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02. Sep 2024

Deutschland auf Partnersuche im Globalen Süden

Was Deutschland für neue Bündnisse mit Ländern des Globalen Südens tun muss – und welche Einschnitte notwendig sind, um inklusiven Multilateralismus zu ermöglichen.

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Bild: : Neue Bündnisse sind besonders dort wichtig, wo sich die Bruchstellen einer.
Deutsche Soldaten marschieren im Jahr 2020 im Rahmen einer UN-Übung in Somalia: Neue Bündnisse sind besonders dort wichtig, wo sich die Bruchstellen einer multipolaren Welt am brutalsten zeigen. Dazu gehören auch das Horn von Afrika oder die Sahelregion.

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Indiens Premier Narendra Modi hat sich wohlgefühlt, bei seinem zweitägigen Besuch in Moskau Mitte Juli 2024. Gemeinsam mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin streichelte er Pferde, während in der Ukraine fast zeitgleich ein Kinderkrankenhaus durch russische Raketen zerstört wurde. Zum „Summit on Peace in Ukraine“ in der Schweiz, der wenige Wochen zuvor stattfand, hatte Indien keine hochrangige Delegation entsandt. Eine Abschlusserklärung unterschrieb sie nicht. Modis Besuch in der Ukraine im August dauerte weniger als 24 Stunden. Für Putins Propaganda war der Empfang des indischen Premiers in Moskau also ein gelungener Coup: Indien, die selbsternannte Vertretung des Globalen Südens, gibt sich die Ehre. Hat Putin den Westen verprellt, aber den Globalen Süden als Mitstreiter für eine multipolare Welt gewonnen? 

Nicht wirklich. Denn Multipolarität ist für die meisten Länder ein emanzipatorisches Versprechen. Das heißt nicht: eine Welt der Einflusssphären, wie sie Russland unter Putin vorschwebt. Sondern trans­aktionale Politik mit vielen und wechselnden Partnern. Dem sieht man sich im Globalen Süden so nah wie nie zuvor. Auch weil der Westen heute schwächer ist. Das führt uns zur deutschen Außenpolitik. 

Für eine zeitgemäße Zusammenarbeit mit dem Globalen Süden braucht es die Erkenntnis, dass die dortigen Klagen gegenüber der historischen Ignoranz des Westens oft berechtigt sind und außenpolitische Positionen bis heute sehr konkret beeinflussen. Lange wurde Frankreich in Europa nicht trotz, sondern wegen seiner Geschichte als ehemalige Kolonialmacht in Westafrika die europäische Federführung gegenüber der Sahelregion überlassen. Das rächt sich jetzt. Weil Frankreich vom militärregierten Mali bis zum demokratischen Senegal maximal diskreditiert ist, droht nun der gesamte Westen in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Um die Unterstützung der Bevölkerung zu erhöhen, schlossen die Putschisten in Mali und Niger zuerst französische, dann amerikanische und nun auch deutsche Militärstützpunkte. Jetzt versucht man in Berlin, Paris und Brüssel verzweifelt Kontakt zu halten, weil die Sahelregion zu nahe an Europa liegt, um sie zu ignorieren. 

Man muss sie also von Beginn an mitdenken, die Folgen unserer Geschichte für die Politik gegenüber den Staaten in Asien, Afrika, Lateinamerika und Nahost. Zugegeben, das ist leicht gesagt und schwer getan. Umso wichtiger ist die glaubwürdige außenpolitische Verankerung eines kritischen Umgangs mit der eigenen Kolonialgeschichte. Die Anerkennung von Genozid, Mord und Raub durch ein koloniales Deutschland sind die Grundlage für das Vertrauensverhältnis mit vielen Ländern des Globalen Südens, das wir für die Erreichung außenpolitischer Ziele benötigen. Das gilt nicht nur für die Länder, in denen Deutschland Kolonialmacht war. Wahrzunehmen, wo wir als Westen uns gerade durch die Jahrzehnte währende Dominanz unbeliebt gemacht haben, historisch sensibel Vertrauen aufzubauen – wie durch die Rückgabe der Benin-Bronzen nach Nigeria durch die Außenministerin oder die Entschuldigung für deutsche Kolonialverbrechen durch den Bundespräsidenten in Tansania –, sind erste Schritte. Sie können Räume öffnen. 


