Online-Veröffentlichung

03. Apr. 2025

Ein europäischer Nukleardialog – was Deutschland leisten kann

Amerika, wie hältst Du’s mit dem europäischen Nuklearschirm? Mit Trumps offener Parteinahme für Russland und seiner demonstrativen Abkehr von Europa und der NATO ist diese Frage wieder ins Zentrum transatlantischer Diskussionen geraten. Anders als in Trumps erster Amtszeit hat Europa diesmal aber die Dramatik der Situation erkannt – und sehr rasch Ideen zur Stärkung der britischen und französischen nuklearen Abschreckung entwickelt.

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Bild: Stapellauf eines französischen U-Boots
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Seit den 1990er Jahren tauschen sich die beiden europäischen Atommächte Frankreich und Großbritannien über ihre Nuklearpotenziale aus und haben diesen Dialog 2010 in den Lancaster-House-Verträgen festgeschrieben. Nach wechselseitigen Irritationen um den EU-Austritt Großbritanniens aus der EU haben beide Länder die Gespräche nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine wieder aufgenommen und wollen sie weiter intensivieren. Darüber hinaus hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erneut einen strategischen Dialog der nuklearen und nichtnuklearen Staaten in Europa angeregt.
 

Signale der Geschlossenheit

Anders als in der Vergangenheit steht Deutschland heute einem solchen Dialog sowohl mit Frankreich als auch mit Großbritannien offen gegenüber. Schon das im Herbst 2024 abgeschlossene deutsch-britische Verteidigungsabkommen (Trinity House) sieht explizit einen Austausch über Nuklearfragen vor. Auch hatte sich Friedrich Merz schon frühzeitig für den von Macron vorgeschlagenen Nukleardialog ausgesprochen. Die Idee solcher Gespräche ist, ein Signal der Ge- und Entschlossenheit nicht nur an Moskau, sondern auch an Washington zu senden. 

Dabei geht es (noch) nicht darum, die amerikanische „erweiterte Abschreckung“ durch eine europäische Version zu ersetzen. Es ist noch lange nicht ausgemacht, dass Washington den Nuklearschirm über Europa beenden wird, zumal der Schaden für die USA selbst ganz erheblich wäre. Das stets von Amerika verfolgte Ziel der nuklearen Nichtverbreitung würde gefährdet, und neue Nuklearstaaten könnten etwa in Osteuropa oder in Asien entstehen. In Polen und Südkorea sind bereits erste Debatten in diese Richtung zu erkennen. Andererseits ist die Trump-Administration nicht dafür bekannt, die negativen Folgen des eigenen erratischen Handelns vorab ins Kalkül zu ziehen. Impulsive Schritte des Präsidenten, die zum transatlantischen Bruch und zum faktischen Ende der NATO führen, sind nicht ausgeschlossen.

Was aber könnte Deutschland in solche Gespräche konkret einbringen und worin würde der Beitrag zur Stärkung einer europäischen nuklearen Abschreckung bestehen?
 

Keine deutsche Bombe

Mit Sicherheit bestünde dieser Beitrag nicht darin, dass Deutschland versuchen würde, eigene Kernwaffen zu entwickeln. Diese Option wird gelegentlich öffentlichkeitswirksam von Akademikern und Journalisten aufgebracht, entbehrt aber jeder Grundlage. Die Bundesrepublik hat sich sowohl im Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag als auch im Zwei-plus-Vier-Vertrag zur Deutschen Einheit verpflichtet, nicht nach eigenen Atomwaffen zu streben. Es gibt keine ernstzunehmende politische Kraft in Deutschland, die an dieser Selbstbindung ernsthaft rütteln will. Auch würde der Aufbau einer Kernwaffenfähigkeit einschließlich der Trägersysteme gewaltige Summen verschlingen, die in keinem Verhältnis zu einem möglichen Nutzen stehen.

Zum Vergleich: Die Kosten des Aufbaus des französischen Kernwaffenpotenzials von 1960 bis zur Jahrtausendwende werden in heutigen Preisen auf etwa 340 Milliarden Euro geschätzt. Von den politischen Signalen, die von einem deutschen Griff nach der Bombe ausgingen, ganz zu schweigen.
 

Die gaullistische Maxime

Auch die denkbare Möglichkeit, französische Kernwaffen – ähnlich wie die US-Atombomben in Büchel – auf deutschem Boden zu stationieren, ist derzeit nur eine theoretische. Paris ist bislang noch nicht von seiner langjährigen Skepsis gegenüber der Idee einer erweiterten nuklearen Abschreckung für nichtnukleare Verbündete abgerückt und sieht Kernwaffen als eine strikt nationale Angelegenheit. Die gaullistische Maxime, dass das Nukleare nicht teilbar sei („La nucléaire ne se partage pas“), gilt nach wie vor und es ist noch nicht klar, bis zu welchem Grad Präsident Macron künftig von diesem Dogma abweicht. Darüber hinaus verfügt Frankreich nur über etwa 40 nukleare Marschflugkörper und ebenso viele landgestützte nuklearfähige Rafale-Kampfbomber. Der Rest der insgesamt etwa 290 französischen Atomsprengköpfe ist für den Einsatz auf See – entweder von U-Booten oder mit Rafale-Bombern vom Flugzeugträger „Charles de Gaulle“ – vorgesehen.

