Ein Königreich wird zur Festung
In Thailand demonstrieren mutige junge Menschen für eine Reform der Monarchie.
Thailands Monarchen wurden einst verehrt wie Halbgötter. Nun sieht sich das Königshaus gezwungen, Schutz vor der eigenen Bevölkerung zu suchen. An den Toren zu den Palästen in Bangkoks Altstadt haben die Behörden provisorische Stacheldrahtzäune aufgebaut. Dahinter türmten sie Schiffscontainer wie Bauklötze aufeinander, die den Amtssitz von König Maha Vajiralongkorn zur Festung machen sollten. Tausende Polizisten begleiteten den Großeinsatz Ende November. Ihr Ziel: Monarchiekritiker sollten auf keinen Fall die Gelegenheit bekommen, in dem royalen Stadtteil zu demonstrieren.
Die Abriegelung markiert eine weitere Zuspitzung in einem Konflikt, der Thailands Machtzentren seit Monaten in den Ausnahmezustand versetzt. Eine vor allem von Studierenden und Schülern angetriebene Protestbewegung fordert mehr Demokratie und will das Bündnis von Militär und Monarchie zurückdrängen, das die Politik des Landes seit Jahrzehnten prägt.
Es ist Mitte August, als die Studentenführerin Panusaya Sithijirawattanakul bei einer Demonstration an der Thammasat-Universität auf die Bühne tritt. Die 21-Jährige, die unter ihrem Spitznamen Rung bekannt ist, greift mit einer Hand nach dem Mikrofon und hält in der anderen eine Liste mit zehn Forderungen zur Reform der Monarchie. Ihre Rede wird den politischen Diskurs in Thailand nachhaltig verändern.
Kritik am Königshaus war bis dahin ein Thema, das in der Öffentlichkeit keine Rolle spielte und höchstens im kleinen Kreis besprochen wurde. Ausschlaggebend dafür ist ein Majestätsbeleidigungsgesetz, das bei Verstoß mit 15 Jahren Haft droht und selbst für harmlose Meinungsäußerungen angewandt wurde. Doch Rung und ihre Mitstreiter lassen sich davon nicht länger abschrecken.
„Wenn sich die Monarchie nicht ändert, werden die Menschen zwangsläufig den Glauben an sie verlieren“, ruft die Studentenführerin bei ihrer Rede. Punkt für Punkt trägt sie vor, was aus ihrer Sicht passieren muss: Unter anderem sollen das Majestätsbeleidigungsgesetz abgeschafft, die Ausgaben für das Königshaus aus Steuergeldern reduziert und die Glorifizierung der Monarchie im Bildungssystem gestoppt werden. Der letzte Punkt lautet: „Der König darf keinen Putsch mehr unterstützen.“
Bündnis mit dem Militär
Offiziell ist Thailand seit 1932 zwar eine konstitutionelle Monarchie, in der dem Staatsoberhaupt vor allem repräsentative Aufgaben zukommen. Doch das Königshaus hatte sich unter Vajiralongkorns Vorgänger – seinem 2016 verstorbenen Vater Bhumibol – zu einem wichtigen Machtzentrum entwickelt. Das lag an Bhumibols großer Beliebtheit in der Bevölkerung, hing aber auch mit den erheblichen finanziellen Ressourcen des Palasts zusammen und der Symbiose, die das Königshaus mit dem Militär einging.
Diese zeigte sich immer besonders deutlich nach Machtübernahmen der Armee. Insgesamt zwölf Mal putschte sie sich seit 1932 an die Regierung, und am Ende bekamen die Putschisten stets den Segen des Palasts. So auch 2014, als der heutige Regierungschef Prayut Chan-ocha eine demokratisch legitimierte Regierung aus dem Amt beförderte. Nach den Wahlen 2019, die laut Beobachtern weder frei noch fair verliefen, konnte sich Prayut knapp an der Regierungsspitze halten. Ihm half dabei eine nach dem Putsch durchgesetzte Verfassungsänderung, nach der die Militärjunta ein Drittel der Mandatsträger im Parlament bestimmen durfte.
Die Unzufriedenheit von Demokratiebefürwortern wurde seither immer größer. Sie kochte über, als Anfang 2020 eine progressive Oppositionspartei, die zum Hoffnungsträger vieler junger Wähler geworden war, verboten wurde. Eine erste Protestwelle musste wegen Corona-Beschränkungen pausieren; im Juli nahm sie dann aber wieder Fahrt auf. Seither kommt es in Bangkok mindestens einmal pro Woche zu Protesten, an denen sich meist Zehntausende beteiligen. Gegen Protestführer wie Panusaya, die Monarchiekritik zum zentralen innenpolitischen Thema machen, hat die Regierung eine Reihe von Gerichtsverfahren angestrengt.
Neben der Reform des Königshauses fordern die Demonstranten auch den Rücktritt von Prayut und eine neue Verfassung. Als zuletzt das Parlament darüber diskutierte, setzten die Einsatzkräfte Wasserwerfer und Tränengas gegen die Aktivisten ein, die sich vor dem Gebäude Gehör verschaffen wollten. Die Gewalt nimmt seitdem weiter zu: Bei jüngsten Kundgebungen kam es wiederholt zu Verletzten nach Schusswaffenangriffen – mutmaßlich durch politische Gegner der Aktivisten.
Anhänger des Königshauses, die sich bei Versammlungen in der königlichen Farbe Gelb kleiden und deshalb Gelbhemden genannt werden, werfen den Demonstranten vor, die Monarchie nicht reformieren, sondern abschaffen zu wollen. Eine Verfassungsänderung lehnen sie ab. König Vajiralongkorn sprach seinen Unterstützern mehrfach Mut zu: Er ließ sich von ihnen bei öffentlichen Auftritten umringen, gab Autogramme und ließ Fotos von sich machen – ungewohnt volksnah für den Monarchen, der vor dem Ausbruch der Proteste den Großteil seiner Zeit in Deutschland verbrachte.
Vajiralongkorn ließ sich sogar auf ein spontanes Kurzinterview mit einem Reporter ein. Gefragt nach möglichen Zugeständnissen an die Aktivisten antwortete er: „Thailand ist das Land der Kompromisse.“ Doch wer auf eine schnelle friedliche Lösung des Konflikts hoffte, wurde enttäuscht. Nur wenige Tage später rückten wieder die Wasserwerfer an.
Mathias Peer lebt seit 2012 in Bangkok und berichtet als Korrespondent über Südostasien und Indien.
Internationale Politik 1, Januar-Februar 2021; S. 122-123
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