Eigentore vermeiden

Dennoch, selbst diese Erkenntnis wird uns kaum in die Lage versetzen, die innenpolitischen Anreize zur Politisierung der Beziehungen zum Westen im Globalen Süden aufzulösen. Denn unsere Außenpolitik wird niemals frei von Doppelstandards sein können, ebenso wenig wie die Außenpolitiken der Staaten des Globalen Südens. Südafrika trägt die Kritik an Israel im Gazastreifen besonders laut vor, auch weil Israel zu den letzten Unterstützern der Apartheid-Regierung in Pretoria zählte. Aller außenpolitischen Moral zum Trotz: Anfang Januar 2024 empfing Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa den Anführer der mörderischen sudanesischen RSF-Miliz Hemedti wie einen Staatsgast. Das mehrheitlich muslimische Pakistan prangert die islamfeindliche Stimmungsmache in Modis Indien an und vertieft die Partnerschaft mit China, das in Xinjiang die muslimische Minderheit drangsaliert. 

Das heißt nicht, dass die Moral keine Rolle spielen soll in der Außenpolitik. Aber gerade unseren Partnern im Globalen Süden ist immer wieder vorgeführt worden, dass unsere Werte eben nur dort wirklich hochgehalten werden, wo sie nicht mit anderen Interessen konfligieren. Insofern gilt es zunächst Eigentore zu vermeiden. Die gab es jüngst zuhauf: Die europäische Antwort auf die Corona-Pandemie mit der Weigerung, Patente freizugeben, stand in krassem Gegensatz zu chinesischer und russischer Verteilung von Impfstoffen. Die westliche Aufforderung, sich infolge des Angriffs auf die Ukraine Russland zum Feind zu machen, wirkte im Globalen Süden geschichtsvergessen, auch weil die Sowjetunion einen größeren Beitrag zur Dekolonialisierung geleistet hatte als der Westen. Vor allem aber hat die lange ausgebliebene westliche Kritik an Israels brutalem Vorgehen in Gaza nach dem Terror der Hamas am 7. Oktober uns im Globalen Süden Vertrauen gekostet. 

Ein Eigentor ist auch zu versuchen, unseren Partnern auszureden, was sie selbst am besten wissen: dass chinesische Investitionen hilfreich sind, zum Beispiel.  Ein erster Schritt wäre es, auf die habituell vorgetragene Erwartung zu verzichten, dass sich die Staaten des Globalen Südens doch bitte dem moralisch auf der richtigen Seite der Geschichte verorteten Westen anschließen müssten. Das nimmt uns keiner ab. Helmut Kohl hat noch bis Mitte der 1980er Jahre Apartheid-Südafrika unterstützt, Gerhard Schröder und Angela Merkel zementierten die Abhängigkeit von russischem Gas bis 2021. Und dafür ist antiwestliche Stimmungsmache auch innenpolitisch vielerorts zu erfolgreich. 

Dagegen würde helfen, laut und deutlich zu erklären, dass es ohne eine ernsthafte Kooperation mit den Ländern des Globalen Südens nicht gelingen kann, globale Krisen zu lösen – von der Schuldenkrise zur Klimakrise, von der Migration bis hin zum friedlichen Umgang mit Großmachtrivalitäten. So sehr sich der Westen bei G7- oder NATO-Gipfeln bemüht, Einigkeit zu demonstrieren, Bündnisloyalität reicht nicht mehr aus. Das machen die Großkrisen deutlich. Weil aber die Staaten des Globalen Südens für Partnerschaften à la NATO nicht zur Verfügung stehen, gilt es, flexible Bündnisse zu schmieden. Nicht erst innerhalb des Westens und dann – wenn überhaupt – auch mit anderen. Sondern von Beginn an. Das wird im von Trump und Le Pen auch intern bedrohten Westen absehbar noch wichtiger. 


Flexible Bündnisse

Neue Bündnisse sind besonders dort wichtig, wo sich die Bruchstellen einer multipolaren Welt am brutalsten zeigen. Zum Beispiel am Horn von Afrika oder in der Sahelregion. Hier wie dort funktionieren lange verlässliche Koordinaten politischer Regionalordnungen nicht mehr. Am Horn von Afrika waren das in den 1990er bis in die 2010er Jahre, grob vereinfacht, die Zusammenarbeit der USA mit dem regionalen Hegemon Äthiopien. In der Sahelregion waren es seit den 1960er Jahren Frankreich und eng mit Paris verbundene Regierungen in ihren ehemaligen Kolonien sowie ab den 1990er Jahren die Regionalmacht Nigeria und die dort beheimatete und vom Westen unterstützte Regionalorganisation ECOWAS. 