Für die britischen Kernwaffen ist eine solche Option überhaupt nicht gegeben. Zwar hatte Großbritannien während des Kalten Krieges Atombomben vom Typ WE.177 in Westdeutschland stationiert, hat aber bis Ende der 1990er Jahre all seine sogenannten taktischen Kernwaffen verschrottet. Das heutige britische Atomarsenal ist ausschließlich auf U-Booten stationiert.

Eher vorstellbar ist die Möglichkeit, dass sich Deutschland und andere Nicht-Nuklearstaaten in Europa mit konventionellen Streitkräften an möglichen Nukleareinsätzen beteiligen. In der NATO wird dies mit Blick auf die amerikanischen Kernwaffen in Europa unter dem Akronym SNOWCAT (Support for Nuclear Operations for Conventional Air Tactics, kürzlich umbenannt in CSNO – Conventional Support for Nuclear Operations) seit Jahrzehnten praktiziert. Im Falle eines hypothetischen Einsatzes der US-Atombomben in Europa würden Unterstützungsfunktionen wie Luftbetankung oder die Bekämpfung der gegnerischen Luftabwehr von nichtnuklearen NATO-Mitgliedern übernommen. Im jährlichen NATO-Manöver „Steadfast Noon“ werden solche Verfahren geübt und demonstriert. Allerdings gilt diese Option ebenfalls nur für die französischen landgestützten Kernwaffen und würde darüber hinaus in Paris ein erhebliches Umdenken mit Blick auf die eigene nukleare Unabhängigkeit erfordern.
 

Deutsche Kostenübernahme?

Was Deutschland allerdings sowohl London als auch Paris sehr konkret anbieten kann, ist, sich an den erheblichen Kosten der nuklearen Kapazitäten beider Länder zu beteiligen. Schon im Mai 2017 hatte sich der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags in einem öffentlich zugänglichen Gutachten mit dem unverfänglichen Titel „Völkerrechtliche Verpflichtungen Deutschlands beim Umgang mit Kernwaffen“ mit der Kofinanzierung ausländischer Nuklearwaffenpotenziale aus dem Bundeshaushalt befasst. Diese Bewertung wurde in Auftrag gegeben, weil sich schon in der ersten Amtszeit von Präsident Trump die Frage nach der Verlässlichkeit der amerikanischen nuklearen „Commitments“ stellte.

Dabei wurde festgestellt, dass der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag, der für Deutschland seit 1975 verbindlich ist, kein Unterstützungs- oder Finanzierungsverbot von Nicht-Nuklearstaaten für Nuklearmächte enthält. Auch aus dem Zwei-plus-Vier-Vertrag, in dem Deutschlands nichtnuklearer Status festgeschrieben ist, kann man kein solches Verbot ableiten – ebenso wenig aus dem allgemeinen Völkerrecht. Lediglich einige internationale Verträge zu „nuklearwaffenfreien Zonen“ enthalten indirekte Unterstützungsverbote. Deutschland ist aber nicht Vertragspartei eines derartigen Abkommens.

Offenbar hat Deutschland eine solche nukleare Kofinanzierung bislang noch nicht geleistet, auch wenn gelegentlich Gerüchte aufkamen, dass die Bundesrepublik in den 1950er und 1960er Jahren den Aufbau des israelischen Kernwaffenpotenzials finanziell unterstützt hätte. Erhärtet haben sich solche Vermutungen allerdings nie.
 

Strategische Vorausschau

Aus all dem folgt, dass eine finanzielle Unterstützung der britischen oder französischen nuklearen Abschreckung grundsätzlich möglich ist. Natürlich würde diese nur erfolgen, wenn ein direkter Zusammenhang zwischen den Kernwaffenpotenzialen beider Länder und der Sicherheit Deutschlands und Europas hergestellt würde. Die entsprechenden Leistungen und Gegenleistungen müssten in bilateralen Verträgen rechtlich bindend ausgestaltet werden.

Dass solche Überlegungen auch von der vergangenen Ampelregierung nicht als völlig abwegig angesehen wurden, zeigte der Umstand, dass schon 2024 im Bundesfinanzministerium das Referat „Geoökonomie und Sicherheitspolitik“ neu gegründet wurde, um die finanziellen Implikationen der Zeitenwende in all ihren Aspekten zu betrachten.

Würde Deutschland eine solche Option in den geplanten Dialog der Nuklear- und Nicht-Nuklearstaaten einbringen, würden die Gespräche sogleich auf eine politisch greifbare und vermutlich für beide Seiten nützliche Ebene gehoben. Andere Staaten könnten folgen, wenn sie den Nuklearschutz der beiden europäischen Nuklearmächte als ausreichend glaubwürdig erachten. Auch wäre es ein Beispiel für eine strategisch vorausschauende deutsche Sicherheitspolitik – etwas, das in der Vergangenheit in Berlin nicht oft zu beobachten war. 

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik, Online-Veröffentlichung, 03. April 2025

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Mehr von den Autoren

Dr. Karl-Heinz Kamp ist Associate Fellow der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und war Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik.

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