen. Erst dann können die weitere Umsetzung und die Klärung der noch offenen Fragen aus den ­Verhandlungen beginnen.


Deutschland und die Europäische Union haben die Chance, eine wichtige Rolle als ehrgeizige Vorreiter beim Schutz der Meere zu übernehmen. Das Abkommen über die Hohe See bietet eine historische Gelegenheit, mehr als die Hälfte der Erdoberfläche zu schützen und nach­haltig zu bewirtschaften – wenn die Staaten gemeinsam und mit Mut ­handeln.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2023, S. 12-14

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Ben Boteler ist Senior Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam (RIFS) und Senior Research Fellow bei TMG Think Tank for Sustainability.

 

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