Die Bundesregierung sollte sich auf Regionen konzen­trieren, in denen wir Vor­teile und Interessen haben – wie in der Sahelregion und am Horn von Afrika

Beide Ordnungen haben sich mittlerweile aufgelöst. Nicht die USA, sondern Drohnen aus der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten schützten eine geschwächte äthiopische Regierung vor dem Sturz durch eine Regionalarmee Ende 2021. Nicht die USA, sondern Saudi-­Arabien bemühte sich um einen ersten Friedensprozess nach Ausbruch der Kämpfe im Sudan Anfang 2023. Nigeria konnte seine von Europa unterstützte Drohung eines militärischen Eingriffs im Niger nach dem Putsch Mitte 2023 nicht glaubhaft machen und stürzte damit die gesamte Regionalorganisation ECOWAS in die Krise. Von der wollen sich Mali, Burkina Faso und Niger inzwischen trennen. Ein Grund dafür ist, dass in einer multipolaren Welt Macht und Einfluss gleichmäßiger verteilt sind – und es Alternativen gibt. Ein weiterer Grund: Der Westen hielt Regierungen für stabil, die innenpolitisch kaum Legitimität genossen. Das hat abgefärbt. Diese Regierungen sind entweder abgelöst worden, wie von den Putschisten in Mali und Niger. Oder sie suchen sich andere Partner wie Äthiopien. 

Hier könnte eine neue Lastenteilung innerhalb des Westens in einer heraufziehenden multipolaren Welt expliziteres Ziel deutscher Außenpolitik sein. Die Bundesregierung kann sich dann stärker auf ihre komparativen Vorteile konzentrieren. Und auf Regionen und Länder im Globalen Süden, in denen wir konkrete, aber lange vernachlässigte Interessen haben. Solche Vorteile und Interessen hat Deutschland beispielsweise in der Sahelregion und am Horn von Afrika, die für die deutsche Handels-, Migrations- und Sicherheits­politik besonders wichtig sind. Die Sahelregion hat sich zum globalen Zentrum von dschihadistischem Terrorismus entwickelt. Durch das Rote Meer verläuft eine der wichtigsten Handelsrouten Europas. 

Weil Deutschland außen-, sicherheits- und entwicklungspolitisch präsent ist (andere westliche Länder nicht mehr), genießt Berlin in beiden Regionen Vertrauen. Und weil man dort keine eigene Kolonialgeschichte hat, finden deutsche Diplomatinnen und Diplomaten auch mehr Gehör in der Zivilgesellschaft als ihre britischen oder französischen Kolleginnen und Kollegen. Oder als die USA, die sich mit außenpolitischer Engführung im „Krieg gegen den Terror“ seit 2001 in beiden Regionen diskreditiert haben. Ein Zugehen auf den Globalen Süden beinhaltet deshalb auch einen ehrlichen Blick auf unsere traditionellen Partner im Westen.

Dabei ist klar, dass deutsche Außenpolitik nur mit einer begrenzten Anzahl von Krisen gleichzeitig umgehen kann. Also müssen wir stärker priorisieren. Das geht nicht immer zugunsten des Globalen Südens. Sicherheitspolitisch sind die Unterstützung der Ukraine und die Ostflanke der NATO für Deutschland prioritär. Die gegenwärtigen Anstrengungen, mit Marine und Luftwaffe im Indo-Pazifik Flagge zu zeigen, sind dagegen viel schwerer zu vermitteln. Zumal sie einen oft gehörten Vorwurf an die deutsche Außenpolitik unterstreichen: Was wollen und können wir erreichen? Das ist vielen Partnern im Globalen Süden oft nicht klar. Der abstrakte Hinweis auf den Schutz der „regelbasierten Ordnung“ – die es für viele im Globalen Süden nie gab und zu deren Begründern sie nicht zählten – reicht nicht aus. 

Um es zuzuspitzen: Sich dort einzubringen, wo die deutsche Außenpolitik einen konkreten Unterschied machen kann, könnte weniger Shuttle-Diplomatie auf höchster Ebene in Nahost bedeuten. Wenn schon die USA kaum in der Lage sind, die Regierung Netanjahu zu bremsen, dann wird Berlin das noch weniger gelingen. Dafür könnte Berlin mehr hochrangige Mühen als Vermittler und Bündnisbauer in der Sahelregion und am Horn von Afrika investieren. Ansätze für einen stärkeren Fokus Deutschlands auf vernachlässigte Krisen im geopolitischen Nahbereich gab es bereits. So gilt es aus dem 2021 aufgestellten Libyen-Prozess zu lernen, den das Auswärtige Amt damals verantwortete. Hier traute man sich zu, eine Krise federführend zu bearbeiten. Zwar war das damals nur begrenzt erfolgreich. Dennoch, ähnliche Initiativen würden Deutschlands Ansehen im Globalen Süden ­steigern. Und sie würden zu einem dringend ­notwendigen Verständnis für Friedensprozesse in einer multipolaren Welt beitragen. Deren Erfolg ist auf neuartige Formate und flexible Bündnisse angewiesen. 

Das führt zu einer weiteren Erkenntnis. Wir werden uns unsere Partner nicht immer aussuchen können. Um am Horn von Afrika voranzukommen, braucht es die Einbeziehung der Spoiler aus den Golfstaaten genauso wie einen Dialog mit der sudanesischen Zivilgesellschaft im Land und im Exil, die mit deutschen Organisationen schon lange vertrauensvoll zusammenarbeiten. In der Sahelregion wird man an Dialogprozessen mit den populären Militärregierungen genauso wenig vorbeikommen wie an einigen der Gewaltakteure, die ganze Landesteile ­kontrollieren. 

Deutschland kann sich ­seine Partner nicht immer aussuchen und muss bei Krisen auch mit Autokra­tien zusammenarbeiten

Auch eine Zusammenarbeit mit China oder der Türkei könnte helfen. Weltweit ist es ähnlich: Eine effektive Klimapolitik wird ohne die Einbeziehung von Autokratien ebenso wenig gelingen wie die Bearbeitung der Schuldenkrise oder die Bekämpfung von Hunger. Die Vorstellung, ein Bündnis demokratischer Staaten müsse in der internationalen Politik die Richtung vorgeben, ist für viele im Globalen Süden ohnehin nur eine Ausrede für die Fortschreibung westlicher Dominanz. 

Die Bearbeitung akuter Krisen in neuen, flexiblen Bündnissen ist das eine. Die Vorbeugung von Krisen das andere. Und gerade hier stimmen die Einschätzungen aus den verschiedenen Teilen des Globalen Südens häufig überein. Weil die großen internationalen Institutionen zu lange vom Westen dominiert wurden, haben sie die im Globalen Süden besonders schmerzhaften Krisen nicht verhindern können – oder noch verschärft: Die Asien-
Krise Ende der 1990er Jahre wurde in den Augen vieler in Südostasien erst traumatisch durch die Verordnung von Austerität und Marktliberalisierung seitens des Internationalen Währungsfonds. Ähnlich war es in der Schuldenkrise in Afrika in den 1980er Jahren. Die vom UN-Sicherheitsrat gedeckte Intervention in Libyen 2011 führte direkt in den libyschen Bürgerkrieg und hat die gesamte Sahelregion mit Waffen überschwemmt. Die Liste ließe sich fortsetzen. Klar ist: Neuen Krisen im Globalen Süden kann nur wirksam vorgebeugt werden, wenn die davon betroffenen Staaten mehr als bisher in der internationalen Politik eingebunden sind. 


Für einen inklusiven Multilateralismus

Deutsche Diplomatie setzt sich für inklusiven Multilateralismus ein; dass der immer weniger funktioniert, sollte uns nicht davon abbringen. Insbesondere kleine und mittelgroße Staaten, die wegen fehlender Machtmittel anderen Ländern nicht ihren Willen aufzwingen können, verlangen nach verlässlichen Regeln und multilateralen Verfahren. 

Eine besondere Herausforderung besteht darin, dass sich auch starke Akteure in der internationalen Politik für einen inklusiven Multilateralismus einsetzen. Deutschland und die EU sind solche Akteure. Die USA werden das aller Voraussicht nach nicht sein, ebenso wenig wie China. Indien, lange ein Verfechter der Vereinten Nationen, richtet sich im lange ersehnten Großmachtstatus ein. 

Für einen Russland-Boom spricht wenig. Europa sollte seine vielschichtigen Beziehungen besser nutzen 

Ohnehin ist die Vorstellung, dass ein Staat die Interessen des Globalen Südens glaubwürdig vertreten würde, fehlgeleitet, auch wenn Indien, China oder die BRICS-Länder gemeinsam das immer wieder für sich veranschlagen. Allein schon, weil die Interessengegensätze innerhalb des Globalen Südens zu groß sind. Und weil man sich nicht von Großmächten mit Großmacht­interessen vertreten lassen will. Das hat konkrete Folgen für die deutsche Außenpolitik: Allein auf engere Beziehungen zu einzelnen Staaten im Globalen Süden zu setzen, wird nicht ausreichen. Die Mehrheit auch jenseits der traditionellen Partner des Westens erreicht man in multilateralen Organisationen, nicht über die G20. 

So idealistisch es auch klingen mag: Die Demokratisierung der internationalen Politik mittels der Reform der großen multilateralen Institutionen, notfalls an Russland, den USA und anderen vorbei, muss ein wesentliches Ziel deutscher und europäischer Außenpolitik bleiben. Das heißt auch: Glaubwürdig wird eine Politik gegenüber den Staaten des Globalen Südens erst, wenn sie mit potenziell schmerzhaften Einschnitten einhergeht. Zum Beispiel, was die Stimmrechte und Anteile in den globalen Finanzinstitutio­nen angeht. Oder beim Thema Handels­erleichterungen.

Tatsächlich sieht das „long game“ für Deutschland und Europa viel besser aus, als es derzeit den Anschein hat. Dazu nochmal ein Blick nach Moskau. Den harmonischen Bildern von Modi und Putin zum Trotz: Wenig spricht dafür, dass sich Indiens grundlegende strategische Ausrichtung ändert. Seit Jahren schon versucht Neu-Delhi sich von der Abhängigkeit von russischen Waffen zu lösen. Und wenige Wochen zuvor wurde Putin in ­Vietnam vorstellig; auch hier will man sich von russischen Rüstungsgütern lösen. Russland hat auch hier in dem Maße an strategischem Wert verloren, in dem es sich von China abhängig gemacht hat.


Nicht einmauern, sondern offenbleiben

Weniger als 2 Prozent des afrikanischen Außenhandels finden mit Russland statt, weniger als die Hälfte der noch 2019 beim russischen Afrika-Gipfel teilnehmenden Staatschefs reiste zur Wiederauflage 2023. Für einen Russland-Boom in Afrika spricht wenig. Das gilt es trotz aller Aufregung über die Präsenz russischer Söldner in der Sahelregion im Auge zu behalten.

Und im Gegensatz zu Russland sind die westlichen Verbindungen zu vielen Staaten des Globalen Südens multidimensionaler – auf zivilgesellschaftlicher Ebene ebenso wie wirtschaftlich, kulturell und diplomatisch. Dass gerade die deutsche Außenpolitik nicht nur mit Regierungen zusammenarbeitet, ist dann ein Vorteil, wenn erfolgreiche Anti-Regierungsproteste weiter zunehmen wie zuletzt in Kenia oder Bangladesch. 

Diese Stärke gilt es zu nutzen. Indem wir uns nicht einmauern, sondern offen­bleiben. Zum Beispiel: Für Investitionen aus Indien, für Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus Bangladesch, für Wissenschaftskoopera­tion mit den Staaten in Südostasien, für den Kulturaustausch mit Brasilien und für die Kritik an ausbleibenden Reformen westlich geprägter internationaler Institutionen aus der Protestbewegung Kenias.    

Dieser Artikel ist in der gedruckten Version unter dem Titel „Auf Partnersuche" erschienen.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2024, S. 50-55

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Mehr von den Autoren

Henrik Maihack leitet das Referat Afrika der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Berlin. Zuvor vertrat er die FES zehn Jahre in Indien, Bangladesch, Südsudan, Ruanda und Kenia.

Dr. Johannes Plagemann ist ­Senior ­Research Fellow bei GIGA. Mit H. Maihack veröffentlichte er das Buch „Wir sind nicht alle. Der Globale Süden und die Ignoranz des Westens“.

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